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Dialog mit einem Wohlmeinenden.

»Wie? Sie führen kein Tagebuch?«

»Ich wüßte nicht, für wen.«

»Natürlich für sich selbst!«

»Mein Gedächtnis ist zuverlässig.«

»Sie können nicht alles behalten!«

»Ein wahres Glück! Nicht alles ist die Erinnerung wert. Was sich dem Gedächtnis nicht fest einprägt, will vergessen sein.«

»Aber – durch immer neue Erlebnisse verblassen die alten ...«

»... sofern die neuen bedeutsamer sind, gewiß!«

»Ich beneide Sie, daß Sie so leicht verzichten können ...«

»Nennen Sie Verzicht, wenn man nicht gewillt ist, Vergangenem Gegenwärtiges oder Zukünftiges zu opfern?«

»So war's nicht gemeint!«

»Aber darauf kommt's schließlich doch heraus. Es gibt Menschen, die lassen sich von den Ereignissen wie vom Regen überraschen. Andere haben den Wetterhimmel beobachtet und können, sobald es losplatzt, ihren Regenschirm aufspannen, den sie vorsorglich mitnahmen. Jene ärgern sich über den lieben Gott und machen ihn dafür verantwortlich, wenn sie naß werden; wenn dagegen Leute der zweiten Kategorie den Schirm wirklich einmal vergessen haben sollten, dann sind sie nur über sich selbst ärgerlich.«

»Nun sagen Sie mir: Was hat diese Kategorisierung noch mit der Führung eines Tagebuches zu tun?«

»Sehr viel! In die erste Abteilung können sie alle Tagebuchschreiber stecken. Sie pflegen fein säuberlich zu vermerken, wie das Wetter gewesen ist. Die anderen bemühen sich indessen um die Wetterbestimmung für den nächsten Tag.«

»Sie rechnen sich wahrscheinlich der zweiten Kategorie zu. Aber uns alle interessiert doch immer am meisten, was sich begeben hat

»Mich – im allgemeinen – nicht; und wenn es mitunter dennoch der Fall ist, dann schreibe ich die Begebenheit nieder. Nachher interessiert sie mich nicht mehr. Es ist die bequemste Art, das Gedächtnis zu entlasten, wenn es von einer lieben oder wertvollen Erinnerung noch über Gebühr beschäftigt wird. – Natürlich lüge ich immer gern ein bißchen dazu. Auch wenn es nicht unbedingt nötig wäre; nur aus Gewohnheit ...«

»Nein! Weil Sie kein Tagebuch führen!«

»Möglich.«

»Und auf Reisen –? Photographieren Sie?«

»Wenig; aber niemals, um das Gedächtnis, also das ungeschriebene Tagebuch, zu unterstützen, sondern nur, wenn das Motiv eine Aufnahme wirklich lohnt; oder manchmal auch, um Bekannten eine Freude zu bereiten.«

»Schade, daß Sie nicht filmen! Es ist viel bequemer, einen Film zu drehen als ein Buch zu schreiben ... und auch einträglicher!«

»Ganz gewiß!«

»... Warum tun Sie es nicht?«

»Herr – sehen Sie meine Haare an! Wie sind sie?«

»Dunkel ... aber ...«

»Fragen Sie ungeniert weiter! Zum Beispiel: »Warum sind Ihre Haare nicht blond?« – Oder: »Warum haben Sie noch keine Glatze?« Oder: Weshalb sind Sie eigentlich zur Welt gekommen?« Oder: ...«

»Wir haben uns entschieden mißverstanden, mein Herr!«

»Das ist bedauerlich; aber ich vermute, daß es auch künftig immer der Fall sein wird.«


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