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Epilog.

Im Zirkus Busch zu St. Pauli in Hamburg war allabendlich vor ausverkauften Häusern ein »lustiges Spiel aus ernsten Tagen« zu sehen: »Ut de Franzosentid«, nach Fritz Reuter geschickt zusammengestellt und für die Manege bearbeitet. »Franzosenblut muß fließen!« rief der kriegerische Ratsherr Herse und sein »Bataillon« – ein Dutzend tapfere Bäuerlein – marschierte auf. Alle Waffen aus anno dazumal waren vertreten, von der spitzigen Heugabel bis zum derben Dreschflegel, und ein besonders Schlauer hatte den Besen als geeignetes Kriegswerkzeug erkoren. Die kleine Truppe, erbärmlich ausgerüstet und gegenüber der bis an die Zähne waffenstrotzende Feind: Vergleiche drängten sich auf.

Bezeichnend aber waren Plakate, die in fetten Lettern verkündeten:

Die Direktion hat sich entschlossen, gegen Ablieferung von Hafer Eintrittskarten zu verabfolgen.

»Wir bieten bis auf Widerruf:

Für je 15 Pfund Hafer einen Logenplatz.

Für je 10 Pfund Hafer einen Platz I. Parkett oder Logentribüne.

Für je 5 Pfund Hafer einen anderen Sitzplatz.«

In jenen Tagen fuhr ich nach Neuyork. Wir hatten gegen 1300 zahlende und etliche blinde Passagiere an Bord; fast durchwegs Auswanderer. Die deutsche Not schien auf dem höchsten Punkt angelangt – es war ebensowenig ein Ende wie eine weitere Steigerung der katastrophalen Situation auszudenken.

Mit welcher Hast stürzten sich die armen, ausgehungerten Menschen auf das reichliche und vorzüglich bereitete Essen! Die Schiffahrtslinie mit ihren Dollareinnahmen konnte den Passagieren friedensmäßige Küche bieten. Und sie nahm, noch über ihre materiellen Verpflichtungen hinaus, sorgsam Bedacht auf die schlechte körperliche Verfassung der Reisenden, von denen die meisten den Boden ihrer neuen Heimat denn auch gekräftigt und gesundet betreten konnten. Sie alle erwartete der schwere Kampf um die neue Existenz. Männer von hohem zivilen oder militärischen Rang, unter ihnen etliche, die noch zu Beginn der Fahrt meinten, ihren Stand durch das Monokel betonen zu müssen, sollten bald mit niedrigster, aber nährender Arbeit neu beginnen. Bei manchen flogen erst, als ihr Lebenskahn in Seenot geriet, Dünkel und Vorurteil als überflüssiger Ballast über Bord.

Denn in Nordamerika imponiert nur und regiert noch die Arbeit: Sie hat die Hütten geschaffen, in denen die erste Generation gewohnt; Wolkenkratzer für die zweite.

Nun schafft sie – leider – Kriegsschiffe für die dritte. Und damit beschwört Amerika für sich Probleme herauf, an denen Europa krankt: Not und soziale Schichtung. Und unsere Kulturmenschen werden nicht mehr auswandern können, um in den Vereinigten Staaten Stiefel zu putzen; denn wo es eine Gesellschaft gibt, läßt sich eine Gewerkschaft nicht ins Handwerk pfuschen. –

Es wäre schade. – Wenn auch heute im Hamburger Vergnügungsvorort St. Pauli wieder die gute Mark gilt und der Haferbauer nicht mehr das Vorrecht auf ein Zirkusbillet hat, wird es doch immer Deutsche geben, die aus der natürlichen Beengung und aufgezwungenen Begrenztheit ihrer Heimat hinaus wollen, damit sie »drüben« unbeobachtet und schrankenlos Yankees und Indianern zu neuem Glanz – der Schuhe – verhelfen können.


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