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Iguassú-Reise.

Die Wasserfälle des Iguassú, an der Grenze zwischen Brasilien und Argentinien, sind die größten des amerikanischen Kontinents.

Fahrt auf dem Paraná.

Durch einen Schlitz in dem schwarz-weiß gefleckten Gewölk blinkt die untergehende Sonne. Ein schimmerndes Strahlenbündel versinkt in tiefdunkle Flut. Urwald säumt die Ufer des Stromes. Lianenumrankt schlummern die Riesen. Baumhoch steht buschweise Farn, breit und behäbig, an dem sumpfigen Ufer. Bisweilen fällt noch ein Vogel flügelschlagend ein in den Busch, der kein Leben mehr zeigt.

Nun ballen sich Wolken finster und drohend auf blassem Abendhimmel, dem die Sonne entschwand. Grau wellt sich der Fluß zwischen den Silhouetten der Ufer.

Mitten im Urwald erscheint rechts eine Lichtung: Rancho steht nahe an Rancho, erbaut aus Lehm, Holz oder Laub und gedeckt mit Schilf oder Wellblech, zwergenhaft klein und doch Wohnung, Küche und Stall.

An der Station stoppt das Schiff. Ein winziger Kahn wird von der Fessel gelöst, an welcher er tatlos gehangen; der Matrose zwingt ihn flink rudernd ans argentinische Ufer.

Er bringt uns einen einzigen Gast: Ein schmächtiges Weiblein, das überquellende Körbe voll Weizenbrot, Fleisch und Tabak – die begehrtesten Schätze – in die einsame Heimat schafft.

Und kaum an Bord, packt sie aus. Sie mustert mit Liebe die Brote, wiegt das Fleisch in den Händen, glättet ein Tabakblatt, entfernt sein Geäder geschickt und dreht die Zigarre zurecht, die sie dann genießerisch raucht.

Das Gesicht dieser Frau ist faltig und rötlichgelb wie die Erde an den brüchigen Hängen, ausgeglüht von der Sonne – und doch muß sie jung sein, wenn die kleinen glänzenden Augen nicht täuschen. Eigenartig die Kleidung: der gefranste Mantel (sonst nur von Männern getragen), der lose über den Körper fällt – ein Plaid mit einem Loch, durch das der Kopf gesteckt wird; auch ist sie nicht barfuß wie die anderen Frauen, sondern trägt derbe, hochgeschäftete Stiefel, nötig in Sumpf und Kot und vor tückischem Biß giftiger Schlangen schützend; als Kopfputz ein Tuch, kariert und gefällig.

Wer ist sie? Die Geliebte eines Weißen oder die Gemahlin eines Mischlings? – denn ihres eigenen indianischen Stammes sind nur wenige mehr an den romantischen Ufern des Alto Paraná. Ihr Volk wohnt verstreut im Kamp. Dort hausen sie in ihren kaum mannshohen, nur aus Laubdächern bestehenden Lagern, teils in Verbindung mit Weißen, teils diesen den Einbruch noch wehrend, feind einer Kultur, die zwar Schnaps und Flinten – aber auch Kleider und Bibeln bringt.

Die Frau aus der Wildnis raucht schon die dritte Zigarre und immer noch schälen die kurz-derben Finger Streifen um Streifen aus dem Blättergeäst des Tabaks. Indessen zieht über den sich verfinsternden Himmel das Lichtheer der Sterne; und aus dem Gewässer dunstet der Nebel gespenstisch um Urwald und Schiff.

Das stoppt; gefährlich sind Riffe und Klippen und manches Boot zerschellte, das die Fahrt durch den Nebel nicht mied.

Noch ist Leben an Bord. Oben im Speiseraum sitzen wir an den gedeckten Tafeln. Die Stewards servieren. Munter fließt das Gespräch in spanischen Lauten, sie schwirren in die Nacht, hinüber zu den schweigsamen Ufern.

Und weitab vom Strom, fern von Menschen und Städten, wartet das Wunder inmitten fast ungestörter Natur.

 

Die Urwaldstraße.

Das hüglige Ufer ist ein Stück weit gelichtet. Du siehst zwischen einzelnen Bäumen vereinsamte Hütten stehen.

Das Schiff ist am Ziel und wirft Anker.

Ein Fußsteig führt zwischen den Häusern durch verwahrloste Gärten hinauf auf den Hügel und mündet in eine Straße aus Lehm, die zinnoberrot leuchtet – mit der Axt in den Urwald gehauen, der neben und oft über ihr wuchert.

Hier fährst du, oder, noch besser, du reitest: und du hast Muße zu schauen und vom löchrigen Pfad aus den Wald zu genießen, wie er einst war, als die Menschen noch jung gewesen, als sie noch gekämpft mit dem Tier, gezittert vor mächtigen Göttern und geherrscht nur, wenn Körperkraft ihnen den Vorrang verlieh.

Wie vielfältig ist der Busch! Jeder stämmige Baum wird dem zahllosen niedern Gesträuch und rankenden Schlinggewächs Heimat und kaum eine Lücke bleibt frei für den Glutstrahl der Sonne, die, was nicht saftstrotzend ihr standhält, versengt; und wo die Kraft fehlt, sich durch das Chaos aufwärts zu ringen, um von dem Licht zu haschen, wird das Kranke vom Gesunden lebendig begraben, bis es sterbend verfault.

Hier gilt nur das Recht der Natur: Es bleibt Sieger das Starke. So ist es bei Pflanze und Tier! Aber der Mensch, dem das Alter gottähnliches Fühlen verliehen, der empfindet die Tragik des Schwachen und ächtet darum die Natur, die in ihm verborgen noch waltet. –

Von den Zweigen tönt das Gekrächz buntgefiederter Vögel und ein rotköpfiger Specht klopft ungestört an seinen Ast. Auch im Gestrüpp regt sich Leben. Eine Schlangenriesin hat dort sorglos geschlafen, die nun, von den Schritten geweckt, flüchtig ihr Lager verläßt. –

Tiefblau wölbt sich der strahlende Himmel. Kraftvoll leuchtet die Sonne; aber nur blaß liegen die Schatten des Urwalds auf deinem Weg.

Er führt dich stundenweit durch die Wirrnis, bis ein seltsames Raunen die Nähe des Wassers verrät. Erst ist es, als riesle eine Quelle, versteckt unter Steinen, dann, wie wenn ein munterer Bach plätschernd hangabwärts fließt. Aber bald verstärkt sich das Rauschen zu ohrenbetäubendem Tosen und bang hemmst du den Schritt und lauscht dem urgewaltigen Chor.

Noch siehst du nur Buschwerk. In ihm bricht sich der Schall tausendfach, bis zum flüsternden Echo, aber du hörst den Chor als eine einzige Stimme, umfassend die Skala aller naturhaften Töne, von dem Brausen und Sausen des Sturmwinds bis zum Schrecklaut des Tiers.

Du bist nah' an den Fällen; nun suchst du mit den Augen und suchst mit dem Ohr: aber ginge kein Weg dahin, du fändest sie schwerlich: Eine lebende Mauer verbirgt sie und der Lockgesang führt dich nur irr; doch nicht die Straße. Sie ist besorgt um die Gäste, denn an ihrem Zielpunkt liegt – ein Hotel.

 

Hotel mit Bad.

Wer, um Seltnes zu schauen, Mühsal nicht achtet, zürnt jenem uniformen Komfort, der die meisten mehr anlockt als ein einmaliges Wunder.

Doch, wenn du prächtig geruht im sauberen Bett und, erfrischt von dem Bad, das du des Morgens genommen, hinaus trittst ins Freie: dann verzeihst du den anderen, die auch hergekommen. Dann nimmst du gern in Kauf, was vom Wirt dir geboten; und selbst die Preise stören dich nicht mehr ...

 

Wunder der Natur.

In die Landschaft, die sich um dich breitet, glüht die frühe Sonne; und geblendet von den scharfen Strahlen wendest du dich ab – – doch feuerspeiend steht, im Westen, eine andere Sonne übergroß vor dir.

Und dich zwingen Ohr und Auge und dein inneres Sehnen, hinzustreben zu dem Wunderbaren, zu schauen, wie der fallende Fels die wirbelnden Gewässer gierig in die Tiefe reißt, und dem überirdischen Orchester andachtsvoll zu lauschen ...

Wieder fährst du auf dem roten Lehm der Straße; bis zur Stelle, da der Iguassú sich weitet. Zwischen Inseln, Büschen, über Steine, Wurzeln wälzen sich die Fluten, dort geruhsam fließend, hier mit Wucht zerschellend, vor und rückwärts, scheint dir's, wenn du nun im Boot, trotz Muskelkraft gebräunter starker Männer mühsam nur die Strömung überwindest. Rudernd, stoßend zwingen sie den Kahn im klippenreichen Wasser zu den Felsen, die in wilder Brandung trotzig sich behaupten.

Klein, demütig klein und mit bang pochendem Herzen stehst du auf der Insel: Unter dir gähnt riesenhaft der Schlund und dumpf donnernde Höllenmusik tönt herauf aus schweren undurchdringlichen Wolken; um dich eilt ohne Unterlaß Welle auf Welle der tobenden Flut in den grausigen Abgrund.

Schaudernd blickst du hinab in die unergründliche Tiefe, über die ein Bogen sich wölbt, tollkühn, in schillernden Farben, hoch über die weiße Gischt der stürzenden Massen.

Es ist die Brücke der Sehnsucht, ohne Pfeiler gebaut, die wie ein Traum sich verflüchtigt, willst du sie greifen.

Ein ewiger Regen netzt dein Gesicht; er stäubt aus gespenstischen Schwaden, die vor dir verdunsten.

Du siehst das Werden und das Vergehen in rasendem Tempo: den hastenden Fluß; seinen Sturz in die Tiefe; der Wolken Entstehen; ihr Schweben und Treiben; und du siehst sie zerrinnen und talwärts fließen als behäbigen Strom, einem andern vermählt und im nächsten verschwinden.

Dir offenbart sich die Schöpfung; du erkennst sie als zeitlos: als Wunder.

 

Visionen.

Versonnen fährst du zurück. In dir resoniert das Rauschen; dich blendet der Glanz noch und immer noch steigert dein Blutdruck den beschleunigten Puls. Du bebst wie im Fieber; und phantasierst ...

»... Äther ... Feuer ... Wasser ... Erde ...

... Aus der Erde sprießt die Pflanze; sie gebärt das Tier; ihm entstammt der Mensch.

Auch er ist Produkt und Schöpfer.

Und darum kämpft er wie die anderen mit den Elementen. Und so kleinwinzig er ist: Er schaltet sich ein in den ewigen Kreislauf, als ein Widerstand, den Myriaden Kalorien durchlaufen. Er klammert sich saugend an das Geäder der Natur – und macht sie zu seinem Vasallen.

Feuer, Winde und Wasser nutzt er; und die Erde und was sie schuf; auch sich selbst.

Diese Sucht vermählt sich seinem Instinkt, der von Anbeginn war, und gebärt ein Neues: den Geist.

Und der Geist, einmal in der Welt, unterjocht den Menschen; und sklavenhaft handelt dieser nun auch gegen seinen Instinkt ...« – – –

Während du ratlos den Sinn suchst aus solchen Gedanken, siehst du, von neuem im Fieber, ein Bild der Zukunft wirklichkeitsnahe vor dir:

»... Wo der Regenbogen sich heute gewölbt über dem klaffenden Abgrund, in den der Iguassú tosend stürzt, schwingt sich kühn eine Brücke aus Stahl und Beton von Ufer zu Ufer – und auf ihr steht lächelnd ein Mensch.

Vor ihm hängt ein Brett mit zwei elektrischen Schaltern: schaltet er links aus, dann verwehen die gewaltigen Katarakte vom brasilianischen Boden, als blies er sie weg; schaltet er rechts aus, dann verschwinden sie beim argentinischen Nachbarn; und kilometerbreit starren dich auf blanken Steinen in disharmonierenden Farben Reklametafeln an ...

Das Tosen verhallt; aus der Tiefe dringt nur das Raunen des gezähmten Wassers und ein Surren von rotierenden Rädern.

Um dich sausen Dynamos; und den Hintergrund erhellt grelles Licht, transformiert aus den Fällen ...« – – –

Du haßt den kleinen, lächelnden, die Wunder zerstörenden Menschen. Aber dich umgeistert nun ständig das utopische Schauspiel ... und insgeheim suchst du darin nach einer großen Rolle – für dich.


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