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In den Grenzgebieten der Zivilisation.

Im nordwestlichen Paraguay, im Chaco, wo die letzten Siedlungen der Weißen und Mischlinge an die endlos weiten Gebiete grenzen, die nur spärlich von halb und ganz wilden Indianerstämmen bevölkert sind, gibt es riesige Viehherden in stacheldrahtumfriedeten Estancien. Eine solche Viehzuchtfarm hat oft zehntausende Rinder und viele hundert Pferde, denen allen das Zeichen des Besitzers eingebrannt ist. Doch kennt der Estanciero den Stand niemals genau, einerseits vermehren sich die Tiere, die innerhalb der Umzäunung in voller Freiheit leben, sehr rasch, anderseits fällt ständig ein Teil Krankheiten, den Raubtieren und wohl auch den Indianern zum Opfer; und wenn irgendwo ein Zaun schadhaft wird, entziehen sich manche der letzten Schranke. Dann hat es der Gaucho schwer, sie mit dem Lasso einzufangen, denn die über den Kamp verstreuten dichten Büsche bieten guten Schutz vor Verfolgung.

Der Gaucho, aus der Vermischung der spanischen Eroberer mit den Indianern hervorgegangen, ist von gelblich-brauner Hautfarbe, mittelgroß, kräftig und gewandt. Er lebt in seinem Rancho, der aus Palmenstämmen luftig erbaut ist, mit einem Mischlingsweib und den vielen Kindern sehr bedürfnislos. Seine Nahrung besteht fast ausschließlich aus Fleisch, sein Getränk ist der Mate, benannt nach dem hohlen, kleinen, birnenförmigen Kürbis, aus dem er den aus der Yerbapflanze gewonnenen Tee durch ein dünnes Blechröhrchen saugt. Trinkt er den Tee mit kaltem Wasser aufgegossen, dann benützt er einen Becher aus Horn.

Die Kleidung des Gauchos besteht aus dem Sombrero, dem kräftigen, dunkelfarbigen Hemd, einer baumwollenen Reithose, Lederschurz und ledernen Gamaschen. Gar mancher hat keine Schuhe, trägt aber doch an nacktem Fuß einen mächtigen Sporn. Im Gürtel fehlt niemals das Messer, an der linken Hüfte baumelt der große Trommelrevolver, die Hand hält Lasso und Peitsche. Sitzt der Gaucho zu Tisch oder geht er zum Tanz, dann legt er wohl Lasso und Peitsche, nicht aber Pistole und Messer weg, mitunter schnallt er auch den Sporn ab, aber bindet um den Hals stets ein schwarzes oder weißes Seidentuch, das er vorne knotet.

Verheiratet ist der Gaucho mit seiner Lebensgefährtin kaum, doch sie genießt alle Rechte der Frau, wenn sie mit ihm denselben Rancho bewohnt. Auf die Indianer sehen diese Mischlinge mit Verachtung herab. Jeder ist stolz auf das bißchen weiße Rasse aus Urgroßvaters Zeiten.

Kommt ein Indianermädchen aus dem nahen Lager, wo ihr Stamm unter oft nur meterhohem Laubdach haust, auf eine Estancia zum Tanz, dann kann es mitunter geschehen, daß die Gauchoweiber den Tanzboden verlassen.

Und doch ereignet es sich hin und wieder, daß sich einer ein Indianermädchen zur Gefährtin nimmt.

Wenn es ein Mann von Einfluß ist, vielleicht der Estanciero in eigener Person, der so die Sitte verletzt, findet sich jeder scheinbar schnell mit der Tatsache ab; im Geheimen aber fällt manch' böses oder bedrohliches Wort.

Auf einer solchen entlegenen Estancia sah ich ein Indianermädchen, das dort seit einiger Zeit als die Geliebte des Estanciero lebte, der sogar ein vollblütiger Weißer war.

Sie ist klein, schlank und höchstens fünfzehn Jahre alt.

Natürlich versteht sie kein Wort spanisch.

Doch einer ist da, der macht den Dolmetsch. Ich frage sie: »Wie alt bist du?«

Die linkischen Bewegungen ihrer Arme verraten Verlegenheit.

»Ich weiß nicht ...«

»Wie heißt du?«

Die tiefdunkeln Schlitzaugen blicken schräg an mir vorbei.

Sie antwortet nicht.

»Hast du keinen Namen?«

»Ja.«

»Warum sagst du ihn nicht?«

Sie schämt sich; denn ihren indianischen Namen will sie nicht nennen und ihr neuer, bei dem sie im Hause gerufen wird, ist für ihre Zunge fast unaussprechlich.

Sie trägt ein blaues Baumwollkleid, Strümpfe und Schuhe. Im kohlschwarzen, glänzenden Haar, das seine Fülle rückwärts in einem dicken Knoten verbirgt, steckt ein mit Glasperlen reich verzierter, großer Kamm. Vergoldete Ringe, mit denen sie gerne spielt, schmücken ihre herzigen Kinderhände. In der Rechten hält sie den Metallgriff eines Spiegels, der in rotem Plüsch gerahmt ist.

Ich biete ihr eine Zigarre an. Sie nimmt sie lächelnd und setzt sie sogleich in Brand. Ich sehe zwischen etlichen Rissen ihres Kleides die frische, rotbraune Haut ... bemerke in den Strümpfen, die mit dem Wasser noch niemals Bekanntschaft gemacht haben, einige großmächtige Löcher ... an dem vergoldeten Ring eine leere Fassung ... und in dem Spiegel einen breiten Sprung ...

Sie hält wahrscheinlich, wie die meisten Indianer, ihren Körper sauber und badet, wenn sich nur irgend eine Gelegenheit dazu bietet. Aber Kleider sind ihr etwas Neues und sie begreift noch nicht, daß auch diese gereinigt werden wollen.

Sie fühlt sich in der Tracht der Weißen gewiß nicht wohl; aber sie ist stolz auf alles, was sie besitzt und führt mir an einem Tag ihre gesamte Garderobe vor.

Der Estanciero hat die Kleine von einem Ritt mit nach Hause gebracht; sie wahrscheinlich von einem verkommenen Häuptling gegen ein paar Flaschen Cana – den aus Zuckerrohr destillierten Schnaps – oder um eine Schießwaffe eingetauscht; oder er übernahm sie von einem Vorgänger, der ihrer überdrüssig wurde. So munkelten die Gauchoweiber auf der Estancia, die gehofft hatten, dem Herrn ihre Töchter verkuppeln zu können, und ballten heimlich die Fäuste.

Aber als wir am Abend einen kleinen Tanz veranstalteten und alle in ihren besten Kleidern herüberkamen, – wie eifrig bemühten sie sich um die kleine Indianerin! Ein nettes junges Ding, das vor Erscheinen der Rotbraunen begründete Hoffnungen hegen durfte, Favoritin zu werden, bot ihr höflich einen Stuhl an und die Mutter des unglücklichen Mädchens, eine zahnlose Alte, zog die verhaßte Konkurrentin sogar liebevoll auf ihren Schoß.

Mit graziöser Selbstverständlichkeit nahm das Glückskind die Huldigungen entgegen. Sie fühlte sich als Mittelpunkt der Gesellschaft äußerst behaglich.

Am nächsten Tage saßen wir unter dem schützenden Palmendach in bequemen Korbstühlen um einen kleinen runden Tisch. Die Kleine reichte einem nach dem anderen den Matebecher und goß unermüdlich Wasser nach, wenn die Flüssigkeit herausgesogen war. Ich holte meine Kamera, um das Mädchen zu photographieren. Doch als ich abknipsen wollte – lief sie lachend weg.

Natürlich meinte ich, der Aberglaube der Indianer, sie würden durch den Apparat von dem Fremden verhext, spuke noch in dem zierlichen Köpfchen.

Doch der Estanciero lachte mich aus; und nicht ohne Grund, denn schon nach wenigen Minuten erschien sie – mit neuen Strümpfen angetan und weiß gepudert und stellte sich feierlich vor das Objektiv.

Und es erschienen auch die Gauchos mit den seidenen Halstüchern und die Frauen in ihren besten Gewändern – und alle wollten auf ein Bild mit ihrer »Herrin« kommen.


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