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Südamerikafahrt.

Landung in Funchal.

Seit Portugal drang kaum ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke; sie zerreißt erst, als wir uns Madeira nähern. Helles Licht bricht durch, wohl nur für Augenblicke; aber diese, immer diese, bleiben unvergeßlich.

Der erste Gedanke, da der Nebel sich von den Konturen der Insel löst: Capri. Berge steigen unvermittelt aus dem Meere empor, dazwischen gekettet hell schimmernd eine freundliche Villenstadt inmitten üppiger farbenprächtiger südlicher Vegetation. Ein traumhaftes Gartenland, eine Insel der Seligen, von brandenden Wogen umspült ...

Irgendwie Capri ähnlich; aber erhabener, gewaltiger: atlantische Größe gegen die Anmut des tyrrhenischen Meeres.

Wie fahren in den Hafen von Funchal, der Hauptstadt, ein, umkreist von braunen, sonnverbrannten Kerlen in schwankenden Booten. Es sind Taucher, die aus den Fluten mit verblüffender Geschicklichkeit Geldstücke holen, englische und portugiesische, deutsche und argentinische, Kupfer und Silber. Im Kopfsprung schießen sie der durch das Wasser blätternden Münze nach, erhaschen sie mit sicherem Griff noch in wenigen Metern Tiefe und, wieder an die Oberfläche tauchend, zeigen sie mit selbstverständlicher Miene die kleine Beute. Ähnliche Taucher sah ich auf dem Hudson, in Genua und anderen Hafenorten, wo lebhafter Fremdenverkehr die spekulative Jugend zu solch' ungewöhnlichen Verdiensten anregt; aber sie alle können sich mit diesen jungen Portugiesen an Fertigkeit nicht messen.

Ein Motorboot legt an. Wir sind in wenigen Minuten an Land. In einer Palmenallee stehen Automobile bereit: der Aufenthalt währt nur Stunden. Trotzdem erhofft auch eine Kolonne landesüblicher Ochsenschlitten (»carros«) Fahrgäste. Die modernen Kraftfahrzeuge und die altertümlichen Fuhrwerke bilden einen seltsamen Kontrast. Die schmalen Schlitten gleiten auf ihren Holzkufen ohne viel Geräusch über das feuchte Pflaster und bewältigen die steilsten Berge. Begegnet ein solcher Schlitten auf der engen Gebirgsstraße einem Auto, dann spannt der Kutscher flink aus, drängt die Tiere an die jeden Weg einsäumende Steinmauer und läßt das Auto passieren. Und dieses umständliche Ausweichen geht ohne Zank und Streit vor sich, ja – vielfach grüßt der Kutscher die Automobilisten, wenn er sieht, daß es Fremde sind, mit einem höflichen »good bye«.

Ich überlasse es dem Chauffeur, mir in der knappen Zeit möglichst viel von der Insel zu zeigen.

Anfangs führt die Fahrt an dicht gedrängten Verkaufsläden vorbei, die mit dem berühmten Wein, Madeira-Stickereien und Korbflechtarbeiten die fremden Käufer anlocken.

Bei einer kleinen, gelb gestrichenen, zwischen Palmen versteckten Villa, um die die Straße in scharfer Kurve biegt, verlangsamt der Führer das Tempo des Wagens: »Hier wohnte der Kaiser.«

»Und dort oben, noch etwas höher als das Mount Palace Hotel, in der Kapelle mit den zwei Türmen, Nossa Senhora do Monte, dort liegt der Kaiser begraben.«

Er wiederholt ausdrücklich: »Der Kaiser.«

Die Bewohner von Funchal sind stolz auf das Kaisergrab.

Wenige Minuten später wird das Kirchlein deutlicher sichtbar. Es liegt 600 m über dem Meere, an einem gewaltigen Hang, der sich hinter der Stadt bis zu 2000 m Höhe erhebt. Wir sehen hinüber zu der Kapelle, in der die Leiche Karls, des letzten Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn, ruht. – –

Das Auto hält auf einer hochgelegenen Koppe. Um den herrlichen Fernblick bewundern zu können, muß ich mich erst einer Schar bettelnder Kinder erwehren. Sie alle bringen mir Blumen, duftende, prachtvolle Blumen, und schreien um die Wette: »One penny! One penny!« Erst wenn sie diesen Tribut erhalten haben, geben sie sich schnell zufrieden.

Tief unten dehnt sich die Stadt in weitem Bogen um die Bucht; vom schillernden Meere gesäumt, unter einem satten, tiefblauen Himmel. Hinter Rebengebüsch, Orangen- und Zitronenbäumen prunkvolle Villen und bescheidene Häuser, umrankt von Blüten und Grün; Gemäuer, überwuchert von Schlinggewächs; und Menschen, gebräunt von der glühenden südlichen Sonne, zufriedene Menschen in überreicher Natur.

Die Insel, seit einem halben Jahrhundert in portugiesischem Besitz, hinterläßt durchaus den Eindruck einer britischen Kolonie. Die schönsten Villen und die großen Zucker- und Spirituosenfabriken gehören den Engländern. Der Sterling regiert. Es gibt nur wenige reiche Portugiesen in Funchal.

Bei einem neuen, auffallend schönen Gebäude erklärt der Chauffeur: »Sein Besitzer hatte nach dem Kriege alle Speicher voll Mais; damit verdiente er ein Vermögen.«

Aber der größte Teil der Bewohner verdankt seinen Wohlstand den Gärten an den Berghängen. Da stehen Bananenbäume mit überschweren Trauben, wächst Zuckerrohr und Wein, sehr viel Wein; es gibt die süße Kartoffel, wie Unkraut wuchernd und Getreide mit unwahrscheinlich großen Ähren; Feigen, Palmen und Kakteen.

Die Serpentinenstraßen, aus dem Lavafelsen gehauen, führen an vielen ärmlichen Häuschen vorbei – aber der Überfluß der Natur mildert die Dürftigkeit auch der einfachsten Hütte. Unter den Palmen und in den Weinlauben sitzen die Frauen und Mädchen, wohlgestaltet und sauber gekleidet, im Kreise um ihre Madeiraarbeit. Sie tragen breite Strohhüte mit herabhängender Krempe als Schutz gegen die stechenden Sonnenstrahlen, die selbst das Laubdach nicht völlig einzufangen vermag.

Auf der Landungsbrücke drängen sich Verkäufer, die gestickte Tücher, Obst und Wein feilbieten, an uns heran. Fast alle Passagiere nehmen Andenken mit und auch ein paar Flaschen von dem schweren, süßen, reichlich teueren Madeirawein. Dennoch begleiten die Händler mit ihren Kähnen, handelnd und feilschend, unser Motorboot.

Selbst als wir wieder an Bord sind, geben sie uns nicht auf. Ihre Boote umschwirren das Schiff, Im Lichtkegel von Scheinwerfern werden die herrlichen Decken und Tücher angepriesen. Wir stehen dichtgedrängt an der Reling, lachen, erwidern auf die Zurufe und manch' einer von den Brasilianern und Argentiniern, die von Besuchen aus Deutschland in ihre Heimat zurückkehren, ersteht in fröhlicher Weinlaune noch in letzter Minute eine kostbare Arbeit. An einer Schnur wird das Körbchen mit dem Geld hinuntergelassen und die erhandelte Ware an Bord gezogen.

Tausend Lichter grüßen aus Funchal herüber. Aber bald ist rund um uns wieder nur Wasser und Luft; die Insel erstand und verschwand im Atlantik wie ein Traum. Nur die übermütige Weinstimmung, die sie hinterlassen, hält bis nach Mitternacht an. Auf dem Promenadedeck wird getanzt. Unermüdlich spielt die Musik.

– – – Weit hinter uns liegt Europa.


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