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Ein Traum.

Ich verträumte in meinem Leben viele Nächte und kaum weniger Tage. Die Träume haben an meinem Wohlbefinden ebenso wichtigen Anteil wie die Nahrung, die ich meinem Organismus täglich zuführe, oder wie die gewohnte Lektüre, ohne die ich mich zwar nicht von allen Geistern verlassen fühle, aber doch abseits vom Lauf der Ereignisse, an einem Ufer, das kein Steg mit dem anderen verbindet.

Oft sind meine Träume banal wie der Alltag und ich vermute, sie schöpfen ihren Inhalt aus ihm; aber mitunter quellen sie aus dem Rätselreich des Unbewußten hervor und dann sind sie anregend und wohl wert, daß ich ihrer achte.

Und doch war mein merkwürdigster Nachttraum keineswegs nur ein verwegener, heimlicher Wunsch, der, niemals realisierbar, sich in meinen Schlaf einschleichen mußte, um in mein Bewußtsein zu gelangen; ebenso wenig war er dem alltäglichen Gleichklang entsprungen: das besondere an ihm ist die seltsame Einmengung einer Wirklichkeit, die auch eine regsame Phantasie an Erfindungskraft noch überbot.

Es war um Mitternacht, als ich aus tiefem Schlaf erwachte. Ein Schrei hat mich geweckt.

Ich liege im Freien auf hartem Lager; in eine wollene Decke gehüllt; über mir das spitzdachige Moskitonetz, an dem tiefhängenden Ast des Urwaldriesen befestigt.

Eine große gelbe Scheibe leuchtet durch das halbtote Gezweig.

Wo ist der Mann im Mond? ... Erschrocken suche ich ihn.

Aber ich kann sein Gesicht nicht erkennen.

Träume ich? – – –

Hinter mir tönen schnarchende Atemzüge aus dem einzigen engen Raum des nahen Ranchos, in dem die Mischlingsfamilie und Hund und Katze schläft.

Ich muß doch noch wach sein ...

Obgleich der Mann im Mond – jetzt sehe ich es deutlich – auf dem Kopf steht ...

Du foppst mich nicht! denke ich – und drehe ihm den Rücken zu.

... Jammernde Schreie!

Sind Menschen im Busch?

Ich erhebe mich halb; blicke forschend zum Wald.

Er liegt im Dunkel. Unheimliche Schatten huschen heraus – hinein.

Zum Greifen nah' hängt mein Gewehr. Eine Pistole ist da – für den Notfall.

Aber unzählige Schatten ... und ich habe nur wenig Patronen.

Neue Schreie im Wald ...!

Ich kann nichts verstehen – nicht einmal, ob sie Angst oder Drohung, Flucht oder Überfall heißen.

Der Mann im Mond steht noch immer auf dem Kopf!

Und die finsteren Schatten ... am Waldesrand ... huschen ...

Ich liege ... schaue ... die Nacht ... den Mond ... vereinzelt blasse Sterne ... düsteres Astwerk ... tiefer die großen Blätter ... die schweren Bananentrauben ...

... Ein mächtiger Jaguar sitzt auf dem Ast, an dem mein »mosquitero« hängt ... Zwei funkelnde Leuchter glühen mich an ...

Ich will zur Büchse greifen ... der furchtbare Blick hält mich fest ...

... und nun krümmt sich der Katzenrücken zum Sprung ... noch Sekunden ... eine letzte ...

Warum stehst du auf dem Kopf, Mann im Mond?

Der Jaguar muß sterben!

... aber bei der ersten Bewegung fühle ich die schreckliche Tatze ... Krallen bohren sich in meinen Hals ...

– Ein Schuß.

Neben mir steht ein Schatten ... hält zwischen geisterhaften Händen eine rauchende Pistole ... auf meiner Brust liegt schwer das Tier ... noch in mein Fleisch verkrallt ...

Der Schatten weicht nicht von meinem Lager, Nun ... spricht er sogar:

»... Komm' mit mir in den Wald, sei mein Gast!«

Ich mag mich mit Gespenstern nicht einlassen. Erfahrungsgemäß bluffen sie nur. Deshalb erwidere ich brummend:

»Laß mich schlafen!«

»Ich führe dich auf die Fährte des Tigers ...« raunt er lockend.

»Wie oft suchte ich vergebens ... es gibt hier keine mehr!«

»Du irrst, weißer Freund ... viele, sehr viele sind in meinem Busch ...«

»Rotfarbiger Lügner!«

... Ein schrilles Auflachen – der Schatten verschwindet ... aber ... im nächsten Augenblick stürzt ein Rudel der wilden Katzen auf mich zu ... mit schrecklichem Gebrüll ...

Ich ziehe die Decke über den Kopf und stelle mich tot ... atme kaum ... höre, wie die Bestien mein Lager umschleichen ...

Totbange Minuten ...

Als ich kein Geräusch mehr vernehme, ziehe ich die Decke vorsichtig zurück und – erblicke den Mond ... der Mann hat eine unerhörte Ausdauer, auf dem Kopf zu stehen! ...

... Da ... auf dem Ast ... über mir ... fünf gewaltige Jaguare ...

... Und neben mir steht wieder der Schatten ... die Pistole in den gespenstischen Händen ...

... Im nächsten Augenblick spüre ich Krallen in Stirn, Hals und Brust.

»Gnade! – Hilfe!«

Eins ... drei ... fünf Schüsse!

Ich bin gerettet ...

Und erwache. – –

Fünf Moskitos auf einmal!

Wie kamen sie ins Netz?

... Armer Mann im Mond ... den Träumern auf der nördlichen Halbkugel zuliebe mußt du hier kopfstehen ...

... und ihr, regenlüsterne Affen, schreit nur recht laut, ich freue mich auf den Regen wie ihr! ...

... und du, Wind, treibe mit den Blättern des Bananenbusches weiter deine Schattenscherze ...

... Ihr, Nachbar, tätet freilich besser daran, euch auszuschlafen, als nächtlicherweile Wildschweine zu jagen!

Euch aber, unverschämte Moskitos, euch schwöre ich ewige Feindschaft! Ihr habt mich arg zugerichtet.

Ich werde das Loch im Moskitonetz gründlich flicken müssen.


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