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Wer bist du?

Wer ich bin? ...

Frage mich, wie ich heiße, was mich hierher lockte, wohin ich gehen werde; nach meinem Alter und meiner Vergangenheit frage mich: ich werde versuchen, gewissenhaft zu antworten. Aber: meine Zukunft wäre leichter zu deuten als: wer ich bin.

... Nur meinen Namen willst du wissen? ... Nur den Rufnamen? – Mehr nicht? –

Es gibt auch in anderen Ländern Mädchen, die nicht mehr von einem wissen wollen; Mädchen, die ihren Körper um Geld verkaufen. Aber jede hat einen Geliebten, dem sie ihre Seele schenkt, von dem sie wissen möchte, wer er ist und was er denkt.

Du aber in deiner buntfarbigen Heimat hast hundert Geliebte oder noch mehr – und jedem gehörst du ganz.

Ein Fremdling kommt und pocht an deine Tür: du öffnest – – gefällt er dir, läßt du ihn eintreten.

Kein Zweiter ist bei dir oder in dir, der stören könnte. Dein Körper ist frei – und deine Seele.

Du fragst: »Wer bist du?« – und meinst: »Wie rufe ich dich, damit dir der Name vertraut klinge von den Lippen deiner Geliebten.«

Und du wirst den Namen nicht vergessen – so lange dein Geliebter bei dir verweilt; denn ebenso lange wirst du ihm angehören, ihm allein, und wirst ihn nicht betrügen durch das Erinnern an einen andern.

Und wenn du sagst: »Wer bist du« – und er nennt seinen Rufnamen, dann weißt du von ihm alles, was du wissen willst. Es gibt keinen, von dem du mehr verlangtest als seinen Namen, und es gibt keinen, der von dir mehr verlangen könnte als deinen Körper und deine Seele.

Und du fragst auch nicht nach – seinem Gegengeschenk, du überläßt ihm, wie reichlich er geben mag in seiner Armut oder wie ärmlich in seinem Reichtum. Du nimmst lächelnd und dankst, du geleitest ihn zur Tür, flüsterst seinen Namen – und beide entschwinden dir, während du das Geschenk in die Truhe legst zu den andern von den andern.

Denn du hast nicht nur den einen Geliebten, sondern hundert oder viele hundert – und wenn der nächste an deine Türe pocht und Einlaß begehrt, dann mußt du frei sein von allem Erinnern, um ihn als Geliebte fragen zu können: »Wer bist du?«


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