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Der rechte Augenblick.

Von dem kleinen, zähen Mexikaner angelsächsischer Abkunft war mir berichtet worden, daß ihn vor vielen Jahren eine ärgerliche Gerichtssache in diese einsame Chacogegend vertrieben hatte. Aber auch hier war er bald mit der Justiz in einen argen Gegensatz geraten und wurde, von allen edlen Gauchoseelen wegen des kleinen »Malheurs« aufrichtig bemitleidet, seiner und ihrer Überzeugung nach schuldlos verurteilt und zu Unrecht eingesperrt.

Ich benützte die erste Gelegenheit, die sich bot, den chevaleresken Abenteurer, der erst vor wenigen Monaten aus dem Gefängnis heimgekehrt war, nach seiner letzten Affäre zu befragen. Meine Vermutung, daß ein Fläschchen Cana seine Zunge lösen würde, traf zu. Der Mexikaner nahm einen kräftigen Schluck und erzählte:

»Wir waren die besten Freunde ... allerdings nicht von der Art jener, die glauben, daß Freundschaft zu irgend welchen Diensten verpflichte, sondern einer kümmerte sich nicht um den andern, ging es ihm nun gut oder schlecht. Wenn wir einander zufällig trafen, rief er: »Hallo – Fred« und ich rief: »Hallo – Juan« und dann setzten wir uns zusammen ins Hotel, tranken und plauschten ... Er konnte stundenlang erzählen, aber nur von den Weibern, denn er hatte für nichts anderes Interesse als für Weiber und Schnaps. Er stammte aus Bolivien, zwar von weißen Eltern, aber er war braun wie ein Indio. Reiten konnte er besser als jeder Gaucho, ja, noch besser als ich ... und das will allerhand heißen, denn ich bin bei den Pferden, seit ich Beine habe – und das ist schon eine ziemliche Weile her ... Wir erzählten einander unsere Erlebnisse, er die mit seinen Weibern und ich ... aber das gehört nicht da her. Ich wußte, er würde sich eher die Zunge haben ausreißen lassen, als mich zu verraten, und er wußte, daß ich jeden glatt umgebracht hätte bei dem Versuch, mich nach ihm auszufragen ... Er war ein Prachtkerl, einen guten Kopf größer als ich, schlank, mit einem Schädel, klein und rund wie eine Kokosnuß; dabei fast ohne Haare, denn die hatten ihm die Weiber ausgerissen ... auf jede werden wohl nur ein paar Härchen gekommen sein. – Wir hielten gute Freundschaft; wer Geld hatte, zahlte.

»Einmal saßen wir wieder in unserer Kneipe beisammen. Ich hatte eben meinen Monatslohn abgeholt und brannte darauf, ihn loszuwerden, denn es gibt nichts Unangenehmeres für mich, als überflüssiges Geld in der Tasche herumzutragen. Wir aßen gut und tranken viel und er erzählte ... er hatte niemals vorher so schön erzählt wie an jenem Abend! Ich trank noch mehr als sonst ... und das will allerhand heißen, denn ich trinke schon, seit ich eine Kehle habe – und das ist auch schon eine gute Weile her ... Er konnte unheimlich viel vertragen, das vergaß ich vorhin zu sagen, deshalb hole ich's nach – es ist zur Beurteilung des Falles ungemein wichtig, sagte der Richter ... Ja – er vertrug noch mehr als ich, aber ich hatte ihn an jenem Abend weit überflügelt und darum war er bestimmt noch ziemlich nüchtern, während ich schon etwas angetrunken gewesen bin – natürlich nicht so stark, daß ich nicht noch genau gewußt hätte, was ich redete und tat. Aber es ist merkwürdig bei mir, wenn ich trinke: je stärker ich betrunken bin, umso hellsichtiger und vorsichtiger werde ich – dagegen schien bei ihm die Wirkung doch eine andere zu sein, das stellte auch der Richter fest. – Wir unterhielten uns ganz ausgezeichnet – bis der Wirt die Bude schließen wollte und es zum zahlen kam ... Ich ziehe also die volle Brieftasche und will zahlen. Da zieht auch mein Freund seine Brieftasche, um zu zahlen. Ich lachte, denn ich glaubte, er scherze. Er hatte nämlich in der letzten Zeit niemals Geld. Aber kein Zweifel – seine Brieftasche war voll. Er schlug sich auf die Brust und schrie: »Ich zahle alles!« Natürlich empörte ich mich gegen ihn, denn ich hatte doch schon vor ihm die Brieftasche gezogen und zahlen wollen. »Ich zahle!« brüllte ich und warf meine Geldtasche auf den Tisch. Aber er sprang auf und schmiß seine Tasche gleichfalls auf den Tisch ... da blieb mir nichts anderes übrig, als ihn über den Haufen zu schießen ... bevor er schoß ...

»Wenn man auf dem Kamp aufgewachsen ist, hat man den richtigen Augenblick fürs Losschießen schon im Gefühl ... selbst im angetrunkenen Zustande behält man seine Geistesgegenwart ... Wäre mir nicht die Ungeschicklichkeit passiert, zweimal zu schießen, hätte ich zehn Monate bekommen ... so waren's vierzehn. Eine lange Zeit für einen, der gewohnt ist, den ganzen Tag im Sattel zu sitzen! Ich lernte schnitzen ... werde Ihnen ein paar Sachen zeigen, die ich im Gefängnis machte ... einen Pfeifenkopf aus Elfenbein, einen Stockgriff aus Holz ... wenn Sie einen Augenblick warten wollen, hole ich die Sachen.«


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