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Vorwort.

Einmal ist es ein Landschafts- oder Stadtbild, das sich unserem Gedächtnis am dauerhaftesten einprägt, ein andermal eine Begegnung, die zum Erlebnis, oder eine Begebenheit, die zum Ereignis wurde; aber ob wir selbst über Land fahren, in den Straßen der Stadt wandern, bemerkenswerten Menschen begegnen, Zeuge eines Konflikts sind – oder ob wir nur lesen, erzählen hören, erfinden, das bleibt, verglichen mit der Wichtigkeit des gültigen Eindrucks, den uns das Erlebte, Gelesene, Erdichtete vermittelt hat, durchaus nebensächlich.

Die meisten Menschen haben ohnehin nicht die richtige Aufnahmsfähigkeit, um etwa das Wesen eines gewaltigen Wasserfalls, vor dem sie stehen, erfassen zu können. Sie sehen nur das viele Wasser und erschrecken vor dessen Wucht. Darum sind sie tags darauf nicht mehr imstande, das Gesamtbild zu reproduzieren, sie erinnern sich nur noch an bestimmte, oft unwesentliche Einzelheiten.

Solche Leute pflegen ihre Taschen mit Photographien zu füllen, um aus diesen all das viele, das sie gesehen, aber nicht in sich aufgenommen haben, nachträglich kennen zu lernen.

Deshalb sind Bücher, Ansichtskarten und Film für sehr viele Menschen ungleich empfehlenswerter als strapaziöse und teuere Reisen in ferne Länder und zu fremden Menschen. Bücher und Photos kann man, wenn sie enttäuschen, doch noch verwerten; dagegen ist das verausgabte Geld für zwecklose Reisen unwiderbringlich verloren.

Man kaufe daher Bücher, schon wegen des geringen Risikos, aber betrachte sie erst dann als Eigentum, wenn man sie gelesen hat. Ein Buch kann nur durch die Lektüre erworben werden, nicht vielleicht schon durch das Einkleben eines »ex libris«. Wer anders handelt, lügt ebenso, wie wenn er behaupten würde, er habe die Niagarafälle gesehen, weil er von ihnen ein paar Bilder besitzt.

Aber niemand lese die letzte Seite eines Buches zuerst, denn das ist eine im höchsten Grade unanständige Neugier. Jemand, der Bücher zu seinem eigenen Vergnügen schreiben kann, ist leicht beleidigt; einen, der sie bei hungrigem Magen zur Freude seiner Leser abfassen muß, kränkt die nicht verdiente schlechte Behandlung; jener schließlich, der die Welt mit seinem – meist sich mühsam abgequälten – Werk verbessern und vorwärts bringen will, ist gerechterweise empört.

Man beginnt am besten mit der ersten Seite, aber man höre sofort auf, wenn man keinen »Eindruck« gewinnt; wenn der Dichter eine Landschaft schildert, hat der Leser ein Recht auf die Luft, bei einer Stadt auf den Lärm, bei einem Stall auf den Geruch, bei einem Menschen auf den Charakter.

Ein nicht befriedigendes Buch schenke man möglichst bald einem Verwandten oder Freund zum Geburtstag und prüfe nicht lange, aus welchen Gründen es der Autor zu verfassen bemüßigt war.

Wien, im Jänner 1927.
H. H. Schefter.


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