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XXI

Der Baron von Breteuil. Wen er als Autor des Vaterunsers erklärt. Die Kunstkennerschaft des Marquis von Gesvres. Der Abbé Fleury. Der König macht ihn sehr ungern zum Bischof. Bauten des Königs. Die Eifersucht Barbesieux'. Der Tod des Herzogs von Brissac. Erscheinen eines Pamphlets gegen den Erzbischof von Paris. Es wird den Jesuiten zugeschrieben. Der wahre Autor. Tod des Ritters von Coislin. Seine Eigentümlichkeiten. Ein Streich, der ihn charakterisiert. Die Gesandtschaft des Königs von Marokko.

 

Bonnoeil, der Einführer der Gesandten, war vor fünf oder sechs Monaten gestorben. Er war ein sehr ehrenwerter Mann, im Gegensatz zu Sainctot, dem sein Vater, der jenes Amt allein bekleidete, die Hälfte seiner Charge verkauft hatte. Vater und Sohn verstanden ihr Geschäft ausgezeichnet. Breteuil, der sich Baron von Breteuil nennen ließ, weil er in Montpellier während der Intendantenschaft seines Vaters geboren war, erhielt das Amt eines Einführers der Gesandten bei der Rückkehr des Hofes von Fontainebleau. Er war ein Mann, dem es nicht an Geist fehlte, der sich aber an alles heranmachte, was mit dem Hofe zusammenhing, an die Minister und was sonst Rang und Namen hatte, und vor allem darauf aus war, durch Versprechen seiner Protektion Geld zu verdienen. Man ertrug seine Art und Weise und machte sich über ihn lustig. Er war Lektor des Königs gewesen, und der Staatsrat und Finanzintendant Breteuil war sein Bruder. Er machte sich lieb Kind bei Pontchartrain, wo Caumartin, sein Freund und Verwandter, ihn eingeführt hatte. Er spielte mit Vorliebe den Mann, der alles weiß, ohne jedoch die Schranken des Respekts zu überschreiten, und man machte sich ein Vergnügen daraus, ihn in die Enge zu treiben.

Als er eines Tages bei Herrn von Pontchartrain, wo immer große Gesellschaft war, zu Mittag speiste, und wieder steile Behauptungen aufstellte, widersprach ihm Frau von Pontchartrain und erklärte ihm schließlich, sie wette, daß er bei all seinen Kenntnissen nicht wisse, wer das Pater gemacht habe.

Da fängt mein Breteuil an zu lachen und sucht durch allerlei Scherze um die Beantwortung der Frage herumzukommen, Frau von Pontchartrain aber läßt nicht locker und hört nicht auf, ihn herauszufordern und auf den Ausgangspunkt zurückzuführen. Er verteidigt sich fortwährend so gut er kann, und es gelingt ihm, sich zu halten, bis die Tafel aufgehoben wird. Caumartin, der seine Verlegenheit bemerkt hatte, folgt ihm, als er wieder ins Zimmer zurückkehrt und flüstert ihm freundlich das Wort »Moses« ins Ohr.

Der Baron, der nicht mehr aus noch ein wußte, fühlte sich plötzlich als Herr der Situation, bringt beim Kaffee das Pater wieder aufs Tapet, und Überlegenheit malt sich in seinen Zügen. Nun kostete es Frau von Pontchartrain keine Mühe mehr, ihn dazu zu bringen, Farbe zu bekennen. Nachdem Breteuil sich in Vorwürfen ergangen, daß sie an seinem Wissen zweifeln könne und erklärt hatte, er müsse sich schämen, etwas so Triviales zu sagen, verkündete er in schulmeisterlichem Tone, jeder Mensch wisse, daß Moses das Pater gemacht habe.

Allgemeine Heiterkeit! Der arme Baron wußte in seiner Verlegenheit nicht, wohin sich retten. Jeder sagte ihm ein Wort des Lobes für seine seltene Beschlagenheit. Er war infolgedessen lange Zeit mit Caumartin auseinander, und dieses Pater wurde ihm noch lange unter die Nase gerieben.

Sein Freund, der Marquis von Gesvres, der hie und da dem Könige vorlas und bei dieser Gelegenheit einiges behielt, was er dann anbrachte, so gut es ging, plauderte eines Tages in den Gemächern des Königs, und als er mit Kennermiene die trefflichen Gemälde bewunderte, die dort hingen, darunter mehrere Kreuzigungen Christi von der Hand mehrerer großer Meister, fand er, daß ein und derselbe Maler viele Kreuzigungen und alle, die dort hingen, gemalt habe. Man lachte ihn aus und nannte ihm die verschiedenen Meister, die an ihrer Malweise kenntlich seien.

»Aber keine Idee«, rief da der Marquis, »dieser Maler hieß INRI, seht Ihr denn nicht seinen Namen auf allen diesen Bildern?« Man kann sich vorstellen, was auf eine so profunde Dummheit folgte.

 

Der Abbé Fleury schmachtete seit langen Jahren nach einem Bischofsitze, der König beharrte aber darauf, ihm keinen zu geben. Er schätzte seine Aufführung nicht und sagte, er sei zu zerstreut und zu sehr den geselligen Vergnügungen ergeben, auch legten sich zu viele Leute für ihn ins Zeug. Der Pater de la Chaise hatte dabei einen Mißerfolg erlitten, und der König hatte erklärt, er wünsche nicht, daß irgendwer noch einmal auf diesen Punkt zurückkomme.

Es mochte vier oder fünf Jahre her sein, daß der arme Abbé nach langem Hoffen und Harren in diese Art von Exkommunikation verfallen war, und er hielt sie für umso unentrinnbarer, als er die im Aufsteigen begriffene Gunst des Erzbischofs von Paris seinen Interessen dienstbar gemacht, dieser aber keinen besseren Erfolg gehabt hatte als die andern, so daß der arme Kerl nicht wußte, was aus ihm werden sollte. Er hatte kein Vermögen und so gut wie keine Benefizien, er war ein zu armer Schelm, um sein Amt aus Ärger an den Nagel zu hängen, es aber ohne Hoffnung auf weiteres Fortkommen zu behalten, gab ihn der äußersten Geringschätzung preis. Sein Vater war Zehnteneinnehmer der Diözese Lodève. Er hatte sich bei den Bedienten des Kardinals Bonsy beliebt zu machen gewußt und ihre Protektion erlangt zu der Zeit, da er bei Hofe in Gunst stand und in der Languedoc alles vermochte.

Der Abbé Fleury war in seiner ersten Jugendblüte sehr schön und gut gewachsen und hat sein ganzes Leben Spuren davon bewahrt. Er gefiel dem Kardinal sehr, und dieser beschloß für sein Fortkommen Sorge zu tragen. Er machte ihn zum Kanonikus der Kirche von Montpellier, wo er 1674 zum Priester geweiht wurde, nachdem er in Paris auf dem Speicher eines jener billigen kleinen Kollegien mittelmäßige Studien gemacht hatte.

Der Kardinal Bonsy, der Großalmosenier der Königin war, ließ es sich angelegen sein, ihm eine Almosenierstelle zu verschaffen, was man ziemlich merkwürdig fand. Sein Gesicht besänftigte jedoch die Geister; man fand, daß er taktvoll, sanft, geschmeidig sei; er machte sich Freundinnen und Freunde und verschaffte sich als Schützling des Kardinals Bonsy Eingang in die große Welt.

Die Königin starb, und der Kardinal erlangte für ihn eine Stelle als Almosenier des Königs. Man erhob darüber ein großes Geschrei, aber man gewöhnt sich an alles. Bischof von Fréjus war Louis d'Aquin (1667-1710), der Neffe des vorhergehenden Bischofs Luc d'Aquin, der 1697 zu seinen Gunsten demissionierte und 1718 starb. Louis d'Aquin demissionierte seinerseits Ende Oktober 1697.

Durch sein respektvolles Verhalten, seinen Geist, sein angenehmes Wesen und vielleicht noch anziehenderes Gesicht, durch eine Bescheidenheit, eine Umsicht und eine Profession, die Vertrauen erweckten, gewann er fortwährend an Boden. Er hatte das Glück und die Gewandtheit, daß man ihn zuerst duldete und dann in die beste Gesellschaft des Hofes zuließ, und daß er sich Gönner und Freunde unter den hervorragendsten und einflußreichsten Persönlichkeiten beiderlei Geschlechts machte. Er wurde bei Herrn von Seignelay empfangen, war ständiger Gast bei Herrn von Croissy, dann bei Herrn von Pomponne und Herrn von Torcy, wo er freilich eine untergeordnete Rolle spielte und häufig, bevor die Tischglocken erfunden wurden, ihre Stelle vertrat. Der Marschall und die Marschallin von Villeroy luden ihn sehr oft ein, die Noailles hatten ihn außerordentlich gern, und er war so klug, sich eng an die hervorragendsten und vornehmsten unter den Almosenieren des Königs anzuschließen, wie den Äbten von Beuvron und von Saint-Luc, und andern seines Metiers, die ihm Ehre machten. Bei dem Marschall von Bellefonds, dem alten Villars, bei Frau von Saint-Géran und Frau von Castries war er stets zu finden und führte so ein sehr angenehmes und für ihn sehr ehrenvolles Leben; aber der König hatte nicht so unrecht, wenn er nichts Geistliches daran fand, und obgleich er in seinem Verhalten sehr vorsichtig war, konnte er es doch nicht verhindern, daß gewisse Dinge bekannt wurden.

So also war seine Lage; er konnte auf keine Weise weder vorwärts noch rückwärts, wurde von den meisten in der großen Welt sehr bedauert, sah aber keine rettende Hand, die ihm aus dieser Klemme geholfen hätte. Da wurde Fréjus frei. Fleury wurde am 1. Nov. 1698 zum Bischof v. Fréjus ernannt, erhielt seine Bullen aber erst im April 1699 infolge der Mißhelligkeiten zwischen den beiden d'Aquin und nahm seinen Bischofstuhl erst im Januar 1701 in Besitz.

Der Erzbischof von Paris, der ihn darüber bis zu Tränen gerührt sah, empfand auf so großherzige Weise Mitleid für ihn, daß er es trotz des Verbotes des Königs wagte, noch einen Versuch zu machen. Dieser wurde aber so schlecht aufgenommen, daß jedem andern dadurch der Mund geschlossen worden wäre; der Prälat aber bot seinen ganzen Einfluß und seine ganze Beredtsamkeit auf, um dem König vorzustellen, das heiße einen Menschen entehren und zur Verzweiflung bringen, ohne einen triftigen Grund, an den man sich halten könne, – und er drang so heftig und so lange in ihn, daß der König ihm ungeduldig die Hand auf die Schulter legte, ihn kräftig schüttelte und ausrief: »Ei doch! Monsieur, Sie wollen also, daß ich den Abbé von Fleury zum Bischof von Fréjus mache, und trotz aller Gründe, die ich Ihnen wieder und wieder auseinandergesetzt habe, bleiben Sie dabei, daß das eine Diözese im äußersten Winkel des Königreichs, in einer fernen kaum bewohnten Gegend sei; so muß ich Ihnen denn nachgeben, damit Sie mich nicht noch länger plagen, aber ich tue es mit Bedauern, und erinnern Sie sich wohl – ich sage es Ihnen voraus – Sie werden es bereuen.«

So also bekam er Fréjus, das der Erzbischof von Paris im Schweiße seines Angesichts und mit der ganzen Kraft seiner Arme dem Könige entrissen hatte. Der Abbé Fleury wußte sich gar nicht zu fassen vor Glück und strömte über von Dankbarkeit für einen so wenig erwarteten Dienst, der ihn aus dem peinlichsten Zustande vor der Welt, aus dem er keinen Ausweg sah, erlöste. Aber der König war ein Prophet und noch mehr als er dachte, allerdings in ganz anderm Sinne als er glaubte.

Der neue Bischof hatte es so wenig eilig wie möglich, sich in die Einsamkeit von Fréjus zurückzuziehen. Schließlich mußte er aber doch hin. Was er dort während fünfzehn oder sechzehn Jahren machte, kommt für diese Aufzeichnungen nicht in Betracht, was er aber nach dieser Zeit getan hat, als Kardinal und Premierminister, oder besser als absoluter König, darüber wird kein Historiker die Nachwelt im unklaren lassen.

 

Der Prinz von Conti gewann endlich Mitte September definitiv seinen großen Prozeß gegen Madame de Nemours wegen des Longuevilleschen Nachlasses und erhielt von dreiundzwanzig Richtern zwanzig Stimmen. Abgesehen von 13 oder 1 400 000 Livres, die ihm zugesprochen wurden, erlangten seine Ansprüche auf Neufchâtel ein bedeutend größeres Gewicht.

 

Der König entschloß sich Ende des Jahres drei große Werke zu unternehmen, die schon seit langem hätten ausgeführt werden sollen: die Kapelle von Versailles, die Invalidenkirche und den Altar von Notre-Dame de Paris. Letzterer war von Ludwig XIII. gelobt worden, als er nicht mehr die Zeit hatte, das Gelübde auszuführen. Er hatte seinen Nachfolger mit der Einlösung beauftragt, der aber hatte fünfzig Jahre lang nicht daran gedacht.

 

Herr von Barbezieux beschloß das Jahr mit einem Eklat, den er sich hätte sparen können. Er hatte Fräulein d'Alègre geheiratet, die er wie ein Kind behandelte, und legte sich, was seine Galanterien und sein gewohntes Leben anlangt, keinen Zwang auf. Herr von Elbeuf spielte in einer sehr auffälligen Weise ihren Liebhaber, um Barbezieux zu kränken. Die junge Frau, die sich durch das Benehmen ihres Gatten beleidigt fühlte, glaubte schlechten Ratschlägen und machte ihren Mann eifersüchtig. Er überließ sich dieser Leidenschaft gänzlich, alles vergrößerte sich ihm, er glaubte zu sehen, was er nicht sah, und es begegnete ihm, was noch nie jemand begegnet ist: er erklärte sich öffentlich für einen Hahnrei, wollte die Beweise dafür liefern, konnte es aber nicht, und fand bei keinem Menschen Glauben. Niemals hat man einen Mann gesehen, der so ergrimmt war, als er, daß man ihn nicht für einen Hahnrei ansehen wollte. Alles, was sich herausstellte, war nichts weiter, als Unbesonnenheiten und Unklugheiten einer unschuldigen jungen Frau, die auf törichte Ratschläge gehört hatte.

Aber Barbezieux war in seiner Wut nicht fähig, Vernunft anzunehmen. Er bat d'Alègre durch einen Kurier, den er ihm in die Auvergne schickte, sofort zurückzukommen, und der Brief wurde so gedeutet, daß d'Alègre, der kein sehr erfahrener Mann war, nicht zweifelte, daß es sich dabei um irgendein großes Avancement handle, das sein Schwiegersohn ihm zu verschaffen im Begriffe war. Er war daher peinlich überrascht, als er bei seiner Ankunft erfuhr, worum es sich handle. Eine Trennung der Ehegatten war angesichts der Krisis, bis zu welcher die Angelegenheit gediehen war, unvermeidlich. Frau von Barbezieux wurde von ihrem Manne gefangen gehalten und war krank. Der Gatte behauptete, sie tue nur so und wollte sie in ein Kloster stecken; der Vater und die Mutter aber wollten sie bei sich behalten.

Nach viel Lärm um so gut wie nichts, entschied der König, der von dem Schwiegervater und dem Schwiegersohn sehr bestürmt wurde, daß Frau von Barbezieux bis zu ihrer vollständigen Gesundung zu ihren Eltern gehen und von ihnen dann in ein Kloster in der Auvergne gebracht werden sollte. Der Herzog von Brissac war am 29. Dezember 1698 gestorben.

Der Herzog von Brissac starb am ersten oder zweiten Tage dieses Jahres (1699) zu Brissac. Er war der einzige Bruder der Marschallin von Villeroy und mein Schwager. Von meiner Schwester, mit der er, wie ich zu Beginn meiner Memoiren gesagt habe, sehr schlecht gelebt, hatte er keine Kinder. Ebensowenig hatte er deren von der Schwester Verthamonts, des ersten Präsidenten des Großen Rates, die er wegen ihres großen Vermögens heiratete. Dieses Vermögen brachte er so gründlich durch, daß sie, da sie nicht einmal ein Wittum für sich hatte, wieder bei ihrem Bruder leben mußte, wie sie es vorher schon lange Zeit getan, der ihr alles, Schuhe und Hemden nicht ausgenommen, gab. Sie war bucklig, hatte aber ein sehr angenehmes Gesicht. Noch einnehmender machten sie ihr reicher gewinnender Geist und ihre große Sanftmut und Tugend.

Herr von Brissac verfügte über ein großes Wissen und hatte außerordentlich viel Geist, wodurch er sehr zu bestricken wußte. Dabei hatte er ein Gesicht, flach wie eine Apothekerschale und hochrot von Farbe, und war ein ziemlich dicker, kurzbeiniger Mann. Er war einer jener Leute, die geboren scheinen, um Verachtung vor dem Geiste einzuflößen und die Plage ihres Hauses zu sein. Das Leben, das er führte, war dunkel, schimpflich und der letzten häßlichsten Ausschweifung hingegeben. Er ruinierte sich dabei so gründlich, daß er lange vor seinem Tode ohne Brot, ohne Tisch, ohne Equipage war, auch nichts aufzuweisen vermochte, womit er sich sehen lassen konnte. Er hatte weder bei Hofe, noch im Kriege eine Rolle gespielt, noch jemals einen Mann oder eine Frau bei sich gesehen, die der Erwähnung wert gewesen wären. Der Titel des Buches Problème lautete: Problème ecclésiastique proposé à M. l'abbé Boileau de l'Archevêché, à qui l'on doit croire, de Messire Louis-Antoine de Noailles évêque de Châlons en 1695, ou de Messire Louis-Antoine de Noailles archevêque de Paris en 1696. – In Châlons hatte Noailles am 23. Juni 1695 das Buch des Paters Quesnel über das Neue Testament approbiert, der behauptete, daß die 5 zensurierten Propositionen des Jansenius sich dort an mehreren Stellen fänden; nachdem er Erzbischof von Paris geworden war, hatte er am 20. August 1696 das Werk von Martin de Barcos: Exposition de la foi catholique touchant la grâce et la prédestination zensuriert, weil es die nämlichen Lehren enthalte. – Die Jesuiten hatten an dem » Problème« in der Tat Anteil, denn einer der ihrigen hatte es in Flandern drucken lassen, die Druckbogen korrigiert, auch die Verteilung besorgt (nämlich der Pater Souastre, der den Jesuitenpater Doucin als den wahren Autor bezeichnete). Das »Problème« wurde gegen Mitte Januar 1699 auf dem Vorplatz von Notre-Dame verbrannt. Vergl. aber die Anm. zu S. 348, 2. Absatz.

Es erschien ein anonymes Buch mit dem Titel Problème, das großen Lärm verursachte: der Autor untersuchte unter Anführung der boshaftesten Gründe für und wider, welchem Herrn von Noailles man in bezug auf theologische Fragen glauben müsse: dem Bischof von Châlons, oder dem Erzbischof von Paris. Er behauptete, dieser Prälat sei zu sich selbst in Widerspruch getreten und habe sich über dieselben Fragen weiß und schwarz geäußert, nämlich den Jansenisten günstig als er in Châlons, ungünstig hingegen, als er in Paris war. Das war der erste Schlag, der gegen ihn geführt wurde. Er zweifelte nicht, daß er von den Jesuiten ausging; seine Lehre unterschied sich sehr von der ihrigen, und niemals hatte er gut mit ihnen gestanden. Er war ohne sie Erzbischof von Paris geworden; alle seine Freundschaften mit Prälaten und Geistlichen standen zu den ihrigen im Gegensatz. Die Affäre des Erzbischofs von Cambray war ein neuer Punkt der Scheidung zwischen ihnen und für die Jesuiten umso empfindlicher, als sie diese Saite nicht zu berühren wagten, die beinahe ihr Verderben herbeigeführt hätte. Übergenug Gründe, um den Erzbischof von Paris zu überzeugen, daß dieses so beleidigende Buch aus ihrer Werkstatt stamme.

Es half ihnen nichts, daß sie öffentlich und privat gegen eine solche Kränkung protestierten und zu ihm gingen und ihm ihre Mißbilligung über das Pamphlet und ihren Schmerz, daß er so etwas von ihnen glauben könne, ausdrückten: sie wurden kühl angehört, wie Leute, die nicht zu überzeugen vermochten, denen gegenüber man sich aber den Anschein geben wollte, als glaube man ihnen.

Das Buch wurde durch Urteil des Parlaments verdammt und verbrannt, die Jesuiten aber, gegen die sich Boileau; der berühmte Dichter war Nicolas Boileau, beigenannt Despréaux (1636-1711); der Autor der Flagellanten war der Bruder von Nicolas B. Jacques (1635-1716). – Alles, was Saint-Simon hier schreibt, bezieht sich auf ein anderes Buch, betitelt Cas de conscience, das einige Jahre später erschien und in einem engen Zusammenhang mit dem Problème stand. Er hatte ursprünglich auch Cas de conscience geschrieben, diese Worte dann aber durchgestrichen, weil diese Affäre nicht in das Jahr 1699 gehörte, und Problème darübergeschrieben. Boileau verließ das erzbischöfliche Palais erst 1703, da ihm nachgewiesen worden war, daß der Cas de conscience von ihm stammte. Auch das » Frohlocken der Jesuiten« galt letzterem Buche.alles erhob, mußten die ganze Schande schlucken und verziehen es dem Erzbischof von Paris niemals.

Nach ziemlich langer Zeit ließ ihn der reine Zufall den wirklichen Verfasser des Problème entdecken und zwar mit so starken Beweisen, daß dieser selbst es nicht ableugnen konnte. Er war nicht weit, denn er wohnte im erzbischöflichen Palais. Es war ein Doktor der Theologie, der über viel Geist und große Gelehrsamkeit verfügte und stets als ein sehr ehrenwerter Mann gelebt hatte. Er hieß Boileau, hatte aber nichts mit dem berühmten Dichter und dem Autor der Flagellanten zu tun. Der Erzbischof von Paris, der die aufgeklärtesten Ehrenmänner an sich zu fesseln strebte, damit sie ihm in der hohen Stellung, die man ihn auszufüllen zwang, behilflich seien, hatte diesen Herrn Boileau zu sich genommen, behandelte ihn mit aller Rücksicht und allem Vertrauen, wie er sie seinem eigenen Bruder nicht besser hätte beweisen können, und bestritt seinen Unterhalt.

Boileau war ein scheuer Mensch, der sich in seinem Zimmer einschloß und nur denen öffnete, denen er das Signal – eine bestimmte Anzahl Schläge an die Tür – verraten hatte, aber auch dann nur zu gewissen Stunden. Er verließ diese Höhle nur, um in die Kirche oder zum Erzbischof zu gehen, arbeitete ganz im Stillen, lebte wie ein sehr einsamer Büßer, schrieb schön, kraftvoll und beredt und mit großer Folgerichtigkeit und Logik. Wer hätte geahnt, daß das Problème ein Werk seiner Feder sei? Der Erzbischof von Paris fühlte sich durch diese Entdeckung auf das allerschmerzlichste berührt. Man kann sich denken, daß dieser Doktor seine Wohnung noch in der gleichen Stunde verließ, und daß es dem Erzbischof ein Leichtes gewesen wäre, ihn für den Rest seiner Tage einsperren zu lassen. Er faßte indeß einen ganz entgegengesetzten und eines großen Bischofs wohl würdigen Entschluß. Wenige Tage darauf wurde eine der Domherrenstellen an Saint-Honoré, die sehr gut sind, frei, und die gab er ihm.

Boileau, der nichts zu nagen und zu beißen hatte, nahm sie an und opferte den Rest seiner Ehre. Er war unzufrieden, daß der Erzbischof von Paris nicht den Schild für die Jansenisten erhob und seinen ganzen Einfluß für das in die Wagschale warf, wonach diese strebten. Dies bewog ihn, jenes Buch zu schreiben, über das die Jesuiten zu frohlocken nicht verfehlten.

 

Die wohldenkenden Leute am Hofe betrauerten den Tod eines Zynikers, der inmitten des Hofes und der großen Welt allein lebte und starb und nur die Leute empfing, die ihm paßten. Es war dies der Ritter von Coislin, der Bruder des Herzogs und des Kardinals gleichen Namens. Er war ein in jeder Beziehung sehr ehrenwerter wackerer Mann, dabei ein sehr seltsamer Kauz, höchst gallsüchtig und äußerst unbequem. Er war arm, aber sein Bruder, der Kardinal, hatte es ihm nie an etwas fehlen lassen. Versailles verließ er fast niemals, stets aber ging er dem König aus dem Wege und zwar mit so auffallender Absichtlichkeit, daß er sich schnell davon machte, wenn er sich zufällig in die Lage versetzt sah, ihm zu begegnen, wie ich und viele andere einmal zu beobachten Gelegenheit hatten. Er wohnte im Schlosse in den Gemächern des Kardinals und aß bei ihm, wo sich stets eine sehr gute Gesellschaft zusammenfand. Wenn ihm jemand mißfiel, ließ er sich einen Teller voll in sein Zimmer tragen, und wenn jemand, den er nicht liebte, erschien, während er bei Tische saß, warf er seine Serviette hin und verschwand, um schmollend seine Mahlzeit ganz allein zu vollenden. Man war nicht immer sicher vor solchen ostentativen Beweisen der Abneigung, und der Verkehr im Hause seines Bruders gestaltete sich nach seinem Tode wesentlich freier, obgleich alles, was dorthin kam, an seine Art und Weise, die seine Brüder oft zur Verzweiflung brachte (zumal den Kardinal, den er tyrannisierte) gewöhnt war.

Ein Streich, den er beging, wird das beste Bild von ihm geben. Er machte mit seinen beiden Brüdern und, ich weiß nicht welchem Viertem, eine Reise des Königs mit; denn er folgte ihm stets, ohne ihn zu sehen, um mit seinen Brüdern und Freunden zusammen zu sein. Der Herzog von Coislin war von einer übertriebenen Höflichkeit, die manchmal so weit ging, daß sie die Anwesenden zur Verzweiflung brachte. Er bekomplimentierte also die Leute, bei denen er auf dieser Reise einquartiert war, unaufhörlich, und der Ritter von Coislin kam aus der Ungeduld über ihn gar nicht heraus. Einmal übernachtete man bei einer hübschen, geistreichen Bürgersfrau, die sich sehr gut zu benehmen wußte. Der Herzog erschöpfte sich am Abend in Höflichkeiten und am andern Morgen vor der Weiterfahrt noch mehr. Der Bischof von Orléans, der damals noch nicht Kardinal war, drängte seinen Bruder zum Aufbruch, der Ritter wetterte und fluchte, aber der Herzog von Coislin erging sich immer weiter in Komplimenten. Der Ritter von Coislin, der seinen Bruder kannte, und damit rechnete, daß dieser nicht so bald fertig sein würde, wollte sich seines Ärgers entschlagen und rächte sich gründlich. Als sie drei oder vier Meilen zurückgelegt hatten, bringt er das Gespräch auf die schöne Der marokkanische Gesandte war Abdallah ben'Aïscha. Er kam am 10. Februar 1699 nach Paris mit 19 Begleitern.Wirtin und die vielen Komplimente, fängt dann plötzlich an zu lachen und erklärt den Insassen des Wagens, daß er allen Grund habe, zu glauben, daß sie trotz all der unendlichen Höflichkeitsbezeigungen seines Bruders nicht lange mit ihm sehr zufrieden gewesen sein dürfte.

Schon gerät der Herzog von Coislin, der sich nicht vorstellen kann, warum, in Unruhe und forscht seinen Bruder aus. »Wollen Sie es wissen?« fragt ihn der Ritter brüsk, – »weil ich, verzweifelt über Ihre Komplimente, in das Zimmer hinaufgegangen bin, wo Sie geschlafen hatten, und dort mitten auf den Fußboden einen Nachtwächter gepflanzt habe, und weil die schöne Wirtin in diesem Augenblick nicht daran zweifelt, daß Sie ihr dieses Geschenk trotz all Ihrer schönen Höflichkeiten zurückgelassen haben.«

Während die beiden andern in ein schallendes Gelächter ausbrechen, will der Herzog von Coislin das Pferd eines seiner Leute besteigen, zum Nachtquartier zurückreiten, die Wirtin über die Persönlichkeit des Schmutzfinken aufklären und unter einer Flut von Komplimenten und Beschuldigungen seine Scham über den Vorfall zu erkennen geben. Es regnete stark, und die andern hatten die größte Mühe, ihm von seinem Vorhaben abzubringen, und noch viel mehr, um die beiden wieder zu versöhnen. Für diejenigen, die sie gekannt haben, gibt es vielleicht keine lustigere Geschichte als diese.

 

Eine Gesandtschaft des Königs von Marokko, die Saint-Olon, der Gesandte des Königs in jenem Lande, von dort mitbrachte, lockte ganz Paris herbei, das diese Afrikaner sehen wollte. Der marokkanische Gesandte Zum Abschluß eines Vertrages kam es nicht, doch ließ der König von Marokko Muley-Ismaël bald darauf um die Hand der verwitweten Prinzessin von Conti bitten.war ein Mann von schönem Aussehen, und wie man sagt, von scharfem Verstande. Dieser Schritt eines Barbaren schmeichelte dem Könige, und er empfing ihn, wie es für die nichteuropäischen, türkischen oder russischen Gesandten, den Zar Peter I. nicht ausgenommen, üblich ist. Torcy und Pontchartrain, die seine Beauftragten waren, glaubten schon ihren Zweck mit dem Gesandten erreicht zu haben, als dieser die Erklärungen Saint-Olons sowohl als des Dolmetschers Lügen strafte und sagte, er wolle nichts mehr mit ihnen zu tun haben; denn er behauptete, sie hätten ihn verpflichtet, ohne daß er irgend etwas geäußert habe, was ihnen dazu hätte Anlaß geben können. Da dies an demselben Tage vorfiel, an dem in Versailles eine Konferenz abgehalten werden sollte, wozu er mit ihnen aus Paris herübergekommen war, so gab das einen sehr peinlichen Mißton. Er weigerte sich entschieden, in demselben Wagen mit ihnen nach Paris zurückzufahren und erklärte, er werde den Frieden nicht zum Abschluß bringen. Es dauerte lange, bis man ihn wieder zur Vernunft gebracht und einen Vertrag mit ihm abgeschlossen hatte.


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