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XII

Der Marschall von Noailles gewinnt die Gunst des Königs wieder. Namur vom Prinzen von Oranien belagert. Der Herzog von Maine läßt Vaudémont und seine Armee entwischen. Der Name des Schuldigen wird dem König verheimlicht. Er erfährt ihn durch seinen Bademeister. Verblüffender Zornausbruch des Königs. Beißende Bemerkung des Herzogs von Elbeuf. Die Kapitulation von Namur.

 

Der durch Barbezieux' Intrige fehlgeschlagene Plan der Belagerung von Barcelona hatte Herrn von Noailles die Gunst des Königs in einem Grade gekostet, daß es beinahe um seine Stellung geschehen war. Während des ganzen Winters war es ihm nicht gelungen, sich Gehör zu verschaffen, um die Verruchtheit, die ihn mattgesetzt hatte, aufzudecken. Er begriff die Gefahr einer so kritischen Lage an der Spitze einer Armee (wenn diese ihm für die Zukunft überhaupt sicher war!) und stellte die kluge Überlegung an, daß er, einmal im Besitz des Marschallstabes, nichts Besseres tun könne, als sich mit dem König durch ein Opfer, das diesem angenehm sein würde, dauernd auf guten Fuß zu stellen und, seiner erneuten Gunst teilhaftig, in Sicherheit vor einem Feinde, mit dem er nicht mehr zu rechnen hätte, am Hofe sich aufzuhalten. Obgleich im übrigen recht unbeholfen, war er doch ein zu gerissener Höfling, um nicht die wachsende Vorliebe des Königs für seine natürlichen Söhne aus allem, was er jüngst für sie getan hatte, herauszufühlen, und ebenso seine geringe Neigung, etwas durch den Sohn des Prinzen von Condé und den Prinzen von Conti ausführen zu lassen. Er beschloß daher, sich beim Könige wieder voll in Gunst zu setzen, indem er seiner Vorliebe für die einen schmeichelte und ihm zugleich eine Tür öffnete, die ihn seiner Verlegenheit wegen der andern entziehen würde.

Um zur Ausführung zu schreiten, vertraute er seinen Plan unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit dem Herzog von Vendôme an, nicht um sich seiner zu bedienen, sondern damit er und durch ihn der Herzog von Maine ihm dafür allen Dank wissen sollten. Darauf gab er dem König zu erkennen, nachdem er unglücklich genug gewesen sei, ihm an der Spitze einer Armee zu mißfallen, die überall Erfolge gehabt, deren Früchte ihm jedoch ohne seine Schuld und ohne daß er sich über den klaren Sachverhalt habe rechtfertigen können, geraubt worden seien, bringe er es weder über sich, es mit anzusehen, daß diese Armee ihm genommen würde, noch das Kommando über sie weiterzuführen. Das erstere sei eine Strafe, die ihn entehren würde, letzteres würde ihn fortwährend den Ränken Barbezieux' aussetzen. Er ziehe es vor, freiwillig, aber im geheimen, zu unterliegen und damit dem Könige ein Opfer zu bringen. Er habe sich zu diesem Zwecke ausgedacht, er wolle sich wie gewöhnlich nach Katalonien begeben, dort bei seiner Ankunft erkranken, sein Befinden sich mehr und mehr verschlechtern lassen und einen Kurier absenden, um seine Rückberufung zu erbitten; gleichzeitig sehe er in der Nähe der Westgrenze niemanden, der geeigneter wäre, die Armee in Katalonien zu befehligen, als Herrn von Vendôme. Wenn der König mit diesen Vorschlägen einverstanden sei, könnte er, um keine Zeit zu verlieren und seine Armee nicht ohne Führer zu lassen, das Patent als General seiner Armee für Herrn von Vendôme gleich nach Katalonien mitnehmen und es diesem durch einen andern Kurier übersenden, sobald er seine Bitte um Rückberufung nach Versailles gelangen lasse.

Die Erleichterung und Befriedigung, mit der dieser Vorschlag aufgenommen wurde, lassen sich unmöglich schildern. Die Eifersucht zwischen dem Prinzen von Conti und dem Herzog von Vendôme war außerordentlich. Der König wollte den Prinzen aus Politik und aus andern Gründen nicht an die Spitze seiner Armeen stellen, auch keinen von den andern Prinzen von Geblüt; ebendas hielt ihn zurück, Herrn von Vendôme diesen großen Schritt machen zu lassen. Die Sympathie, die er für seine Geburt hatte, drängte ihn andererseits dazu und mehr noch die Möglichkeit, daß er ihn auf diese Weise zum Schuhanzieher des Herzogs von Maine machen konnte; nur vermochte er sich nicht darüber klar zu werden, wie er es anstellen sollte, ohne die Prinzen von Geblüt zur Verzweiflung zu bringen, ohne die ihm bereits so unbequemen Verdienste des Prinzen von Conti in einem noch helleren Lichte erstrahlen zu machen, ohne die Liebe der Armeen, der Stadt, ja sogar des Hofes zu ihm zu vertiefen, und ohne einen Aufschrei des ganzen Landes hervorzurufen, der um so peinlicher sein würde, je berechtigter er wäre. Herr von Noailles befreite ihn von all diesen Unzuträglichkeiten: da hatte er einen General, der bei seiner Armee eingetroffen, aber außerstande war, sie zu kommandieren; was war da notwendiger, als ihn unverzüglich durch einen andern zu ersetzen und diesen daher aus möglichst großer Nähe zu nehmen. Einmal Armeegeneral, würde Herr von Vendôme nicht in anderer Eigenschaft mehr dienen können; somit wäre die Sache in Ordnung und in Ordnung durch einen Zufall, über den die Prinzen von Geblüt wohl ärgerlich, nicht aber beleidigt sein könnten; und wenn dieser Schuhanzieher des Herzogs von Maine einmal angesetzt sei, so wäre auf jeden Fall die Hälfte des Planes ausgeführt.

Mit diesem Augenblick besaß Herr von Noailles mehr denn je die Gunst des Königs. Dieser zog den Herzog von Vendôme ins Vertrauen, der gleichzeitig für den Großprior, seinen Bruder, den Oberbefehl über das in der Nähe von Nizza stehende getrennte Korps erlangte, den er selbst bisher geführt hatte. Der König und die Herzoge von Vendôme und Noailles wußten das Geheimnis so wohl zu bewahren, daß nicht einmal der Großprior ein Wort davon erfuhr und auch Barbezieux nicht den leisesten Wind davon bekam. Jeder reiste wie gewöhnlich nach seinem Bestimmungsort ab, und die katalonische Angelegenheit wurde genau so erledigt, wie ich soeben auseinandergesetzt habe. Die Ausführung selbst verriet jedoch das ganze Geheimnis. Man war überrascht zu vernehmen, daß Herr von Noailles, kaum in Perpignan angekommen, seine Rückberufung wünschte, und noch mehr, daß er gleichzeitig, ohne nur auf Antwort zu warten, Herrn von Vendôme aus Nizza habe holen lassen, um ihm das Kommando seiner Armee zu übertragen. Was aber auch den letzten Schleier lüftete, das war, daß man unmittelbar darauf erfuhr, er habe ihm ein Patent als General der Armee zustellen lassen, das ihm nicht aus Versailles zugegangen sein konnte, und daß er kurz darauf die Rückreise angetreten habe.

Die Prinzen von Geblüt spürten den Schlag in seiner ganzen Wucht; der äußere Schein war jedoch gewahrt worden, und so konnten sie nichts weiter tun als schweigen. Herr von Noailles kam an und wurde empfangen, Alles ging zu den Armeen ab. Der Marschbefehl war am 20. Mai ausgegeben worden.wie seine Geschicklichkeit es verdiente. Er spielte den von Rheumatismus Gelähmten und führte das lange Zeit durch, manchmal jedoch begegnete es ihm, daß er nicht daran dachte und dadurch einige Heiterkeit veranlaßte. Er blieb nun für immer am Hofe, wo er in voller Gunst stand und gewann dort viel mehr, als er vom Kriege hoffen konnte, zum großen Ärger von Barbezieux, der nun mit dem Herzog von Vendôme zu rechnen hatte. Dieser aber ließ ihn, gedeckt vom Herzog von Maine, über seine Gesinnung nicht im unklaren.

 

Alles ging zu den Armeen ab. Am interessantesten waren die Vorgänge in Flandern. Nach mehrfachen Scheinmanövern von verschiedenen Seiten, und nachdem er mehrere unserer Festungen bedroht hatte, wendete sich der Prinz von Oranien, der alle Maßnahmen zur Verhüllung seiner wahren Absicht und zu ihrer sicheren Ausführung getroffen hatte, plötzlich gegen Namur und schloß es in den ersten Tagen des Juli ein. Der Kurfürst von Bayern, der beim Gros der Armee geblieben war, stieß mit einer starken Abteilung zu ihm und ließ den Rest unter Herrn von Vaudémont zurück. Der Marschall von Boufflers hatte immer so etwas befürchtet und daher Sorge getragen, daß der Platz reichlich versorgt werde. Er hatte den Gouverneur der Stadt, den Generalleutnant Guiscard, der sich mit seinem Unterbefehlshaber Lomont an Ort und Stelle befand, immer wieder darauf hingewiesen und sich für alle Fälle in der Nähe gehalten. So warf er sich denn am 2. Juli durch die Porte du Condroz, die einzige, die noch frei war, nach Namur hinein, und am Abend desselben Tages war auch dieser Zugang versperrt. Im ganzen befanden sich in der Stadt acht Dragonerregimenter Drei Kastelle an der Mandel: Ingelmunster, Meulebeke und Marckeghem; sie wurden am 13. Juli genommen.und einundzwanzig Bataillone, insgesamt über 15 000 Mann.

Dieses große Unternehmen schien unserm Hofe zuerst verwegen, und man schrieb mir von dort, man freue sich darüber, weil es die feindlichen Truppen zugrunde richten müsse und nicht gelingen könne. Ich war jedoch anderer Ansicht und überzeugt, daß ein Mann von dem Scharfsinn des Prinzen von Oranien nicht an eine so wichtige Belagerung gehen würde, ohne zu wissen, wie er sie durchzuführen hätte, soweit eben alle menschliche Klugheit dazu imstande sein kann.

Der Graf d'Albert, ein Stiefbruder des Herzogs von Chevreuse, war, vom König beurlaubt, wegen wichtiger Geschäfte in Paris geblieben. Die Dauphin-Dragoner, deren Oberst er war, befanden sich in Namur; er eilte hin, verkleidete sich in Dinant als Bootsmann, passierte das Lager der Belagernden und gelangte in die Stadt, indem er die Maas durchschwamm.

Unterdessen bedrängte der Marschall von Villeroy Herrn von Vaudémont, so sehr er konnte, und dieser, der weit schwächer war, suchte auf alle Weise auszuweichen. Beide fühlten, daß alles von ihnen abhing: Vaudémont, daß der Erfolg der Belagerung von Namur mit seiner Rettung verknüpft sei, und Villeroy, daß sein Sieg das Los der Niederlande bestimmen und höchstwahrscheinlich einen ehrenvollen Frieden herbeiführen werde. Er traf daher seine Maßregeln so gut, daß er drei feindliche Kastelle an der Mandel, welche von 500 Mann besetzt waren, einnahm, und sich am Abend des 13. Juli so weit näherte, daß dieser ihm am 14. unmöglich entwischen konnte. Er meldete dies auch sogleich dem Könige durch einen Kurier. Am 14. war mit Tagesgrauen alles in Bereitschaft. Der Herzog von Condé befehligte den rechten Flügel, der Herzog von Maine den linken, der Prinz von Conti die Infanterie, der Herzog von Chartres die Kavallerie. Der linke Flügel mußte zuerst losschlagen, weil er dem Feinde am nächsten stand. Vaudémont sah sich ungedeckt und hatte daher nicht gewagt, sich während der Nacht vor einem so nahen und an Zahl und Güte der Truppen so überlegenen Feinde zurückzuziehen. Er wagte aber auch nicht, ihn ohne Deckung zu erwarten, und es blieb ihm nichts übrig, als am Tage mit all der Vorsicht zu marschieren, die ein General anwendet, der darauf rechnet, während seines Marsches angegriffen zu werden, der aber ein großes Interesse daran hat, sich immer weiter zu entfernen, um sich aus einer schlimmen Lage zu ziehen und ein gedeckteres und kupierteres Gelände zu gewinnen, wie es ihm drei gute Meilen weiter zu Gebote stand.

Mit Tagesanbruch sandte der Marschall von Villeroy an den Herzog von Maine den Befehl, anzugreifen und das Gefecht zu beginnen. Er wollte ihn mit seiner ganzen Armee unterstützen; damit diese aber rechtzeitig eintreffen könne, mußte der Feind aufgehalten und durch das Gefecht mit unserem linken Flügel am Abmarsch gehindert werden. Als der Marschall merkte, daß auf seinen Befehl nichts erfolgte, wurde er ungeduldig und schickte aufs neue zum Herzog. Dies wiederholte er fünf- oder sechsmal. Der Herzog wollte zuerst rekognoszieren, dann beichten, dann seinen Flügel in Ordnung bringen, der schon längst gefechtsbereit war und darauf brannte, an den Feind zu kommen. Während all dieser Verzögerungen marschierte Vaudémont so eilig, als die Vorsicht ihm erlaubte. Die Generale unserer Linken murrten. Montrevel, der älteste Generalleutnant Nach dem Bericht Saint-Hilaires, eines Augenzeugen ( Mémoires, tome II, p. 151 seq.), war die Untätigkeit der französischen Armee eine Folge der Befehle Villeroys selbst und war es der Herzog von Maine, der zum Angriff drängte. Vgl. S. 317, Anm. 1 der zitierten französischen Ausgabe der Memoiren Saint-Simons, wo auch eine andere Version angeführt wird, die mit Saint-Simons Erzählung übereinstimmt.unter ihnen, konnte es nicht länger mit ansehen, drängte den Herzog von Maine und machte ihn auf die Dringlichkeit der wiederholten Befehle aufmerksam, die er vom Marschall von Villeroy erhielt, sowie auf den leichten und sicheren Sieg, der zu erwarten war. Er wies ihn darauf hin, wie wichtig der Sieg für seinen Ruhm, für das Mißlingen der Belagerung von Namur wäre und welche reichen Früchte davon zu erwarten seien, da die Niederlande nach der Zersprengung der einzigen Armee, die sich noch verteidigen konnte, ganz entblößt und fassungslos sein würden. Er ergriff seine Hände mit Tränen in den Augen. Nichts wurde verweigert, nichts widerlegt, aber es blieb alles vergebens. Der Herzog stammelte etwas und zögerte so lange, daß die Gelegenheit verpaßt wurde, und Vaudémont infolgedessen der unmittelbar drohenden Gefahr einer vollständigen Niederlage entrann, der er nicht hätte entgehen können, wenn sein Feind, der seine Armee Mann für Mann überzählen konnte, die geringste Angriffsbewegung gemacht hätte.

Unsere ganze Armee war in Verzweiflung; niemand scheute sich zu sagen, was ihm Zorn und Eifer und der klare Augenschein eingaben. Selbst die gemeinen Soldaten zeigten offen ihre Wut; aber alle, Offiziere und Mannschaften, waren mehr empört als überrascht. Der Marschall von Villeroy konnte nichts weiter tun, als der feindlichen Nachhut drei Regimenter Dragoner unter dem Generalmajor Artagnan nachzuschicken, die einige Fahnen erbeuteten und die Nachhut etwas in Unordnung brachten.

Obgleich der Marschall von Villeroy erbitterter war als alle, war er doch ein zu guter Höfling, um die Schuld auf andere zu schieben. Zufrieden mit dem Zeugnis seiner ganzen Armee, die nur zu viel gesehen und begriffen hatte, zufrieden mit den Zeichen des Unwillens, mit denen sie nicht zurückgehalten, schickte er einen seiner Edelleute zum Könige und ließ ihm melden, Vaudémont habe ihm durch die Geschwindigkeit seines Rückzuges die sichere Hoffnung auf den Sieg geraubt, und ohne auf Einzelheiten einzugehen, verbreitete er sich über die Folgen, die daraus für ihn entstehen könnten.

Der König, der schon einen ganzen Tag die Stunden zählte in der Erwartung einer so wichtigen Siegesnachricht, war sehr überrascht, als er nur diesen Edelmann anstatt eines Mannes von Rang sah, und vernahm mit Schmerz, wie ruhig der Tag vergangen war. Der Hof war in Sorge gewesen: der eine um seinen Sohn, die andre um ihren Gatten oder um ihren Bruder und wußte sich nun vor Erstaunen nicht zu fassen; Villeroys Freunde aber waren äußerst verlegen. Eine so allgemeine und so kurze Darstellung eines so bedeutenden und von allen mit Spannung erwarteten Geschehnisses, aus dem nichts geworden war, beunruhigte den König, doch hielt er an sich und erwartete, daß die Zeit die nötige Aufklärung bringen werde. Er trug Sorge, sich alle holländischen Zeitungen vorlesen zu lassen. In der ersten, die erschien, las er von einer großen Aktion auf dem linken Flügel und übertriebene Lobsprüche auf die Tapferkeit des Herzogs von Maine. Seine Wunden hätten den Erfolg der Franzosen verhindert und Herrn von Vaudémont gerettet; der Herzog wäre auf einer Tragbahre weggebracht worden.

Der Spott dieser handgreiflichen Fabelei beleidigte den König, noch größer aber wurde die Kränkung, als die nächste Nummer den Kampf widerrief La Vienne war ursprünglich Damenfriseur; er ist der Erfinder der nach der Marquise von Sévigné genannten Coiffure.und hinzufügte, der Herzog von Maine sei nicht einmal verwundet worden. Alles das, im Verein mit dem Schweigen, das seit jenem Tage geherrscht hatte, und dem so knappen Bericht des Marschalls von Villeroy, der sich nicht einmal zu entschuldigen suchte, erregte beim Könige Argwohn und ließ ihm keine Ruhe.

La Vienne, der sich als Bademeister in Paris großer Beliebtheit erfreut hatte, war in der Zeit, da der König seine Liebschaften pflegte, in dessen Dienste getreten. Durch Mittel, die den König mehrmals instand gesetzt hatten, sich größere Befriedigung zu verschaffen, hatte er sich sein Wohlwollen erworben, und auf diesem Wege war er schließlich dahin gelangt, einer der vier Kammerdiener zu werden. Er war ein sehr ehrenwerter, aber bäurischer und grober Mann, der kein Blatt vor den Mund nahm; und sein Freimut und seine Wahrheitsliebe hatten den König daran gewöhnt, ihn nach allem zu fragen, was er von andern nie in Erfahrung gebracht hätte, sofern es Dinge waren, die seinen Horizont nicht überstiegen.

Erst bei Gelegenheit einer Reise nach Marly forschte der König den Bademeister in der Angelegenheit aus, die ihn so lebhaft beunruhigte. La Vienne wurde sichtlich verlegen, denn er hatte in der Überraschung nicht Geistesgegenwart genug, es zu verbergen. Diese Verlegenheit verdoppelte die Neugier des Königs, er drang in den Bademeister, und schließlich befahl er ihm, Rede zu stehen. La Vienne wagte nicht länger zu widerstehen und teilte dem Könige mit, was dieser gerne sein ganzes Leben lang nicht erfahren hätte, und was ihn in Verzweiflung brachte.

Aus welchem Grunde hatte er sich denn so sehr den Kopf zerbrochen, so sehr danach gestrebt, den Herzog von Vendôme an die Spitze einer Armee zu stellen, und warum hatte er sich so gefreut, als es ihm gelungen war? Doch nur, um den Herzog von Maine an diese Stelle zu bringen. Sein ganzes Streben war darauf gerichtet, ihm den Weg dazu abzukürzen, indem er sich die Konkurrenz unter den Prinzen von Geblüt zunutze machte, um sie auszuschalten. Da der Graf von Toulouse Admiral war, so brauchte für seine Laufbahn nichts weiter zu geschehen. Alle seine Sorge galt also dem Herzog von Maine. Und plötzlich sah er alles scheitern, und der Schmerz darüber war ihm unerträglich. Er fühlte, wie der Anblick seiner Armee auf diesem geliebten Sohne lasten, wie der Spott des Auslands, den er aus den Zeitungen erfuhr, ihn niederdrücken müsse, und sein Verdruß darüber war unbeschreiblich.

Der äußerlich sonst so gleichmäßige Fürst, der selbst bei den schmerzlichsten Ereignissen Herr über seine geringsten Bewegungen war, unterlag bei dieser Gelegenheit zum erstenmal. Als er in Marly mit allen Damen und in Gegenwart aller Höflinge von der Tafel aufstand, gewahrte er einen Diener, der beim Abdecken der Früchte ein Biskuit in die Tasche steckte. In diesem Augenblick vergaß er ganz seine Würde, und mit dem Stocke in der Hand, den man ihm soeben mit seinem Hute überreicht hatte, lief er auf den Diener zu, der ebensowenig wie die Umstehenden, durch die sich der König hindurchdrängte, die geringste Ahnung hatte, schlug und schimpfte auf ihn ein und zerbrach den Stock auf seinem Rücken; freilich war es nur ein Rohr und leistete wenig Widerstand. Mit dem Stumpfe in der Hand und der Miene eines Menschen, der die Herrschaft über sich verloren hat, durchquerte er, beständig auf den Diener schimpfend, der schon weit vom Schuß war, den kleinen Saal und ein Vorzimmer und trat bei Frau von Maintenon ein. Dort blieb er beinahe eine Stunde, wie er in Marly nach der Mittagstafel oft zu tun pflegte. Als er wieder fortging, um in seine Gemächer zurückzukehren, fiel sein Blick auf den Pater de la Chaise. Kaum bemerkte er ihn unter den Höflingen, als er ganz laut zu ihm sagte: »Mein Vater, ich habe zwar einen Schelm geprügelt und mein Rohr auf seinem Rücken zerschlagen, aber ich glaube Gott nicht beleidigt zu haben«, und erzählte ihm das angebliche Verbrechen. Alle Anwesenden zitterten noch über das, was sie gesehen oder gehört hatten; ihr Schrecken verdoppelte sich bei dieser Wiederholung. Die Vertrautesten murmelten etwas gegen den Diener, und der arme Pater tat so, als billige er das Verfahren des Königs, um ihn angesichts so vieler Leute nicht noch mehr zu reizen.

Man kann sich denken, daß dieser Vorfall das Tagesgespräch bildete und welchen Schrecken er einflößte, weil damals noch niemand die wahre Ursache ahnte, und jeder doch ohne weiteres begriff, daß etwas anderes dahinterstecken mußte. Endlich kam aber doch alles an den Tag: nach und nach, und von einem Freunde zum andern verbreitete sich die Kunde, daß La Vienne, vom König gezwungen, Farbe zu bekennen, die Ursache des so ungewöhnlichen und unpassenden Auftritts gewesen war.

Bei dieser Gelegenheit will ich ein Wort des Herzogs von Elbeuf anführen. Der hohe Flug, den die illegitimen Söhne des Königs genommen hatten, wurmte ihn sehr. Als der Feldzug sich seinem Ende zuneigte und die Prinzen sich zur Abreise anschickten, bat er, ein so guter Höfling er sonst auch war, den Herzog von Maine vor aller Welt, ihm doch zu sagen, wo er beim nächsten Dixmuiden wurde am 27. Juli genommen; die Garnison belief sich auf 6000 Mann; Deynze am 29. Juli mit 2400 Mann. Diese Garnisonen wurden in das Innere Frankreichs geschafft.Feldzuge dienen wolle; denn dort wolle er mit ihm dienen, wo es auch sei. Und nachdem man in ihn gedrungen war, doch den Grund zu sagen, antwortete er: »weil man bei ihm seines Lebens sicher ist.« Dieser empfindliche Hieb erregte viel Aufsehen. Der Herzog von Maine blickte zu Boden und wagte kein Wort der Erwiderung. Daß er ihm diese Bloßstellung nicht vergaß, ist sicher; aber Herr von Elbeuf, der durch sich selbst und durch die Seinigen sehr gut mit dem Könige stand, war in der Lage, daß er sich darüber keine Sorgen zu machen brauchte. Je tiefer der König über die niederländische Affäre verstimmt war, die so starken Einfluß auf seine Angelegenheiten hatte, aber durch das persönliche Element für ihn noch weit empfindlicher wurde, desto mehr Dank wußte er dem Marschall von Villeroy, für den ganz besonders Frau von Maintenons Freundschaft wuchs.

 

Die bittere Frucht jenes Vorfalls in Flandern war die Einnahme der Stadt Namur, die nach 24tägiger Belagerung am 4. August kapitulierte. Der Prinz von Oranien trat, um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die der Umstand mit sich brachte, daß der König ihn nicht (als König von England) anerkannte, nirgends in die Erscheinung, infolgedessen hielt sich auch der Marschall von Boufflers im Hintergrunde, und alles ging unter ihrer Leitung nahezu so, wie der letztere es wünschte, zwischen dem Kurfürsten von Bayern und Guiscard vor sich, die auch die Kapitulation unterzeichneten.

Wir verloren im ganzen kaum zwölfhundert Mann; was gesund war, zog sich ins Schloß zurück.

Montal hatte unterdessen Dixmuiden und Deynze genommen und, auf Befehl des Königs, die Garnisonen Brüssel wurde am 15. August mit 5000 Bomben und 1200 boulets rouges bombardiert; mehr als 2500 Häuser und 13 kirchliche Gebäude wurden verbrannt, 5-600 Menschen getötet. Der König wagte an diesem Tage nicht zu kommunizieren, obgleich er diese Repressalie als rechtmäßig ansah.
Das Schloß von Namur wurde 67 Tage belagert. Am 30. August hatten die Belagerer bei einem Sturm 6000 Mann, am 31. 9000 Mann an Toten und Verwundeten verloren, während die Belagerten am 31. August 3000 Mann einbüßten. Die Kapitulation wurde am 2. September unterzeichnet, und das Schloß am 3. übergeben.
zurückbehalten. Der Marschall von Villeroy bombardierte auch Brüssel, das sehr schlecht behandelt wurde. Darauf erhielt er Befehl, alles daran zu setzen, um dem Schlosse von Namur zu Hilfe zu kommen; aber die versäumte Gelegenheit kehrt nicht wieder. Er fand die Feinde so gut an der Mehaigne verschanzt, daß er sie nicht angreifen konnte. An Entsatz war nicht zu denken. Die Armee entfernte sich, und das Kastell kapitulierte, nachdem es beinahe bei den letzten beiden Sturmangriffen erobert worden wäre, auf Abzug für den 5. September. Von der ganzen Garnison waren keine dreitausend Mann gesund. Die Erzbischöfe von Cambray waren seit 1594 Herzöge. Ihre Einkünfte beliefen sich auf ungefähr 100 000 livres. Ludwig XIV. erlangte von Papst Innozenz XII. einen speziellen Erlaubnisbrief für die Ernennung Fénelons als Nachfolger des Erzbischofs Bryas. – Cambray wurde am 5. April 1677 genommen, die Zitadelle am 17.


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