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IV

Der Tod des alten Herzogs von Saint-Simon. Einzelheiten aus seinem Leben. Sein Verhältnis zu Ludwig XIII. Richelieu. Tod Ludwigs XIII. Saint-Simons Schwester.

 

Am 3. Mai (1693) gegen zehn Uhr abends hatte ich das Unglück, meinen Vater zu verlieren. Er war 87 Jahre alt und hatte sich nie recht von einer schweren Krankheit erholt, die ihn zwei Jahre zuvor in Blaye befallen hatte. Seit drei Wochen litt er ein wenig an Gicht. Meine Mutter, die sein hohes Alter sah, schlug ihm vor, seine häuslichen Angelegenheiten zu ordnen, was er als guter Vater tat, und sie war auch darauf bedacht, daß er seine Herzogs- und Pairswürde auf mich übertragen lasse. Er hatte mit Freunden zu Mittag gespeist, wie er denn immer Tischgäste hatte, und gegen Abend legte er sich, ohne sich irgendwie unwohl zu fühlen, zu Bett, und während man ihn unterhielt, stieß er plötzlich drei heftige Seufzer hintereinander aus. Er war tot, fast ehe man hatte rufen können, daß er sich schlecht befände – es war kein Öl mehr auf der Lampe!

Ich erfuhr die traurige Kunde, als ich vom Coucher des Königs kam, der ein Abführmittel für den folgenden Tag genommen hatte. Die Nacht überließ ich den gerechten Gefühlen der Natur. Am andern Tage suchte ich in aller Frühe Bontemps und dann den Herzog von Beauvillier auf, der dieses Jahr als erster Kammerherr beim König Dienst hatte und dessen Vater ein Freund Die Maison de Saint-Lazare in Faubourg Saint-Denis war ein großes Gebäude, das ursprünglich zu einem Leprosenheim bestimmt war, dann für Irrsinnige aus guten Familien und jugendliche Taugenichtse verwandt wurde. 1632 kam es unter die Leitung des Herrn Vincent, der den Gläubigen unter dem Namen St. Vincent de Paul bekannt ist, und der Priester der Mission, die es zum Sitz ihrer Kongregation machten. Die frommen Leute zogen sich dorthin zeitweise zu Andachtsübungen zurück, wie in das Oratoire, nach La Trappe, nach Val-de-Grace, zu den Karmelitern usw. Von 1635-60 war die Zahl der Laien, die aus dieser kostenlosen Gastfreundschaft Nutzen gezogen hatten, auf gegen 20 000 gestiegen, wie man sagt.des meinigen gewesen war. Herr von Beauvillier erwies mir tausend Gefälligkeiten bei den Prinzen, deren Hofmeister er war, und versprach mir, beim Könige alle Statthalterschaften meines Vaters für mich zu erbitten, wenn er ihm den Bettvorhang öffnete. Er erhielt sie sofort. Bontemps, der sehr anhänglich an meinen Vater war, kam zur Tribüne, wo ich wartete, gelaufen, um es mir zu sagen; dann erschien Herr von Beauvillier selbst und sagte mir, ich möchte mich um drei Uhr in der Galerie einfinden, er würde mich dort nach der Mittagstafel des Königs rufen und durch die Kabinette eintreten lassen.

Ich fand sein Schlafgemach schon von der Menge verlassen. Sobald der Herzog von Orléans, der am Kopfende des königlichen Bettes stand, mich gewahrte, sagte er ganz laut: »Ah, da ist ja der Herzog von Saint-Simon!« Ich näherte mich dem Bette und stattete durch eine tiefe Verbeugung meinen Dank ab. Der König fragte mich angelegentlich, wie das Unglück sich zugetragen hätte und gab viel Wohlwollen für meinen Vater und mich zu erkennen: er verstand es, seine Gnaden zu würzen. Er kam darauf zu sprechen, daß mein Vater nicht mehr die letzte Ölung hatte empfangen können; ich erwiderte ihm, er hätte sich vor ganz kurzer Zeit auf mehrere Tage nach Saint-Lazare zurückgezogen gehabt, wo er bei seinem Beichtvater gebeichtet und das Abendmahl genommen habe, und fügte noch ein Wort über seinen frommen Lebenswandel hinzu. Die Unterredung dauerte ziemlich lange, und der König endigte sie, indem er mich ermahnte, verständig zu sein und mich wacker zu halten, er würde für mich sorgen.

Während mein Vater in Blaye krank lag, gingen mehrere Personen den König um die Statthalterschaft von » Mein Großvater«, Louis de Rouvroy Saint-Simon, Herr von Plessis-Choisel, von Ivillers, Rasse, Vaux etc. geboren um 1568, gestorben 1643.Blaye an, unter ihnen d'Aubigné, der Bruder Frau von Maintenons. Er antwortete ihm aber schroffer als es seine Gewohnheit war: »Hat er etwa keinen Sohn?« Obgleich der König beschlossen hatte, keine Expektanzen mehr zu gewähren, hatte er sich in der Tat meinem Vater gegenüber immer geäußert, daß er mir seinen Statthalterposten bestimme. Der Prinz von Condé buhlte stark um den von Senlis, den mein Oheim innehatte, und als dieser starb, bat er den König darum; der König aber gab ihn meinem Vater, und ich erhielt ihn gleichzeitig mit dem von Blaye.

 

Vornehme Geburt und Vermögen gehen nicht immer Hand in Hand. Verschiedene Kriegs- und Familienereignisse hatten unsere Linie ruiniert und meinen letzten Vorfahren wenig Vermögen und Glanz für ihre militärischen Dienste gelassen. Mein Großvater, der alle Kriege seiner Zeit mitgemacht hatte und stets ein leidenschaftlicher Royalist gewesen war, hatte sich auf seine Besitzungen zurückgezogen. Sein geringer Wohlstand nötigte ihn, die Mode der Zeit mitzumachen und seine beiden ältesten Söhne Pagen bei Ludwig XIII. werden zu lassen, was damals die Leute mit den größten Namen taten.

Der König war ein leidenschaftlicher Verehrer der Jagd, doch im ungebahnten Forst und ohne diese Unzahl von Hunden, Pikören, Vorspann und andern Bequemlichkeiten, die sein Sohn eingeführt hat. Mein Vater, der die Ungeduld des Königs beim Pferdewechsel bemerkte, kam auf den Gedanken, das Pferd, das er ihm vorführte, nicht Schnauze an Schnauze, sondern Schnauze an Schwanz mit dem zu stellen, das der König verließ. Auf diese Weise konnte sich der König, der sehr Baradat fiel am 2. Dezember 1626 in Ungnade. – » Sprichwort von den drei Plätzen« usw. Der Pont Neuf war 1578 begonnen und 1604 vollendet worden; das Denkmal Heinrichs IV. wurde erst 1635 vollendet. Die unter Heinrich IV. begonnene Place Royale erhielt das Denkmal Ludwigs XIII. 1639. Die Place des Victoires, nach den Eroberungen Ludwigs XIV. so genannt, wurde von dem Herzog de la Feuillade begonnen, der dort 1686 das Denkmal des Königs errichtete, das Girardon geschaffen hatte. Die Häuser, die dort nach und nach entstanden, wurden fast alle für reich gewordene Finanzpächter, für die Crozat, Luillier, Bourvallais usw. gebaut.gewandt war, von einem Pferde auf das andere schwingen, und der Wechsel war im Nu vollzogen. Dies gefiel ihm: er verlangte immer denselben Pagen zu seinem Pferdewechsel, zog Erkundigungen über ihn ein und gewann ihn allmählich lieb. Als Baradat, sein erster Stallmeister, sich beim Könige durch sein hochmütiges Wesen und seine Arroganz unerträglich gemacht hatte, jagte er ihn davon und übertrug sein Amt meinem Vater. Nach dem Tode Blainvilles, der Ritter vom Heiliggeistorden und Gesandter in England gewesen war, wurde er auch erster Kammerherr des Königs.

So erwarb mein Vater ohne eine andere Protektion als die Zuneigung des Königs dessen volle Gunst, und er rechnete niemals mit irgendeinem Minister, nicht einmal mit dem Kardinal von Richelieu, und dadurch hatte er bei Ludwig XIII. einen großen Stein im Brett. Mein Vater hat mir erzählt, daß der König, bevor er ihn zu dieser Stellung erhob, sich unter der Hand auf das genaueste über seine Persönlichkeit und seine Herkunft erkundigt habe, um zu sehen, ob dieses Fundament würdig sei, einen solchen Stand zu tragen und nicht etwa eines schönen Tages zusammenstürze. Dieses waren seine eigenen Worte, als er es meinem Vater erzählte, nachdem er sich in dem Herzog von Luynes getäuscht hatte. Er liebte die Leute aus vornehmer Familie, trachtete sie kennen zu lernen und auszuzeichnen. Diese seine Neigung ist auch in dem Sprichwort von den drei Plätzen und drei Standbildern von Paris verewigt worden: Heinrich IV. mit seinem Volk auf dem Pont Neuf, Ludwig XIII. mit den Vornehmen auf der Place Royale, die zu seiner Zeit der Mittelpunkt des vornehmen Stadtteils war, und Ludwig XIV. mit den Steuereintreibern auf der Place des Victoires. Der Vendômeplatz, der weit später geschaffen wurde, gab letzterem kaum bessere Gesellschaft.

 

Mein Vater begnügte sich nicht damit, den König auf allen seinen Kriegszügen zu begleiten: er hatte auch mehrmals den Oberbefehl über die Kavallerie bei den Armeen und den Oberbefehl über den Heerbann des Königreichs. Letzterer bestand aus 5000 Edelleuten, und er überredete sie, auch außerhalb der Grenzen des Königreichs zu fechten. Seine Tapferkeit und sein Verhalten erwarben ihm im Kriege großes Ansehen und die vertraute Freundschaft des Marschalls de la Meilleraye und des berühmten Herzogs von Weimar. Ich kann wohl sagen, ohne befürchten zu müssen, von irgendeinem der Autoren jener Zeit Lügen gestraft zu werden, daß die Gunst, die er genoß, keinen Neid erweckte, daß er stets bescheiden und im höchsten Grade uneigennützig war, daß er niemals etwas für sich verlangte und daß er der gefälligste, wohltätigste und großmütigste Mann war, der bei Hofe aufgetreten ist, wo er den Grund zu gar mancher glänzenden Laufbahn legte, die Unglücklichen unterstützte und viele Wohltaten veranlaßte.

Die Verurteilung des Herzogs von Montmorency hätte ihm beinahe seine eigene zugezogen, weil er mit allzuviel Beharrlichkeit und Wärme für ihn um Gnade gebeten hatte. Das erregte solches Aufsehen, daß selbst dieser berühmte Schuldige davon Kunde erhielt, der stets zu seinen Freunden gehört hatte. Als er mit dem Mute und der Frömmigkeit, die ihm soviel Bewunderung verschafft haben, zum Schafott ging, verschenkte er zwei höchst wertvolle aber sehr verschiedene Bilder von demselben Meister, die einzigen, die in Frankreich » Ein heiliger Sebastian«, dieses Gemälde von der Hand Annibale Carraccis (1560-1600) kam später in die Sammlung Ludwigs XIV. und befindet sich jetzt mit fünfundzwanzig anderen Bildern desselben Meisters im Louvre. Die Pomona wird in dem nach Saint-Simons Tode errichteten Inventar auf 1000 Livres veranschlagt und als » Original de Melzius Milanois ou de Léonard de Vinci« (!) bezeichnet. Dieses Inventar erwähnt auch ein Tizian zugeschriebenes Bildnis des Connétable von Montmorency. – Der » Tag der Enttäuschten« oder der » Tag der Angeführten« ( la journée des Dupes), an dem die Feinde des Kardinals Richelieu in ihren Hoffnungen getäuscht wurden, ist der 11. November 1630. – Die » Königin-Mutter«: Maria von Medici. (Siehe Namenregister.)von ihm vorhanden waren: einen von Pfeilen durchbohrten heiligen Sebastian, dem Kardinal von Richelieu, und eine Pomona mit Vertumnus (es war die schönste und entzückendste Pomona, die man sehen kann) in Lebensgröße, meinem Vater. Ich besitze das Gemälde noch und bewahre es sehr sorgfältig.

Ich würde zu weitschweifig werden, wenn ich all das erzählen wollte, was ich von meinem Vater erfahren habe. Ich will mich mit einigem wenigem begnügen, was von allgemeinem Interesse ist, mich aber nicht bei dem berühmten Tag der Enttäuschten aufhalten, wo er das Schicksal des Kardinals von Richelieu in der Hand hatte, weil ich jene Vorgänge genau so, wie mein Vater sie mir geschildert hat, bei … gefunden habe. Er hielt ihn, nicht etwa, weil er dem Kardinal irgendwie ergeben gewesen wäre, sondern weil er infolge der Gesinnung der Königin-Mutter und der großen Zahl von Leuten, die durch sie zu regieren trachteten, einen Abgrund geöffnet sah. Auch hielt er es angesichts der Erfolge, die der Erste Minister gehabt hatte, für sehr gefährlich, bei der Krise, in der sich der Staat damals in seinen äußeren Angelegenheiten befand, einen Wechsel in der obersten Leitung eintreten zu lassen. Diese Gesichtspunkte allein waren für ihn maßgebend. Man kann sich leicht denken, daß der Kardinal ihm dafür ganz außerordentlich dankbar war, und das um so mehr, als kein Band zwischen ihnen existierte. Ungewöhnlicher aber ist, daß, wenn es auf den Kardinal im geheimen drückte, daß er sich in den Händen meines Vaters gesehen hatte und ihm die Befestigung seiner Stellung und seiner Macht, sowie den Triumph über seine Feinde verdankte, er die Kraft hatte, es so gut zu verbergen und sich nie das geringste merken ließ, während andererseits Corbie wurde am 16. August 1636 von den Kaiserlichen und den Spaniern genommen. Vgl. zu der folgenden Schilderung die Mémoires du cardinal de Richelieu, Bd. III, S. 70 ff. und Voiture, Oeuvres Bd. I, S. 277. – Die Abreise des Königs fand am 16. August statt.mein Vater ihm keine größere Ergebenheit bewies. Nur das geschah, daß dieser Premierminister, der über die Maßen argwöhnisch war und nach jenem unzweideutigen und uneigennützigen Beweise in meinen Vater das vollste Vertrauen setzte, seitdem zu ihm kam, wenn er einen Verdacht gefaßt hatte. Es ist häufig vorgekommen, daß mein Vater mitten in der Nacht durch einen Kammerdiener, der seinen Bettvorhang aufzog und eine brennende Kerze in der Hand hielt, plötzlich aufgeweckt wurde, und den Kardinal von Richelieu hinter ihm stehen sah. Dieser nahm dann die Kerze, setzte sich auf den Rand des Bettes und bat meinen Vater um Rat und Hilfe, wenn man ihm eine Warnung hatte zukommen lassen, oder wenn er mit dem König Streit gehabt. Zuweilen rief er auch, er sei verloren.

Nicht mit Stillschweigen übergehen kann ich, was mein Vater mir von der Bestürzung erzählte, die Paris und den Hof ergriff, als die Spanier Corbie nahmen, nachdem sie sich der ganzen Grenze bis dorthin und des ganzen Landes bis Compiègne bemächtigt hatten.

In dem Rate, der daraufhin abgehalten wurde, sprach der Kardinal von Richelieu zuerst. Er stimmte für Maßnahmen der Schwäche und wünschte vor allem, daß der König sich auf die andere Seite der Seine zurückziehe. Er war überzeugt, damit der Meinung aller, die im Rate zugegen waren, Ausdruck zu leihen und hatte sich nicht verrechnet. Der König ließ sie alle reden, ohne Ungeduld oder Widerwillen zu erkennen zu geben, und dann fragte er sie, ob sie nichts weiter hinzuzufügen hätten. Als sie verneint hatten, erklärte er, es sei nunmehr an ihm, ihnen seine Ansicht auseinanderzusetzen. Er sprach eine gute Viertelstunde, wies ihre Meinung mit den stärksten Gründen zurück, machte geltend, daß La Rochelle ergab sich am 28. Oktober 1628 nach einer Belagerung von vierzehn Monaten. Der Gedanke des Deiches, der La Rochelle vor den Handstreichen der Engländer schützen sollte, stammte von dem Architekten Métezeau und dem Unternehmer Tiriot; er wurde im Frühjahr 1628 ausgeführt.sein Rückzug die Verwirrung nur vergrößern, die Flucht beschleunigen, alle Börsen schließen, alle Hoffnung vernichten, seine Truppen und seine Generäle entmutigen würde. Hierauf entwickelte er während einer anderen Viertelstunde den Plan, der seiner Überzeugung nach befolgt werden müsse, wandte sich dann sofort, ohne die Versammelten sich weiter äußern zu lassen, zu meinem Vater und befahl ihm, daß alles, was von seinen Offizieren bereit sein könne, ihm am andern Tage nach Corbie folgen und der Rest nachkommen solle, wann er bereit sei. Nachdem er dieses in einem Ton gesagt hatte, der keine Entgegnung zuließ, erhob er sich, verließ den Rat und ließ den Kardinal und alle andern äußerst betreten zurück. Man kann aus der Geschichte und den Memoiren jener Zeit ersehen, daß dieser kühne Entschluß das Heil des Staates bedeutete, und welche Erfolge er zeitigte. Ein so großer Mann der Kardinal auch war, so zitterte er doch, bis die ersten glücklichen Anzeichen ihn ermutigten, dem Könige nachzufolgen. Da hätten wir also eine Probe von diesem »schwachen« König, der von seinem Premierminister »beherrscht« wurde, von seinem Minister, dem die Musen und die Schriftsteller einen großen Teil der Ruhmestaten zugeschrieben, die sie seinem Herrn geraubt haben, wie z. B. die Hartnäckigkeit und all die Arbeiten bei der Belagerung von La Rochelle und den Gedanken und unerhörten Erfolg seines so berühmten Deiches, Dinge, die einzig und allein dem verstorbenen Könige zu verdanken waren.

Ludwig XIII.

Wenn der König meinen Vater auch sehr liebte, so konnte er ihn doch auch tadeln. Mein Vater erzählte mir davon zwei Beispiele. Der Herzog von Bellegarde, Oberstallmeister und Erster Kammerherr, war verbannt. Mein Vater war mit ihm befreundet und ebenfalls Erster Kammerherr und Oberstallmeister und stand beim König in höchster Gunst. Dieser letztere Grund und seine Ämter verlangten einen großen Eifer, und so setzte er sich, weil er sonst keine Muße fand, hin und schrieb an den Herzog, während er darauf wartete, daß der König zur Jagd aufbreche. Als er gerade mit seinem Brief fertig war, trat der König aus seinem Kabinett und bemerkte, wie er sich hastig erhob und ein Papier versteckte. Ludwig XIII., der von seinen Günstlingen mehr noch als von allen andern alles wissen wollte, fragte ihn, was das für ein Papier wäre, das er nicht sehen solle. Mein Vater geriet in Verlegenheit, sah, daß er keine Wahl hatte und gestand, es seien einige Zeilen, die er an den Herzog von Bellegarde geschrieben habe. »Ich will sie sehen!« erklärte der König, nahm das Papier und las es. »Ich finde es nicht schlimm,« sagte er, als er fertig war, zu meinem Vater, »daß Ihr an Euern Freund geschrieben habt, obwohl er in Ungnade ist, denn ich bin vollkommen überzeugt, daß Ihr ihm nichts Ungehöriges schreibt; sehr schlimm finde ich aber, daß Ihr ihm den Respekt versagt, den Ihr einem Herzog und Pair schuldet und ihm, weil er verbannt ist, den Titel Monseigneur vorenthaltet.« Mit diesen Worten zerriß er den Brief in zwei Stücke und sagte: »Da habt Ihr Euern Brief! er ist im übrigen gut, schreibt ihn nach der Jagd noch einmal und gebt dem Herzog die Anrede, die Ihr ihm schuldig seid.« Mein Vater hat mir erzählt, obwohl er sich über diesen Tadel, den er in Gegenwart Anderer erhielt, sehr geschämt habe, sei er doch froh gewesen, so leichten Kaufs davongekommen zu sein, habe er doch etwas viel Schlimmeres befürchtet, da er an einen Mann geschrieben, der in tiefster Ungnade Die » Königin«: Anna von Österreich. (Siehe Namenregister.)war und die Gunst des Königs nie wieder erlangen konnte.

Der zweite Tadel betraf einen andern Gegenstand und war ernsthafter. Der König war heftig in Fräulein von Hautefort verliebt. Er ging um ihretwillen häufiger zur Königin und unterhielt sich dann immer mit ihr. Er sprach meinem Vater beständig von ihr, und diesem entging es nicht, wie tief ihm diese Leidenschaft saß. Mein Vater war jung und galant und begriff nicht, daß ein König so verliebt sein könne, so wenig fähig, es zu verbergen, dabei aber doch nicht weiter ginge. Er hielt es für Schüchternheit, und das bewog ihn eines Tages, als der König ihm leidenschaftlich von diesem Mädchen sprach, seiner Überraschung Ausdruck zu verleihen und sich ihm mit der Versicherung, die Sache bald ins reine zu bringen, als Gesandten anzubieten. Der König ließ ihn ausreden, dann aber sagte er mit ernster Miene: »Es ist wahr, daß ich in sie verliebt bin, daß ich sie aufsuche, daß ich gerne von ihr spreche und daß ich noch mehr an sie denke; es ist ferner wahr, daß all das gegen meinen Willen in mir vorgeht, weil ich ein Mensch bin und diese Schwäche habe; aber je leichter meine Eigenschaft als König es mir macht, mein Verlangen zu befriedigen, desto mehr muß ich vor der Sünde und dem Ärgernis auf der Hut sein. Ich verzeihe für diesmal Eurer Jugend, laßt Euch aber nie wieder einfallen, dergleichen Reden zu führen, wenn Ihr wollt, daß ich Euch noch weiter gewogen sein soll.« Das war für meinen Vater ein Donnerschlag; die Schuppen fielen ihm von den Augen: der Gedanke der Schüchternheit des Königs in seiner Liebe wich bei dem Glanze einer so reinen und so triumphierenden Tugend. Der » Herzog von Enghien« ist Louis II. von Bourbon, genannt der »Große Condé«. – Der » Prinz von Condé« ( Monsieur le Prince) ist Heinrich II. von Bourbon.

Mein Vater hatte Glück mit mehreren seiner verschiedenartigen Diener, indem sie es besonders weit brachten. Tourville, einer seiner Edelleute, und zwar derjenige, durch den er am »Tage der Enttäuschten« dem Kardinal von Richelieu sagen ließ, er möge auf sein Wort noch am selben Abend den König in Versailles aufsuchen, war ein sehr kluger und verdienter Mann. Als der Kardinal von Richelieu seine Nichte an den berühmten Herzog von Enghien verheiratete, bat ihn der Prinz von Condé um einen tapferen und vertrauenswürdigen Edelmann, den er seinem Sohne beigeben könnte. Er gab ihm Tourville, der bei ihm sein Glück machte, noch weit mehr aber sein Sohn, da er nach dem Zeugnis der Engländer und Holländer der größte Seeheld seiner Zeit war. Er besuchte, sooft er nach Paris kam, meinen Vater fleißig und mit einem Respekt, der ihm Ehre machte. Ich erinnere mich, wie erfreut mein Vater war, als er Marschall von Frankreich wurde, und wie er ihn umarmte.

Er hatte auch zwei Hauschirurgen, die berühmt und reich wurden: Bienaise, durch die Erfindung der Operation des Pulsaderkropfs; Arnaud durch die des Bruchs. Bei dieser Gelegenheit kann ich mir nicht versagen, eine kleine Geschichte von letzterem zu erzählen. Während er noch bei meinem Vater weilte und in seiner Kunst bereits zu Ansehen gekommen war, kam ein junger sehr liederlicher Abbé zu ihm und zeigte ihm einen Bruch, der ihn bei seinen Vergnügungen nicht wenig störte. Arnaud ließ ihn sich auf einem Ruhebett ausstrecken, um ihn zu untersuchen, dann erklärte er ihm, die Operation sei so dringend notwendig, daß kein Augenblick zu verlieren sei und er dazu nicht einmal mehr nach Hause zurückkehren dürfe. Der Abbé, der weit entfernt gewesen war, etwas derartiges zu ahnen, wollte die Operation hinausschieben; aber Arnaud blieb fest und versprach ihm, aufs beste für ihn zu sorgen. Alsbald ließ er ihn durch seine Gehilfen festhalten, und neben der Bruchoperation vollzog er an ihm auch noch eine andere, die in Italien an den Knaben, von denen man eine schöne Stimme erwartet, nur zu oft vorgenommen wird. Mein Abbé gerät außer sich, flucht, wütet, droht. Arnaud aber erklärt ihm mit der größten Ruhe, wenn er augenblicklich sterben wolle, brauche er nur so weiter zu toben, wolle er aber gesund werden und am Leben bleiben, so müsse er sich vor allen Dingen beruhigen und ganz stillhalten. Er wurde gesund und wollte Arnaud umbringen, der sich aber wohl in acht nahm. Mit dem Venusdienst des armen Abbé war es nun vorbei.

Zwei von den vier Kammerdienern des Königs verdankten meinem Vater ihr Glück: Bontemps, Gouverneur von Versailles und der bevorzugteste von diesen Vieren, hat es nie vergessen; der Sohn von Nyert, des zweiten, aber war weit davon entfernt, sich dessen zu erinnern.

Der Vater von Bontemps ließ in Paris zur Ader und hatte meinen Vater sehr gut zur Ader gelassen; Ludwig XIII. hatte einige Zeit darauf einen Aderlaß nötig und kein Vertrauen in seinen ersten Chirurgen, dessen Hand schwer geworden war. Mein Vater brachte ihm Bontemps, der den König auch weiterhin zur Ader ließ und den mein Vater zum ersten Kammerdiener machte.

Nyerts Vater hatte eine hübsche Stimme, er war ein guter Musiker und ein vortrefflicher Lautenspieler. Der Marquis von Mortemart, erster Kammerherr des Königs, der 1663 Herzog und Pair wurde, hatte ihn zu sich genommen und nahm ihn mit auf die Reise nach Die » Reise nach Lyon und Savoyen« fand im Januar 1629 statt. – Die Verlesung der letzten Bestimmungen Ludwigs XIII. fand am 20. April 1643 statt. Die Regentschaft wurde Anna von Österreich übertragen, doch unter einem Rate, an dem sie nichts ändern konnte. Dieser bestand aus dem Herzog Gaston von Orléans, dem Prinzen von Condé (Heinrich II.), dem Kardinal Mazarin und dem Oberintendanten der Finanzen Bouthillier und seinem Sohne Chavigny. Alsbald nach dem Tode des Königs (14. Mai) wurden die Bestimmungen der königlichen Erklärung an dem großen Gerichtstag vom 18. Mai modifiziert und Anna von Österreich die volle Gewalt übertragen. – Der Großstallmeister, dem der große und der kleine Marstall unterstand, trug bei den großen Empfängen und bei den Leichenbegängnissen das königliche Schwert. Sein Amt war eines der sieben großen Kronämter. Beim Ableben des Königs fiel ihm der ganze Inhalt der Marställe samt allen Pferden zu. – Cinq-Mars hatte den König verraten und mit Spanien einen Vertrag geschlossen. Er wurde am 12. September 1642 zu Lyon mit seinem Freunde de Thou enthauptet. (Vgl. Register.)Lyon und Savoyen, wo mein Vater ihn mehrmals bei Herrn von Mortemart hörte.

 

Man weiß, durch welchen Mut, welche echte Frömmigkeit, welche Verachtung der Welt und aller ihrer Herrlichkeiten, die ihm alle zu Gebote standen, welche Gegenwart und Freiheit des Geistes der König alle in Erstaunen setzte, die Zeugen seiner letzten Tage waren, und mit welcher Weisheit er Bestimmungen für die Verwaltung des Staates nach seinem Hinscheiden traf, wie er alle seine Anordnungen vor allen Prinzen von Geblüt, vor den Großen, den Offizieren der Krone und den Deputierten des Parlaments, die eigens in sein Schlafgemach abgeordnet worden waren, in Gegenwart seines Rates verlesen ließ. Er kannte den Geist der Personen, die sich nach ihm notwendigerweise am Staatssteuer sehen würden, zu gut, als daß er ihnen mehr überlassen hätte als die Entscheidung über diejenigen Angelegenheiten, über die er vor seinem Tode keine Bestimmung treffen konnte. Er diktierte Chavigny also ein langes Schriftstück über die wichtigsten seiner letzten Willensäußerungen und besetzte alle erledigten Ämter.

Seit dem traurigen Tode von Cinq-Mars gab es keinen Großstallmeister mehr; dieses schöne Amt wurde meinem Vater übertragen: das Schriftstück, das der König Chavigny diktiert hatte, wurde ganz laut vor der Versammlung verlesen, wie es mit den Bestimmungen, die den Staat betrafen, geschehen war, aber nicht vor derselben Anzahl von Zeugen, noch mit denselben Zeremonien. Alles, was der König bezüglich seines Leichenbegängnisses verbieten konnte, verbot er ausdrücklich, und da er seinen Blick oft nach Saint-Denis schweifen Der Herzog von Longueville, Henri II. von Orléans, Prinz von Neufchâtel, heiratete 1642 Anne-Geneviève von Bourbon, Schwester des Großen Condé. Sie ist berühmt durch die Rolle, die sie bei der Fronde gespielt hat, und durch ihre Liebschaften mit la Rochefoucauld, Turenne u. a., endlich durch ihre lange Buße bei den Karmeliterinnen (geboren 1619, gestorben 1679). – Condaeum intuitus: »indem er Condé ansah (sagte er): ›Dein Sohn hat einen herrlichen Sieg davongetragen.‹ Ludwig sprach diese Worte aus, bevor er seinen Geist aufgab, mehr aus prophetischer Intuition denn als Zeichen eines verwirrten Geistes. Er richtete ernste Ermahnungen an Gaston von Orléans, seinen einzigen Bruder, usw. … Ich schweige von alledem, was die Lobredner so oftmals gepriesen haben. Kein Sterblicher, weder des Altertums, noch unserer Zeiten, hat dem Tode so unbekümmert ins Auge geschaut.«ließ, das er von seinem Bette aus sehen konnte, setzte er sogar den Weg seines Kondukts fest, um es einer Anzahl von Pfarrern nach Möglichkeit zu verwehren, ihm entgegenzugehen, und bestimmte selbst das Gespann, das seinen Wagen ziehen sollte, und das mit unvergleichlicher Seelenruhe und Überlegenheit.

Mein Vater, außer sich vor Schmerz, konnte dem König, der ihm mitteilte, daß er ihn zum Großstallmeister ernannt habe, nur antworten, indem er sich über seine Hände warf und sie mit seinen Tränen benetzte. Sein Schmerz verbarg ihm ohne Zweifel eine Fülle von großen Dingen, die sich in den letzten Stunden seines Gebieters zutrugen, und sicherlich ist es daher gekommen, daß ich nicht von ihm hörte, was ich später von Priolo erfahren habe.

Dieser war ein vornehmer Venezianer, der in Frankreich als Sohn eines aus seiner Vaterstadt verbannten Edelmannes geboren worden war und sich an den Herzog von Longueville anschloß, der beim Tode Ludwigs XIII. gerade in zweiter Ehe die Tochter des Prinzen von Condé geheiratet hatte, die während der Unruhen und Bürgerkriege zur Zeit der Minorität Ludwigs XIV. soviel Aufsehen in der Welt gemacht hat. Priolo hat eine lateinische Geschichte dieser Minorität geschrieben, deren außerordentliche Eleganz noch ihr geringstes Verdienst ist. Gleich auf den ersten Seiten seiner Geschichte, die er mit dem Tode Ludwigs XIII. beginnt, den er kurz schildert, berichtet er eine wunderbare Tatsache, die er sehr wohl unmittelbar danach von dem Prinzen von Condé und dem Herzog von Longueville erfahren haben konnte. Buch I, Seite 17, sagt er, vom Könige, der am andern Tage starb, sprechend: Condaeum intuitus, »Filius tuus, inquit, insignem » Als er das königliche Schwert in die Gruft hinabwarf«; das Schwert wurde im Gegensatz zu den anderen »Ehrenstücken« nicht in die Gruft hinabgeworfen, sondern nur mit der Spitze hineingesenkt. Dasselbe geschah mit dem Banner Frankreichs. Nach einem zeitgenössischen Berichte ist der Herzog von Saint-Simon von diesem Brauche nicht abgewichen. – Tallemant des Réaux (Bd. III, S. 260) sagt von diesem Begräbnis: On alla à son enterrement comme aux noces. Il y eut à l'église un grand scandale, causé par les religieux, qui voulaient arracher les cierges d'offrande aux officiers de la chapelle royale. victoriam reportavit (wie die Propheten, die von dem Kommenden reden, als sei es bereits eingetreten).« … Id ante efflatam animam Ludov. magis praesagio quam mentis alienatae signum dedit. Gast. Aurel., fratrem unicum, serio monuit, etc. … Quae toties concionatoribus intonata reticeo. Nullus mortalium, nec antiquorum nec recentiorum, fatum ultimum tam intrepide excepit.

Um zu meinem Vater und seinem neuen Amt zurückzukehren, so übte er seine Funktionen beim Leichenbegängnisse des Königs aus, und er hat mir oft gesagt, als er das königliche Schwert in die Gruft hinabwarf, sei er nahe daran gewesen, sich selbst hineinzustürzen. Er dachte nur an seinen Schmerz, und seine Freunde drängten ihn, sich seinen Bestallungsbrief als Großstallmeister ausfertigen zu lassen, vermochten ihn aber nicht aus seiner Versunkenheit zu erwecken. Schließlich aber ließ er doch darum nachsuchen, aber erfolglos, die Ernennung sei, so hieß es, nicht vollzogen worden.

 

Die Nähe des Hofes konnte meinem Vater nach dem Verluste seines Gebieters und unter einer Regentin, die ihm das Amt des Großstallmeisters geraubt hatte, nicht angenehm sein. Er bot also das einzige Amt, das ihm noch blieb, das des Ersten Stallmeisters, aus. Die Königin kaufte es von meinem Vater für 400 000 Livres und 20 000 Livres königliche Pension, die er jedoch nur das erste Jahr ausgezahlt erhielt, und übertrug es Beringhen. Nun dachte mein Vater daran, sich in Bälde nach Blaye zu begeben, wo er als großer Herr lebte und von dem Hochadel von Bordeaux und den benachbarten Provinzen geliebt und aufgesucht wurde. Er zog sich also nicht lange darauf zurück, um nicht so bald wieder nach Paris zu kommen. Während er nun in Blaye lebte, gab es zu Der Prinz von Condé, Louis II. von Bourbon. – Der König von Spanien, Philipp IV., Bruder der Regentin Anna von Österreich.wiederholten Malen Unfrieden, und schließlich sah man den Prinzen von Condé in Waffen gegen den Hof und den Bürgerkrieg entbrannt. Sein Vater war gestorben, aber er hatte die alten Beziehungen zu dem meinigen aufrecht erhalten und Frau von Longueville desgleichen. Da mein Vater also freundschaftlich zu ihnen und in vollem Gegensatze zum Hofe stand, zweifelten sie nicht, auf Blaye rechnen zu können, und in Anbetracht ihrer erfolgreichen Bestrebungen in der Guyenne und den benachbarten Provinzen dachten sie, da sie auf Blaye zählen zu können glaubten, an nichts Geringeres, als an eine Teilung des Königreichs an der Loire. Und ihre Rechnung würde sich auch als richtig erwiesen haben, wenn sie über Blaye hätten verfügen können.

Als der Krieg begonnen hatte, war mein Vater, taub gegen ihre Bitten, darauf bedacht, sich in Verteidigungszustand zu setzen. Boten kamen auf Boten, Briefe auf Briefe, aber umsonst: weder die Freundschaft, noch die Ehre einer so nahen Verwandtschaft, noch die bittere Verstimmung gegen die Königin hatten Macht über meinen Vater. Als alle Hoffnungen fehlgeschlagen waren, versuchten sie es mit den größten Anerbietungen von spanischer Seite. Die Grandenwürde und vieles andere wurde ihm vom König von Spanien direkt angetragen, aber ebenfalls zurückgewiesen. Zuletzt traf eine zweite Botschaft vom spanischen Hofe in Blaye ein, wie das erstemal mit Beglaubigungsschreiben versehen und außerdem noch mit einem Briefe an meinen Vater, der noch größere Anerbietungen enthielt. Als der Überbringer sich meinem Vater zu erkennen gegeben hatte, war es diesem zu viel, er versammelte sofort seinen Stab und alle Offiziere seiner Garnison, dazu alles, was er in der Umgebung an Freunden hatte, Die Schulden des Herzogs von Saint-Simon; seine Ansprüche an den Staat für seine Aufwendungen in Blaye beliefen sich 1693 auf 406 057 Livres, die seinem Sohne erst unter der Regentschaft nach Ludwigs XIV. Tode bezahlt wurden.in Blaye, führte ihnen den Abgesandten des Königs von Spanien vor, zeigte ihnen den Brief, den er überbracht hatte und der noch nicht erbrochen war und setzte ihnen die Mission des Boten in dessen Gegenwart auseinander. Hierauf erklärte er ihm, wenn er nicht die einem gekrönten Haupte und Bruder der Königinmutter schuldige Ehrerbietung wahren wollte, würde er ihn mit einer Kugel an den Beinen augenblicklich in die Gironde werfen lassen, so aber möge er sich auf der Stelle mit seinem Brief und seinen Anerbietungen, die niemals einen Ehrenmann in Versuchung führen würden, davon machen und der Stelle, die es anginge, melden, wenn man es noch einmal wage, jemand mit ähnlichen Zumutungen an ihn zu schicken, so würde er keine Schonung mehr walten und ihn in den Fluß werfen lassen. Und von da ab ließ man ihn denn auch unbehelligt.

Der Prinz von Condé aber und seine ganze Partei erhoben ein lautes Geschrei und, was angemerkt zu werden verdient: weder er noch die Seinen haben meinem Vater jemals sein Verhalten verziehen, so günstig war die Gelegenheit für sie, wenn es ihnen gelungen wäre, ihn zu sich herüberzuziehen. Unterdessen ließ mein Vater eine Menge Kanonen gießen, um die Geschütze zu ersetzen, die der Hof aus Mangel an anderen von ihm erbat, legte 500 wohlbewaffnete Edelleute nach Blaye, uniformierte und besoldete die Garnison und wurde achtzehn Monate in diesem Platze blockiert, ohne daß er jemals die geringste Beisteuer vom Lande hatte einfordern wollen. Infolgedessen machte er große Schulden, die ihm sein ganzes Leben lang lästig gefallen sind, und an denen ich noch zu tragen habe, während die ganzen Schulden, die der Prinz von Condé, der Herzog von Bouillon und viele andere in ihren Unternehmungen gegen den König und den Staat gemacht hatten, ohne Ausnahme bezahlt worden sind, und das sogar vom König selbst. Das ist aber noch nicht alles: mein Vater, der viele Freunde im Parlament und in der Stadt Bordeaux hatte, wurde jedesmal nach Eintritt der Flut von den geheimsten Vorgängen unterrichtet, machte dem Hofe davon Mitteilung und leistete überhaupt während jener unglücklichen Zeiten die wichtigsten Dienste.

Entzückt von der Treue und den wichtigen Diensten meines Vaters, hielten die Königin und der Kardinal Mazarin es um des guten Beispiels willen, oder vielleicht um sich ihrer noch mehr zu versichern, für angebracht, sie zu belohnen. Sie schrieben ihm daher beide in so verbindlichen Ausdrücken, daß ihre ganze Angst erkennbar wurde, und sandten den Marquis von Saint-Maigrin mit diesen Briefen und überdies noch mit einem Beglaubigungsschreiben an ihn. Saint-Maigrin brachte meinem Vater zweierlei, zwischen dem er wählen konnte: den Stab eines Marschalls von Frankreich oder den Rang eines auswärtigen Prinzen, letzteres unter Berufung auf das von Karl dem Großen abstammende Haus Vermandois, mit dem wir unbestritten, wenigstens durch eine Frau verwandt sind. Mein Vater lehnte beides ab. Saint-Maigrin, der mit ihm befreundet war, stellte ihm vor, daß, wenn die Gefahr vorüber sei, er nichts haben würde, und daß es töricht sie, ein so schönes Anerbieten, das die ganze Sehnsucht der Bouillons sei, auszuschlagen. »Das kommt mir nicht überraschend,« antwortete mein Vater unerschütterlich, »und ich kenne sie zu gut, um daran zu zweifeln. Ich bin auch darauf gefaßt, daß sich viele über mich lustig machen werden, aber man soll nicht sagen, daß der Rang eines auswärtigen Prinzen und ein französischer Ludwig XIV. wurde am 7. September 1651 majorenn erklärt, am 7. Juni 1654 zu Reims gesalbt und heiratete am 9. Juni 1660 in Saint-Jean-de-Luz. Auf dem Rückwege nach Paris hielt sich der Hof am 27. Juni in Blaye auf.Marschallstab meinen Ruhm trüben und meine Ehre schmälern. Wenn ich annehme, wird man niemals daran zweifeln, daß man mich durch einen Gnadenbeweis bei meiner Pflicht erhalten habe, und darein werde ich nie willigen.«

Dieser Disput dauerte drei volle Tage, ohne daß mein Vater in seinem Entschluß erschüttert worden wäre. Er antwortete der Königin respektvoll, aber kalt, in demselben Sinne wie Saint-Maigrin und fügte, damit sie es nicht persönlich nehme, hinzu, er werde den Sohn und die Witwe seines Gebieters nie im Stich lassen. Ebenso antwortete er dem Kardinal Mazarin, aber mit Stolz: dieser Italiener war nicht dazu geschaffen, eine so großherzige Handlungsweise zu bewundern. Soll man hinzufügen, daß sie weit über die Fassungskraft der Königin hinausging? Es geschah, was Saint-Maigrin vorausgesagt hatte: als die Gefahr vorüber war, dachte man nicht mehr daran; aber mein Vater erwies weder der einen noch dem andern die Ehre, sie daran zu erinnern. Er setzte seine Ausgaben und seine Dienste mit demselben Eifer fort bis an das Ende der Unruhen.

 

Während der Majorennerklärung, der Salbung und der Hochzeit des Königs war mein Vater beständig in Blaye und empfing dort bei der letztgenannten Gelegenheit den Hof aufs glänzendste. Lange Zeit darauf kehrte er nach Paris zurück, um mit seinen Freunden zu leben. Er besaß deren viele und darunter Leute von höchstem Ansehen. Seine Bescheidenheit, der Umstand, daß er nie jemand etwas zuleide, dagegen zur Zeit, da er in Gunst stand, nach Kräften Gutes getan, hatten sie ihm verschafft.

Aus seiner Ehe hatte er nur eine sehr schöne und Das Schloß Brissac, eines der schönsten in Anjou, liegt 16 km von Angers entfernt und gehört noch der Familie. Die Archive und die Bildnisse, die die Galerie schmückten, sind während der Revolution teilweise zerstreut worden. Die drei Marschälle von Brissac waren: 1. Charles I. von Cossé-Brissac (1505-1563), genannt der Marschall von Brissac, 2. Artus von Cossé, sein Bruder (gestorben 1582), genannt der Marschall von Cossé, 3. Charles II. von Cossé, erster Herzog von Brissac (gestorben 1621). – Der Graf von Brissac, Timoléon, wurde sechsundzwanzigjährig bei der Belagerung von Mucidan getötet.kluge Tochter, die er an den Herzog von Brissac verheiratete, den Bruder der letzten Marschallin von Villeroy. Sie hatte, ohne es zu ahnen, den Hut auf dem Gewissen, mit dem die Herzöge von Brissac ihr Wappen aufgeputzt haben, und den ihnen die Herzöge von la Tremoïlle und Luxemburg später mit ebensoviel Recht nachmachten. Meine Schwester war mit der Marschallin von la Meilleraye, der Tante ihres Gatten von Vaters Seite, auf dem Schlosse von Brissac. Diese Dame, die außerordentlich ruhmredig und von einem närrischen Stolz auf ihre Familie besessen war, ging oft mit Madame de Brissac in einer Galerie auf und ab, wo die Bildnisse der drei Marschälle von Brissac, des berühmten Grafen von Brissac, des ältesten Sohnes des ersten von ihnen und verschiedener Renommierahnen, welche in der Genealogie schwer einen Platz gefunden hätten, hingen. Die Marschallin bewunderte diese großen Männer, grüßte sie und befahl ihrer Nichte, ihnen Reverenzen zu machen. Diese, jung, lustig und geistreich, wie sie war, wollte sich inmitten der Langeweile, die sie in Brissac empfand, einen Spaß machen und sagte plötzlich zu der Marschallin: »Liebe Tante, seht Euch doch einmal diesen markanten Kopf an! er ähnelt jenen alten italienischen Fürsten, und ich glaube, wenn Ihr recht nachforscht, so wird sich herausstellen, daß er einer davon war.«

»Nein, wie klug und gebildet Ihr doch seid, liebe Nichte!« rief die Marschallin, »ich glaube wahrhaftig, Ihr habt recht.« Sie sieht sich das alte Porträt an, betrachtet es genau oder tut wenigstens so und erklärt den Biedermann alsbald für einen alten italienischen Fürsten. Dann beeilt sie sich, ihrem Neffen diese Entdeckung mitzuteilen, – der lachte aber nur darüber.

Wenige Tage darauf fand sie es zwecklos, von einem alten italienischen Fürsten abzustammen, wenn keine Erinnerung an ihn vorhanden war. Sie ersinnt sich den Hut der deutschen Fürsten mit einer kleinen Abweichung, die durch die Krone, die ihn umgibt, verdeckt wird, läßt heimlich einen Maler aus Angers holen und ihn diesen Hut über das Wappen auf den Karossen der Brissac setzen. Der Herzog und die Herzogin von Brissac erfuhren es bald darauf und wollten sich ausschütten vor Lachen; der Hut aber ist geblieben und hieß bei ihnen lange der »Hut meiner Tante«.

Die Ehe meiner Schwester wurde niemals vollzogen: der Geschmack des Herzogs von Brissac war zu italienisch. Die Trennung, die das Parlament bestätigt hatte, wurde vom Prinzen von Condé vollzogen, und der Prinz behielt Papiere in Verwahrung, die über diese Tatsache Einzelheiten enthielten, welche dem Herzog von Brissac zu wichtig schienen, als daß er nicht die allergrößte Angst gehabt hätte, sie möchten wieder in der Gerichtskanzlei des Parlaments niedergelegt werden – und der Prinz von Condé hatte versprochen, es zu tun, für den Fall, daß der Herzog von Brissac einer der Trennungsbedingungen zuwiderhandeln würde.

Meine Schwester starb im Februar 1684 und machte mich zu ihrem Universalerben. Ihre Mutter war im Dezember 1670 gestorben, wie sie an den Blattern, beide in Paris.

So groß der Schmerz meines Vaters war, so zwang ihn doch die Erwägung, daß er keine Söhne hatte, sich trotz seines Alters wieder zu verheiraten. Er suchte eine Frau, deren Schönheit ihm gefiele, deren Tugend ihn beruhigen könne und deren Alter so wenig wie möglich außer Verhältnis zu dem seinigen stehe. Er fand all diese so schwer vereinigt zu treffenden Eigenschaften nur in meiner Mutter, die mit Fräulein von Pompadour, der späteren Marquise von Saint-Luc, bei der Herzogin von Angoulême war.

Die zweite Hochzeit meines Vaters wurde im Oktober 1672 gefeiert. Er hatte Grund, mit seiner Wahl zufrieden zu sein: er fand eine Frau, die nur für ihn lebte, tugendhaft, geistvoll und sehr verständig war und an nichts dachte, als ihm zu gefallen, sein Leben zu verlängern, sich seiner Angelegenheiten anzunehmen und mich aufs beste zu erziehen. Er wollte sie auch nur für sich besitzen. Als man der Königin Palastdamen an Stelle ihrer Ehrenfräulein gab, erlangte Madame von Montespan, die ihre Verwandten liebte, was damals noch Mode war, eine Stelle für meine Mutter, die an nichts weniger dachte. Der Edelmann, den sie mit dieser Botschaft sandte, fand sie nicht zu Hause, man sagte ihm jedoch, daß mein Vater da sei. Er verlangte ihn daher zu sehen und überreichte ihm den Brief Frau von Montespans für meine Mutter. Mein Vater öffnete ihn, ergriff alsbald eine Feder, dankte Frau von Montespan und fügte hinzu, er habe in seinem Alter seine Frau nicht für den Hof, sondern für sich genommen, worauf er diese Antwort dem Edelmann übergab. Als meine Mutter nach Hause kam, teilte mein Vater ihr die Sache mit. Sie empfand darüber lebhafte Betrübnis, wußte es aber zu verbergen.

Mein Vater verbrachte den Rest eines langen, körperlich und geistig gesunden Lebens ohne irgendein Hofamt oder eine ihm durch die Gunst des Königs verliehene Stelle zu bekleiden, doch fühlte Ludwig XIV. sich verpflichtet, ihm eine Wertschätzung zu beweisen, die ihren Einfluß auf die Minister nicht verfehlte, unter denen er mit Colbert befreundet war. Der persönliche Wert fiel damals noch ins Gewicht. In seiner Statthalterschaft war er so sehr der Herr, daß er von Paris aus seine Befehle dorthin schickte und über alles disponierte. Wenn im Stabe irgendeine Stelle frei wurde, sandte ihm der König die Liste der Bewerber. Manchmal traf er daraus seine Wahl, manchmal verlangte er auch einen Mann, der dort nicht verzeichnet war: nichts wurde ihm verweigert, – ja er konnte sogar diejenigen, mit denen er nicht zufrieden war, ihrer Stelle entheben lassen, wie ich an mehreren Beispielen gesehen habe. Die Autorität meines Vaters in diesem Punkte war einzig in ihrer Art, und der König erklärte, es sei nur gerecht, daß er nach den unschätzbaren Diensten, die er ihm in den bösesten Zeiten durch seine Statthalterschaft erwiesen, in Blaye unumschränkt schalte und walte.

Niemals vermochte er sich über den Tod Ludwigs XIII. trösten, niemals sprach er von ihm ohne Tränen in den Augen, niemals nannte er ihn anders als »der König, mein Gebieter«, wenn er von ihm sprach, niemals verfehlte er, am 14. Mai seinem Gedächtnisgottesdienste in Saint-Denis beizuwohnen oder in Blaye ein feierliches Totenamt halten zu lassen, wenn er sich um diese Zeit dort befand. Die Verehrung, die Dankbarkeit, die Zärtlichkeit selbst sprachen aus seinem Munde, sooft er von ihm redete, und er triumphierte, wenn er sich über die persönlichen Taten und die Tugenden des Verstorbenen verbreitete, und bevor er mich dem König vorstellte, führte er mich an einem 14. Mai nach Saint-Denis.

 

Nachdem ich meinem Vater die letzte Ehre erwiesen, begab ich mich nach Mons zum Kavallerieregiment Royal-Roussillon, wo ich Hauptmann war.


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