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XX

Mißgriff des Abtes von La Trappe in der Wahl seines Nachfolgers. Verhalten des Abtes Dom Gervaise. Er wird in flagranti mit einem andern Mönche ertappt. Seine Demission. Er weiß durch allerlei Intrigen den Pater de la Chaise umzustimmen. Auf die Vorstellungen des Bischofs von Chartres erhält der König die Demission aufrecht. Reise des Bruders Chanvier nach Rom. Saint-Simon gelangt in den Besitz eines Liebesbriefes Dom Gervaises an eine Nonne, der von Schweinereien strotzt. Die Geschichte seiner Liebe. Dom Gervais verläßt La Trappe.

 

Der Abt von La Trappe, Rancé, hatte seinerzeit vom Könige die Erlaubnis erhalten, einen Mönch aus seinem Kloster, der ihm geeignet erscheine, zum Abt vorzuschlagen. Diesem hatte er seine Funktionen übertragen, weil er nur noch an sein eigenes Seelenheil denken wollte, nachdem er so lange zu dem so vieler anderer beigetragen hatte. Dieser Abt starb sehr bald darauf, und der König genehmigte den als Nachfolger, der ihm von Rancé vorgeschlagen worden war.

Aber so heilig, so erleuchtet, so weise die Menschen auch immer sein mögen, unfehlbar sind sie nicht. Ein Barfüßermönch hatte sich wenige Jahre vorher nach La Trappe zurückgezogen: er hatte Geist, Wissen und Beredsamkeit; seine Predigten hatten ihm einen Ruf verschafft; er kannte die Welt sehr gut und schien sich in allen den beschwerlichen Exerzitien des Lebens zu La Trappe durch strenge Beobachtung der Ordensregeln auszuzeichnen. Er hieß Dom François Gervaise und hatte einen Bruder, der Probst von Saint-Martin zu Tours war, ein Mann von Verdiensten, der sich später der Mission widmete und als Bischof in partibus am Orinoco ermordet wurde. Dieser Karmeliter war dem Bischof von Meaux, in dessen Diözese er gepredigt hatte, bekannt. Der Abt von La Trappe, der mit Bossuet befreundet war, erkundigte sich bei ihm, und der Bischof versicherte ihn, daß er gar keine bessere Wahl treffen könne. Er war ein Mann von vierzig Jahren und erfreute sich einer Gesundheit, die ein langes, vorbildliches Leben erhoffen ließ. Seine Gaben, seine Frömmigkeit, seine Bescheidenheit, seine Neigung zu Bußübungen bestachen den Abt von La Trappe, und das Zeugnis des Bischofs von Meaux brachte seinen Entschluß zur Reife. So wurde der denn auf die Bitte Rancés vom Könige zum Nachfolger des Verstorbenen ernannt.

Dieser neue Abt beeilte sich, sowie er seine Bulle in Händen hatte, dafür zu sorgen, daß man ihn besser kennen lerne: er glaubte, er sei nun ein hoher Herr, suchte sich einen Namen zu machen und dem großen Manne, dem er seine Stelle verdankte und dessen Nachfolger er war, nicht unebenbürtig zu erscheinen und zu sein. Statt ihn um Rat zu fragen, wurde er auf ihn eifersüchtig, suchte ihm das Vertrauen der Mönche zu rauben und, als ihm das nicht gelang, ihn von denselben fernzuhalten. Er spielte sich ihm gegenüber mehr auf den Abt hinaus als gegenüber irgendeinem andern, hielt ihn in der Abhängigkeit und behandelte ihn allmählich mit größtem Hochmut und außerordentlicher Härte, und das besonders, wenn Insassen des Klosters zugegen waren, von denen er glaubte, daß sie sehr an ihm hingen. Er änderte nach Gutdünken alles, was der alte Abt eingerichtet hatte und untergrub, ohne zu überlegen, daß die Dinge nur vermöge desselben Geistes, der sie geschaffen hat, fortbestehen, zumal wenn sie von so besonderer und erhabener Art sind wie die Schöpfungen Rancés, mit Eifer dessen ganzes Gebäude, und es genügte, daß eine Sache von jenem eingeführt war, um durch etwas ganz entgegengesetztes ersetzt zu werden. Mehr Prälat als Mönch richtete er sein Augenmerk nur auf die Dinge, die nach außen hin wirkten, und wenn er es mit einflußreichen Freunden Rancés zu tun hatte, trug er die größte Verehrung für ihn zur Schau, um sich, wenn sie wieder fort waren, durch das sonderbarste Verhalten gegen ihn zu entschädigen.

Abgesehen von dem Schmerz und der Seelenqual, die Rancé darüber empfand, zielte dieses Benehmen auf nichts Geringeres ab, als auf eine völlige Zerrüttung aller Ordensregeln und auf den Einsturz eines so heiligen und so wunderbaren Gebäudes. Rancé sah und fühlte dies dank seinem klaren Blick und seiner Erfahrung besser als irgendwer, zumal er es ja von Grund aus und in allen seinen Teilen errichtet hatte. So vergoß er denn darüber vor seinem Kruzifix eine Flut von Tränen. Er wußte, daß er diesen Unsinnigen mit einem einzigen Worte stürzen konnte. Es bekümmerte ihn um seines Klosters willen, daß er es nicht über sich gewinnen konnte, und es zerriß sein Herz, daß er es zugrunde gehen sah; aber er wurde selbst jeden Tag und jeden Augenblick so unwürdig behandelt, daß die äußerste Angst, selbst ganz unwillkürlich eine persönliche Befriedigung in seiner Befreiung von diesem Feinde und Verfolger zu finden, ihn so sehr davon zurückhielt, daß er selbst vor mir seine Herzensnot verbarg und sich nach Kräften bemühte, mich davon zu überzeugen, daß dieser Abt in jeder Beziehung vortrefflich und er durchaus mit ihm zufrieden sei. Sicherlich log er damit nicht; er gefiel sich zu sehr in dieser neuen Prüfung, die man wohl als die härteste von allen bezeichnen kann, durch die er geläutert worden ist, und fürchtete nichts so sehr als diesen feurigen Ofen zu verlassen. Er entschuldigte daher alles, was er nicht in Abrede stellen konnte, und trank in langen Zügen die Bitternis dieses Kelches.

Wenn Herr Maisne und einer oder zwei von den alten Mönchen ihm dringende Vorstellungen wegen des Ruins seines Klosters machten, sie, denen er nicht verheimlichen konnte, was sie mit ihren eigenen Augen sahen, so antwortete er, dies sei das Werk Gottes und nicht der Menschen, er habe seine Ratschlüsse, und man müsse sich darein ergeben.

Die Zeit verrann auf diese Weise, ohne daß es möglich war, Rancé zu überreden, nicht länger Freude an seinen eigenen Leiden zu haben, und ohne daß Hoffnung vorhanden war, von seinem Nachfolger etwas anderes zu erwarten, als eine beständige Verschlimmerung der Zustände.

Endlich aber geschah etwas, was man sich nie hätte vorstellen können: Dom Gervaise verfiel der Strafe jener, die sich weise dünken, von denen die heilige Schrift spricht. Dank einem andern Wunder hatte er seine Vorsichtsmaßregeln schlecht getroffen und dank einem dritten, noch größeren, wollte es der reine Zufall, oder besser die Vorsehung, daß er auf frischer Tat ertappt wurde. Man benachrichtigte Rancé von dieser Verfehlung, und damit er nicht daran zweifeln könne, führte man ihm Gervaises Komplizen vor.

Der alte Abt, der so entsetzt war, wie man es nur sein kann, war alsbald besorgt, was aus Dom Gervaise geworden sein möchte. Er ließ ihn überall suchen und schwebte lange in der Furcht, er könnte sich in einen der Teiche gestürzt haben, die La Trappe umgeben. Endlich fand man ihn unter den Gewölben der Kirche verborgen, auf den Boden hingeworfen und in Tränen gebadet. Er ließ sich ohne Widerstand zu Rancé führen und gestand ihm ein, was er ihm nicht verbergen konnte.

Als der Abt von La Trappe seinen Schmerz und seine Scham sah, war sein ganzes Streben darauf gerichtet, ihn mit unendlicher Barmherzigkeit zu trösten, freilich nicht, ohne ihn merken zu lassen, wie sehr er der Buße und Absonderung bedürfe. Gervaise verstand, und der Zustand, in dem er sich befand, veranlaßte ihn, seine Demission anzubieten. Sie wurde angenommen. Man schickte nach Mortagne um einen Notar; dieser erschien am andern Tage, und die Sache wurde ins Reine gebracht. Herr du Charmel, der sehr gut mit dem Erzbischof von Paris stand, erhielt diese Rücktrittserklärung durch einen Eilboten, zugleich mit einem Briefe Dom Gervaises an diesen Prälaten, in dem er ihn bat, dem Könige seine Demission zu überreichen.

 

Ganz kurz zuvor war zweierlei geschehen, was sehr zur Unzeit kam. Erstens hatte das Benehmen Dom Gervaises gegenüber Rancé und seinem Kloster, das bekannt zu werden begann, ihm einen sehr deutlichen Brief von Seiten des Paters de la Chaise im Namen des Königs zugezogen, und zweitens hatte er unüberlegterweise das Priorat von L'Estrée bei Dreux angenommen, um dorthin mit Umgehung des Königs Mönche von La Trappe zu versetzen, was aus vielen Gründen nur schädlich sein konnte; aber die Eitelkeit will sich stets blähen und von sich reden machen. Der König hatte das sehr übel vermerkt und durch den Pater de la Chaise von ihm verlangen lassen, daß er seine Mönche zurückzöge, und dieser hatte den Verweis hinzugefügt, den der Streich verdiente.

Auf den ersten Rüffel antwortete er durch einen Brief, den die Freude des Abtes von La Trappe an der Fortsetzung seiner Leiden genau so schrieb, wie Dom Gervaise ihn zu diktieren für gut befand, auf den zweiten durch schleunige Unterwerfung, und indem er vielmals um Verzeihung bat. Im unmittelbaren Anschluß an diese beiden Briefe lief also die Demission ein, und der König übergab sie dem Pater de la Chaise. Dieser, der ein harmloser Mann war, zweifelte nicht, daß der Rücktritt das Ergebnis der beiden Briefe sei, die er ihm unmittelbar hintereinander geschrieben hatte, so daß er, verführt durch den von Dom Gervaise diktierten Brief, den er vom Abte von La Trappe empfangen, den König unschwer überredete, die Demission nicht anzunehmen und in diesem Sinne an Dom Gervaise schrieb.

Während all dieser Ereignisse gingen wir zur Heeresschau nach Compiègne. Ich hielt es für angebracht, die Demission aus der Nähe zu beobachten: ich begab mich zum Pater de la Chaise, der mir das erzählte, was ich soeben berichtet habe. Ich erklärte ihm, er habe in guter Absicht etwas sehr Schlimmes getan und ließ mich ihm gegenüber sehr eingehend über die ganze Sache aus. Der Pater de la Chaise war über die Aufführung Dom Gervaises gegen den Abt von La Trappe sehr überrascht und noch mehr entrüstet und schlug mir alsbald vor, er wolle an Rancé schreiben, um seine wirkliche Meinung über die Demission zu erfahren. Er übersandte mir das Schreiben, damit ich es an einem Orte, wo Dom Gervaise alle Briefe öffnete, sicher in die Hände des Adressaten gelangen lasse. Ich schickte es also an meinen Türschließer in La Ferté, damit er es selbst Herrn von Saint-Louis überbringe, der es dann dem Abte von La Trappe gab. Auf diese Weise mußte man während der ganzen Dauer der Affäre vorgehen.

Der Brief des Pater de la Chaise war so abgefaßt, daß Rancé nicht ausweichen konnte. Er schrieb ihm zurück, er sei der Ansicht, daß Dom Gervaise quittieren müsse, und, um dem im zweiten Teile des Briefes ausgesprochenen Wunsche, nachzukommen, nämlich eine Persönlichkeit vorzuschlagen, falls er der Meinung sei, daß ein Abtwechsel stattfinden sollte, nannte er ihm eine. Es war dies ein alter und vortrefflicher Mönch, den man Dom Malachie nannte, und der sich in allen Zweigen des Klosterdienstes sehr bewährt hatte.

Ich überbrachte dem Pater de la Chaise diese Antwort, als wir nach Versailles zurückkehrten, und er nahm sie sehr wohl auf. Er teilte mir mit, er habe eine von allen Mönchen von La Trappe unterzeichnete Bittschrift erhalten, die Dom Gervaise behalten wollten, und er versicherte mir gleichzeitig, daß er keinerlei Rücksicht darauf nehmen werde; denn er wisse wohl, daß es keinen Mönch gebe, der es wage, bei Schriftstücken dieser Art seine Unterschrift zu verweigern.

Unterdessen waren wir, wie alljährlich, nach Fontainebleau gegangen.

Dom Gervaise hatte in La Trappe einen Prior eingesetzt, dessen Lebenswandel sittlicher war als der seinige, der jedoch im übrigen vom gleichen Kaliber und ihm ganz ergeben war. Dieser Prior war während Im Schlosse von Fontainebleau waren drei Kapellen, die untere, die Ludwig VII. gegründet, Franz I. umgebaut und Heinrich II. ausgeschmückt hatte, die obere, die Franz I. über der unteren hatte bauen lassen, und eine geräumigere dritte, die Franz I. umbauen ließ, und die noch heute im Betrieb ist. Um die letztere handelt es sich hier.der Demissionsaffäre in L'Estrée, um die Mönche von La Trappe von dort zurückzuziehen; er begriff, daß der Rücktritt des Abtes auch seinen eigenen bedeuten würde, und fand, daß es sich unter ihm gut als Prior leben lasse, – daher flößte er ihm wieder Mut ein. Dies führte zum Zustandekommen der Bittschrift und zu dem Gewebe von Listen, das nachher gesponnen wurde.

Der Pater de la Chaise

Eines Abends in Fontainebleau, als wir das Coucher des Königs erwarteten, teilte mir der Bischof von Troyes mit allen Zeichen der Überraschung mit, daß Dom Gervaise da sei, er habe am selben Morgen den Pater de la Chaise besucht und die Messe in der Kapelle gelesen, – diese Reise scheine ihm sehr ungewöhnlich und äußerst verdächtig.

In der Tat war es ihm gelungen, vom Abte von La Trappe ein Zertifikat in seinem Sinne zu erlangen, und er war mit einem Mönch, der ihm als Sekretär diente, gekommen, um es dem Pater de la Chaise zu überreichen und in eigener Person gegen seine Demission zu sprechen. Gleich darauf war er wieder abgereist, und er hatte es fertig gebracht, den Pater de la Chaise vollkommen umzuwandeln. Ich fand nicht mehr denselben Mann: keine Offenheit, keine freimütige Sprache mehr, ängstliche Vorsicht in jeder Beziehung. Ich konnte mir keinen Vers darauf machen; endlich aber erfuhr ich durch einen Brief des Herrn du Charmel (der es seinerseits durch die Prahlerei Dom Gervaises erfahren hatte), dieser habe den Pater überzeugt, daß der Abt von La Trappe vollkommen geistesschwach sei, daß man mit ihm umso kecker Mißbrauch treibe, als er, da seine rechte Hand ganz voller Geschwüre, weder schreiben noch unterzeichnen könne, daß er einen Laien als Sekretär » Zwischen dem Abte von La Trappe und mir …« Saint-Simon, der etwas nach der jansenistischen, dem König so verhaßten Seite, neigte, hatte den Abt Rancé über den Jansenismus konsultiert, und dessen Antwort war eine so bestimmte Verurteilung gewesen, daß der Herzog, wie er selbst in einem Briefe sagte, dem Jansenismus für sein ganzes Leben entfremdet wurde.um sich habe, der ein ausgesprochener Jansenist sei und im Verein mit du Charmel aus La Trappe ein kleines Port-Royal machen wolle. Damit sie das erreichen könnten, müsse er, Dom Gervaise, davongejagt werden, weil er durchaus gegen die Jansenisten sei, und von diesem Umstande schrieben sich alle die Intrigen her, die auf seine Demission abzielten.

So grob ein solches Garn war, das nicht einmal die von Dom Gervaise selbst unterzeichnete und abgesandte Demission zu decken vermochte, geriet der Pater de la Chaise doch ganz und gar hinein und änderte seine Meinung und seine Entschlüsse so vollständig, daß es weder möglich war, ihn eines besseren zu belehren, noch sogar sich der Hilfe des Erzbischofs von Paris mit Aussicht auf Erfolg zu bedienen, weil er ihn in dieser Angelegenheit beim Könige verdächtig gemacht hatte. Aber die Vorsehung wußte auch hier abzuhelfen.

Zwischen dem Abte von La Trappe und mir war vor achtzehn Monaten unter vier Augen und als strengstes Geheimnis eine ganz besondere Angelegenheit verhandelt worden, und das Ergebnis war derart, daß ich sicher war, das ganze Lügengebäude und die Verläumdung Dom Gervaises zu Fall zu bringen, wenn ich es dem Bischof von Chartres mitteilte. Ich verbrachte den Rest des Fontainebleauer Aufenthaltes in der beständigen Angst, ich müßte entweder La Trappe zugrunde gehen und den ehrwürdigen Abt in dem feurigen Ofen, in dem Dom Gervaise ihn gefangen hielt, sich verzehren lassen, oder das Geheimnis preisgeben. Ich konnte mich mit niemand, wer es auch sein mochte, darüber beraten und litt unendlich, bevor ich zu einem Entschlusse zu gelangen vermochte. Endlich kam mir der Gedanke, die Preisgabe dieses Geheimnisses könne La Die Rückkehr des Hofes nach Versailles erfolgte am 13. November 1698.Trappe vielleicht nur zum Heile ausschlagen, und ich faßte meinen Entschluß. Ich war der Verschwiegenheit des Bischofs von Chartres sicher, und der König war in diesem Punkte der zuverlässigste Mensch seines Reiches.

Frau von Maintenon und der Erzbischof von Cambray ließen den Bischof von Chartres nicht längere Zeit hintereinander in Chartres verweilen: als der Hof nach Versailles zurückkehrte, kam er nach Saint-Cyr. Dort bekam ihn niemand zu Gesicht. Ich ließ ihn um eine Unterredung bitten, und er bestimmte mir den nächsten Tag. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte von La Trappe, ohne jedoch von dem wahren Beweggrund zu sprechen, der Dom Gervaise genötigt hatte, seine Demission zu geben, da uns nicht einmal die äußerste Bedenklichkeit der Lage hatte veranlassen können, dem Pater de la Chaise davon Mitteilung zu machen. Der Bischof schloß mich mehrmals in seine Arme; er schrieb alsbald an Frau von Maintenon, und als er eine Stunde darauf ihre Antwort in Händen hatte, begab er sich zu ihr, wo er den König fand, und sprach mit ihm. Es war ein Donnerstag (13. November 1698). Das Ergebnis dieser Besprechung war, daß es am andern Tage, an dem der Pater de la Chaise seine Audienz hatte und, wie ich wußte, entschlossen war, sich die Ablehnung der Demission befehlen zu lassen, zu einem so erregten Disput zwischen ihm und dem König kam, daß man ihre Stimmen im benachbarten Zimmer hörte.

Das Resultat war, daß der Pater de la Chaise den Befehl erhielt, an den Abt von La Trappe zu schreiben (wie er es bereits vor der Reise Dom Gervaises nach Fontainebleau getan hatte), der König wolle von ihm selbst seine wahre Meinung wissen, ob der Demission stattgegeben, oder ob sie abgelehnt werden solle, im ersteren Falle möge er eine Persönlichkeit vorschlagen, die er für geeignet halte, den Posten des Abtes zu bekleiden. Um aber über den Gesundheitszustand und die Meinung Rancés Gewißheit zu erhalten, war der Kammerdiener des Paters de la Chaise der Überbringer des Briefes.

Ein Laienbruder von La Trappe, namens Bruder Chanvier, dessen Geist weit über seinem Stande war, geleitete den Kammerdiener. Sie kamen absichtlich sehr spät an, um alles geschlossen zu finden, übernachteten bei Herrn von Saint-Louis, und am andern Tage, um vier Uhr morgens, wurde der Kammerdiener mit seinem Briefe ins Kloster geführt. Er blieb einige Zeit bei dem Abte von La Trappe und sprach mit ihm, um sich selbst von seinem Geisteszustande zu überzeugen. Er fand ihn vollkommen ungeschwächt, und es kann nicht wundernehmen, daß dieser Bediente ihn ganz bezaubert verließ. Eine Stunde darauf wurde er zurückgerufen, und da Rancé von dem Verdachte, der sich des Paters de la Chaise bemächtigt hatte und auch davon, daß dieser Diener ein Vertrauensmann desselben sei, unterrichtet war, las er ihm selbst seine Antwort vor, ließ sie dann in seiner Gegenwart versiegeln und übergab sie ihm darauf; und so ging dieser Bediente, ohne daß jemand in La Trappe eine Ahnung davon hatte, daß er gekommen war.

Die Antwort war die nämliche, wie die vorhergehende: Der Abt von La Trappe war der Meinung, daß die Demission in Kraft bleiben und derselbe Dom Malachie an seiner Stelle zum Abte ernannt werden solle. Mehr war nicht nötig, und Dom Gervaise blieb ausgeschlossen; er hatte jedoch Dom Malachie so verdächtig zu machen Die Ausfertigung der Bullen erfolgte erst im April 1699 und die Abtweihe am 22. Juni.gewußt, daß der Pater de la Chaise nie in seine Ernennung willigen wollte, obwohl er seinen Irrtum offen eingestand; er schützte nämlich vor, Dom Malachie sei Savoyarde, und es sei gegen die Ehre Frankreichs, daß ein Ausländer Abt in La Trappe sei. Rancé erhielt daher die Weisung, drei Persönlichkeiten vorzuschlagen. Statt dreier schlug er vier vor und Dom Malachie an der Spitze. Man wählte den ersten, der hinter diesem auf der Liste stand: es war dies ein Dom Jacques la Court, der lange Zeit Novizenmeister gewesen war und noch andere Stellen im Kloster bekleidet hatte. Diese Ernennung wurde geheim gehalten, bis jener nämliche Laienbruder von La Trappe, von dem ich gesprochen habe, die Bullen hatte ausfertigen lassen. Er ging nach Rom mit einem Brief Pontchartrains versehen, der ihm für alle Orte, die er passieren mußte, den unbeschränktesten Kredit einräumte. Pontchartrain liebte La Trappe sehr und namentlich diesen Bruder, dessen Geist und scharfer Verstand ihn anzog.

Der Kardinal von Bouillon, der sich auf seine Freundschaft für den Abt von La Trappe etwas zugute tat, beherbergte diesen Bruder und führte ihn zum Papste, der mehrmals mit ihm sprach und ihn mit den Bullen, für die nicht die geringste Gebühr berechnet wurde, und einem Briefe an den Abt von La Trappe zurücksandte, der in den denkbar freundschaftlichsten und achtungsvollsten Ausdrücken gehalten war; auch erklärte er, daß er das gratis noch mehr aus Hochschätzung für ihn als für den König gewähre. Der Großherzog von Toscana wollte diesen Bruder auf seinem Rückwege sehen und entließ ihn mit Briefen und Geschenken in Gestalt von wertvollen Heilmitteln aus seiner pharmazeutischen Offizin für den Abt von La Trappe.

Soll ich ein Wunder erzählen, das nur aufs höchste überraschen kann?

Während man die Bullen erwartete, fungierte Dom Gervaise unbeschränkt weiter als Abt und schwebte in Ungewißheit über sein ferneres Schicksal. Derselbe Bruder Chauvier begegnete, bevor er nach Rom abging, zufällig einem Manne, der einen Brief und eine Schachtel trug, die an eine seltsame Adresse bestimmt waren und von La Trappe kamen. Als dieser Mann dem Laienbruder der Abtei begegnete, glaubte er, jener könne den Adressaten sicherlich besser ausfindig machen als er, und Bruder Chauvier übernahm den Auftrag sehr gerne und brachte die Sendung zu Herrn du Charmel. Die Schachtel war voll von armseligen kleinen Geschenken; der Brief wurde von uns geöffnet, und ich kann sagen, daß er der einzige fremde Brief ist, den ich je aufgemacht habe.

Da jener Mann unklugerweise dem Bruder Chauvier gesagt hatte, Brief und Schachtel seien von Dom Gervaise, hatten wir gehofft, darin die Beweise für alle seine Intrigen zu finden, die er noch weiterspann, um sich zu behaupten, wir betrogen uns aber sehr, was die Schachtel anlangt. Der Brief tröstete uns jedoch: er war ganz in Geheimschrift geschrieben und fast vier große enggeschriebene Seiten lang. Wir zweifelten nunmehr nicht, darin alles zu finden, was wir suchten. Ich brachte den Brief zu Herrn von Pontchartrain, der ihn entziffern ließ. Als ich am andern Tage wieder zu ihm kam, fing er an zu lachen und sagte: »Sie haben geglaubt, Sie hätten die Elster im Nest erwischt; geben Sie acht, Sie werden noch schönere Dinge sehen.« Dann fügte er mit ernster Miene hinzu: »Wahrhaftig, statt zu lachen, müßte man weinen, wenn man sieht, wozu die Menschen fähig sind, noch dazu in so heiligen Professionen.«

Dieser ganze Brief Dom Gervaises, der an eine Nonne gerichtet war, mit der er ein Liebesverhältnis gehabt hatte, und die er immer noch liebte, wie er auch von ihr immer noch leidenschaftlich geliebt wurde, war ein Gewebe von allen nur erdenklichen Sauereien in den vulgärsten Ausdrücken, untermischt mit den niedrigsten Koseworten und Schäkereien eines vernarrten und außer Rand und Band geratenen Mönches, bei denen die liederlichsten Subjekte erbebt wären. Ihre Wonnen, ihre Betrübnis, ihre Sehnsucht, ihre Hoffnungen, – alles war darin ganz unverhüllt auf die zügelloseste Weise geschildert. Ich glaube nicht, daß man an den schlimmsten Örtlichkeiten in mehreren Tage soviel Ungeheuerlichkeiten zusammenschweinigelt.

Dies und das Abenteuer, das seine Demission nach sich zog, hätte, zusammen und auch einzeln, genügt, diesen unseligen Gervaise für den Rest seiner Tage in ein Verließ zu werfen, wenn man ihn der inneren Justiz seines Ordens hätte ausliefern wollen. Wir vier, die wir um die Sache wußten, und die andern, die wir davon unterrichten mußten, versprachen uns, sie geheim zu halten; aber Herr von Pontchartrain war gleich uns der Meinung, man müsse die Geheimschrift samt der Entzifferung bei dem Erzbischof von Paris deponieren, um sich ihrer bedienen zu können, wenn die Verblendung dieses Zuchtlosen und seine Intrigen jeden andern Ausweg abschneiden sollten.

Ich brachte also beides zu Herrn du Charmel und war boshaft genug, ihm den Brief diktieren zu lassen, damit wir im Besitze einer Abschrift wären. Es war sehr spaßhaft anzusehen, wie sich das Entsetzen auf seinem Gesichte malte, und wie er sich bekreuzte und bei jeder Infamie, die er las (und es standen deren soviele darin wie Worte) den Verfasser verwünschte. Er nahm es auf sich, die beiden Stücke beim Erzbischof von Paris zu deponieren, und ich behielt die Kopie. Glücklicherweise bedurften wir ihrer nicht.

Diese Entdeckung brachte uns verschiedenen Dingen auf die Spur, durch die wir herausbrachten, wer die Nonne war. Sie gehörte zu einem Kloster, das Frau von Saint-Simon in- und auswendig kannte, und die Nonne kannte sie auch sehr gut. Jene Liebe war alt und glücklich; sie wurde entdeckt und nachgewiesen, und Dom Gervaise stand auf dem Punkte, von den Barfüßermönchen den Rechten gemäß in pace gesetzt zu werden, als er sein Kloster verließ, um in der Diözese von Meaux zu predigen. Gleichzeitig wurde die Nonne totkrank und wollte nicht eher von den Sakramenten reden hören, als bis sie nicht Dom Gervaise gesehen hätte: sie empfing weder die Sakramente, noch bekam sie ihn zu sehen, starb aber auch nicht.

In dieser Gefahr sah er sich rettungslos verloren und fand schließlich keinen andern Ausweg, als seine Zuflucht nach La Trappe zu nehmen. Um diesen Preis unterdrückten seine Mönche, die ihn dadurch los wurden, den Skandal. Als er nach La Trappe ging, um dort das Ordensgewand zu nehmen, machte er einen Abstecher zu seiner Nonne, erschien in ihrem Kloster und erfüllte sie mit Jubel. Seit er Abt war, setzte er in Ermangelung eines intimeren, seinen brieflichen Verkehr mit ihr fort, und eine dieser Episteln war es, die wir erwischten.

Er war sehr in Unruhe, als er keine Nachrichten über das Schicksal seiner Sendung bekam, schlug Lärm und drohte. Um ihn zum Schweigen zu bringen, teilte man ihm mit, was daraus geworden war. Das machte ihn so zahm, daß er weder mehr davon zu sprechen, noch auch seine Intrigen fortzusetzen wagte. Scham und Verlegenheit zwar zeigte er wenig, dagegen großen Kummer.

Als die Bullen eingetroffen waren, ging ich nach La Trappe, verlangte aber nicht ihn zu sehen. Darüber ärgerte er sich und beklagte sich bei Rancé, der aus purer Güte gegen einen Mann, der sie so wenig verdiente, von mir verlangte, daß ich ihn besuche. Ich wählte eine Zeit, die nur kurz sein konnte. Meine Scham und Verlegenheit war tatsächlich größer als die seinige, obwohl er wußte, daß ich von seinen beiden Ungeheuerlichkeiten vollkommen unterrichtet sei, und sich darüber klar war, welchen Anteil ich an der Aufrechterhaltung seiner Demission gehabt hatte. Er bestritt mit der ihm eigenen stark aufgetragenen Heuchelei fast die ganze Zeit die Unterhaltung allein, wollte mir weis machen, wie sehr er sich freue, der Bürde seines Amte ledig zu sein und versicherte mir, er werde sich in seiner Weltabgeschiedenheit damit beschäftigen, über die heilige Schrift zu arbeiten.

Er verließ bald darauf La Trappe und trug fünf oder sechs Jahre lang Verwirrung in alle Klöster, in die man ihn nacheinander steckte, und endlich fanden die Superioren, daß es das einfachste sei, ihn in einer Pfründe seines Bruders leben zu lassen, wie es ihm behagte. Er trachtete fortwährend wieder nach La Trappe zurückzukehren, dort Zwietracht zu säen und wieder Abt zu werden. Dies zwang mich schließlich, einen königlichen Befehl zu veranlassen, der ihm verbot, sich La Trappe auf weniger als dreißig und Paris auf weniger als zwanzig Meilen zu nähern.


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