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XV

Der Abt von La Trappe. Ich lasse von Rigaud heimlich sein Bild malen. Rigaud verkauft gegen die Abmachung Kopien davon. Empfang der Prinzessin von Savoyen an der Grenze. Anmaßung des Grafen von Brionne. Entzücken des Königs über die kleine Prinzessin. Der Empfang in Fontainebleau. Das Verhältnis der Prinzessin zu Frau von Maintenon. Die Komtessen von Soissons.

 

Die große Zuneigung und Bewunderung, die ich für den Abt von La Trappe empfand, hatten in mir schon lange den dringenden Wunsch erweckt, auch nach seinem Tode ein Abbild seiner Züge bewahren zu können, wie seine Werke seinen Geist und das Wunderbare seines Wirkens verewigen würden. Seine ungeheuchelte Demut erlaubte nicht, daß man ihn bat, sich malen zu lassen. Man hatte im Chor heimlich eine Skizze von ihm gemacht, nach der einige ziemlich ähnliche Medaillen hergestellt worden waren, allein diese befriedigten mich nicht. Da er zudem außerordentlich leidend war, verließ er die Krankenstube so gut wie gar nicht mehr und erschien an keinem Orte, wo man seine Züge hätte festhalten können.

Rigaud war damals der erste Maler Europas, was die Ähnlichkeit der Bildnisse und die Kraft und Dauerhaftigkeit der Malerei betrifft, aber es galt einen so mit Arbeit überhäuften Mann zu überreden, Paris auf einige Tage zu verlassen und ferner gemeinsam mit ihm zu sehen, ob der Kopf des Abtes ausdrucksvoll genug sei, um eine ähnliche Wiedergabe aus dem Gedächtnisse zu Nach dem Etat des portraits faits par Rigaud in der Bibliothèque de l'Institut, ms. 139 hätte der Maler nur 900 Livres (= 300 Taler, und nicht 1000) für das Bildnis Rancés in ganzer Figur erhalten. 1696 war der reguläre Preis für ein Porträt von gewöhnlichen Dimensionen 140 Livres (vorher überschritt er 120 Livres nicht, und Frau v. Frémont, die Großmutter von Saint-Simons Gattin, hatte 1693 nur 110 Livres bezahlt). Rigaud erhielt selten eine höhere Summe, außer für gewisse Bildnisse des Königs und solche in ganzer Figur. Ausnahmsweise bezahlte der Marschall v. Boufflers 1694: 500 L., Saint-Simons Vater 1692: 420 L., der Finanzpächter Laugeois d'Imbercourt 1694: 440 L., Dangeau 1700: 650 L. und 1702: 600 L., Vauban 1704: 500 L. Im Jahre 1696 malte Rigaud 36 Bildnisse, die ihm 8662 L. einbrachten. Jedes Jahr lieferte er auch eine gewisse Anzahl Kopien, die er mit 50 L. das Stück berechnete und gewöhnlich durch Schüler ausführen ließ. So bezahlte er 1695 le Roy 6 L. für eine Skizze des Herzogs v. Saint-Simon.gestatten. Dieser letzte Vorschlag, der ihn zuerst erschreckte, war vielleicht das Mittel, ihn zur Annahme des ersten zu bewegen. Ein Mann, der alle seine Kunstgenossen überragt, findet es verlockend, sich auf seinem Gebiete in einer einzigartigen Weise hervorzutun, und so erklärte er sich bereit, den Versuch zu machen und die dazu nötige Zeit zu opfern. Das Geld reizte ihn vielleicht auch. Ich hielt in meinem damaligen Alter meine Reisen nach La Trappe sehr geheim und wollte also auch Rigauds Reise durchaus geheim halten. Ich stellte daher die Bedingung, daß er nur für mich arbeite, daß er volle Verschwiegenheit bewahre, und daß, wenn er eine Kopie für sich anfertige, worauf er bestand, er sie so lange der Öffentlichkeit entziehe, bis ich ihm die Erlaubnis gäbe, sie sehen zu lassen. Er verlangte 1000 Taler, bar zahlbar nach seiner Rückkehr, freie Station und eine Postchaise für die Hin- wie für die Rückfahrt. Ich erhob nicht den geringsten Einwand und nahm ihn voll beim Worte. Es war im Frühjahr, und ich verabredete mit ihm, daß die Sache nach meiner Rückkehr von der Armee vor sich gehen solle, und daß er dann alles liegen lassen müsse. Gleichzeitig hatte ich mich mit dem neuen Abte, Herrn Maisne, dem ehemaligen Sekretär meines alten Freundes, und Herrn von Saint-Louis, einem ehemaligen Kavalleriebrigadier, verständigt, die ebenso wie ich den Wunsch hatten, dieses Bildnis ausgeführt zu sehen.

Als ich sodann im Herbst von Fontainebleau, wo ich dem Könige meine Aufwartung gemacht hatte, zurückkehrte, blieb ich nur eine Nacht in Paris, wo ich mich nach meiner Ankunft mit Rigaud über alles verständigte. Dieser reiste einen Tag nach mir nach La Trappe. Dort angekommen, benachrichtigte ich meine Mitwisser und sagte dem Abte, ein Offizier aus meiner Bekanntschaft habe ein so dringendes Verlangen, ihn zu sehen, daß ich ihn inständig bäte, seine Einwilligung zu geben. Er empfing nämlich fast niemand mehr. Ich fügte hinzu, da ich ihm Hoffnung gemacht, werde er bald eintreffen, er stottere aber sehr, werde ihn daher nicht mit Reden belästigen, rechne aber darauf, sich dafür durch seinen Anblick zu entschädigen. Der Abt lächelte gütig, fand, daß die Neugier dieses Offiziers etwas sehr Geringem gelte und versprach mir, ihn zu empfangen.

Hyacinthe Rigaud

Nachdem Rigaud angekommen war, führten ihn der neue Abt, Herr Maisne, und ich schon am Morgen in eine Art Kabinett, das dem Abte untertags als Arbeitszimmer diente, und wo ich gewohnt war, ihn zu sehen. Dieses Kabinett, das er aufsuchte, wenn er sein Krankenzimmer verließ, war von den beiden Schmalseiten her erhellt und hatte nur weiße Wände, die mit einigen religiösen Stichen geschmückt waren, strohgeflochtene Stühle und den Schreibtisch, auf dem der Abt alle seine Werke geschrieben hatte und der noch dasselbe Aussehen zeigte, wie früher. Rigaud fand die Lichtverhältnisse nach Wunsch; der Pater Abt setzte sich zur Probe an den Platz, wo der alte Herr mit mir zu sitzen pflegte – es war eine Ecke des Kabinetts – und glücklicherweise fand Rigaud, daß er sich vollkommen eigne, das Modell, wie es für ihn erforderlich sei, zu betrachten. Von da führten wir ihn an einen anderen Ort, wo wir ganz sicher waren, daß er von niemand gesehen oder unterbrochen würde. Rigaud fand ihn, was das Licht und den Ausblick anbetraf, sehr geeignet und brachte sogleich alles dorthin, dessen er zur Ausführung der Arbeit bedurfte.

Am Nachmittag stellte ich meinen Offizier dem Abt von La Trappe vor; er nahm bei uns Platz und zwar in der Stellung zu uns, die er am Morgen ausprobiert hatte und blieb ungefähr dreiviertel Stunden bei uns. Sein Sprachfehler diente ihm als Entschuldigung, daß er sich an der Unterhaltung nicht beteiligte, und dann ging er, um die Eindrücke, mit denen er sich vollgesogen hatte, auf seine ganz malfertige Leinwand zu werfen.

Der Abt von La Trappe, mit dem ich noch lange zusammenblieb, hatte nichts gemerkt und bedauerte nur den Sprachfehler des Offiziers. Am andern Tage ging es ebenso. Der Abt fand zuerst, daß ein Mann, den er nicht kenne und der sich so schwer an der Unterhaltung beteiligen könne, ihn hinreichend gesehen habe, und nur aus Gefälligkeit für mich weigerte er sich nicht, ihn vorzulassen. Ich hoffte, eine weitere Sitzung sei nicht nötig, und was ich von dem Bildnis sah, bestärkte mich in meiner Anschauung, so gut aufgefaßt und so ähnlich erschien es mir, aber Rigaud wollte durchaus noch eine Sitzung, um es nach seinem Sinne zu vervollkommnen.

So hieß es denn, den Abt dazu zu bewegen. Dieser empfand es beschwerlich und weigerte sich zuerst; ich ließ aber nicht nach, bis ich diesen dritten Besuch von ihm erlangt oder, besser gesagt, ihm abgepreßt hatte. Er sagte mir, um einen Mann zu sehen, der nichts weiter verdiene und wünsche als verborgen zu bleiben, seien drei Besuche verlorene Zeit und lächerlich; für diesmal gebe er meinem Drängen nach, doch unter der Bedingung, daß es das letztemal sei, und ich ihm nicht mehr davon spräche. Ich sagte Rigaud, er möge es so einrichten, daß er einer weiteren Sitzung entraten könne, denn es sei keine Aussicht mehr vorhanden, sie zu erlangen. Er versicherte mir, in einer halben Stunde werde er alles haben, was er sich vorgenommen und brauche den Abt dann nicht noch einmal zu sehen. Er hielt in der Tat Wort und brauchte nicht einmal eine ganze halbe Stunde.

Als er uns verlassen hatte, gab mir der Abt seine Überraschung zu erkennen, daß er von einem sozusagen stummen Menschen so lange angestarrt worden sei. Ich erklärte ihm, dieser Offizier sei der neugierigste Mensch von der Welt und habe stets die größte Sehnsucht danach gehabt, ihn zu sehen, er sei über die ihm gebotene Gelegenheit so glücklich gewesen, daß er mir gestanden habe, er habe die Augen nicht von ihm wenden können und, da er sich an der Unterhaltung nicht zu beteiligen vermochte, nur daran gedacht, sich durch seinen Anblick zu entschädigen. Ich brachte das Gespräch, sobald ich konnte, auf ein anderes Gebiet; denn ich war beständig in der größten Angst, er möchte auf den wahren Grund dieses Anstarrens verfallen, oder wenigstens auf einen Verdacht kommen, der unsere Absicht entweder vereitelt oder ihre Durchführung sehr erschwert hätte. Glücklicherweise kam ihm aber ein solcher Gedanke nie.

Rigaud arbeitete den Rest des Tages und auch noch den nächsten Tag, ohne den Abt von La Trappe mehr zu sehen, von dem er sich verabschiedet hatte, als er sich das drittemal zurückzog. Er schuf ein Meisterwerk, wie er es vollkommener nicht hätte schaffen können, wenn er es ganz offen nach ihm selbst gemalt hätte. Seine Züge waren mit der äußersten Genauigkeit getroffen, die Milde, Heiterkeit, Majestät seines Gesichtes, das edle, lebendige, durchdringende Feuer seiner Augen, das so schwer wiederzugeben war, die Feinheit und der ganze Geist und das Große, das sich in seinem Antlitze ausdrückte, jene Weisheit, jene Aufrichtigkeit, jener innere Friede eines Menschen, der seiner Seele sicher ist, alles dies war wiedergegeben, bis zu der Anmut, die das durch die Bußübungen, das Alter und die Leiden abgezehrte Gesicht noch nicht verlassen hatte.

Am Morgen ließ ich ihn den Pater Abt, der sich zu diesem Zwecke an den Schreibtisch gesetzt hatte, für die Haltung, dann das Gewand und den Schreibtisch selbst, samt allem, was darauf war, mit dem Stift aufnehmen, und am andern Tage reiste er mit dem kostbaren Kopfe ab, den er so gut erhascht und so ausgezeichnet wiedergegeben hatte, um ihn in Paris im großen auf eine andere Leinwand zu bringen und die Figur, den Schreibtisch und alles übrige hinzuzufügen. Er war zu Tränen gerührt von dem erhebenden Schauspiel des Chors und des Kommunionsgesanges während des Hochamtes am Allerheiligentage und konnte dem Pater Abt eine Kopie in der Größe meines Originals nicht abschlagen. Es erfüllte ihn mit der lebhaftesten Befriedigung, daß er sich mit so vollkommenem Erfolge in einer so neuen und ohne Beispiel dastehenden Art ein Bildnis zu malen versucht habe. Sobald er in Paris war, machte er sich an die Kopie, die er für sich, und an die andere, die er für La Trappe bestimmt hatte, und arbeitete mit Unterbrechungen an den Gewändern und dem Beiwerk meines Originals. Die Arbeit zog sich geraume Zeit hin, und er hat mir später versichert, daß er infolge der Anstrengungen, denen er sich in La Trappe unterzogen und infolge der Wiederholung derselben Vorstellungen, die er sich ins Gedächtnis zurückrief, um seine Kopien besser auszuführen, den Kopf zu verlieren dachte und darauf mehrere Monate lang ganz unfähig gewesen sei, an seinen Bildnissen zu arbeiten.

Die Eitelkeit hinderte ihn, mir Wort zu halten, trotz der tausend Taler, die ich ihm am Tage nach seiner Ankunft in Paris überbringen ließ. Er konnte sich mit der Zeit, d. h. drei Monate später, nicht enthalten, sein Meisterwerk zu zeigen, bevor er es mir übergab, und verriet dadurch mein Geheimnis. Nach der Eitelkeit kam die Gewinnsucht. Nach seinem eigenen Geständnis hat er mehr als 25 000 Livres für Kopien eingenommen, und so wurde das Porträt allgemein bekannt. Als ich sah, daß daran nichts mehr zu ändern war, bestellte ich deren selbst, nachdem ich ihm seinen Wortbruch vorgehalten hatte, und verschenkte eine Anzahl davon.

Das Aufsehen, das dadurch hervorgerufen wurde, war mir sehr peinlich, indessen tröstete ich mich damit, daß es mir gelungen war, ein Abbild der mir so teuren Züge zu erlangen und der Nachwelt das Bildnis eines so großen, so vollkommenen und so berühmten Mannes zu übermitteln. Ich wagte nie, ihm meinen Diebstahl einzugestehen, als ich jedoch La Trappe verließ, schrieb ich ihm einen Brief mit der Erzählung des ganzen Hergangs und bat ihn darin um Verzeihung. Er fühlte sich sehr schmerzlich dadurch berührt, konnte mir aber nicht lange zürnen. Er schrieb mir, ich wisse wohl, daß ein römischer Kaiser gesagt habe, er liebe den Verrat, aber nicht die Verräter; er für seine Person denke darin jedoch ganz anders; denn er liebe den Verräter, müsse dagegen seinen Verrat hassen. Ich schenkte dem Kloster eine große und eine kleine Kopie und den Herren von Saint-Louis und Maisne ebenfalls je eine kleine, d. h. ein Brustbild und sandte sie alle gleichzeitig hin. Die rechte Hand des Abtes von La Trappe war seit einigen Jahren steif und versagte den Dienst. Sowie ich im Besitze meines Originals war, auf dem er mit der Feder in der Hand an seinem Schreibtische sitzend dargestellt ist, ließ ich diesen Umstand auf die Rückseite der Leinwand schreiben, damit er nicht späterhin noch einmal einen Irrtum veranlasse, vor allem aber ließ ich die Art, wie es aus dem Gedächtnis gemalt wurde, vermerken, damit man nicht auf die Vermutung komme, er habe sich bereitfinden lassen, dazu zu sitzen.

 

Der Hofstaat der Prinzessin von Savoyen hatte sich gegen drei Wochen in Lyon aufhalten und warten müssen, bis sie sich Pont-de-Beauvoisin, wo er sie empfangen sollte, näherte. Dienstag, den 16. Oktober, morgens, traf sie dort ein, von der Principessa della Cisterna und Frau von Noyers begleitet. Der Marchese von Dronero war mit der Führung des ganzen Zuges betraut. Er und die Offiziere und Damen des Gefolges erhielten viele schöne Geschenke von Seiten des Königs. Die Prinzessin ruhte sich in einem Hause aus, das auf der savoyischen Seite für sie hergerichtet worden war, und legte dort ihren Putz an. Sie begab sich sodann zur Brücke, die ganz auf französischem Boden liegt, wurde am Eingang derselben von ihrem neuen Hofstaat empfangen und in die für sie vorbereitete Wohnung auf der französischen Seite geleitet. Dort übernachtete sie, und am übernächsten Tage trennte sie sich von ihrem ganzen italienischen Hofstaate, ohne eine Träne zu vergießen. Es folgten ihr nur eine einzige Kammerfrau und ein Arzt, die jedoch auch nicht in Frankreich bleiben sollten und bald darauf zurückgeschickt wurden.

Bevor ich weitergehe, muß ich noch einen Vorfall erwähnen, der schuld daran war, daß die Prinzessin sich an der Grenze aufhalten mußte. Der Graf von Brionne, der im Namen des Königs beauftragt war, die Prinzessin von dem Marchese von Dronero in Empfang zu nehmen, der sie im Namen des Herzogs von Savoyen zu übergeben hatte, verlangte in der Übermittlungsurkunde, in welcher der Herzog von Savoyen als königliche Hoheit bezeichnet war, Hoheit genannt zu werden. Er bestand so hartnäckig darauf, was man ihm auch von beiden Seiten einwenden mochte, daß der Marchese von Dronero, um die Prinzessin nicht noch länger aufzuhalten, die Bezeichnung Hoheit auf beiden Seiten strich und es vermied, den Herzog von Savoyen ausdrücklich zu erwähnen. Dieser Fürst fühlte sich außerordentlich beleidigt, als er von den Schwierigkeiten hörte, die der Graf von Brionne gemacht hatte, und auch der König fand die Sache sehr unpassend, – aber es war nun einmal geschehen und nichts mehr daran zu ändern, und so wurde nicht mehr davon gesprochen.

Ferner muß ich noch das Eintreffen eines Kuriers des Königs erwähnen, der den Befehl überbrachte, die Prinzessin in jeder Beziehung wie eine königliche Prinzessin von Frankreich zu behandeln, und als ob sie schon mit dem Herzog von Burgund vermählt wäre. Die Schwierigkeiten, die sich überall wegen ihrer Rangstellung hätten ergeben müssen, hatten den Herzog von Orléans veranlaßt, den König darum zu bitten, die Prinzen und Prinzessinnen von Geblüt hatten denselben Wunsch, und der König war darauf eingegangen. Dieser Kurier traf in demselben Augenblicke ein, als die Prinzessin ankam, so daß diese nur die Herzogin von Lude und den Grafen von Brionne küßte, und nur die Herzogin von Lude in ihrer Gegenwart sich setzte. In allen Städten, durch die sie kam, wurde sie als Herzogin von Burgund empfangen, und an den Rasttagen in den großen Städten speiste sie öffentlich zu Mittag und wurde Der Cheval-Blanc-Hof im Schlosse von Fontainebleau, sonst Basse-Cour oder Grande-Cour genannt, hatte seinen Namen nach dem Gipsabguß des Pferdes Marc-Aurels, das Katharina de' Medici dort aufstellen ließ. Dieses Gipspferd wurde 1626 beseitigt, weil es zerbrochen war. – Die Prinzessin von Savoyen war noch nicht elf Jahre alt.von der Herzogin von Lude bedient. In allen andern Fällen speisten ihre Damen immer mit ihr.

Sonntag, den 4. November, fuhren der König, der Dauphin und der Herzog von Orléans, jeder für sich, nach Montargis der Prinzessin entgegen, die um sechs Uhr abends dort ankam und von dem Könige an dem Schlage ihres Wagens empfangen wurde. Er führte sie in die ihr bestimmten Gemächer, die sich in demselben Hause befanden, wo auch der König wohnte und stellte ihr darauf den Dauphin, den Herzog von Orléans und den Herzog von Chartres vor. Die hübschen Einfälle, die geistreichen Schmeicheleien, die man von ihr erzählte, ihr unbefangenes und doch respektvolles Auftreten überraschten jedermann auf das höchste und entzückten den König gleich von Anfang an. Er wußte sie nicht genug zu loben und liebkoste sie unaufhörlich, auch beeilte er sich, einen Kurier an Frau von Maintenon zu senden, um ihr seine Freude und sein Entzücken über die Prinzessin zu melden. Dann tafelte er mit den Damen der Begleitung zu Abend und ließ die Prinzessin zwischen sich und dem Dauphin sitzen.

Am andern Morgen holte der König sie ab, führte sie in die Messe, und nach der Mittagstafel stiegen sie in den Wagen, der König und der Herzog von Orléans auf den Rücksitzen, der Dauphin und die Prinzessin auf den Vordersitzen und die Herzogin von Lude am Schlage neben der Prinzessin. Der Herzog von Burgund traf in Nemours mit ihnen zusammen, der König ließ ihn am andern Schlage Platz nehmen, und gegen fünf Uhr abends fuhren sie zu Fontainebleau in dem Cheval-Blanc-Hofe ein. Der ganze Hof hatte auf der hufeisenförmigen Doppeltreppe Aufstellung genommen, was zusammen mit der unten wartenden Menge ein sehr schönes Schauspiel bot. Der König geleitete die kleine Prinzessin, die aus seiner Tasche zu schlüpfen schien, ganz langsam auf die Tribüne und von dort gleich darauf in das große Appartement der Königin-Mutter, das für sie bestimmt war, und wo die Herzogin von Orléans und alle Damen des Hofes auf sie warteten.

 

Der König bestimmte, daß sie ganz kurz »Prinzessin« genannt werden, daß sie allein speisen und von der Herzogin von Lude bedient werden, daß sie nur ihre Damen und jene, welchen er die besondere Erlaubnis erteilen würde, sehen und daß sie noch nicht Hof halten sollte, ferner daß der Herzog von Burgund sie nur alle vierzehn Tage und seine Brüder nur einmal im Monat besuchen sollten. Am 8. November kehrte der ganze Hof nach Versailles zurück, wo die Prinzessin die Gemächer der Königin und dann die der Kronprinzessin bezog.

Der König und Frau von Maintenon verhätschelten die Prinzessin, deren zutrauliches, einschmeichelndes, aufgewecktes Wesen ihnen außerordentlich gefiel und die sich allmählich mit ihnen Freiheiten erlaubte, wie sie keines der Kinder des Königs je sich herauszunehmen gewagt hatte, die jedoch bei ihr entzückten.

Der Herzog von Savoyen schien genau über die Verhältnisse an unserem Hofe informiert zu sein und seine Tochter gut unterrichtet zu haben. Wahrhaft erstaunlich aber war es, wie gut sie sich seine Winke zunutze zu machen wußte, und mit welcher Anmut sie alles fertig brachte. Nichts läßt sich mit den Schmeicheleien vergleichen, mit denen sie alsbald Frau von Maintenon zu bestricken verstand, die sie nie anders als »meine Tante« nannte. Für eine Mutter und eine Königin hätte sie nicht mehr Unterwürfigkeit und Respekt an den Tag legen können als für sie, und damit verband sie eine Vertraulichkeit und Ungezwungenheit, die Frau von Maintenon und mit ihr den König entzückten.

 

Den beiden Fräulein von Soissons, die sich in Paris höchst merkwürdig aufführten und nicht bei Hofe erschienen, wurde verboten, die Prinzessin zu besuchen. Sie waren Schwestern des Grafen von Soissons und des Prinzen Eugen von Savoyen, von denen der letztere im Dienste des Kaisers zu den höchsten militärischen Rangstufen gelangt ist, während der andere seit einem oder zwei Jahren Frankreich, wo er sich bis dahin stets aufgehalten, verlassen hat und in ganz Europa herumstreicht, ohne irgendwo Verwendung zu finden. Die Schwester Pontchartrains: Suzanne Phélypeaux, geb. 1641, verheiratet 1656, gest. 1690.


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