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IX

Verrat, der Spanien Barcelona erhält, um den Marschall von Noailles zu verderben. Seltsame Heirat der Tochter des Marschalls von Luxemburg.

 

Bevor ich den Krieg dieses Jahres verlasse, muß ich noch auf einen merkwürdigen Vorfall zu sprechen kommen. Der Marschall von Noailles und der Marquis von Barbezieux standen sehr schlecht miteinander: beide aber waren beim König in Gunst, beide stolz, beide verwöhnt. Herr von Noailles hatte in seiner Statthalterschaft Roussillon eine Reihe von Privilegien durchgesetzt, die ihn dort ziemlich unumschränkt und vom Staatssekretär des Krieges sehr unabhängig machten. Frau von Maintenon, die Feindin des Herrn von Louvois, war ihm dabei behilflich gewesen, und der Sohn, der noch weniger Vollmacht besaß als der Vater, hatte nichts daran ändern können. Er liebte den Herzog von Luxemburg, der mit Herrn von Noailles eng befreundet war, nicht, und so bildete sich auf beiden Seiten eine Gruppe, die sich sehr mißtrauisch betrachtete.

Die Erfolge, die Noailles dieses Jahr in Katalonien davongetragen, hatten Barbezieux sehr gekränkt. Er fürchtete noch weitere, die seiner Meinung nach infolge des dadurch vergrößerten Einflusses seiner Feinde die Vorläufer seines Verderbens sein müßten. Alles, was in Katalonien vollbracht worden war, ebnete die Wege zur Belagerung von Barcelona, und diese Eroberung drückte das Siegel auf die jenes ganzen Fürstentums, setzte auch den König in die Lage, am Ende des Winters mit Erfolg das Herz Spaniens anzugreifen, was immer sein Ziel gewesen war.

Herr von Noailles wußte aus dem Munde des Königs selbst, wie sehr ihm dieser Plan am Herzen lag, und da er endlich die Möglichkeit so nahegerückt sah, wünschte er die Ausführung ebensosehr, ja um so leidenschaftlicher, als sie das Vizekönigtum, das er erhalten hatte, befestigen, seinen Glanz und seine Gunst erhöhen und ihn notwendigerweise zum General der Armee machen würde, die im folgenden Jahre Spanien angreifen sollte. Dieser durch die empfindlichsten und am leichtesten zu durchdringenden Gegenden geplante Vorstoß sollte Spanien zwingen, um Frieden zu bitten, und er würde dann den ganzen Ruhm davon haben. Er drang daher in den König, zeitig seine Befehle zu erteilen, um ihn in den Stand zu setzen, diese Belagerung mit Sicherheit zu unternehmen. Herr von Barbezieux, den er dadurch in Verzweiflung brachte, wagte nicht, gegen seine Vorschriften zu handeln, die durch das doppelte Interesse des Marschalls von Noailles diktiert waren, erstens mit allem rechtzeitig fertig zu sein und zweitens ihn nicht zu schonen, wenn er mit irgend etwas im Rückstande sein sollte.

Eine Flotte von 52 Kriegsschiffen ging am 3. Oktober von Toulon ab. Sie hatte 5200 Mann Truppen an Bord, die in der Provence der Armee des Herzogs von Vendôme entnommen waren. Nichts fehlte mehr, als Hand ans Werk zu legen, als Herr von Noailles dem Könige von allem noch besonders Rechenschaft geben und seine Befehle direkt empfangen wollte – alles ohne Wissen des Marquis von Barbezieux. Zur Ausführung dieses für ihn so wichtigen Auftrages wählte er den Generalmajor Genlis, der seine Freundschaft in einem Maße gewonnen hatte, daß die ganze kleine Armee des Marschalls auf ihn eifersüchtig wurde. Er hatte weder Vermögen, noch Aussicht auf eine glänzende Laufbahn, und hatte sich daher Herrn von Noailles ganz ergeben. Dieser verschaffte ihm ein Regiment, brachte ihn dann ganz plötzlich an die Spitze einer Brigade und erreichte es zuletzt, daß er Generalmajor wurde. Er verfügte über Geist und Schlauheit und hatte keine andere Verbindung und Protektion als die, der er alles verdankte. Herr von Noailles glaubte daher nichts Besseres tun zu können, als ihm ein einfaches Beglaubigungsschreiben an den König mitzugeben und ihn als einen lebendigen Brief anzukündigen, der sofort auf alles antworten und, ohne ihn durch ein langes Schreiben zu belästigen, ihm in einer halben Stunde mehr sagen würde, als er ihm in mehreren Tagen schreiben könnte; die Worte verfliegen, die Schrift bleibt; ein Kurier kann bestohlen werden, erkranken, seine Depeschen schicken müssen. Diese Auskunft beugte allen Unannehmlichkeiten vor und ließ Barbezieux in der Unwissenheit und in der Angst über all das, was auf diese Weise durch Genlis vor sich gehen würde.

Barbezieux, der in Katalonien um so mehr und um so bessere Spione hatte, als dieses für ihn die gefährlichste Gegend war, wurde von Genlis' Absendung und von dem Tage seiner Abreise in Kenntnis gesetzt und erfuhr außerdem noch, daß er geradeswegs zum Könige zu reisen hatte, und daß es ihm vor allen Dingen verboten sei, ihn, Barbezieux, zu besuchen. Da faßte er einen kühnen Entschluß: er ließ aufpassen, wann Genlis sich Paris näherte und ihn dann, ohne ihn einen Augenblick aus den Augen zu verlieren, zu sich nach Versailles Die wirklichen Gründe, weshalb Barcelona 1694 nicht genommen werden konnte, waren der Mangel an Geld, der schlechte Zustand der Truppen und die tatsächliche Erkrankung des Marschalls von Noailles, der am 23. September um seinen Abschied und die Erlaubnis zur Heimkehr einkam. Barbezieux hatte insofern Schuld daran, daß die Unternehmung nicht ausgeführt werden konnte, als er nicht für die nötigen Mittel sorgte, vielleicht auch nicht sorgen konnte. Vgl. die Mémoires de Noailles, S. 49 ff., die auch den Text seines Briefes an den König enthalten, und die Tatsache, daß er Barbezieux von allem unterrichtet hatte. Saint-Simon scheint also schlecht unterrichtet gewesen zu sein.führen. Als er ihn hatte, schmeichelte er ihm so lange und verstand es so gut, ihn den Unterschied zwischen der Freundschaft des Herrn von Noailles, so sehr dieser auch in Gunst stehen mochte, und der eines Staatssekretärs des Krieges seiner Art und seines Alters für seine künftige Laufbahn fühlen zu lassen, daß er es dahin brachte, ihn zu der schwarzen Treulosigkeit zu verleiten, den König nur in seiner Gegenwart zu sehen und ihm ganz das Gegenteil von dem zu sagen, was ihm aufgetragen worden war.

Barbezieux gab ihm also ganz genaue Vorschriften, nachdem er alles, womit er beauftragt war, aus ihm herausgezogen hatte, und Genlis gehorchte ihm in allen Stücken. Auf diese Weise wurde der Plan, Barcelona zu belagern, vollkommen fallen gelassen, und zwar im Augenblick seiner Ausführung, als man vernünftigerweise durchaus auf einen vollen Erfolg rechnen durfte und angesichts des Zustandes der Streitkräfte Spaniens an dieser seit deren Niederlage gleichsam verlassenen Grenze, keinen Entsatz zu befürchten hatte. Herr von Noailles aber war es, auf den in den Augen des Königs der Fehlschlag eines so wichtigen Unternehmens zurückfiel, und zwar gerade infolge seiner Vorsichtsmaßregel, Genlis nur ein einfaches Beglaubigungsschreiben mitzugeben, so daß alles, was dieser seinem Auftrage direkt zuwider sagte, keinem Widerspruch begegnete und ganz von Noailles in eigener Sache gesprochen galt. Man kann sich denken, daß Barbezieux keine Zeit verlor, die notwendigen Befehle abzusenden, um alsbald alle Vorbereitungen rückgängig zu machen und der Flotte die Ordre zustellen zu lassen, wieder nach Toulon zurückzukehren. Man kann sich ferner vorstellen, welch Blitz aus heiterm Himmel das für Noailles war; aber die Intrige war so Die Kopfsteuer war bereits 1356 zeitweilig eingeführt worden; sie wurde 1695 von Pontchartrain wieder eingeführt. Sie hörte nach drei Jahren und drei Monaten wieder auf, um 1701 dauernd wieder eingeführt zu werden. Von Bâvilles Vaterschaft ist sonst nichts bekannt. – Schlacht bei Sedan, bekannter unter dem Namen Schlacht von la Marfée (6. Juli 1641). – Soissons-Palais; dieses von Jean Ballant für Katharina de' Medici erbaute Palais, war 1604 von Charles de Bourbon, Grafen von Soissons, angekauft worden. Es wurde 1748 abgerissen; an seiner Stelle steht jetzt die Halle aux Blés.gut gesponnen worden, daß es ihm nie gelang, sich vor dem König reinzuwaschen; man wird die Folgen davon sehen – sie bildeten die Grundlagen für die Größe des Herrn von Vendôme.

Um diese Zeit herum wurde die Kopfsteuer eingeführt. Der sie erfand und in Vorschlag brachte, war Bâville, der berühmte Intendant der Languedoc. Eine Steuer, die man so leicht auf willkürliche Weise auferlegen, desgleichen erhöhen und so mühelos erheben konnte, war sehr verführerisch für einen Generalkontrolleur, der sich in Verlegenheit befand, wie er die Mittel zu allem beschaffen sollte. Nichtsdestoweniger widersetzte sich ihr Pontchartrain mit aller Kraft. Er sah ihre schrecklichen Folgen voraus und erkannte, daß es in der Natur dieser Auflage liege, niemals aufzuhören. Der Ruf danach wurde aber immer lauter und der Bedarf immer größer, und so zwangen ihn die Parteien endlich dazu.

 

Als der Marschall von Luxemburg ankam, brachte er für seine Tochter eine seltsame Heirat zum Abschluß. Man hat oben von dem Tode des letzten aller Longuevilles gehört und von seinem Testament zugunsten des Prinzen von Conti, seines Vetters. Frau von Nemours war seine Stiefschwester. Sie war eine Tochter der Schwester der Prinzessin von Carignan und des letzten Prinzen von Geblüt vom Zweige Soissons, der 1641 unverheiratet in der Schlacht bei Sedan gefallen war. Frau von Nemours war die Witwe des letzten Herzogs von Nemours aus dem Hause Savoyen und hatte keine Kinder. Sie war eine sehr stolze, ungewöhnliche, sehr geistvolle Frau, die sehr zurückgezogen im Soissonspalais lebte und dort keine besonders gute Gesellschaft bei Die Orléans-Longueville besaßen die souveräne Grafschaft Neufchâtel in der Schweiz seit 1504.sich sah. Sie war ungeheuer reich und lebte sehr glänzend; ihre Gestalt war höchst seltsam und ihre Kleidung desgleichen, doch merkte man ihr die große Dame sehr an. Sie hatte den Haß des Zweiges ihrer Mutter gegen den der Condés geerbt, einen Haß, der stark gewachsen war infolge der Verwaltung der großen Güter des Herrn von Longueville, welche der Prinz von Condé nach dem Tode ihrer Mutter, der Schwester dieses Prinzen, trotz ihrer Bemühungen darum, in die Hände bekommen hatte, und nach ihm sein Sohn. Das zugunsten des Prinzen von Conti errichtete Testament bedeutete für sie keine Schmälerung; denn es fand sich ein späteres, das zu ihren Gunsten lautete. Diesem letzteren wollte sie Geltung verschaffen und das erste aufheben lassen. Der Prinz von Conti bestand aber auf dem Seinigen und focht das andere, als nach Eintritt des Irrsinns errichtet, an: das führte zu einem großen Prozeß.

Der Zorn, in den er Frau von Nemours setzte, und die Verachtung, die sie stets für ihre Erben gehabt hatte, bewogen sie, einen alten obskuren illegitimen Sohn des letzten Herzogs von Soissons auszugraben, einen Bruder ihrer Mutter, der die Benediktinerabtei de la Couture-du-Mans besaß, in deren Schenken er sein Leben hinbrachte.

Er besaß weder gesunden Menschenverstand, noch war er je Soldat gewesen, noch hatte er irgendwann in seinem Leben mit einem Manne verkehrt, den man nennen konnte. Sie ließ ihn kommen, beherbergte ihn bei sich und gab ihm alles, was sie ihm geben konnte und in bester Form, – und was sie geben konnte, war ungeheuer viel. Von dieser Zeit ab ließ sie ihn den Prinzen von Neufchâtel nennen und trachtete, ihn durch eine große Heirat zu stützen. Eine große, bisher noch geheime Gunst, d. h. das Versprechen des Herzogstitels für seinen zweiten Sohn.

Fräulein von Luxemburg, die sie im Auge hatte, war nichts weniger als schön, jung und geistvoll; sie wollte nicht Nonne sein, und man wollte ihr nichts geben. Die Herzogin von Mecklenburg hatte diese seltsame Partie ausgeheckt. Ihr Stolz errötete nicht im Gedanken daran, auch der ihres Bruders, des Marschalls von Luxemburg, nicht, an den sie darüber schrieb. Es war ihm bei der Sache jedoch nicht wohl genug zumut, daß er es hätte wagen mögen, in Anbetracht dieser Heirat unter Berufung auf die Herrschaft Neufchâtel, die diesem Bastard gegeben worden war, und nach der er sich bereits nannte, einen Rang vom Könige zu erbitten.

Herr von Luxemburg, der bei seiner Abreise eine große bisher noch geheime Gunst erlangt hatte, von der ich noch sprechen werde, getraute sich also nicht, auch noch diese zu fordern, und überließ es der Geschicklichkeit seiner Schwester, die Angelegenheit durchzuführen. Um jeder Verlegenheit, ob er darum bitten solle oder nicht, enthoben zu sein, sprach er in keinem seiner Briefe an den König von der geplanten Heirat. Von diesem Rangprojekt war indes schon etwas durchgesickert, als die Herzogin von Mecklenburg zum König ging, um seine Einwilligung zu dieser Ehe zu erbitten. Beim ersten Wort, das sie sagte, unterbrach sie der König und erklärte ihr, der Herzog von Luxemburg habe ihm keinerlei Meldung davon gemacht, er werde es nicht hindern, daß sie in dieser Sache tue, was ihr Bruder und sie für richtig fänden, er rechne aber wenigstens darauf, daß sie nicht daran dächten, einen Rang für den Ritter von Soissons zu erbitten, unter welchem Vorwand es immer sei; denn er würde ihm einen solchen niemals gewähren. So schob er diesem schönen Wahn einen Riegel vor.

Die Heirat kam nichtsdestoweniger zustande, und die Hochzeit wurde nach Ankunft des Marschalls von Luxemburg im kleinsten Kreise im Soissonspalais gefeiert. Frau von Nemours beherbergte die Neuvermählten und überhäufte ihre künftigen Erben einstweilen mit Geld, Geschenken und Einkünften. Sie faßte die wärmste Freundschaft gegen den Gatten wie gegen die Frau, die sich bei ihr einkapselten und keine andere Gesellschaft sahen, als die bei ihr verkehrte.


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