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V

Der Bischof von Noyon. Saint-Simon kauft ein Regiment. Der Sturz des Leibarztes d'Aquin. Fagon. La Vauguyon und seine Streiche. Stiftung eines neuen Ordens.

 

Nachdem Charleroy nach einer sehr schönen Verteidigung ehrenvoll kapituliert hatte, begab sich die Armee in die Fouragequartiere als Vorbereitung für die Winterquartiere. Als die letzteren bezogen wurden, hatte ich nur noch den Gedanken, nach einem Besuch Tournays und seiner schönen Zitadelle, heimzukehren. Ich fand die Wege und Poststationen in großer Unordnung. Unter andern Abenteuern, wurde ich von einem taubstummen Postillon gefahren, der mich in der Nacht bei du Quesnoy im Kot festfuhr. Ich begab mich nach Noyon zu dem Bischof, der ein Clermont-Tonnerre war, ein Freund und Verwandter meines Vaters, berühmt durch seine Eitelkeit und die Fakta und Dikta, die sich daraus ergaben. Sein Haus zeigte an allen Ecken und Enden, sogar an den Zimmerdecken und in den Fußböden sein Wappen, und an allen Vertäfelungen Grafen- und Pairsmäntel, doch ohne den Bischofshut. Überall, sogar auf dem Tabernakel seiner Kapelle, sah man die Schlüssel, die er im Wappen hatte, auch am Kamin und weiß Gott wo sonst noch, mit allem, was man sich an Ornamenten und Schmuckstücken denken kann: Tiaren, Rüstungen, Hüten usw. und alle Zeichen, die auf Kronämter Bezug hatten. In seiner Galerie hing eine Karte, die ich für die Darstellung eines Konzils genommen hätte, wenn an den beiden Enden nicht zwei Nonnen zu sehen gewesen wären: es waren die männlichen und weiblichen Heiligen seines Hauses. Ferner hingen dort zwei andere große genealogische Karten mit der Überschrift: »Abstammung des allerdurchlauchtigsten Hauses Clermont-Tonnerre von den Kaisern des Orients« und »von den Kaisern des Okzidents«. Er zeigte mir diese Herrlichkeiten, die ich in Eile bewundert, aber in einem andern Sinne als er; und ich erreichte Paris mit Mühe und Not. Ich dachte schon, ich müßte in Pont-Sainte-Maxence liegen bleiben, wo alle Pferde für den Herzog von Luxemburg zurückgehalten wurden. Ich erklärte dem Postmeister, ich sei der Gouverneur des Platzes, wie es auch der Fall war, und ich würde ihn ins Loch stecken lassen, wenn er mir keine Pferde gebe. Ich wäre freilich sehr verlegen gewesen, wie ich das hätte anfangen wollen, wenn er es mir verweigert hätte, aber er war einfältig genug, es mit der Angst zu kriegen und mir Pferde zu geben.

Ich hatte bei der Armee mit dem Ritter du Rozel, einem Reiterobersten, großen Parteigänger und sehr guten und geschätzten Offizier, Freundschaft geschlossen. Er hatte das Regiment des Prinzen Paul von Lothringen gehabt, der bei Neerwinden getötet worden war. Wenige Tage, bevor wir uns trennten, vertraute er mir an, daß der König die hundert Kompagnien Karabiniere, welche die Grenadiere der Kavallerie waren, zu einem einzigen Korps vereinige; daß dieses Korps in fünf Brigaden geteilt werde, jede mit ihrem Reiterobersten und seinem Stab, und daß das Ganze dem Herzog von Maine übertragen würde. Dieser und der König ebenfalls hätten sich die allergrößte Antoine d'Aquin; seine Habgier war sprichwörtlich. Außer seiner Charge, die jährlich 45 000 Livres einbrachte, hatte er 1692 eine Pension von 4000 Livres bekommen, eine Summe von 100 000 Livres nach der großen Operation des Königs und Ämter oder Abteien für alle seine Familienmitglieder.Mühe gegeben, den Grafen von Auvergne zu veranlassen, daß er ihm seine Charge als Generaloberst der Kavallerie verkaufte, – er hätte sich aber durch nichts dazu bestimmen lassen. Du Rozel fügte hinzu, er wisse, daß er eine dieser Brigaden erhalten würde und hätte infolgedessen sein Regiment zu verkaufen; ich sollte doch versuchen, es zu bekommen, er verlange von mir dafür 26 000 Livres, das droit d'avis einbegriffen, anstatt des regulären Preises von 22 500 Livres. Ich fand, daß die Benachrichtigung die 3500 Livres wohl wert war und dankte du Rozel sehr dafür.

Als ich nach Paris kam, fand ich, daß die Sache bekannt gegeben war. Ich schrieb an Herrn von Beauvillier und erhielt das Regiment in den ersten vierundzwanzig Stunden nach meiner Ankunft, wofür ich dem König bei meiner nächsten Aufwartung dankte. Ich hielt du Rozel Wort und bezahlte ihm die 26 000 Livres, ohne daß jemand etwas davon erfuhr, und wir sind unser ganzes Leben lang Freunde geblieben.

Ich fand bei Hofe eine Veränderung, die dort sehr überraschte. D'Aquin, der erste Arzt des Königs, eine Kreatur der Frau von Montespan, hatte durch die endliche Entfernung der Maitresse nichts von seinem Ansehen verloren; aber er hatte nie zu einem guten Verhältnis mit Frau von Maintenon kommen können, der alles, was nach jener andern Seite roch, immer mehr als verdächtig war. D'Aquin war ein gewiegter Höfling, aber geizig und habgierig und wollte seine Familie auf alle Weise unterbringen. Sein Bruder, der die Stelle eines gewöhnlichen Hofarztes hatte, war weniger als nichts, und der Sohn des ersten Arztes, der von ihm in den Rat und die Verwaltung gebracht wurde, taugte noch weniger. Der König war seines ewigen Bettelns und Drängens allmählich müde geworden, als Herr von Saint-Georges seinen Erzbischofsstuhl von Tours mit dem von Lyon vertauschte, der durch den Tod des Bruders des ersten Marschalls von Villeroy frei geworden war, des Oberbefehlshabers und Statthalters des Königs in dieser Provinz, den man recht eigentlich den letzten großen Herren unserer Tage nennen muß. D'Aquin hatte einen Sohn, der Abt war, einen Mann von ausgezeichneten Sitten, viel Geist und Wissen, für den er ganz unvermittelt das Erzbistum Tours zu verlangen und mit äußerster Beharrlichkeit deswegen in den König zu dringen wagte. Das war die Klippe, an der er scheiterte: Frau von Maintenon machte sich den Widerwillen des Königs gegen einen Mann, der unaufhörlich etwas verlangte und die Unverschämtheit hatte, seinen Sohn al dispetto aller Äbte ersten Grades und aller Bischöfe des Königreichs mit einem Schlage zum Erzbischof machen zu wollen, zunutze, und Tours wurde dem Abt d'Hervault gegeben, der lange mit Ehren Auditor der Rota gewesen war.

Frau von Maintenon, die alle Zugänge zum König kontrollieren wollte und dem Einfluß eines geschickten und klugen ersten Arztes immer mehr Bedeutung beimaß, je älter der König und je schwächer seine Gesundheit wurde, bemühte sich schon lange, d'Aquins Stellung zu untergraben und benutzte nun den Augenblick, da er infolge des Unwillens des Königs eine so große Angriffsfläche bot: sie bewog ihn, den Arzt davonzujagen und Fagon an seine Stelle zu setzen. Es war zu Allerheiligen, an dem Tage, da Pontchartrain, der außer der Marine noch Paris, den Hof und die Haustruppen des Königs in seinem Verwaltungsbereich hatte, bei ihr arbeitete. Er erhielt also Auftrag, am andern Fagon gehörte nicht der Fakultät von Montpellier, sondern der von Paris an und befehdete die Protektoren der ersteren.Tage, vor sieben Uhr morgens, zu d'Aquin zu gehen und ihm zu sagen, er solle sich auf der Stelle nach Paris zurückziehen, der König gebe ihm 6000 Livres Pension und seinem Bruder, der sich ebenfalls zurückzuziehen habe, 3000, auch werde ihm verboten, vor dem König zu erscheinen und an ihn zu schreiben. Noch nie hatte der König soviel mit d'Aquin gesprochen, wie am Abend vorher bei seiner Abendtafel und beim Coucher und nie hatte er ihn besser behandelt, wie es schien. Seine Entfernung war für ihn daher ein Blitzstrahl, der ihn rettungslos zerschmetterte. Der Hof war sehr erstaunt und merkte sofort, woher dieser Blitzstrahl kam, als der König selbst am Allerseelentage bei seinem Lever Fagon zum ersten Arzte erklärte und dadurch der erstaunten Welt d'Aquins Sturz kund tat, den dieser selbst keine zwei Stunden zuvor erfahren hatte. Er tat niemand etwas zuleide und wurde daher auch bedauert und in der kurzen Zeit, die er zu seiner Übersiedelung nach Paris brauchte, sogar besucht.

Fagon war einer der hervorragendsten Geister Europas, interessiert für alles, was Bezug auf seine Kunst hatte, ein großer Botaniker, guter Chemiker, sehr bewandert und kenntnisreich in der Chirurgie, ein ausgezeichneter Mediziner und praktischer Arzt. Er hatte auch auf andern Gebieten große Kenntnisse, gab es doch keinen besseren Physiker als ihn; er war sogar in den verschiedenen Teilen der Mathematik zu Hause. Er war sehr uneigennützig, ein glühender Freund, aber wem er feind war, dem verzieh er nicht. Er war der erbittertste Gegner der Scharlatane, d. h. der Leute, die Geheimmittel zu haben behaupteten, und sein Vorurteil ließ ihn in dieser Richtung viel zu weit gehen. Er liebte die Fakultät von Montpellier, der er angehörte und überhaupt die Medizin, bis zum Kultus. Seiner Meinung nach hatten nur diejenigen Ärzte das Recht zu praktizieren, die zu den Fakultäten zugelassen waren, deren Gesetze und Ordnung ihm heilig waren. Dabei war er ein feiner Hofmann und kannte den König, Frau von Maintenon, den Hof und die Welt von Grund aus.

Er war der Arzt der Kinder des Königs gewesen, seit Frau von Maintenon deren Erziehung in die Hände genommen hatte. Hier war der Ursprung der guten Beziehungen beider. Später war er Arzt der Enkel des Königs, und aus dieser Stellung wurde er zum ersten Arzte Ludwigs XIV. berufen. Die immer größere Gunst und Wertschätzung, deren er sich erfreute, brachten ihn nie in die Versuchung, sich über seinen Stand zu erheben und sein Auftreten zu ändern: er blieb stets respektvoll und in seinen Schranken.

Ein anderes Ereignis überraschte weniger, als die Karriere und das Schicksal der in Frage kommenden Persönlichkeit Erstaunen erregten. Sonntag, den 29. November (1693) erfuhr der König, als er vom Schlußgebet kam, durch den Baron von Beauvais, daß André La Vauguyon sich am Morgen in seinem Bette durch zwei Pistolenschüsse, die er sich in den Hals jagte, getötet habe, nachdem er sich seiner Leute entledigt, indem er sie in die Messe schickte. Ich muß über diese beiden Männer einige Worte sagen.

La Vauguyon war einer der kleinsten und ärmsten Edelleute von Frankreich: sein eigentlicher Name war Bétoulat, und er führte den Namen de Fromenteau. Er war ein sehr gut gewachsener Mann, aber von mehr als brauner Farbe und mit einem spanischen Gesicht. Er wußte sich mit Anmut zu geben und hatte eine sehr schöne Stimme, die er sehr gut auf der Laute oder der Die Gemahlin des Thronfolgers; der Dauphin hatte am 28. Januar 1680 Maria-Anna-Christine-Viktoria von Bayern geheiratet, die Tochter des Kurfürsten Ferdinand-Maria. Sie starb am 20. April 1690, als Saint-Simon 15 Jahre alt war.Gitarre zu begleiten verstand, dabei wußte er die Sprache der Frauen zu reden, hatte Geist und ein einschmeichelndes Wesen. Mit diesen Talenten und anderen, die verborgener, aber für die Galanterie von Nutzen waren, drängte er sich bei Frau von Beauvais ein, der ersten Kammerfrau der Königin-Mutter, die ihr ganzes Vertrauen besaß. Frau von Beauvais machte alle Welt um so mehr den Hof, als sie nicht weniger gut mit dem Könige stand, der seine Junggesellenschaft an sie verloren haben sollte. Ich habe sie noch als alte, trief- und einäugige Frau bei der Toilette der Gemahlin des Thronfolgers, einer bayerischen Prinzessin, gesehen, wo der ganze Hof sich bei ihr einzuschmeicheln suchte, weil sie von Zeit zu Zeit nach Versailles kam und dort stets mit dem König, der viel Wertschätzung für sie bewahrt hatte, unter vier Augen sprach.

Ihr Sohn, der sich Baron von Beauvais hatte nennen lassen, besaß die Jagdmeisterschaft der Ebenen um Paris. Er war mit dem König zusammen erzogen, hatte an seinen Balletts und Spielen teilgenommen und, galant, kühn, wohlgewachsen, wie er war, durch seine Mutter und einen persönlichen Geschmack des Königs gestützt, unter der Elite des Hofes seinen Mann gestanden und war seitdem vom König mit einer Auszeichnung behandelt worden, die ihn gefürchtet und gesucht machte. Er war ein feiner und verwöhnter Hofmann, der sich den großen Herren gegenüber stets respektvoll zeigte.

Fromenteau ließ sich von der Beauvais unterhalten, und sie präsentierte ihn allen Leuten, die zu ihr kamen, welche den Jungfernknecht denn auch, um ihr zu gefallen, bei ihr und anderwärts einiger Beachtung würdigten. Nach und nach schmuggelte sie ihn bei der Königin-Mutter, dann beim Könige ein, und er wurde durch diese Protektion Hofmann. Hierauf schmeichelte er sich bei den Ministern ein. Im Kriege bewies er als Freiwilliger Tapferkeit und fand endlich bei einigen deutschen Fürsten Verwendung. Allmählich erhob er sich bis zum Charakter eines Gesandten in Dänemark und ging dann als Gesandter nach Spanien. Überall war man mit ihm zufrieden, und so gab ihm der König eine der drei Staatsratsstellen, mit denen das Vorrecht, den Degen zu tragen, verbunden war, und machte ihn 1688 zur Entrüstung seines Hofes zum Ritter des Heiliggeistordens. Zwanzig Jahre vorher hatte er die Tochter Saint-Maigrins, von dem ich oben gesprochen habe, geheiratet. Sie war Witwe und hatte von Herrn du Broutay einen Sohn, der den Namen Quelen führte, und war die Häßlichkeit selbst. Durch diese Heirat hatte er herrschaftliche Rechte erlangt und den Namen eines Grafen von La Vauguyon angenommen. Solange seine Gesandtschaften dauerten und der Sohn seiner Gattin jung war, hatte er zu leben; als die Mutter sich aber genötigt sah, mit ihrem Sohne abzurechnen, wurden ihre Verhältnisse sehr beschränkt. La Vauguyon, der weit über seine Hoffnungen mit Ehren überhäuft worden war, stellte dem König oft seinen traurigen Vermögenszustand dar, erlangte von ihm aber nur seltene und bescheidene Gratifikationen. Die Armut verrückte ihm nach und nach den Kopf, aber es dauerte sehr lange, bis man es erkannte. Eines der ersten Anzeichen gab er bei Madame Pellot zu erkennen, der Witwe des ersten Präsidenten des Parlaments von Rouen, die alle Abend für ein kleinen Kreis ihrer Freunde ein Abendessen mit nachfolgendem Spiel gab. Sie sah nur sehr gute Gesellschaft bei sich, und La Vauguyon war dort fast jeden Abend.

Als sie einmal beim Krimpelspiel saßen, überbot sie ihn, was er aber nicht annahm, worauf sie im Scherze zu ihm sagte, sie freue sich sehr zu sehen, daß er ein Feigling sei. La Vauguyon antwortete keine Silbe; als aber das Spiel zu Ende war, ließ er die Gesellschaft hinausgehen, und als er sich mit Madame Pellot allein sah, riegelte er die Türe zu, drückte seinen Hut tief in den Kopf, trieb sie gegen den Kamin, nahm ihren Kopf zwischen seine beiden Fäuste und sagte zu ihr, er wisse nicht, was ihn abhalte, sie braun und blau zu schlagen, um ihr beizubringen, ihn einen Feigling zu heißen. Man stelle sich vor: eine aufs äußerste erschreckte Frau, die zwischen seinen beiden Fäusten ihm soviel Reverenzen und Komplimente machte, wie sie nur konnte, während er vor Wut schäumte und sich in Drohungen erging. Endlich ließ er sie mehr tot als lebendig fahren und ging fort. Sie war eine sehr gute und sehr feine Frau, die zwar ihren Leuten verbot, sie mit La Vauguyon allein zu lassen, aber so großmütig war, diesen Vorfall bis nach seinem Tode zu verschweigen und ihn wie gewöhnlich bei sich zu empfangen. Und er kam auch wieder, als wenn nichts geschehen wäre.

Lange Zeit darauf begegnete er gegen zwei Uhr nachmittags in jenem dunkeln Gange des Schlosses Fontainebleau, der oben von dem Saal vor der Tribüne längs der Kapelle zu einer Terrasse führt, dem Prinzen von Courtenay. Er zwang ihn, zum Degen zu greifen, so sehr der Prinz ihn auch auf den Ort hinwies, an dem sie sich befänden, und obgleich zwischen ihnen nie auch das Geringste vorgefallen war. Bei dem Lärm der sich kreuzenden Klingen eilten Vorübergehende herbei, trennten sie und riefen aus dem Saal der Wachen, der zu den früheren Gemächern der Königin-Mutter gehörte, Schweizer herbei. La Vauguyon, damals schon Ritter des Heiliggeistordens, entledigte sich ihrer, lief zum König, drehte den Schlüssel des Kabinetts um, stieß den Türhüter beiseite, trat ein, warf sich dem König zu Füßen und sagte, er bringe ihm seinen Kopf. Der König, zu dem nie jemand hineinkam, der nicht zu ihm entboten war, und der die Überraschungen nicht liebte, kam eben von der Mittagstafel. Er fragte ihn betreten, was es gebe. La Vauguyon, immer noch auf den Knien, sagte ihm, er habe in seinem Hause den Degen gezogen, weil er von Herrn von Courtenay beleidigt worden sei, und seine Ehre habe sich als stärker erwiesen als seine Pflicht. Der König hatte alle Mühe, ihn los zu werden und sagte, er werde diese Angelegenheit untersuchen lassen. Einen Augenblick darauf ließ er beide durch Offiziere des Obersten Richters verhaften und in ihre Zimmer bringen. Inzwischen holte man aus den Remisen in der Rue de la Pompe zwei Karossen, die dem König gehörten, aber kein Wappen am Schlage hatten und von Bontemps in dienstlichen Angelegenheiten gebraucht wurden. Die Offiziere, welche die beiden verhaftet hatten, setzten jeden in eine dieser Karossen und sich dazu und brachten sie nach Paris in die Bastille, wo sie sieben oder acht Monate bleiben mußten, doch nach Ablauf des ersten die Erlaubnis bekamen, ihre Freunde bei sich zu sehen. Beide wurden dort in jeder Beziehung vollkommen gleich behandelt. Man kann sich denken, was dieser Vorfall für Aufsehen erregte: kein Mensch wußte sich einen Vers darauf zu machen. Der Prinz von Courtenay war ein Mann von sehr viel Lebensart, tapfer, aber milden Sinnes und hatte in seinem ganzen Leben noch mit niemand Streit gehabt. Er erklärte, daß er mit La Vauguyon in keiner Weise hintereinander gekommen sei, daß dieser ihn angegriffen und gezwungen habe, zum Degen zu greifen, um von ihm nicht tätlich beleidigt zu werden. Andrerseits hatte man noch keine Ahnung, daß es mit La Vauguyon nicht ganz richtig sei. Dieser behauptete seinerseits, der andere habe ihn angegriffen und beleidigt. Man wußte also nicht, wem man glauben, noch was man davon denken sollte. Jeder von ihnen hatte seine Freunde, aber niemand vermochte die so deutlich unterstrichene Gleichheit in der Behandlung beider zu billigen. Endlich wurden sie aus dem Gefängnis entlassen, da die Sache sich nicht besser aufklären ließ und das Vergehen hinreichend gesühnt schien, und bald darauf erschienen sie wieder bei Hofe.

Einige Zeit darauf zeigte ein neuer Streich besser, wie es mit ihm stand. Als er einmal nach Versailles fuhr, begegnete La Vauguyon einem Reitknecht in der Livree des Prinzen von Condé, der ein vollständig gesatteltes Pferd am Zügel führte und in der Richtung auf Sèvres und Paris ging. Er läßt halten, ruft ihn an, steigt aus und fragt, wem das Pferd gehöre. Der Reitknecht antwortet, es gehöre dem Prinzen von Condé. La Vauguyon sagt ihm, der Prinz werde nichts dagegen haben, wenn er es besteige und steigt im gleichen Augenblick auf. Der Reitknecht, der nicht wenig verblüfft ist, weiß nicht, wie weit er einem Manne gegenüber gehen darf, dessen Rock er mit einem blauen Ordensband geschmückt sieht, und der seiner Equipage entstiegen ist und folgt ihm.

La Vauguyon reitet im kurzen Galopp bis an die Porte de la Conférence, erklimmt den Wall, springt bei der Bastille ab, gibt dem Reitknecht ein Trinkgeld und verabschiedet ihn. Er steigt zum Gouverneur hinauf und sagt ihm, er habe das Unglück gehabt, dem Könige zu mißfallen und bitte ihn, ihm ein Zimmer zu geben. Der Gouverneur, der sehr überrascht ist, verlangt den Befehl des Königs zu sehen, und da La Vauguyon einen solchen nicht vorweisen kann, wird sein Erstaunen noch größer, er zeigt sich allen seinen Bitten unzugänglich und läßt sich schließlich dazu herbei, ihn solange dazubehalten, bis die Antwort von Pontchartrain eingetroffen ist, an den er einen Eilboten mit einem Briefe schickt.

Pontchartrain berichtet dem König über den Vorfall, der sich die Sache nicht erklären kann, und es ergeht der Befehl an den Gouverneur, la Vauguyon nicht aufzunehmen. Trotzdem aber hat er alle Mühe, ihn loszuwerden. Dieser Streich und dieses Abenteuer mit dem Pferde des Prinzen von Condé erregte großes Aufsehen und brachte viel Klarheit in die Geschichte mit dem Prinzen von Courtenay. Indes ließ der König La Vauguyon sagen, er könne wieder bei Hofe erscheinen, und er zeigte sich dort auch wie zuvor, doch jedermann wich ihm aus, und man hatte große Angst vor ihm, obgleich der König sich bestrebte, ihn gut zu behandeln.

Man kann sich denken, daß diese öffentlich in die Erscheinung tretende Zerrüttung nicht ohne häusliches Gegenstück war, doch blieb dieses so verborgen wie möglich. Seine Zustände wurden seiner armen Frau, die viel älter war als er und sehr zurückgezogen lebte, so unerträglich, daß sie den Entschluß faßte, Paris zu verlassen und sich auf ihre Güter zu begeben. Sie hauste dort aber nicht sehr lange, da sie Ende Oktober dieses Jahres (1693) starb. Dieser letzte Schlag raubte ihrem Gatten vollends den Verstand: mit seiner Frau verlor er seinen ganzen Unterhalt; denn von sich aus hatte er nichts, und vom König bekam er sehr wenig. Er überlebte sie nur um einen Monat. Als er starb, hatte er 64 Jahre, fast 20 Jahre weniger als seine Gattin, und nie hatte er Kinder gehabt. Man weiß, daß er in seinen beiden letzten Lebensjahren Pistolen in seinem Wagen mit sich führte und oft, wenn er nach Versailles ging oder von dort kam, den Kutscher oder den Postillon damit bedrohte. Sicher ist, daß er sich ohne den Baron von Beauvais, der ihm mit seiner Börse beistand und sich seiner sehr annahm, oft in der äußersten Not gefunden hatte, besonders nach der Abreise seiner Frau. Beauvais sprach oftmals zum Könige darüber, und es ist unbegreiflich, daß dieser ihn beharrlich hat Hungers sterben und vor Not verrückt werden lassen, nachdem er ihn auf eine so hohe Stufe emporgehoben und ihm stets ein besonderes Wohlwollen bewiesen hatte.

Das Jahr ging zu Ende mit dem Übergang des Staatssekretäramtes von Herrn von Pontchartrain auf Herrn von Maurepas, seinen Sohn, der Rat am Requetenamt des Gerichtes, noch nicht zwanzig Jahre alt und infolge der Blattern auf einem Auge blind war.

Bei diesem Amtswechsel fällt mir ein, daß die Engländer beinahe um dieselbe Zeit Saint-Malo bombardierten. Abgesehen davon, daß alle Fensterscheiben der Stadt infolge des schrecklichen Dröhnens einer Art Höllenmaschine, die sich vorzeitig öffnete und explodierte, zersprangen, verursachten sie fast gar keinen Schaden.

Der Marschall von Boufflers heiratete die Tochter des Herzogs von Gramont in Paris, und der König gab Dangeau die Großmeisterschaft des Ordens von Unsrer lieben Frau vom Berge Karmel zugleich mit der des Ordens vom heiligen Lazarus, wie Nérestang sie innehatte, der sie in die Hände des Königs zurückgab, welcher Louvois zum Großvikar des Ordens machte. Im vorhergegangenen Winter hatte der König den Orden vom heiligen Ludwig gestiftet, und das gab Anlaß, einem Privatmann die Großmeisterschaft des Ordens vom heiligen Lazarus zu verleihen. Diese beiden Orden sind so bekannt, daß ich mich nicht dabei aufzuhalten brauche, sie zu erklären; ich will nur bemerken, daß der König, der mangels hinreichender reeller Belohnungen sehr darauf bedacht war, aus allem, was den Wetteifer anregen konnte, solche zu machen, auf alle Weise darauf sah, daß dieser neue Sankt-Ludwigs-Orden zu Ansehen gelangte.

Auch erklärte er den Marquis von Arquien zum Ritter vom heiligen Geist und zwar auf die dringendsten Bitten des Königs und der Königin von Polen, seiner Tochter, bei der er lebte und die ihm nie dazu hatte verhelfen können, daß er Herzog wurde.

Der alte Herzog von Beauvillier


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