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II

Die Heirat des Herzogs von Chartres. Der Abbé Dubois. Die Heirat des Herzogs von Maine. Die Herzogin von Hannover und die Bouillons.

 

Der König, den die Versorgung seiner unehelichen Kinder, die er täglich höher emporhob, beschäftigte, hatte zwei seiner Töchter mit zwei Prinzen von Geblüt verheiratet. Die Prinzessin von Conti, die einzige Tochter des Königs und der Frau von la Vallière war Witwe und hatte keine Kinder; die andere, die älteste Tochter des Königs und der Frau von Montespan, hatte den Herzog von Bourbon-Condé geheiratet. Schon seit geraumer Zeit wollte Frau von Maintenon, mehr noch als der König, sie immer höher emporheben, und wollten beide Fräulein von Blois, die zweite Tochter des Königs und der Frau von Montespan, mit dem Herzog von Chartres verheiraten. Dieser war der richtige und einzige Neffe des Königs und stand an Rang hoch über den Prinzen von Geblüt, weil er der Enkel des verstorbenen Königs war und auch wegen des Hofes, den der Herzog von Orléans hielt. Die Heirat der obenerwähnten beiden Prinzen hatte allgemein Anstoß erregt. Dem König war das wohl bekannt, und er konnte daraus abnehmen, wie die geplante, unvergleichlich viel weniger ebenbürtige Heirat wirken würde. Vier Jahre waren es schon her, daß er sie erwog und die ersten Maßnahmen getroffen hatte. Sie waren um so schwerer durchzuführen, als der Herzog von Orléans unendlich viel Gewicht auf alles legte, was mit seiner Größe zusammenhing und als die Herzogin einer Nation entstammte, die einen Abscheu vor nicht legitimen Kindern und Mißheiraten hatte. Ihr eigener Charakter war außerdem derart, daß man sich nicht versprechen durfte, es würde jemals gelingen, ihr diese Heirat annehmbar zu machen.

Um so viele Hindernisse zu überwältigen, wendete sich der König an Mr. le Grand, der von jeher sein Vertrauter war, damit er seinen Bruder, den Ritter von Lothringen gewinne, der den Herzog von Orléans von jeher beherrschte. Der Ritter war bildschön gewesen. Der Geschmack des Herzogs von Orléans war nicht auf die Frauen gerichtet, und er gab sich nicht einmal die Mühe, es zu verbergen; dieser selbe Geschmack hatte den Ritter von Lothringen zu seinem Herren gemacht, und er blieb es sein Leben lang. Die beiden Brüder wünschten sich nichts besseres, als dem König in einer so heiklen Sache dienen zu können und gedachten sie als geschickte Leute nicht ohne Nutzen für sich selbst durchzuführen. Dieser erste Schritt erfolgte im Sommer 1688. Damals lebten höchstens noch zwölf Ritter des Heiliggeistordens, und jeder sah, daß die Promotion nicht länger aufgeschoben werden konnte. Die beiden Brüder wünschten ihm anzugehören und zwar noch vor den Herzögen. Der König, der wegen dieses Anspruches den Orden noch keinem aus dem Hause Lothringen verliehen hatte, konnte sich schwer dazu entschließen; aber die beiden Brüder gaben nicht nach. Sie setzten ihr Verlangen durch, und der Ritter von Lothringen, der auf diese Weise im voraus bezahlt war, verbürgte sich für die Einwilligung des Herzogs von Orléans in die Heirat Jeder Bischof hatte einen Doktor der Theologie bei sich, der dazu da war, ihn über die schwierigen Fragen aufzuklären, ein Gebrauch, der sich in den Konzilien und bischöflichen Synoden erhalten hat. – Obwohl Dubois noch keine Weihe empfangen hatte (er empfing sie erst 1720, als er Erzbischof von Cambray wurde), verlangte der Herzog von Chartres für ihn ein Ehrenkanonikat mit Pfründe an der Kollegialkirche Saint-Honoré, und es wurde ihm mittels eines Dispenses von Rom und eines Diplomes als Magister der freien Künste 1689 verliehen. 1690 gab ihm der König die Abtei von Ayrvault in Poitou.und versprach auch Madame und den Herzog von Chartres dazu zu bringen.

Dieser junge Prinz war, nachdem er aus der Obhut der Frauen entlassen, den Händen Saint-Laurents anvertraut worden. Saint-Laurent war von geringer Herkunft und hatte gewöhnliche Züge, er war aber, um es mit einem Wort zu sagen, der geeignetste Mann seiner Zeit, einen Prinzen zu erziehen und einen großen König heranzubilden. Er hatte bei dem Herzog vertretungsweise die Gesandten einzuführen. Wegen seiner niedrigen Herkunft konnte er nicht den Titel eines Prinzenerziehers beanspruchen, aber seine außerordentlichen Verdienste bewirkten, daß er der einzige Lehrer des Prinzen blieb. Und als die Schicklichkeit es verlangte, daß er einen Hofmeister erhielt, da war dieser Hofmeister es nur zum Schein, und Saint-Laurent erfreute sich auch fernerhin desselben Vertrauens und derselben Autorität.

Er war ein Freund des Pfarrers von Saint-Eustache und selbst ein Ehrenmann durch und durch. Dieser Pfarrer hatte einen Diener namens Dubois, der früher bei dem Doktor Antoine Faure, dem theologischen Beirat des Erzbischofs von Reims, le Tellier, gedient hatte. Dieser hatte seine Begabung erkannt und ihn studieren lassen. Er war in der Literatur und selbst in der Geschichte außerordentlich bewandert, besaß aber nichts und war nach dem Tode seines ersten Herrn bei dem Pfarrer von Saint-Eustache eingetreten. Dieser Pfarrer, der mit ihm zufrieden war, aber nichts für ihn tun konnte, überließ ihn Saint-Laurent, in der Hoffnung, daß dieser besser für ihn sorgen könne. Saint-Laurent war zufrieden mit ihm und bediente sich seiner allmählich als Schreiber bei den Studien des Herzogs von Chartres. Als er ihn dann zu höheren Dingen verwenden wollte, ließ er ihn Geistlicher Die Herzogin von Orléans (Lieselotte) war, wie aus einem Briefe von ihr vom 14. April 1688 hervorgeht, sich schon von Anfang an über die Pläne des Königs im klaren. Vgl. auch ihre Korrespondenz mit Dubois ( Lettres inédites de la princesse Palatine, publiées par A.-A. Rolland, p. 86 und die von de Seilhac herausgegebene Korrespondenz Bd. I, S. 206-245). – Der Herzog von Orléans hatte eine von zwei Hauptleuten befehligte Kompagnie Gardes du Corps zu seiner Verfügung. Zwei der Offiziere taten gewöhnlich beim Herzog von Chartres Dienst. – Die von Saint-Simon erzählten Szenen spielten sich am 2. Januar 1692 ab.werden, um seine niedrige Herkunft vergessen zu machen und führte ihn auf diese Weise bei dem Prinzen ein, damit er ihm helfe, seine Lektionen zu präparieren, seine Aufgaben zu schreiben und die Wörter im Lexikon nachzuschlagen, kurz, ihn selbst zu entlasten. Ich habe ihn tausendmal in diesem bescheidenen Anfange seiner Laufbahn gesehen, wenn ich den Herzog aufsuchte, um mit ihm zu spielen. Als Saint-Laurent späterhin kränklich wurde, erteilte Dubois den Unterricht, und er gab ihn nicht nur sehr gut, sondern wußte ihn auch unterhaltend für den jungen Prinzen zu gestalten.

Saint-Laurent starb indessen ganz plötzlich. Dubois fuhr einstweilen fort, den Unterricht zu geben. Seitdem er aber beinahe Abt geworden, hatte er Mittel und Wege gefunden, sich dem Ritter von Lothringen und dem Marquis d'Effiat, Oberstallmeister des Herzogs von Orléans, die intime Freunde waren, angenehm zu machen. Der letztere stand ebenfalls bei seinem Herrn sehr in Gunst. Dubois zum Hofmeister vorzuschlagen, das ging nicht so ohne weiteres; aber diese Gönner, an die er sich wandte, schoben die Wahl eines neuen Hofmeisters hinaus und beriefen sich später auf die Fortschritte des jungen Prinzen, um einen Präzeptorwechsel zu verhindern und Dubois freie Hand zu lassen; eines schönen Tages endlich überraschten sie ihn durch seine Ernennung zum Hofmeister. Noch nie habe ich einen Menschen so erfreut gesehen, wie ihn, und mit mehr Grund. Das Gefühl außerordentlicher Verpflichtung, noch mehr aber das Bedürfnis, sich zu behaupten, fesselte ihn mehr und mehr an seine Gönner, und so kam es, daß er es war, dessen der Ritter von Lothringen sich bediente, um die Einwilligung des Herzogs von Chartres zu der beabsichtigten Heirat zu erlangen.

Dubois hatte das Vertrauen seines Zöglings gewonnen, und es fiel ihm nicht schwer, dem Prinzen bei seiner Jugend und Unerfahrenheit Angst vor dem Könige und dem Herzog von Orléans zu machen und ihm auf der andern Seite die Zukunft im schönsten Lichte zu malen. Er konnte indes nicht mehr ausrichten, als daß er eine Weigerung verhinderte; dies genügte jedoch für den Erfolg des Unternehmens. Der Abbé Dubois sprach mit dem Herzog von Chartres erst, als die Zeit der Ausführung des Planes nahegerückt war; der Herzog von Orléans war bereits gewonnen, und sowie der König Bescheid vom Abbé Dubois hatte, beeilte er sich, die Angelegenheit zur Entscheidung zu bringen. Einen oder zwei Tage zuvor bekam die Herzogin Wind davon. Sie sprach zu ihrem Sohn über die Unwürdigkeit dieser Heirat mit der ganzen Kraft, die ihr eigen war und nahm ihm das Wort ab, daß er seine Einwilligung nicht geben würde. Also Schwäche gegenüber seinem Hofmeister, Schwäche gegenüber seiner Mutter, Abneigung auf der einen, Furcht auf der andern Seite und große Verlegenheit auf allen Seiten.

Als ich einmal früh am Nachmittag durch die große Galerie ging, sah ich den Herzog von Chartres, von einem einzigen Offizier der Leibwache des Herzogs von Orléans gefolgt, aus einer rückwärtigen Tür seiner Gemächer kommen. Auf seinen Zügen malte sich Verwirrung und Niedergeschlagenheit; und da ich gerade zugegen war, fragte ich ihn, wohin er um diese Stunde so eilig wolle. Er antwortete hastig und bekümmert, er ginge zum Könige, der ihn habe holen lassen. Ich hielt es nicht für richtig, ihn zu begleiten, und indem ich mich zu meinem Hofmeister wandte, sagte ich zu ihm, ich vermutete, daß es sich um die Heiratsangelegenheit handle und die Entscheidung vor der Tür stehe. Seit einigen Tagen war nämlich etwas davon zu mir durchgesickert, und da ich mir denken konnte, daß es heftige Auftritte geben würde, schärfte die Neugier meine Aufmerksamkeit in hohem Maße.

Der Herzog von Chartres fand den König allein mit dem Herzog von Orléans in seinem Kabinett. Der junge Prinz war etwas überrascht, seinen Vater dort zu finden. Der König empfing ihn sehr freundlich und sagte ihm, er habe die Absicht, ihn zu verheiraten, doch mache es ihm der Krieg, der auf allen Seiten entbrannt sei, unmöglich, eine passende Prinzessin für ihn zu finden; Prinzessinnen in seinem Alter seien nicht vorhanden, er könne ihm keinen besseren Beweis seiner Zuneigung geben, als daß er ihm seine Tochter anbiete, deren Schwestern zwei Prinzen von Geblüt geheiratet hätten; zu seiner Eigenschaft als Neffe würde dadurch noch die als Schwiegersohn kommen. So sehr ihm aber diese Heirat am Herzen liege, wolle er ihn doch nicht dazu zwingen und lasse ihm alle Freiheit der Entscheidung. Diese Rede, die der König mit der ihm eigenen furchteinflößenden Majestät hielt, brachte den schüchternen und nichts weniger als schlagfertigen Prinzen außer Fassung. Er glaubte, er könne einen so mißlichen Schritt vermeiden, indem er sich hinter den Herzog und seine Gemahlin verschanzte, und antwortete stammelnd, der König habe zu befehlen, sein Wille hänge jedoch von dem seiner Eltern ab. Das ist schön von Euch, erwiderte der König; da Ihr aber einwilligt, so werden Euer Vater und Eure Mutter nicht dagegen sein. Nicht wahr, mein Bruder? fragte er, indem er sich zu dem Herzoge wandte. Monsieur gab seine Zustimmung zu erkennen, wie er es schon getan hatte, als er mit dem Könige allein war. Der König erklärte alsbald, es handle sich also noch um die Zustimmung von Madame und ließ sie sofort holen. Unterdessen fing er an, sich mit Monsieur zu unterhalten, und beide taten, als bemerkten sie die Verwirrung und Niedergeschlagenheit des Herzogs von Chartres nicht.

Madame erschien, und sobald sie eingetreten war, sagte der König zu ihr, er rechne sehr darauf, daß sie sich einer Sache nicht widersetze, die Monsieur wünsche und mit der der Herzog von Chartres einverstanden sei, nämlich seiner Heirat mit Fräulein von Blois, die er, das gestehe er, auf das angelegentlichste wünsche, und er fügte in Kürze all das hinzu, was er bereits dem Herzog von Chartres gesagt hatte. Seine Miene war dabei voller Hoheit, und er schien es für selbstverständlich zu halten, daß Madame von diesem Vorschlage entzückt sein müsse, obwohl er nur zu genau wußte, daß das Gegenteil der Fall war. Madame, die auf die Weigerung gebaut hatte, die ihr Sohn ihr zugesagt und auch durch seine so verlegene und bedingte Antwort, soweit es ihm möglich gewesen war, ausgesprochen hatte, sah sich gefangen und blieb stumm. Sie warf Monsieur und dem Herzog von Chartres je einen wütenden Blick zu, erklärte dann, da sie es so wünschten, habe sie nichts hinzuzufügen, machte eine kurze Reverenz und begab sich in ihre Gemächer. Der Herzog von Chartres folgte ihr auf dem Fuß, doch ohne ihm Zeit zu irgendeiner Erklärung zu lassen, putzte sie ihn unter einem Strom von Tränen herunter und jagte ihn hinaus.

Eine kleine Weile darauf erschien Monsieur, der aus dem Gemach des Königs kam, bei ihr, doch davon abgesehen, daß sie ihn nicht hinausjagte, wie ihren Sohn, erfuhr er keine bessere Behandlung von ihr, so daß er sie sehr verwirrt verließ, ohne Zeit gehabt zu haben, auch nur ein einziges Wort an sie zu richten. Diese ganze Szene war gegen vier Uhr nachmittags zu Ende, und abends war Appartement, was im Winter dreimal in der Woche der Fall war, während an den drei andern Wochentagen Komödie war und am Sonntag nichts.

Appartement nannte man die Zusammenkunft des ganzen Hofes von sieben bis zehn Uhr abends, um welche Zeit der König zu Tisch ging. Diese Zusammenkunft fand in dem großen Appartement statt, das sich von einem der Säle am Ende der großen Galerie an bis zur Tribüne der Kapelle erstreckte. Zuerst gab es Musik, dann wurde gespielt. In allen Zimmern standen Tische, für alle Arten Spiele hergerichtet. Da gab es eine Partie Landsknecht, die immer vom Dauphin und vom Herzog von Orléans bestritten wurde, dort eine Partie Billard, kurz man hatte vollkommene Freiheit zu spielen, mit wem man wollte und Tische zu verlangen, wenn die vorhandenen alle besetzt waren. Jenseits des Billards war ein Gemach, das als Erfrischungsraum diente, und alles war vollkommen erleuchtet. Anfänglich, als diese Einrichtung getroffen worden war, pflegte der König zu erscheinen und eine Zeitlang zu spielen; nun aber hatte er sich schon lange nicht mehr gezeigt, er wollte aber, daß man sich fleißig einfinde, und jeder ließ es sich angelegen sein, um ihm zu gefallen. Er verbrachte indessen die Abende bei Frau von Maintenon, wo er nacheinander mit verschiedenen Ministern arbeitete.

Kurz, nachdem an jenem Abende die Musik zu Ende war, ließ der König den Dauphin und den Herzog von Orléans zu sich bescheiden, die bereits Landsknecht spielten, ferner die Herzogin, die bei einer Partie l'Hombre saß, ihr aber kaum Beachtung schenkte, den Anne von Châteautiers. Die Herzogin von Orléans sagte von ihr, daß sie die einzige uneigennützige Person sei, der sie in vierzig Jahren begegnet wäre. Saint-Simon spricht ihr an einer anderen Stelle »eine makellose Tugend im Zentrum der Korruption« zu.Herzog von Chartres, der trübselig Schach spielte, und Fräulein von Blois, die kaum erst angefangen hatte, in der Welt zu erscheinen. Diesen Abend war sie außergewöhnlich geschmückt, ohne jedoch etwas zu wissen und auch nur zu ahnen. Da sie von Natur sehr schüchtern war und eine schreckliche Angst vor dem König hatte, glaubte sie, er lasse sie holen, um ihr einen Verweis zu geben, und zitterte daher beim Eintreten so heftig, daß Frau von Maintenon sie auf ihren Schoß nahm und die ganze Zeit über behielt, da sie sie kaum zu beruhigen vermochte.

Als es bekannt wurde, daß diese Mitglieder der königlichen Familie zu Frau von Maintenon befohlen seien und Fräulein von Blois mit ihnen, eilte plötzlich das Gerücht von der Heirat von Mund zu Mund, während gleichzeitig der König die Tatsache im engeren Kreise verkündete. Wenige Augenblicke darauf kehrten dieselben Personen in das Appartement zurück, wo nunmehr die Verlobung bekannt gegeben wurde. Ich kam gerade in diesem Augenblick dazu. Alles stand in Gruppen beisammen, und auf allen Gesichtern malte sich großes Erstaunen. Ich erfuhr bald die Ursache; sie überraschte mich jedoch nicht nach der Begegnung am Frühnachmittage.

Die Herzogin von Orléans ging mit der Gräfin von Châteautiers, die ihre Favoritin war und einen solchen Vorzug verdiente, in der Galerie auf und ab. Sie ging mit großen Schritten, das Taschentuch in der Hand, weinte, ohne ihre Tränen zu verbergen und sprach laut. Sie gestikulierte und sah aus, wie Ceres, die nach der Entführung der Proserpina voll Verzweiflung ihre Tochter sucht und sie von Jupiter zurückfordert. Jedermann ging ihr respektvoll aus dem Wege und durchquerte die Galerie nur, um in die Gesellschaftsräume zu gelangen. Der Dauphin und der Herzog von Orléans hatten ihre Partie Landsknecht wieder aufgenommen. Der erstere schien mir wie gewöhnlich; auf dem Gesicht des letzteren aber malte sich die äußerste Verlegenheit, und seine ganze Person war ein Bild der Fassungslosigkeit, ein Zustand, aus dem er einen ganzen Monat lang nicht herauskam. Sein Sohn schien trostlos und seine Zukünftige äußerst verwirrt und niedergeschlagen. So jung sie war und so glänzend ihre Heirat erscheinen mußte, sah und fühlte sie doch das Peinliche der ganzen Szene und fürchtete alle ihre Folgen. Die Bestürzung schien allgemein, ausgenommen bei einer ganz kleinen Anzahl von Leuten. Die Lothringen triumphierten. Die Sodomie und der doppelte Ehebruch, zu denen sie sich hergegeben hatten und hergaben, waren für sie von großem Nutzen gewesen. Sie genossen ihren Erfolg, und da sie die ganze Schande, die daran klebte, ertragen hatten, hatten sie Recht, sich zu beglückwünschen.

Schien auch die Politik auf diesem Empfangsabend zu lasten, so war er doch in Wirklichkeit lebhaft und interessant. Er kam mir kurz vor, obgleich er so lange währte, wie gewöhnlich. Den Abschluß bildete das Abendessen des Königs, von dem ich nichts verlieren wollte. Der König erschien dabei ganz wie gewöhnlich. Der Herzog von Chartres saß neben Madame, die weder ihn noch Monsieur eines Blickes würdigte. Ihre Augen waren voller Tränen, die von Zeit zu Zeit niederfielen, und die sie dann jedesmal abtrocknete; dabei schaute sie jedermann an, wie um zu sehen, welche Miene man mache. Ihr Sohn hatte ebenfalls ganz rote Augen, und beide aßen fast nichts. Ich bemerkte, daß der König Madame fast von allen Platten, die vor ihm standen, anbot, Am Sonntag vor Aschermittwoch. Es war der 17. Februar 1692. – Die ungeheure Mitgift, die nach der Herzogin von Orléans nicht bezahlt wurde, belief sich auf zwei Millionen Livres. Dazu kam eine Jahrespension von 150 000 Livres und Schmuck im Werte von 600 000 Livres.und daß sie alle unwillig zurückwies. Er ließ sich dadurch aber nicht abhalten, sich weiterhin aufmerksam und höflich zu zeigen.

Sehr bemerkt wurde auch, daß nach Aufhebung der Tafel und nachdem der Cercle beendet war, der König in seinem Gemache Madame eine sehr auffallende und tiefe Verbeugung machte. Sie drehte sich aber so behende auf dem Absatze herum, daß der König, als er sich aufrichtete, nur noch ihren Rücken sah und sie schon einen Schritt nach der Türe gemacht hatte.

Am andern Tage machte der ganze Hof dem Herzog von Orléans, Madame und dem Herzog von Chartres seine Aufwartung, doch ohne ein Wort zu sprechen: man begnügte sich mit einer Verneigung, und alles ging dabei unter vollkommenem Schweigen vor sich. Man begab sich darauf in die Galerie, um wie gewöhnlich den Schluß des Staatsrats und den Gang des Königs zur Messe zu erwarten. Madame erschien auch: ihr Sohn näherte sich ihr, wie er es alle Tage machte, um ihr die Hand zu küssen; im selben Augenblick gab ihm Madame eine so schallende Ohrfeige, daß man sie mehrere Schritte weit hörte. Der arme Prinz geriet, da der ganze Hof Zeuge war, in die äußerste Verwirrung, und die zahllosen Zuschauer, zu denen auch ich gehörte, wußten sich vor Erstaunen kaum zu fassen. Am gleichen Tage wurde die ungeheure Mitgift bekannt gegeben, und am folgenden stattete der König dem Herzog von Orléans und Madame seinen Besuch ab, der sehr wenig heiter verlief. Von da ab dachte man nur mehr an die Vorbereitungen zur Hochzeit.

 

Am Fastnachtssonntag war beim König großer Ball, der durch einen Rundtanz eröffnet wurde. Ich ging an Dame d'atour, diejenige Hofdame, die der Königin oder einer königlichen Prinzessin den Schmuck anlegte.diesem Morgen zu Madame, die sich nicht enthalten konnte, in unfreundlichem und mißmutigem Tone zu mir zu sagen, ich sei allem Anschein nach sehr froh über die bevorstehenden Bälle, und das passe auch zu meinem Alter, sie hingegen sei alt und wünschte, sie lägen schon weit hinter ihr. Der Herzog von Burgund tanzte bei dieser Gelegenheit zum erstenmal und führte den Rundtanz mit Mademoiselle an. Auch ich tanzte zum erstenmal beim König und führte Fräulein de Sourches, die Tochter des Obersten Richters, die sehr gut tanzte. Die ganze Gesellschaft entfaltete große Pracht.

Ein wenig später fand im Kabinett des Königs und in Gegenwart des ganzen Hofes das Verlöbnis und die Unterzeichnung des Ehekontraktes statt. Am gleichen Tage wurde auch der Hofhalt der künftigen Herzogin von Chartres ernannt. Der König gab ihr einen Ehrenkavalier, eine Dame d'atour, die bis dahin den königlichen Töchtern vorbehalten war, und eine Ehrendame, die einer so auffallenden Neuerung entsprach. Herr von Villars wurde Ehrenkavalier, die Marschallin von Rochefort Ehrendame, die Gräfin von Mailly Dame d'atour und der Graf von Fontaine-Martel erster Stallmeister.

Am Fastnachtsmontag begab sich die ganze königliche Hochzeitsgesellschaft prächtig geputzt kurz vor Mittag in das Kabinett des Königs und von dort in die Kapelle. Diese sah aus wie gewöhnlich, wenn der König zur Messe ging, nur daß zwischen seinem Betschemel und dem Altar zwei Kissen für die Neuvermählten lagen, die dem König den Rücken zuwandten. Der Kardinal von Bouillon kam gleichzeitig in vollem Ornate aus der Sakristei, traute sie und las die Messe. Der Trauschleier wurde vom Oberhofmeister und dem Zeremonienmeister, Blainville und Sainctot, gehalten. Von der Der König und die Königin von England. Jakob II. Stuart und Maria-Beatrice-Eleonora d'Este. Jakob, seit 1685 König, suchte im Bunde mit Ludwig XIV. die absolute Monarchie und die katholische Kirche, zu der er 1671 übergetreten war, herzustellen unter heftigem Widerstreben seines Landes. Als auf Antrieb der Whigs Wilhelm von Oranien, Jakobs Schwiegersohn, am 15. November 1688 in England landete, floh Jakob am 23. Dezember nach Frankreich, wurde am 22. Januar 1689 vom Parlament des Thrones verlustig erklärt, machte mehrere vergebliche Versuche zur Wiedererlangung desselben und starb am 17. September 1701 zu Saint-Germain. Marie-Beatrix starb ebenda 1718. – Der Besteckkasten des Königs enthielt das ganze Kuvert samt den Zahnstochern, um den König vor Vergiftungsattentaten zu schützen. Auch auf der Tafel der Prinzen, Herzöge und Pairs waren solche oft recht kostbare Kästen zu finden.Kapelle ging man gleich zur Tafel, die in Hufeisenform aufgestellt war. Die Prinzen und Prinzessinnen von Geblüt hatten ihre Plätze rechts und links nach ihrem Rang. An sie schlossen sich die beiden natürlichen Kinder des Königs an, und nach ihnen kam – zum erstenmal – die Herzogin von Verneuil. Auf diese Weise wurde der Herzog von Verneuil, ein natürlicher Sohn Heinrichs IV., so viele Jahre nach seinem Tode, ohne daß er es sich je hätte träumen lassen, unter die Prinzen von Geblüt aufgenommen. Der Herzog von Uzès fand das so spaßhaft, daß er vor ihr herging und so laut er konnte, ausrief: »Platz, Platz, für Madame Charlotte Séguier!« Keine Herzogin machte bei dieser Tafel ihre Aufwartung mit Ausnahme der Herzogin von Sully und der Herzogin du Lude, der Tochter und der Schwiegertochter von Madame de Verneuil. Alle anderen mißbilligten das so, daß sie nicht mehr zu erscheinen wagten.

Am Nachmittag kamen der König und die Königin von England mit ihrem Hofstaate nach Versailles. Es gab großes Konzert und Spiel, und der König war fast beständig zugegen, reich geschmückt und sehr aufgeräumt. Sein blaues Ordensband trug er wie am Tage zuvor über dem Kleide. Das Abendessen war wie die Mittagstafel. Der König von England hatte die Königin, seine Gemahlin, zur Rechten und den König zur Linken, und jeder hatte seinen Besteckkasten vor sich. Nach der Tafel geleitete man die Vermählten in die Gemächer der neuen Herzogin von Chartres. Die Königin von England überreichte ihr das Hemd, und der König von England dem Herzog von Chartres das für ihn bestimmte, nachdem er sich zuerst dagegen gewehrt und gesagt hatte, er sei zu unglücklich. Die Einsegnung des Der Herzog von Maine. Der König sah seine Verheiratung nicht gerne, weil er überhaupt nicht wünschte, daß die legitimierten Bastarde sich verheirateten – und zwar aus politischen Gründen. Der Herzog war damals 22 Jahre alt.Bettes geschah durch den Kardinal von Bouillon, der eine Viertelstunde auf sich warten ließ, was Anlaß zu der Bemerkung gab, daß ein solches Benehmen nicht angemessen sei für jemand, der wie er aus einer langen Verbannung zurückkehrte. Er war nämlich so töricht gewesen, sich zu weigern, die Herzogin von Condé zu trauen, wenn er nicht zum königlichen Bankett eingeladen würde; das hatte ihm die Verbannung zugezogen.

Jakob II. von England

Am Fastnachtsdienstag war große Aufwartung bei der Toilette der Herzogin von Chartres, wozu der König und die Königin von England sich einfanden, und der König mit dem ganzen Hofe zugegen war. Es folgte die Messe des Königs und darauf die Tafel wie am Tage vorher. Madame de Verneuil hatte man bereits am Morgen nach Paris zurückgesandt, da man fand, daß ihr genug Ehre geschehen sei. Am Nachmittag zog sich der König mit dem König und der Königin von England zurück. Dann war großer Ball wie am Tage zuvor, nur daß die neue Herzogin von Chartres vom Herzog von Burgund geführt wurde. Jedermann hatte dasselbe Gewand an und dieselbe Tänzerin wie am andern Tage.

Der Aschermittwoch machte allen diesen trübseligen Freudenfesten, zu denen man befohlen war, ein Ende, und man sprach nur mehr von den bevorstehenden.

Der Herzog von Maine wollte sich verheiraten. Der König wollte ihn davon abbringen und sagte ihm offen, Leute seiner Art bekämen besser keine Nachkommenschaft. Auf das Drängen Frau von Maintenons, die ihn erzogen und ihm gegenüber stets die Schwäche einer Amme behalten hatte, entschloß er sich jedoch, sich wenigstens auf das Haus Condé zu stützen und ihn mit einer Tochter des Prinzen von Condé zu verheiraten. Der Sohn des Prinzen von Condé, der Herzog von Condé ( Monsieur le Duc), hatte 1685 Fräulein von Nantes, eine Tochter Ludwigs XIV., geheiratet, die 1673 legitimiert worden war. – Die Tochter der Herzogin von Orléans ( Madame) war Elisabeth-Charlotte, geboren 1676. Sie heiratete 1698 den Herzog von Lothringen.Dieser empfand darüber eine außerordentliche Freude, denn er sah von Tag zu Tag den Rang, das Ansehen und die Verbindungen der illegitimen Kinder wachsen. Diese Verbindung war für ihn seit der Heirat seines Sohnes nichts Unerhörtes, aber sie brachte ihn dem König doppelt nahe und schloß sich unmittelbar an die Hochzeit des Herzogs von Chartres an. Madame war noch erfreuter darüber: sie hatte die schrecklichste Angst gehabt, der König, der ihr bereits ihren Sohn genommen, möchte seine Augen auch noch auf ihre Tochter werfen, und so erschien ihr die Wahl der Tochter des Prinzen von Condé eine Erlösung.

Der Herzog hatte die Wahl zwischen drei Töchtern Condés. Die zweite erhielt den Vorzug, weil sie einen Zoll höher war. Alle drei waren außerordentlich klein; die erste war schön und voll Geist und Verstand. Der unglaubliche Zwang, um keine schlimmere Bezeichnung zu wählen, unter dem die Laune des Prinzen alles hielt, was unter seinem Joche seufzte, verursachte der Ältesten das größte Herzeleid. Sie wußte es aber standhaft, klug und stolz zu tragen, und ihr ganzes Verhalten erzwang sich Bewunderung. Es kam ihr jedoch teuer zu stehen: dieses Sichgewaltantun erschütterte ihre Gesundheit, die seitdem immer zu wünschen übrig ließ.

Nachdem der König sich der Zustimmung des Prinzen von Condé zu dieser Wahl versichert hatte, fuhr er nach Versailles und hielt bei der Prinzessin um deren Tochter an. Kurz darauf, gegen Ende der Fasten, fand die Verlobung im Kabinett des Königs statt. Darauf begaben sich der König und der ganze Hof nach Trianon, wo Appartement war und große Abendtafel für achtzig Damen an fünf Tischen, die vom König, dem Dauphin, dem Herzog von Orléans, Madame und der neuen Herzogin Frau von Montespan, die Mutter des Herzogs von Maine, hatte sich seit dem 15. März 1691 definitiv nach Paris zu den Dames de Saint-Joseph zurückgezogen. – Die Prinzessin von Hannover, Benedikte-Philippine-Henriette von Bayern, Witwe des Herzogs Johann-Friedrich von Braunschweig-Zell, Herzogs von Hannover. Vgl. Register.von Chartres präsidiert wurden. Am andern Tage, Mittwoch den 19. März, wurde die Ehe während der Messe des Königs von dem Kardinal von Bouillon eingesegnet, wie zuvor die des Herzogs von Chartres. Auch das übrige vollzog sich in gleicher Weise. Der König von England reichte dem Herzog von Maine das Hemd. Frau von Montespan erschien zu keiner dieser Feierlichkeiten und unterzeichnete auch die beiden Heiratskontrakte nicht. Am andern Morgen empfingen die Neuvermählten den ganzen Hof an ihrem Bett. Die Prinzessin von Harcourt machte dabei, vom König dazu ausersehen, die Honneurs. Frau von Saint-Valery wurde zur Ehrendame ernannt, und Montchevreuil, der Hofmeister des Herzogs von Maine gewesen war und seinen Hofhalt leitete, übte letztere Funktion weiter aus und blieb sein Kammerjunker.

Die Heirat des Herzogs von Maine führte einen Bruch zwischen der Prinzessin von Condé und ihrer Schwester, der Herzogin von Hannover herbei, die den Herzog von Maine für eine ihrer Töchter gewünscht hatte und nun behauptete, der Prinz von Condé habe ihn ihr vor der Nase weggeschnappt. Sie lebte seit langem mit ihren beiden bereits recht erwachsenen Töchtern in Frankreich. Sie waren ohne jeden Rang, erschienen nicht bei Hofe, sahen wenig Leute und die Prinzessin von Condé nur im engen Kreise. Sie ruhten nicht, bis sie sich allmählich das Recht angemaßt hatten, in zwei Karossen zu fahren, mit vieler Dienerschaft und einem Gepränge, das ihnen in Paris nicht zukam. Mit diesem Gefolge begegnete die Herzogin auf der Straße der Herzogin von Bouillon, und die Leute der Deutschen zwangen sie mit großer Anmaßung, freie Bahn zu geben und die Wagen vorbeizulassen. Dies geschah kurze Zeit nach der Hochzeit Die drei Brüder Bouillon: der Herzog Godefroy-Maurice von Bouillon, der Graf von Auvergne und der Kardinal von Bouillon.des Herzogs von Maine. Madame de Bouillon fühlte sich sehr beleidigt und wollte nichts von der Herzogin von Hannover hören. Ihre Familie war zahlreich und damals sehr glänzend; sie selbst machte ein großes Haus. Die Bouillons, über die Maßen gekränkt, beschlossen sich zu rächen und führten es aus. Eines Tages, als sie erfuhren, daß die Herzogin von Hannover in die Komödie fahren würde, begaben sie sich insgesamt dorthin, mit Madame von Bouillon und einer zahlreichen Dienerschaft. Letztere hatte den Befehl, mit der Dienerschaft der Herzogin von Hannover Streit anzufangen, und befolgte ihn gründlich. Die Leute der Herzogin wurden windelweich geprügelt, das Lederzeug der Pferde ward zerschnitten und ihre Karosse übel zugerichtet. Die Deutsche schrie Zeter, beklagte sich beim König und wandte sich an den Prinzen von Condé. Diesen verstimmte ihr Schmollen und er rührte keinen Finger. Der König aber schätzte die drei Brüder Bouillon mehr als sie, die sich noch dazu zuerst ins Unrecht gesetzt und sich diesen Insult zugezogen hatte, und wollte sich nicht in diese Angelegenheit mischen, so daß sie mit ihren Klagen nichts ausrichtete und sich bescheidener zu betragen lernte.

Sie fühlte sich durch den Vorfall aber so schwer beleidigt, daß sie beschloß, sich mit ihren Töchtern nach Deutschland zurückzuziehen, und diese Absicht einige Monate darauf ausführte. Der König hatte acht Regimenter, die seinen Namen trugen und als deren Kommandeur er galt ( Régiment Royal, Régiment du Roi, Royal-Étrangers, Royal Roussillon, Royal-Piémont, Royal-Allemand etc.). – Der Preis einer Kompagnie betrug damals 12 000 Livres. Die Wiederinstandsetzung einer Kompagnie in bezug auf Mannschaften, Pferde und Equipierung erfolgte auf Kosten des Kapitäns.


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