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XIX

Der Kurpfuscher Caretti. Er gewinnt einen Prozeß, der seine vornehme Herkunft feststellt. Der König läßt den Marquis von Charnacé wegen Falschmünzerei verhaften. Charnacé läßt das Haus eines Bauern versetzen, das ihm im Wege war. Streit zwischen dem Großprior Philippe de Vendôme und dem Prinzen von Conti. Der älteste Sohn Saint-Simons wird geboren. Einige Bemerkungen über Namen und Titel. Verurteilung des Pfarrers von Seurre zum Scheiterhaufen. Tod der Herzogin von Richelieu. Der Herzog von Lauzun bindet dem Grafen von Tessé einen Bären auf.

 

Ein merkwürdiges Ereignis, das der Großherzog von Toscana dem Herzog von Orléans meldete, überraschte alle, die Caretti in Paris und am Hofe gekannt hatten, außerordentlich. Er war ein Italiener, der sich dort lange Zeit aufgehalten hatte und als empirischer Arzt Geld verdiente. Seine Medikamente erzielten einigen Erfolg. Die Ärzte, eifersüchtig, wie gewöhnlich, suchten ihm auf alle Weise das Leben schwer zu machen und spielten ihm manchen Streich, um ihn zum Scheitern zu bringen, schlugen auch soviel wie möglich Kapital aus den Mißerfolgen, die ihm begegneten. Die besten Heilmittel und die geschicktesten Ärzte versagen bei vielen Krankheiten, um wieviel mehr jene Leute, die dasselbe Medikament, wenns hoch kommt in verkappter Form, bei allen Arten von Leiden verabreichen und auf gut Glück sich an die verzweifeltsten Fälle und an Kranke wagen, die im Sterben liegen und von den Ärzten aufgegeben sind, weil sie hoffen, daß Caretti ließ sich für die Behandlung von Mme. Legras, die 1684 starb, 1200 L. im voraus bezahlen. Er hatte auch die Gemahlin des Dauphin in der Arbeit gehabt, aber bei ihr ebensowenig Erfolg erzielt wie bei Mme. de Fontanges, Mme. de Coulanges und den Herzögen von Luxemburg und Lude. Vgl. über ihn La Bruyère, Caractères, Bd. II, p. 198/99 und 412, wo er Carro Carri genannt wird.wenn diese Kranken wieder besser werden, man dem Heilmittel Wunderkräfte zuschreiben und in Scharen zu ihnen kommen werde. Wenn dagegen der Erfolg ausbleibt, so können sie sich mit Recht darauf berufen, daß die Kranken bis zum letzten Moment gewartet hätten, bevor sie sie gerufen. So machte es Caretti geraume Zeit und lebte nur von dem, was sein Gewerbe ihm einbrachte. Er hatte Geist, wußte zu überzeugen und verstand sich zu benehmen, auch waren seine Erfolge groß genug, um ihm einen gewissen Ruf zu verschaffen. Caderousse, der damals in der Gesellschaft eine große Rolle spielte und seit langem schwer lungenleidend war, vertraute sich ihm an und wurde vollkommen geheilt. Dies verschaffte Caretti ein großes Ansehen, das durch andere sehr schöne Kuren noch vermehrt wurde. Die merkwürdigste Kur war die Heilung des Marschalls von la Feuillade. Die Ärzte hatten ihn feierlich aufgegeben und schriftlich erklärt, daß sie an seiner Heilung verzweifelten; denn ohne diese Formalität wollte Caretti nicht an den Fall herantreten. Er war dem Tode nahe, weil er seit einiger Zeit eine Kanüle entfernt hatte, die er seit einer großen Wunde, die er einmal quer durch den Körper erhalten, trug. Caretti heilte ihn vollkommen und zwar in sehr kurzer Zeit.

Er war mit dergleichen Kuren sehr teuer und ließ beträchtliche Summen zum voraus hinterlegen. Nachdem er dann trotz der Gegnerschaft der Ärzte reich geworden und zu hohen Ehren gelangt war, sich dazu einflußreiche Freunde verschafft hatte, begann er den Mann von Stande zu spielen und erklärte, er stamme aus dem Hause Caretto und sei Erbe des Hauses Scevoli. Andere Erben, die mächtiger gewesen 100,000 L. Rente im Kirchenstaat zuerkannt, d. h. er habe auf Grund der in Florenz gefällten gerichtlichen Entscheidung Anspruch auf 100,000 L. Rente aus im Kirchenstaat gelegenen Gütern.seien als sein Vater, hätten ihn dieser reichen Hinterlassenschaft und seines eigenen Vermögens beraubt und ihn an den Bettelstab gebracht und gezwungen, das Gewerbe zu ergreifen, mit dem er seinen Unterhalt gewinne. Man machte sich über ihn lustig, seine Protektoren nicht ausgenommen; niemand wollte ein Wort davon glauben. Er hielt jedoch seine Behauptungen stets aufrecht, und als er sich endlich in sehr günstigen Vermögensumständen befand, erklärte er, er wolle nach Italien zurück und den Beweis zu liefern trachten, daß er recht habe. Er erlangte auch ein Empfehlungsschreiben des Herzogs von Orléans für seine Person und seine Interessen an den Großherzog von Toscana. Darauf unternahm er einige Reisen nach Brüssel, führte in den Niederlanden einige Kuren aus, kehrte dann nach Paris zurück und begab sich hierauf in der Tat nach Italien. Nach Ablauf von vier oder fünf Jahren gewann er in Florenz seinen Prozeß, und der Großherzog meldete dem Herzog von Orléans, seine Geburt und seine Rechte seien anerkannt worden, er habe ihm eine Rente von 100 000 Livres im Kirchenstaate zuerkannt und glaube, daß der Papst ihn in den Besitz derselben setzen werde. Dieser Empiriker lebte in der Tat lange Zeit als großer Herr.

 

Der König ließ den Baron von Charnacé in der Provinz Béarn verhaften, wohin er ihn, über seine Aufführung in Anjou, wo er auf seinem Schlosse lebte, sehr unzufrieden, verbannt hatte, und nach Montauban schaffen. Er war angeklagt, viele schlimme Dinge begangen, vor allem Falschmünzerei getrieben zu haben. Er war ein Bursche von lebhaftem Geiste, der Page des Königs und Offizier bei den Gardes-du-Corps gewesen war. Seinerzeit ein großer Weltmann, lebte er später auf seinem Schlosse, wo er häufig recht tolle Streiche begangen, sich aber immer der Gewogenheit und des Schutzes des Königs zu erfreuen gehabt hatte. Einer seiner Streiche war so witzig, daß man nur darüber lachen konnte. Vor seinem Hause in Anjou hatte er eine sehr lange und ausnehmend schöne Allee, die von dem Hause und dem kleinen Garten eines Bauern unterbrochen wurde, die sich an dieser Stelle offenbar schon befunden hatten, als die Bäume gepflanzt wurden. Weder Charnacé, noch sein Vater, hatten den Bauern dazu bewegen können, ihnen sein Anwesen zu verkaufen, soviel sie ihm auch bieten mochten. Es ist dies eine Halsstarrigkeit, in der sich viele kleine Besitzer gefallen, um die Leute, die aus Gründen der Bequemlichkeit, oder weil sie den Platz wirklich brauchen, ihr Besitztum erwerben wollen, zur Annahme ihrer Bedingungen zu zwingen. Charnacé, der nicht mehr wußte, was er in dieser Sache tun sollte, hatte sie lange Zeit auf sich beruhen lassen und nicht mehr davon gesprochen. Endlich aber hatte er den Anblick dieser Strohhütte satt, die ihm seine schöne Allee verschandelte und den Ausblick versperrte, und ersann ein verblüffendes Stückchen. Der Bauer, der dort wohnte, und dem die Hütte gehörte, war seines Zeichens ein Schneider, wenn er Arbeit fand, und er hauste dort ganz allein, ohne Weib und Kinder. Charnacé läßt ihn holen, sagt ihm, er müsse in einer wichtigen Angelegenheit an den Hof, und zwar sei die Sache sehr eilig, und er bedürfe dazu eines Staatskleides. Der Handel wird abgeschlossen und der Betrag bestimmt, aber Charnacé erklärt, er könne sich auf seine Versprechungen nicht verlassen und müsse die Sicherheit haben, daß das Kleid rechtzeitig fertig werde, der Schneider dürfe, wenn es auch etwas mehr koste, sein Haus nicht eher verlassen, als bis das Gewand fertig wäre. Er würde für Unterkunft, Nahrung und so weiter sorgen. Der Schneider erklärt sich damit einverstanden und machte sich an die Arbeit. Während er damit beschäftigt ist, läßt Charnacé mit der äußersten Genauigkeit den Plan und die Größenverhältnisse seines Hauses und Gartens sowie der Zimmer im Innern und den Platz der Geräte und des bescheidenen Mobiliars aufnehmen, hierauf das Häuschen abbrechen und alles fortschaffen. Sodann läßt er es vier Musketenschüsse seitlich von seiner Allee, genau so wie es außen und innen war, wieder aufbauen, bringt alle Möbel und Geräte in dieselbe Stellung und Lage, in der man sie gefunden hatte, und richtet den kleinen Garten auf dieselbe Weise wieder ein. Gleichzeitig läßt er den Platz in der Allee, wo die Hütte gestanden hatte, ebnen und säubern, so daß keine Spur des alten Zustandes zu erkennen ist.

All das war noch schneller ausgeführt als das Kleid, und den Schneider ließ man unterdessen, ohne daß er es merkte, nicht aus den Augen, damit er nicht Wind von der Sache bekomme.

Als man dann endlich auf beiden Seiten mit der Arbeit fertig war, hält Charnacé den Schneider noch so lange zurück, bis es vollkommen Nacht ist, bezahlt ihn dann und entläßt ihn zufrieden. Mein Schneider biegt in die Allee ein und strebt heimwärts, bald kommt sie ihm eigentümlich lang vor, er geht zur Seite und sucht die Bäume, findet aber keine. Da merkt er, daß er die Allee bereits verlassen hat. Er kehrt um und sucht tastend nach den ersten Bäumen; nachdem er sie gefunden, folgt er ihnen so weit, bis er am Ziel zu sein Die Geschichte von Charnacé und dem Schneider sieht aus wie eine Erneuerung der Geschichte von Alkibiades und dem Maler Agatharchos, die Plutarch erzählt.glaubt, dann überquert er die Allee, ohne jedoch auf sein Haus zu stoßen. Er findet die Sache unbegreiflich. Über dem Suchen vergeht die Nacht; der Tag naht, und es wird bald hell genug, daß er sein Haus erkennen müßte: er sieht aber nichts. Er reibt sich die Augen und sucht nach andern Gegenständen, um herauszubringen, ob die Schuld an seinem Sehvermögen liege. Endlich glaubt er, daß der Teufel seine Hand im Spiel und sein Haus davongetragen habe. Nachdem er lange Zeit hin und her gelaufen ist und sich überall umgeschaut hat, entdeckt er in ziemlicher Entfernung von der Allee ein Haus, das dem seinigen ähnelt, wie ein Wassertropfen dem andern. Er kann nicht glauben, daß es wirklich das Seinige sei; die Neugier läßt ihn aber zu der Stelle gehen, wo es steht und wo er noch nie ein Haus gesehen hat. Je näher er kommt, desto mehr erkennt er, daß es sein Haus ist. Um sich besser von dieser Tatsache, die ihn in Verwirrung setzt, zu überzeugen, steckt er seinen Schlüssel ins Schlüsselloch, und siehe da, er öffnet. Er tritt ein und findet alles, was er zurückgelassen hat, und genau an derselben Stelle. Er ist einer Ohnmacht nahe und nunmehr überzeugt, daß er es mit einem Hexenmeisterstreich zu tun hat.

Der Tag war noch nicht weit vorgeschritten, als das allgemeine Gelächter auf dem Schlosse und im Dorfe ihn darüber belehrte, was er von dem Zauber zu halten hatte und ihn in Wut versetzte. Er will klagen, will beim Intendanten der Provinz Gerechtigkeit verlangen, aber überall macht man sich über ihn lustig. Der König erfuhr die Geschichte und lachte ebenfalls darüber, – Charnacé aber hatte seine Allee frei. Hätte er niemals etwas Schlimmeres getan, so hätte er seinen guten Ruf und seine Freiheit behalten. Die Szene in Meudon fiel am 28. Juli 1698 vor und fand am 29. ihre Fortsetzung, bei der es zum Eklat kam. (Vgl. de Boislisle, Bd. 5, S. 314/15 Anm. 2 und 4.) Der Großprior Philippe de Vendôme war der jüngere Bruder des Herzogs. (Vgl. Register.)

In Meudon kam es zu einer sehr peinlichen Szene. Nach dem Abendessen wurde gespielt, und der Dauphin begab sich zur Ruhe. Eine ziemliche Anzahl der Herren vom Hofe blieben beim Spiel sitzen oder sahen zu. Die Hauptakteure waren der Prinz von Conti und der Großprior von Vendôme. Über einen Stich kam es zu einem Disput. Der Prinz und Herr von Vendôme liebten einander nicht und machten auch kein Hehl daraus. Die erklärte Gunst, in der der Herzog stand, der Umstand, daß er den Prinzen von Geblüt in dem Kommando der Armeen vorgezogen worden war, die Rangerhöhungen und Auszeichnungen, zu denen er mit Riesenschritten gelangt war und die ihn beinahe den Prinzen von Geblüt gleichstellten, hatten die Kühnheit seines Bruders, des Großpriors, so sehr gesteigert, daß ihm während des Disputs eine bittere Bemerkung und Ausdrücke entschlüpften, die auch einem Gleichgestellten gegenüber zu stark gewesen wären und ihm eine unbarmherzige Antwort eintrugen. Der Prinz warf ihm nämlich geradezu Unehrlichkeit im Spiel und Feigheit im Kriege vor, und beides nicht ohne Grund. Da braust der Großprior auf, wirft die Karten hin und verlangt von ihm, den Degen in der Hand, Genugtuung für diese Beleidigung. Mit verächtlichem Lächeln macht ihn der Prinz von Conti darauf aufmerksam, daß er es ihm gegenüber an Respekt fehlen lasse, fügt aber gleichzeitig hinzu, daß es leicht sei, ihm zu begegnen, da er überall hingehe, und zwar ganz allein. Das Erscheinen des Dauphin im Nachtgewand, der von jemand benachrichtigt worden war, brachte die Gegner zum Schweigen. Er befahl dem Marquis von Gesvres, der zugegen war, dem König über das Vorgefallene Bericht abzustatten, und alles ging schlafen.

Als der König am andern Morgen erwachte, entledigte sich der Marquis von Gesvres seines Auftrages, woraufhin der König dem Dauphin sagen ließ, er möge durch den Offizier seiner Leibwache den Großprior in die Bastille schicken. Letzterer war bereits aus Meudon eingetroffen, um den König in seiner Angelegenheit zu sprechen und ließ durch la Vienne um Audienz bitten. Der König ließ ihm aber sagen, er verbiete ihm, sich vor ihm zu zeigen, und befahl ihm, sich auf der Stelle in die Bastille zu begeben, wo er den Befehl vorfinden werde, ihn aufzunehmen. Er mußte gehorchen.

Einen Augenblick später erschien der Prinz von Conti und sprach mit dem König unter vier Augen in seinem Kabinett. Am andern Tage, es war der 30. Juli, traf der Herzog von Vendôme aus Anet ein, hatte eine Audienz beim König und begab sich dort zum Prinzen von Conti.

Der Hof befand sich in großer Aufregung. Die Prinzen von Geblüt nahmen die Sache sehr ernst, und die Bastarde waren in so großer Verlegenheit, daß der Herzog von Maine und der Graf von Toulouse am 2. August dem Prinzen von Conti einen feierlichen Besuch abstatteten. Endlich zog sich die Sache in Marly zurecht. Am Morgen des 6. August bat der Dauphin den König, er möge geruhen, dem Großprior zu verzeihen und ihn aus der Bastille lassen. Er versicherte ihm, daß der Prinz von Conti ihm gleichfalls verzeihe. Daraufhin ließ der König den Herzog von Vendôme holen und sagte ihm, er werde Befehl geben, daß sein Bruder aus der Bastille entlassen werde, er könne ihn am andern Morgen nach Marly mitnehmen, doch wolle er, daß er dort sogleich den Prinzen von Conti und dann den Dauphin um Verzeihung bitte. Das alles wurde am Marquistitel; das erste Marquisat (vom deutschen »Markgraf«) soll in Frankreich i. J. 1505 für Louis de Villeneuve-Trans, Herrn von Seranon, errichtet worden sein. Der Marquis hatte den Vortritt vor dem Grafen, doch pflegten fast alle Grafensöhne unter ihre Grundbesitztitel ein Marquisat aufzunehmen, um sich bis zum Tode ihres Vaters danach zu nennen, worauf sie dann den Titel »Graf« führten. Frau v. Sévigne schrieb an ihren Vetter Bussy (Lettres, Bd. IV, S. 287): » Je n'ai encore vu personne qui se soit trouvé déshonoré de ce titre (Graf) … Il n'a point été profané comme celui de marquis. Quand un homme veut usurper un titre, ce n'est point celui de comte, mais celui de marquis …« Und Saint-Simon selbst sagt gegen Ende seiner Memoiren: » Qui veut se faire annoncer marquis ou comte le devient aussitôt pour tout le monde, qui en rit, mais qui l'y appelle, sans autre droit ni titre que l'impudence de se l'être donné à soi-même … Tout est plein de marquis et de comtes, les uns de qualité grande ou moindre, les autres canailles ou peu s'en faut, pour la plupart, ceux-ci, de pure usurpation de titre.«andern Tage Punkt für Punkt ausgeführt, und der Herzog von Vendôme war jedesmal zugegen, wenn sein Bruder um Verzeihung bat. Das kam beide außerordentlich hart an, aber es war notwendig, den Kelch auszutrinken und die Prinzen von Geblüt zu beruhigen, die außerordentlich aufgebracht waren.

 

Am Morgen des 29. Mai kam Frau von Saint-Simon glücklich nieder, und Gott erwies uns die Gnade, uns einen Sohn zu schenken. Er führte, wie ich seinerzeit, den Namen Vidame (Vice-dominus) von Chartres. Ich weiß nicht, warum man so viel Gefallen an sonderbaren Namen findet, jedenfalls läßt man sich bei allen Nationen davon berücken, und selbst diejenigen, welche diese Schwäche wohl einsehen, unterliegen ihr. Es ist wahr, daß die Grafen- und Marquistitel infolge der großen Menge von Leuten geringer Herkunft, ja sogar ohne Landbesitz, die sich ihrer bemächtigen, in den Staub gezogen und nichtig geworden sind, und dies sogar in einem Grade, daß Leute von Stande, die Marquis oder Grafen sind – sie mögen mir gestatten, daß ich es ausspreche – sich lächerlicherweise verletzt fühlen, wenn man ihnen bei der Anrede diese Titel gibt. Es bleibt jedoch wahr, daß diese Titel von der Stiftung eines Grundbesitzes und einer Gnade des Königs herrühren, und obwohl das heute keinen Unterschied mehr macht, so waren diese Titel ursprünglich und noch sehr lange nachher Bezeichnungen für bestimmte Funktionen, wahr bleibt ferner, daß die mit ihnen verbundene auszeichnende Unterscheidung diese Funktionen noch lange überlebt hat. Die Viztume hingegen sind nur die ersten Beamten des Hofes gewisser Bischöfe kraft einer von diesen ausgehenden Bekleidung mit einem Der Pfarrer von Seurre, Philibert Robert, wurde zwar zum Scheiterhaufen verurteilt, es gelang ihm aber zu entfliehen (vgl. Register, unter Seurre). Er war nicht nur des Quietismus, sondern des geistigen Inzestes schuldig befunden worden.beweglichen Lehen. Sie führten in ihrer Eigenschaft als deren ersten Vasallen alle ihre andern Vasallen in den Krieg, wenn ein solcher zwischen den großen Herren ausbrach, oder stießen mit ihnen zu den Heeren, welche unsere Könige gegen ihre Feinde führten, als sie noch nicht ihre Miliz auf den Stand gebracht hatten, auf den sie im Laufe der Zeit kam. Die Titel Viztum, der nur den ersten Vasallen eines Bischofs bezeichnet, ist also stets etwas anderes gewesen als die Titel, die auf dem Lehenswege von den Königen herrühren.

Da nun der Titel Viztum von Chartres mit dem Besitze von La Ferté-Arnauld verknüpft ist, und mein Vater auf Veranlassung Ludwigs XIII. diesen Landbesitz kaufte, so erwarb er gleichzeitig in Chartres, das der Sitz des Viztums und seines Titels ist, jenes Lehen und ließ mich, wie ich später meinen Sohn, diesen Namen führen.

 

Ein Urteil des Parlaments von Dijon rief um diese Zeit gewaltiges Aufsehen hervor: es ließ den Pfarrer von Seurre lebendig verbrennen, der vieler Entweihungen überführt worden war, die mit den Irrtümern des spanischen Priesters Molinos zusammenhingen. Er war sehr mit Frau Guyon befreundet. Dieses Ereignis traf sehr unangenehm zusammen mit der Antwort Fénelons auf Bossuets États d'oraison, eine Antwort, die ganz und gar nicht den Erfolg und den Beifall fand, den dieses Buch gehabt hatte und stets behielt.

Der Erzbischof von Paris hatte einige Zeit vorher den Herzögen von Chevreuse und von Beauvillier einen Besuch abgestattet. Sie hatten Kunde erhalten von seiner schönen Handlungsweise gegenüber dem letzteren, die für alle beide von Bedeutung war. Man trennte Der König traf am 30. August 1698 im Lager von Compiègne ein.sich daher auf beiden Seiten sehr befriedigt, und die beiden Herzöge machten in allen den folgenden Phasen der Affäre einen großen Unterschied zwischen ihm und den beiden anderen Prälaten.

 

Die Herzogin von Richelieu starb an einer langen, schrecklichen und sehr seltsamen Krankheit: man fand, daß alle Knochen ihres Kopfes bis zum Halse vom Knochenfraße zerstört und alles übrige vollkommen gesund war. Sie stammte aus einem sehr guten Hause der Bretagne und war eine nahe Verwandte meiner Mutter, mit der sie auf sehr freundschaftlichem Fuße lebte. Sie war die einzige Frau, von der Herr von Richelieu Kinder hatte.

 

Anläßlich der glänzenden Revue, die der König in Compiègne abhielt, passierte dem Grafen von Tessé ein drolliges Abenteuer. Er war Generaloberst der Dragoner. Zwei Tage vor der Revue fragte ihn der Herzog von Lauzun in jener freundlichen, sanften und harmlosen Art, die er fast immer anzunehmen pflegte, ob er schon an das gedacht hätte, was er brauche, um den König an der Spitze der Dragoner zu begrüßen. Dadurch kam das Gespräch auf das Pferd, den Anzug und die Ausrüstung. Tessé gab über alles Auskunft, und Lauzun äußerte sich jedesmal beifällig. »Aber der Hut?« fragte er ihn zuletzt ganz harmlos, »davon habe ich Euch ja noch gar nicht sprechen hören.«

»Aber nein,« erwiderte der andere, »ich gedenke eine Mütze aufzuhaben.«

»Eine Mütze!« wiederholte Lauzun, »meint Ihr wirklich? Eine Mütze! Das ist gut für alle die andern, aber der Generaloberst und eine Mütze! Herr Graf, das ist nicht Euer Ernst.«

»Wieso denn nicht?« fragte Tessé, »was soll ich denn für einen Hut aufhaben?«

Lauzun ließ ihn zappeln und sich lange bitten, indem er immer wieder sagte, Tessé wisse es ja selbst recht gut, wolle es nur nicht sagen. Endlich erklärte er ihm, durch seine Bitten besiegt, er wolle nicht, daß er einen so groben Fehler begehe; da diese Charge für ihn geschaffen worden sei, kenne er alle ihre Unterscheidungsmerkmale ganz genau. Eines der hauptsächlichsten sei der graue Hut, den der Generaloberst trüge, wenn der König die Dragoner besichtige.

Tessé ist überrascht, bekennt, daß er keine Ahnung gehabt habe, und in seinem Schrecken über die Dummheit, die er ohne diesen rechtzeitigen Wink begangen hätte, ergeht er sich in Dankesbezeugungen und eilt dann nach Hause, um einen seiner Leute nach Paris zu senden, damit er ihm schnell einen grauen Hut hole.

Der Herzog von Lauzun hatte dafür Sorge getragen, Tessé geschickt bei Seite zu nehmen, um ihm diese Eröffnung zu machen, so daß sie von niemand gehört worden war. Er war ziemlich sicher, daß Tessé beschämt über seine Unwissenheit, zu keinem Menschen über den bedeutungsvollen grauen Hut sprechen würde, und er hütete sich auch selbst, davon zu reden.

Am Morgen vor der Revue ging ich zum Lever des Königs und sah Herrn von Lauzun ganz gegen seine Gewohnheit dort verweilen, während er sonst, da er das Ehrenrecht des unangemeldeten Zutritts hatte, stets fortging, wenn die Hofgesellschaft eintrat. Dieser Umstand, der mir ganz außergewöhnlich schien, und die Farbe von Tessés Hut, die der König verabscheute und die seit vielen Jahren von niemand mehr getragen wurde, überraschte mich und veranlaßte mich, die Blicke nicht von Tessé zu wenden, der mir fast gegenüberstand, während Lauzun seinen Platz ganz in seiner Nähe, doch ein wenig weiter zurück gewählt hatte.

Nachdem der König Strümpfe und Schuhe angezogen und sich mit dem und jenem unterhalten hatte, bemerkte er endlich den grauen Hut. In seiner Überraschung darüber fragte er Tessé, wo er ihn herhabe. Tessé antwortete ganz stolz, er habe ihn aus Paris bekommen.

»Und wozu?« fragte der König.

»Sire,« entgegnete Tessé, »weil Eure Majestät uns heute die Ehre erweist, uns zu besichtigen.«

»Nun wohl!« versetzte der König mit wachsendem Erstaunen, »was hat das aber mit einem grauen Hut zu schaffen?«

»Sire,« erwiderte Tessé, den diese Frage zu beunruhigen begann, »weil es das Privileg des Generalobersten ist, an diesem Tage einen grauen Hut zu tragen.«

»Einen grauen Hut!« rief der König, »wo zum Teufel habt Ihr das her?«

»Der Herzog von Lauzun, Sire, für den Sie die Charge geschaffen haben, hat es mir gesagt.«

In diesem Augenblick platzt der wackere Herzog heraus und macht sich dünn.

»Lauzun hat sich einen Spaß mit Euch gemacht,« sagte der König ein wenig lebhaft, »glaubt mir und schickt diesen Hut augenblicklich dem General der Prämonstratenser!«

Noch nie habe ich einen Mann so verwirrt gesehen wie Tessé: mit niedergeschlagenen Augen stand er da und betrachtete den Unglückshut mit einer Traurigkeit und einer Scham, die die Szene vollkommen machten. Keiner von den Zuschauern verbiß sich das Lachen, und von den Vertrautesten des Königs versagte sich keiner einen Witz. Endlich faßte sich Tessé wieder soweit, daß er fortging; aber der ganze Hof sagte ihm seine Ansicht über die Sache und fragte ihn, ob er Lauzun denn noch nicht kenne. Der aber lachte sich ins Fäustchen, wenn die Rede auf diese Geschichte kam. Dom Gervaise war 1695 in La Trappe aufgenommen worden.


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