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XVIII

Der Erzbischof von Reims gegen die Jesuiten. Zar Peter von Rußland und seine Reisen. Francesco Farnese und Giovanni-Gastone de' Medici in Paris. Zerstreutheit des Kardinals d'Estrées. Die Internierung der Prinzessinnen von Soissons. Wie Villars zu dem Übernamen Orondat kam. Der Kardinal von Bouillon lügt den Papst und den König an, um seinem Neffen den roten Hut zu verschaffen. Der Graf von Ayen heiratet Fräulein von Aubigné. Fortsetzung der Affäre des Erzbischofs von Cambray. Intrige zum Sturz des Herzogs von Beauvillier. Würdiges Verhalten des Erzbischofs von Paris.

 

Das Jahr (1698) begann mit der Versöhnung der Jesuiten mit dem Erzbischof von Reims, die der Erste Präsident auf Befehl des Königs zustande brachte. Dieser Erzbischof hatte sich in einem Hirtenbriefe, den er gegen Ende des vergangenen Jahres in seiner Diözese erlassen, über die Lehre und die Moral auf eine Art ausgedrückt, die den Jesuiten mißfiel. Sie suchten es durchzusetzen, daß der Erzbischof sich öffentlich auf eine Weise erkläre, die sie aus dem Spiele ließe. Dazu wollte er sich aber nicht verstehen, so daß jene Väter, die nicht gewohnt waren, irgendwo Widerstand zu finden, im Gegenteil die angesehensten Prälaten zu beherrschen pflegten, mindestens aber gewohnt waren, von ihnen mit der größten Zartheit behandelt zu werden, gegen ihn in einer Schrift losbrachen, die ihn nicht schonte, sie aber auf jeden Fall nicht in Verlegenheit brachte, weil sie ohne Namen des Autors erschien. Der Erzbischof beklagte sich darüber unter so viel Drohungen beim Könige, daß das Pamphlet, soweit es eben möglich war, unterdrückt und der Drucker streng bestraft wurde.

Das genügte dem Erzbischof nicht, und er drohte weiter. Die Jesuiten, die durch das niedergegangene Ungewitter bereits mürbe waren, bedienten sich des Hintertürchens, das sie sich offen gelassen hatten und erklärten, sie wüßten nicht, wer der Autor des Pamphlets sei. Neben dieser für sie so neuen Erniedrigung erwarteten sie alles von ihrem Ansehen beim Könige, und hofften daß der Erzbischof seinerseits über ihre Ableugnung glücklich sein würde. Es stellte sich jedoch heraus, daß sie es mit einem Manne zu tun hatten, der sie weder liebte, noch fürchtete, noch schonte, der im Grunde recht hatte, den sein Erzbischofsstuhl, sein Reichtum, sein Neffe, der Staatssekretär Barbesieux, und seine Lehre sehr angesehen machten, der sich mit dem König sehr gut stand und der von den Oberhirten von Paris, von Meaux und selbst von Chartres, den damals am meisten in Gunst stehenden Prälaten, unterstützt wurde, mit denen er sich gegen den Erzbischof von Cambray verbündet hatte.

Alles, was die Jesuiten erreichen konnten, war, daß der König mit dem Erzbischof von Reims sprach, daß er sie nicht durch schriftliche Kundgebungen und Untersagung ihrer Tätigkeit in seiner Diözese zum Äußersten treibe, sondern sich zufrieden gebe, und daß er den Ersten Präsidenten mit der Beilegung dieser Angelegenheit betraute. Sie erfolgte denn auch bald: der Erzbischof wagte nicht, die letzten Konsequenzen zu ziehen und wollte sich auch dem Könige gefällig beweisen, und die Jesuiten, die außer sich waren, daß ihre übergroße Zuversicht sie so in die Patsche gebracht Der Zar; Peter I., genannt der Große (vgl. Register). Seine weiter unten erwähnte Schwester ist Sophie Alexiewna, Tochter des Zaren Alexis Michailowitsch aus dessen erster Ehe.hatte, waren nur darauf bedacht, wieder aus der Klemme zu kommen. Die Sache endigte auf Anregung des Ersten Präsidenten mit einem Besuch des Provinzials und der drei Superioren der drei Häuser zu Paris beim Erzbischof. Ohne auf seinen Hirtenbrief zurückzukommen, baten sie ihn bei dieser Gelegenheit nur, er möge von der Aufrichtigkeit ihrer Ergebenheit überzeugt sein und von der Aufrichtigkeit ihrer Versicherung, daß niemand von den ihrigen fähig sei, das Pamphlet geschrieben zu haben, über das sich zu beklagen er Anlaß gehabt habe. Es sei erschienen, ohne daß sie die geringste Kenntnis davon gehabt, und sie mißbilligten es von ganzem Herzen und bäten ihn, sie durch die Wiederzuwendung seines Wohlwollens zu ehren. Der Erzbischof empfing sie höflich und antwortete ihnen ebenso. Ihre Zuneigung zueinander wurde dadurch nicht größer, aber sie wagten es doch nicht einander fernerhin zu befehden.

 

Der Zar hatte bereits seine Reisen begonnen. Dieser so bedeutende und so bekannte Fürst hat so großes und so berechtigtes Aufsehen in der Welt erregt, daß ich mich über ihn kurz fassen werde, zumal sicherlich auch die fernsten Zeiten von ihm künden werden, da er einen Hof, der noch nie einer gewesen war, und eine wegen ihrer Barbarei verachtete und vollkommen unbekannte Nation für ganz Europa furchtbar gemacht und für die Zukunft in die Angelegenheiten dieses ganzen Weltteils einbezogen hat. Dieser Fürst hielt sich in Holland auf, um selbst den Schiffsbau zu lernen und auszuüben. Obwohl er aber seinem Zweck entsprechend inkognito dort weilte und weder infolge seiner hohen Stellung Unbequemlichkeiten haben, noch durch irgendwen behelligt werden wollte, beanspruchte er doch alle ihm zukommende Ehre, freilich nach seiner Art und Manier. Er nahm es heimlich übel, daß England sich nicht genügend beeilt hatte, eine Gesandtschaft an ihn zu schicken, wo er sich doch in so naher Nachbarschaft aufhielt, um so mehr als er große Lust hatte, mit diesem Lande eine Handelsverbindung einzugehen, allerdings ohne sich die Hände zu binden.

Endlich traf die Gesandtschaft ein. Zuerst ließ er sie auf eine Audienz warten, dann bestimmte er Tag und Stunde. Der Ort, an dem sie stattfinden sollte, war aber ein großes holländisches Schiff, das er sich ansehen wollte. Die Gesandten waren ihrer zwei, und sie fanden den Audienzort sehr seltsam, aber sie mußten sich wohl oder übel darein finden. Als sie an Bord angelangt waren, kaum es aber noch schlimmer: der Zar ließ ihnen sagen, er befinde sich im Mastkorb und wolle sie dort empfangen. Die Gesandten, die nicht die nötigen Seebeine hatten, um sich die Strickleitern hinaufzuwagen, entschuldigten sich mit ihrer Ungeübtheit. Der Zar bestand jedoch darauf, und unsere Gesandten gerieten über diese seltsame und hartnäckige Zumutung in die äußerste Verlegenheit. Nachdem sie endlich auf ihre letzten Einwendungen, die sie dem Zaren übermitteln ließen, einige barsche Antworten erhalten hatten, erkannten sie, daß sie sich entschließen mußten, über diesen vertrackten Stock zu springen und krabbelten hinauf. Auf diesem so beschränkten und luftigen Terrain empfing sie der Zar mit ebensoviel Majestät, als wenn er auf dem Throne gesessen hätte. Er hörte die Ansprache an, äußerte sich in verbindlichen Worten über den König und die Nation, machte sich dann über die Furcht lustig, die sich auf ihren Gesichtern malte und gab ihnen lachend zu erkennen, das sei die Strafe dafür, daß sie so spät zu ihm gekommen wären.

Der König William hatte seinerseits die großen Eigenschaften des Zaren erkannt und tat für seine Person alles, was in seinen Kräften stand, um sich gut mit ihm zu stellen. Das Einvernehmen zwischen ihnen gedieh so weit, daß endlich der Zar, der begierig war, alles zu sehen und zu lernen, nach England hinüberging, immer noch inkognito, aber nach seiner Weise. Er wurde dort empfangen wie ein Monarch, den man gewinnen will und kehrte, nachdem er seine Absichten zur Zufriedenheit erreicht hatte, nach Holland zurück. Er hatte die Absicht, nach Venedig, nach Rom und ganz Italien zu gehen, vor allem aber Ludwig XIV. und Frankreich zu besuchen. Er ließ den König darüber sondieren und war gekränkt, daß der König seinen Besuch, auf den er sich nicht einlassen wollte, in aller Höflichkeit ablehnte.

Bald nachdem er die Hoffnung darauf verloren hatte, entschloß er sich, Deutschland zu bereisen und bis nach Wien zu gehen. Der Kaiser empfing ihn, nur von zweien seiner hohen Offiziere begleitet, im Schlosse Favoriten, während der Zar nur den General le Fort bei sich hatte, der ihm als Dolmetscher diente. Nach außen hin aber galt der General als der russische Gesandte und er als sein Begleiter. Er stieg die geheime Treppe hinauf und fand den Kaiser an der Tür seines Vorzimmers. Nach dem ersten Höflichkeitsaustausch bedeckte sich der Kaiser; der Zar wollte um seines Inkognitos willen unbedeckt bleiben, worauf der Kaiser seinen Hut wieder abnahm. Drei Wochen darauf erhielt der Zar die Nachricht von einer großen Verschwörung in Rußland und reiste Hals über Kopf ab, um sich heimzubegeben. Auf seiner Reise durch Polen hatte er Die Großherzogin, die Cousine des Königs; Marguerite-Louise von Orléans, geb. 1645, heiratete 1661 Cosimo III. de' Medici, Großherzog von Toscana, kehrte 1675 wieder nach Paris zurück und starb dort 1721. – Cosimo III. hatte die Toscana den Jesuiten und der Inquisition ausgeliefert; als sein Sohn Giovanni-Gastone 1723 die Regierung übernahm, war dies das Signal zu einer Reaktion im entgegengesetzten Sinne.eine Begegnung mit dem Könige dieses Landes, die den Grund zu ihrer Freundschaft und zu ihrem Bündnis legte. Heimgekehrt fand er, daß die Verschwörung eine große Ausdehnung gewonnen hatte und seine eigene Schwester an ihrer Spitze stand. Er hatte sie stets sehr gern gehabt und gut behandelt; aber er hatte sie nicht verheiratet. Die Nation im ganzen war aufgebracht darüber, daß er sie genötigt hatte, die Bärte abzuschneiden, die langen Gewänder zu kürzen und eine Menge barbarischer Sitten aufzugeben, ferner, daß er Fremden die ersten Stellen gab und ihnen sein Vertrauen schenkte. Infolgedessen hatte sich eine große Verschwörung gebildet, die auf dem Punkte war, zu einer Revolution auszubrechen. Er verzieh seiner Schwester, setzte sie aber gefangen. Die Hauptschuldigen jedoch ließ er an den Gittern ihrer Fenster aufknüpfen.

 

Ich muß noch die Reise erwähnen, die in den ersten Monaten dieses Jahres (1698) der Bruder des Herzogs von Parma inkognito nach Frankreich machte, und einige Zeit darauf der Prinz Gastone, der zweite Sohn des Großherzogs Cosimo III. von Toscana; sie ist merkwürdig dadurch, daß beide die letzten Herzöge von Parma und von Toscana waren. Der letztgenannte bewahrte ebenfalls das Inkognito; der König wollte ihn aber dessenungeachtet auszeichnen und erlaubte, daß er die Herzogin von Burgund küsse. Er war der Sohn der Großherzogin, der Cousine des Königs und besuchte sie sehr häufig während seines Pariser Aufenthaltes. Der König zeigte sich sogar einigermaßen für seine Aufführung besorgt: er beauftragte Albergotti, weil dieser Florentiner war, sich so viel wie möglich in seiner Nähe zu halten und dafür zu sorgen, daß er mit guter Gesellschaft verkehre. Er verweilte nicht lange in Frankreich und reiste von dort nach Deutschland zu seiner Gattin, der Prinzessin von Sachsen-Lauenburg, mit der er sich später für immer entzweite. Der Bruder des Herzogs von Parma blieb fast das ganze Jahr. Ich erinnere mich, daß der Kardinal d'Estrées ihm zu Fontainebleau, wo man einander mehr als anderwärts große Bankette zu geben pflegt, ein Festessen geben wollte, zu dem er viele hervorragende Leute des Hofes bat. Er lud auch mich ein, und ich fand dort auch seine nächsten Familienmitglieder, die ihm helfen sollten, dem Prinzen von Parma die Honneurs zu machen. Es traf sich aber, daß wir das Festmahl ohne ihn hinbrachten. Der Kardinal, der seit mehreren Tagen die von ihm gewünschten Gäste in der Reihenfolge, in der er sie gerade getroffen, persönlich eingeladen hatte, hatte nur den Prinzen von Parma vergessen. Am Morgen des Tages, an dem das Mahl stattfinden sollte, fiel es ihm ein: er fragte nach, wer von seinen Leuten ihn in seinem Namen eingeladen habe, und es stellte sich heraus, daß er niemand damit beauftragt hatte. Er schickte schnell hin, der Zufall wollte aber, daß der Prinz von Parma, noch dazu für mehrere Tage, in Anspruch genommen war. Man zog den Kardinal während des Essens wegen dieser ungewöhnlichen Zerstreutheit gehörig auf. Dergleichen passierte ihm häufig.

 

Auf die Bitte des Herzogs von Savoyen ließ der König Fräulein von Carignan durch einen Leutnant seiner Gardes-du-Corps aus dem Hôtel de Soissons entführen. Dieser brachte sie in einem Wagen des savoyischen Gesandten zu den Filles de Sainte-Marie. Dasselbe tat gleichzeitig der Kurfürst von Bayern in Brüssel, wo er Louis-Thomas von Savoyen, Graf von Soissons hatte 1680 gegen den Willen seiner Familie und des Hofes heimlich Uranie de la Cropte de Beauvais, Ehrenfräulein der Herzogin von Orléans, geheiratet. Sie starb 1717 einundsechzigjährig.Fräulein von Soissons aus dem Hause ihrer Mutter in ein Kloster schaffen ließ. Ihre Aufführung war seit geraumer Zeit dermaßen unanständig, und sie prostituierten sich in ihren Ausschweifungen derart, daß der Herzog von Savoyen all das, was er davon erfuhr, nicht mehr ertragen konnte. Einige Zeit darauf sandte er eine Dame aus Savoyen hierher, wohin Fräulein von Soissons sich aus Brüssel verfügen mußte, damit sie sie alle beide in seine Staaten bringe, wo er sie in ein Kloster einzusperren gedachte. Schließlich setzte die eine es durch, zu ihrer Mutter nach Brüssel zurückzukehren und die andere, sie von hier aus zu besuchen.

Der Kardinal d'Estrées

Während dieser Zeit fuhr der Graf von Soissons, ihr älterer Bruder, der vor einigen Jahren, obgleich der König ihn mit Gnadenbeweisen und Freundlichkeiten überhäuft hatte, Paris verlassen, fort, Europa abzuklappern, um eine Verwendung und sein Brot zu finden. Weder in England, noch in Deutschland, noch in Venedig hatte man etwas von ihm wissen wollen; er versuchte daher sein Glück in Spanien, fand es dort indes ebensowenig, wie anderwärts. Mit Mühe und Not erlangte er die Erlaubnis, nach Turin zu gehen, wo der Herzog von Savoyen sich aber weigerte, ihn zu empfangen. Seine Frau lebte dort in großer Armut und sehr zurückgezogen in einem Kloster.

 

Der alte Villars starb Ende März mehr als achtzigjährig zu Paris. Dabei fällt mir der Ursprung seines Namens Orondat ein, den man ihm immer gab, und der ihm nicht mißfiel. Es ist folgender: die Gräfin von Fiesque, die so eng mit der Herzogin von Montpensier befreundet war, hatte aus der Normandie Fräulein d'Outrelaize mitgebracht und ließ sie bei sich wohnen. Le Grand Cyrus, der zehnbändige Roman der Scudéry, wurde gleich nach Erscheinen der einzelnen Bände (1649-54) von dem gebildeten Publikum verschlungen. Fast alle Figuren desselben waren Porträts markanter Persönlichkeiten des Hofes, Orondat figuriert jedoch nicht darunter.Dies war ein sehr geistvolles Mädchen, das von den vielen Freunden, die es sich zu machen wußte, »die Göttliche« genannt wurde, ein Name, den sie später auf Frau von Frontenac übertrug, mit der sie eine Wohnung im Arsenal bezog, und von der sie seitdem bis an ihr Ende unzertrennlich lebte. Man nannte sie beide nicht anders als »die Göttlichen«. Um nun zu Orondat zurückzukehren, so besuchte Frau von Choisy, eine andere Dame der großen Welt, die Gräfin von Fiesque und fand große Gesellschaft bei ihr. Sie fühlte den Drang zu pissen und sagte, sie wolle in das obere Stockwerk hinauf zur »Göttlichen«, d. h. zu Fräulein von Outrelaize. Sie trat dort hastig ein, fand Fräulein von Bellefonds, die Tante des Marschalls von Vaters Seite, ein junges und außerordentlich schönes Mädchen, und sah einen Mann, der sich eiligst davonmachte, den sie aber nicht erkennen konnte.

Die Gestalt dieses wundervoll gewachsenen Mannes machte solchen Eindruck auf sie, daß sie, als sie zu der Gesellschaft zurückgekehrt war und ihr Erlebnis erzählte, sagte, es könne nur Orondat gewesen sein. Die meisten von der Gesellschaft wußten, daß Villars oben war; denn er war hinaufgegangen, um Fräulein von Bellefonds, in die er sehr verliebt war und die er, obgleich sie nichts hatte, sehr bald darauf heiratete, zu besuchen. Sie lachten daher nicht wenig über das Abenteuer und über den Einfall mit Orondat. Heute, wo man glücklicherweise die Lektüre der Romane aufgegeben hat, muß man zur Erklärung hinzufügen, daß Orondat eine große Rolle in Fräulein von Scudérys Cyrus spielt. Er ist berühmt durch seine Gestalt und seine schönen Züge und bezaubert alle Heldinnen dieses damals sehr gelesenen Romans. Die Kongregation, die über die Angelegenheit des Erzbischofs von Cambray zu entscheiden hatte, bestand aus 18 Kardinälen, von denen damals nur 13 in Rom waren; bevor sie ihre Entscheidung traf, hatte eine Kommission von Theologen (Konsultatoren) das inkriminierte Werk zu prüfen. Fünf von diesen sprachen sich zugunsten, fünf zuungunsten Fénelons aus.

Der Kardinal von Bouillon hatte es in Rom erreicht, daß der Papst seinen Neffen, den Abt von Auvergne, zum Großpropst des Kapitels von Straßburg und ihn selbst zum Domherrn desselben ernannte. Ohne daß er es noch gewahr wurde, begann sein Ansehen am römischen Hofe bereits zu schwinden. Die Affäre des Erzbischofs von Cambray wurde in Rom sehr ernsthaft geprüft; er hatte dort seine Agenten, und seine Gegner die ihrigen, darunter den jungen Abbé Bossuet, den Neffen des Bischofs von Meaux, der diese Gelegenheit ergriff, ihn auszubilden und bekannt zu machen. Der Kardinal von Bouillon gehörte zu der Kongregation, die über diese Angelegenheit zu entscheiden hatte. Er hielt sich anfänglich zurück und begnügte sich damit, alle verborgenen Wege, auf denen er einem Freunde, an dem ihm so außerordentlich viel lag, dienen konnte, zu benutzen, allmählich jedoch verlor er an Boden, und die Bischöfe von Paris, Meaux und Chartres, die soviele Gründe hatten, dem Könige seine Schliche nicht zu verbergen, wiesen sie diesem klipp und klar nach. Es wurde beschlossen, nicht dergleichen zu tun, um noch weitere zu entdecken und den Kardinal hernach Schlag auf Schlag matt zu setzen, soweit die Verteidigung seines Freundes in Frage kam; unterdessen sollte der Verkehr des Hofes mit ihm dieselben Formen der Auszeichnung und des Vertrauens zeigen wie bisher.

So war seine Lage, als er einen Streich ersann, der den Grund zu seiner Niederlage legte und sie sehr beförderte. Der Kaiser hatte unter den Prinzen des Reiches keinen eifrigeren und anhänglicheren Diener als den Herzog von Sachsen-Zeitz, Bischof von Raab, und er bemühte sich in Rom schon geraume Zeit, ihn allein und außer der Promotionszeit zum Kardinal zu machen. Aus dem gleichen Grunde widersetzte sich der König dem aus aller Macht und hatte den Instruktionen des Kardinals von Bouillon einen ausdrücklichen Artikel darüber einfügen lassen. Da geschah es, daß der Kurfürst von Sachsen, um seine Wahl zum König von Polen möglich zu machen, seinen Glauben in die Hände des Bischofs von Raab abschwor. Dieser kam daher in den Ruf, ihn bekehrt zu haben. Der Kaiser ließ das Verdienst des Bischofs, der katholischen Kirche einen Kurfürsten des Reiches, der das geborene Haupt und der geborene Schützer aller Protestanten Deutschlands war, wieder zugeführt zu haben, in Rom, so laut er konnte, ausposaunen und erneuerte bei dieser Gelegenheit seine dringende Bitte, dem Bischof den Kardinalshut zu verleihen.

Dieser Umstand erschien dem Kardinal von Bouillon um so günstiger, als er sah, daß der Papst sehr dazu neigte, dem Kaiser seine Bitte zu gewähren, und daß er ihn, den Kardinal, mit sehr viel Rücksicht behandelte. Er war daher der Meinung, er dürfe keinen Augenblick verlieren, sich das zunutze zu machen. Er schrieb also an den König, indem er die Verpflichtungen des Papstes dem Kaiser gegenüber nach Möglichkeit übertrieb und die Promotion des Bischofs von Raab als nahe bevorstehend ankündigte. Alles, was er in dieser schwierigen Lage habe tun können, um die Beleidigung zu parieren, daß der Kaiser auf seine Bitten und gegen alle Vorstellungen des Königs gegen die Regel und motu proprio einen Kardinal erhielte, sei gewesen, ein Mittel zu finden, daß Frankreich gleichzeitig einen bekäme. Es hätte ihm die allergrößte Mühe gekostet, zum Ziele zu gelangen, und es sei ihm nur unter der Bedingung geglückt, daß dieser Franzose vom Papste ausgewählt würde. Um aber zu vermeiden, daß die Wahl des Papstes auf einen Mann falle, der dem Könige nicht genehm sei, habe er sein ganzes Ansehen beim Papste in die Wagschale werfen müssen, damit dieser sich für einen entschiede, der von der allergrößten Ergebenheit für den König durchdrungen sei und in einem Alter stehe, das ihn befähige, seiner Majestät lange zu dienen. Es sei dies der Abt von Auvergne, und der Papst habe ihm erklärt, einen andern würde er nicht zum Kardinal machen. Dem fügte er noch all das hinzu, was seiner Meinung nach dem Könige eine in ihrer Art einzige Lüge als einen ebenso geschickten wie hervorragenden Dienst erscheinen lassen konnte.

Gleichzeitig suchte er den Papst auf alle Weise zu überzeugen, daß er, der Kardinal, in seinem Bestreben den Kaiser zufrieden zu stellen, von der Güte und Freundschaft, mit der der König ihn zu beehren geruhe, den Hauptpunkt, den er sich hätte vornehmen können, erreicht habe, nämlich Seine Heiligkeit aus ihrer Zwangslage zu ziehen; denn er habe den König bewogen, seine Zustimmung zur Promotion des Bischofs von Raab zu geben und gleichzeitig einen französischen Kardinal zu nominieren, wozu man ihn bisher nicht hätte bringen können. Seine Majestät habe aber ihre Zustimmung nur für die Promotion des Abtes von Auvergne gegeben. Das sei alles, was er vom Könige habe erlangen können; er glaube aber dadurch nicht nur ihm, sondern auch Seiner Heiligkeit einen großen Dienst erwiesen zu haben, indem er ihr durch die gleichzeitige Promotion des Bischofs von Raab und des Abtes von Auvergne, die Möglichkeit an die Hand gegeben, den Kaiser zu befriedigen, ohne sich mit dem Könige zu überwerfen.

Zum Unglück für den Kardinal von Bouillon stellte sich heraus, daß der so geschickt präparierte Angelhaken nicht die Wirkung zeigte, die er sich von dieser Kühnheit versprochen hatte. Der Papst, der durch die dringenden Benachrichtigungen, die er auf einem andern Wege als über den Kardinal von Bouillon vom Könige in Sachen des Erzbischofs von Cambray erhielt, und gleichzeitig auch über das Verhalten des Kardinals wohl informiert war, konnte bei aller Vorliebe für diesen Prälaten, und obwohl er der Mann des Königs in Rom war, nicht zwei sich so völlig widersprechende Sachen in seinem Sinne ins Reine bringen. Er argwöhnte in der Anlage der Rede und in der Art der Anbringung des Vorschlages einen besonderen Schachzug des Kardinals von Bouillon, vor allem gab ihm der Eifer zu denken, den er im Betreiben der Promotion des Bischofs und des Abtes verriet. Er entschloß sich daher, Nachrichten aus Frankreich von anderer Seite abzuwarten.

Der König andrerseits war aufs höchste über die Depesche des Kardinals von Bouillon überrascht, und da er in seinem Leben nur zu oft Gelegenheit gehabt hatte, ihn kennen zu lernen, zweifelte er nicht, daß er dem Papste ein der Eitelkeit der Bouillons so schmeichelndes, aber dem Interesse und den Weisungen des Königs gegen die Promotion des Bischofs von Raab so nachteiliges Auskunftsmittel suggeriert habe. Er geriet in Zorn, und da er gleichzeitig fürchtete, daß diese Promotion überstürzt würde, ließ er einen Kurier an den Kardinal von Bouillon abfertigen, durch den er, ohne irgendwie auf die Sache einzugehen, seine Weisungen gegen die Promotion des Bischofs von Raab wiederholte und gleichzeitig hinzufügte, er werde sich, wenn der Papst gegen alle Erwartung und trotz aller Vorstellungen sich entschließe, dem Bischof von Raab den Kardinalshut zu verleihen, der Promotion eines französischen Kardinals, besonders aber des Abtes von Auvergne widersetzen und selbst wenn dieser den roten Hut erhalten hätte, ihm die Annahme verbieten. Außer dieser Depesche an den Kardinal von Bouillon war der Kurier noch mit einer andern versehen, die an den Hauptagenten der dem Erzbischof von Cambray feindlichen Bischöfe gerichtet war und dieselben Weisungen enthielt, außerdem aber noch den Befehl, sie sofort dem Papste vorzuweisen. Dies geschah. Unter diesen Umständen beglückwünschte sich der Papst zu dem Argwohn, der ihn zu seiner zögernden Haltung veranlaßt hatte, und der Kardinal von Bouillon meinte vor Scham, Ärger und Wut vergehen zu müssen.

Als der Papst, der mehr für Frankreich, als für den Kaiser übrig hatte, den außerordentlichen Widerwillen des Königs gegen den Bischof von Raab sah, zog er die Sache so lange hin, daß er starb, ohne ihn zum Kardinal gemacht zu haben. Er enthüllte durch dieses Zögern immer deutlicher die unverfrorene Lüge des Kardinals von Bouillon, von der er dem Könige übrigens auch hatte Meldung machen lassen.

 

Am 1. April (1698) fand die Hochzeit des Grafen von Ayen, Adrien-Maurice von Noailles, mit Fräulein d'Aubigné statt. Der König wünschte lebhaft, daß sie die Gattin des Prinzen von Marcillac, des Enkels des Herrn von la Rochefoucauld würde. Herr von la Rochefoucauld und Frau von Maintenon liebten sich nicht und hatten sich nie gemocht; er hatte stets sehr gut mit Frau von Montespan und besonders mit Frau von Thiange gestanden, deren Kinder er noch sehr gern hatte. Dem König blieb diese Spannung nicht verborgen, und er hatte stets den Wunsch, daß sie zu einem besseren Einvernehmen gelangten. Da sie sich niemals überworfen hatten und in keinerlei Beziehung zueinander standen, war die schwierige Frage, auf welche Weise sich eine Annäherung bewerkstelligen ließe, um so mehr als kein äußerlicher Anlaß dafür vorhanden war und sie beide zu klug waren, um einander anzugreifen und nicht alle erdenklichen Rücksichten zu üben. Herr von la Rochefoucauld, mit dem der König darüber sprach, willigte nur aus Respekt und Gefälligkeit ein, und Frau von Maintenon, die ihre Gründe für eine andere Wahl hatte, gab dem König eine kühle Antwort. Soviel Eis auf beiden Seiten schreckte den König ab, und er kam Frau von Maintenon gegenüber nur noch ganz behutsam darauf zurück, um sie zu fragen, wem sie denn vor einem Manne von der Geburt, dem Vermögen und der Stellung des Prinzen von Marcillac den Vorzug geben könnte. Sie schlug ihm den Grafen d'Ayen vor. Daraufhin antwortete der König seinerseits nicht, wie Frau von Maintenon es wohl gewünscht hätte. Er liebte nämlich Frau von Noailles nicht; sie hatte ihm zuviel Geist und war ihm zu einnehmend und intrigant. Diese Verbindung hätte ihre Zulassung in seinen intimen häuslichen Kreis bedeutet, und dazu vermochte sich der König nur schwer zu entschließen.

Frau von Maintenon, die den Erzbischof von Paris vollkommen an sich fesseln und, auf die Affäre des Erzbischofs von Cambray gestützt, sich einen Weg zum Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten, vor allem aber auf die Vergebung der Benefizien bahnen wollte, den sie dem Pater von la Chaise nie hatte abringen können, wußte den König, der übrigens Herrn von Noailles sehr gern hatte, über die Zulassung von Frau von Noailles Der Pater la Combe wurde im Schlosse von Vincennes und nicht in der Bastille interniert (April 1696).so sehr zu beruhigen, daß er seine Zustimmung zu der Heirat gab. Diese wurde denn auch alsbald ins Reine gebracht.

 

Unterdessen fuhr die Angelegenheit des Erzbischofs von Cambray fort, am Hofe die Gemüter zu erregen. Die Zahl der Schriften und Gegenschriften auf beiden Seiten vervielfachte sich. Der Pater la Combe, von dem bekannt wurde, daß man seltsame Dinge entdeckt habe, wurde in die Bastille gesteckt. Frau von Maintenon hatte die Maske abgenommen und konferierte beständig mit den Bischöfen von Paris, von Meaux und von Chartres. Der letztgenannte konnte dem Erzbischof von Cambray den offensichtlichen Plan, ihm Frau von Maintenon in seinem Bollwerk zu Saint-Cyr abwendig zu machen, nicht verzeihen, und die Noailles, die durch die Heirat des Grafen von Ayen mit Fräulein von Aubigné so frisch mit Frau von Maintenon verbunden waren, hatten für sie allen Reiz der Neuheit, dem sie niemals widerstand. Ihr Plan, dem Erzbischof von Paris Einfluß auf die Verteilung der Benefizien zu verschaffen, um den Pater von la Chaise, den sie so wenig liebte, wie seinen Orden, matt zu setzen und, auf den neuen Einfluß des Erzbischofs gestützt, ihrerseits die Fäden in die Hand zu bekommen, bewog sie, alles zu ihrer eigenen Angelegenheit zu machen, was ihr dazu verhelfen konnte, somit auch eine Sache, in der er eine der Hauptrollen spielte. Derselbe Grund machte sie allem feind, was dieser Sache beim Könige das Gegengewicht halten konnte.

Die Herzöge von Chevreuse und von Beauvillier und ihre Gemahlinnen standen zum Könige in unmittelbarer Beziehung durch eine alte Gunst, die ein volles Vertrauen hatte entstehen lassen und auf der Wertschätzung und einer beständigen Bewährung ihrer trefflichen Eigenschaften beruhte. Dieses dauernde gute Verhältnis, das sie bis dahin zu den unbestritten angesehensten Persönlichkeiten des Hofes gemacht, hatte auch den Neid im Zaume gehalten. Nun galt es, alles aufzubieten, um ihnen den König zu entfremden. Durch den Bischof von Chartres verleitet, und beleidigt, daß die beiden Herzöge in der Angelegenheit der Maximes des saints, die der eine von ihnen beim Drucker korrigiert, der andere dem König privatim und direkt überreicht hatte, so unabhängig von ihr gehandelt hatten, willigte sie in ihr Verderben. Der Herzog von Noailles aber, der auf das Amt des Herzogs von Beauvillier spekulierte, half dabei unermüdlich. Er trachtete nach nichts Geringerem als nach dem Amt des Gouverneurs der königlichen Kinder, nach dem des Chefs des Finanzrates und dem des Staatsministers, welch letztere ihm zufallen mußten, wenn es gelänge, den König dazu zu bringen, daß er seine Enkel dem Einflusse Beauvilliers entzog.

Die sich häufenden Schwierigkeiten, denen die Verurteilung des Erzbischofs von Cambray in Rom begegnete und das Verhalten, das der Kardinal von Bouillon dort trotz so entgegengesetzter Weisungen beobachtete, verschlimmerte die Kabale aufs äußerste und wurde endlich das Mittel, das sie spielen ließ, um die Herzöge von Chevreuse und von Beauvillier zu stürzen. Frau von Maintenon schlug dem König die Verurteilung Fénelons vor, als ein Mittel, zu dem er durch sein Gewissen verpflichtet sei, um der guten Sache zum Siege zu verhelfen und die böse aller Beistände zu berauben, auf die sie sich in Rom berief; denn man könne dort nicht glauben, daß er, der König, den größten und erklärtesten Beschützer der letzteren in seinen Stellungen als Berater und noch viel weniger in seinem Amte als Gouverneur seiner Enkel belassen würde, wenn er tatsächlich so von der Richtigkeit der Ansichten der Bischöfe von Paris, Meaux und Chartres überzeugt und gegen die des Erzbischofs von Cambray wäre, wie er wünsche, daß man glaube. Durch die Schritte des Kardinals von Bouillon bekräftigt, übe dieser Anschein, der soviel Wahrscheinlichkeit habe, in Rom eine Wirkung aus, die den Papst in Verlegenheit setze. Der König werde es vor Gott zu verantworten haben, wenn er noch länger ein so großes Hindernis bestehen ließe; es sei an der Zeit, es zu beseitigen und dem Papste durch dieses Beispiel zu zeigen, daß er keinerlei Rücksicht zu nehmen brauche.

So jung ich war, war ich doch unterrichtet genug, um alles zu fürchten. Frau von Maintenon war zum Überlaufen voll: es entschlüpften ihr im Privatverkehr unbedachte Bemerkungen, so in Gegenwart der Herzogin von Burgund und manchmal vor Damen des Schlosses. Sie wußte, daß die Gräfin Roucy es Herrn von Beauvillier niemals verziehen hatte, daß er in einem Prozeß, in dem es sich für ihre Mutter und für sie um alles handelte, und den sie gewann, für Herrn von Ambres und gegen sie gewesen war. Der Sturm grollte; den Höflingen entging es nicht: die Neidischen wagten es zum erstenmal, den Kopf zu erheben. Frau von Roucy, auf Rache erpicht und noch mehr darauf aus, Frau von Maintenon zu liebedienern, hatte in allen Privatgesellschaften offene Ohren und brachte immer etwas mit nach Hause. Sie frohlockte darüber so sehr, daß sie unklug genug war, es mir anzuvertrauen, obgleich ihr meine nahen Beziehungen zu Herrn von Beauvillier nicht unbekannt waren, – so blind macht der Haß!

Ich sammelte alles aufs sorgfältigste und verglich es bei mir selbst mit andern Nachrichten. Dann sprach ich mit Louville darüber, bei dem Pomponne, der intime Freund der beiden Herzöge, offen Klage führte und ihm alles mitteilte, was er entdeckte. Louville hatte auf meine Bitte mehr als einmal mit Herrn von Beauvillier über die Angelegenheit gesprochen; Pomponne hatte es seinerseits ebenfalls nicht vergessen, es hatte aber alles nichts geholfen. Von dieser letzten und äußersten Gefahr wußte der Herzog nichts: Niemand hatte gewagt, ihn im einzelnen darauf hinzuweisen; er sah sie nur in großen Umrissen. So entschloß ich mich denn, sie ihm klar vor Augen zu stellen und ihm nichts von all dem zu verbergen, was ich entdeckt hatte. Ich suchte ihn also auf, führte meine Absicht in ihrem ganzen Umfange aus und fügte, wie es auch der Wahrheit entsprach, hinzu, daß der König in seinem Vertrauen stark wankend gemacht worden sei. Er hörte mich sehr aufmerksam an, ohne mich zu unterbrechen. Nachdem er mir dann zärtlich gedankt hatte, gestand er mir, daß er, sein Schwager und ihre Gattinnen schon seit langem die vollständige Verwandlung im Verhalten der Frau von Maintenon, in dem des Hofes und selbst in der Liebenswürdigkeit des Königs bemerkt hätten. Ich nahm diese Gelegenheit wahr und drang in ihn, weniger Hingabe, wenigstens anscheinend, für das zu zeigen, was ihn so stark gefährde, mehr Nachgiebigkeit zu beweisen, und mit dem Könige zu reden. Er blieb unerschütterlich und antwortete mir ohne die geringste Bewegung, daß er nach allem, was ihm von mehreren Seiten mitgeteilt worden sei, nicht daran zweifle, daß er in der Gefahr schwebe, die ich ihm vorgestellt hätte; er habe aber niemals nach irgendeiner Stelle getrachtet, Gott habe ihn in diejenigen gebracht, die er innehabe; wenn er sie ihm wieder nehmen wolle, so sei er vollkommen bereit, sie ihm zurückzugeben; was ihn daran fessle, sei allein das Gute, das er darin schaffen könne, könne er es aber nicht mehr, so würde er mehr als zufrieden darüber sein, daß er Gott über die Ausfüllung seiner Ämter keine Rechenschaft mehr zu geben hätte.

Er umarmte mich zärtlich, und ich verließ ihn, so durchdrungen von dieser so christlichen, erhabenen und seltenen Gesinnung, daß ich seine Worte niemals vergessen habe.

Indessen näherte sich der Sturm dem Augenblick, da er losbrechen mußte, und gleichzeitig geschah ein anderes Wunder. Die Noailles bedienten sich wohl des Erzbischofs von Paris, um das religiöse Gewissen des Königs über einen Fall zu beunruhigen, dessen Widerhall sich bis nach Rom geltend machte, und um aus der Seele der Prinzen allen schlimmen Ansteckungsstoff zu entfernen, aber weder der Gatte, noch die Gattin wagten es jemals, ihm ihren Endzweck anzuvertrauen. Er dachte zu rechtlich; sie wußten es wohl und hätten fürchten müssen, daß er ihnen einen Strich durch die Rechnung machte.

Der König fühlte sich, dank der Minierarbeit der Frau von Maintenon, die ihm den Herzog von Noailles für alle vom Herzog von Beauvillier bekleideten Ämter vorgeschlagen hatte, nur noch durch einen schwachen Faden alter Hochschätzung und Gewohnheit mit dem letzteren verknüpft, doch war dieser Faden immer noch stark genug, um ihn fühlbar zu fesseln. Da er selbst zu keinem Entschlusse kommen konnte, wollte er einen der drei Prälaten befragen, die ihn auf den Kern der Affäre hingelenkt hatten.

Von der Wahl des Bischofs von Chartres hielt ihn offenbar die Erwägung ab, daß seine persönliche Ergebenheit für Frau von Maintenon ihn genau so denken lasse wie diese. Der Bischof von Meaux hingegen hatte dieses Bedenken des Königs nicht zu fürchten: dieser war gewohnt, ihm sein Herz über die geheimsten Gewissensskrupel und intimsten Familienangelegenheiten zu öffnen. Es ist daher ein Rätsel, was ihn von dem Vorrang bei dieser wichtigen Konsultation ausschließen konnte, und die Wahl auf denjenigen von den drei Prälaten fallen ließ, der eigentlich von vornherein ausgeschlossen sein mußte, weil er der Bruder dessen war, dem Beauvilliers ganzes Erbe zufallen mußte, wenn dieser zu Fall kam.

Obgleich der König ihn viel kürzere Zeit kannte als selbst den Bischof von Chartres, weil er, bevor er Erzbischof von Paris wurde, niemals mit dem Könige zusammengekommen war, fiel dessen Wahl dennoch auf ihn. Die Achtung für ihn war so groß, daß der Gedanke an seine nahe Verwandtschaft mit dem Herzog von Noailles ihn nicht zurückzuhalten vermochte. Er legte ihm also seine Frage vor und ging so weit, ihm zu sagen, für den Fall, daß er sich des Herzogs von Beauvillier entledigte, habe er sich entschlossen, alle seine Stellen dem Herzog von Noailles zu übertragen. Hätte der Erzbischof von Paris zugestimmt, so wäre im gleichen Augenblick der Sturz des einen und die Erhebung des andern entschieden gewesen. Aber wenn die Hochsinnigkeit und Selbstverleugnung des Herzogs von Beauvillier mich mit Bewunderung und Überraschung erfüllt hatten, so kam mir das Verhalten des Erzbischofs von Paris womöglich noch erstaunlicher vor; denn es gehört vielleicht weniger dazu, sich demütig in seinen Sturz zu ergeben und keinen Versuch zu machen, sich davor zu schützen, aus Furcht sich dem Willen Gottes zu widersetzen, als es über sich zu gewinnen, den Beschützer seines Gegners und einer Sache, deren Verurteilung herbeizuführen man so feierlich unternommen hat, in den höchsten Stellen zu erhalten und wissentlich das Hindernis für die glänzendste Laufbahn eines Bruders zu werden, mit dem man im vollkommenen Einvernehmen lebt.

Louis-Antoine de Noailles, Erzbischof von Paris

Und das gerade tat der Erzbischof von Paris, ohne einen Augenblick zu schwanken. Er wies den Gedanken des Königs zurück, weil er über das Ziel hinausgehe, und stellte ihm nachdrücklich die Vortrefflichkeit, Lauterkeit und Rechtschaffenheit des Herzogs von Beauvillier vor. Der König könne, so sagte er, was seine Enkel angehe, dem Herzog völlig vertrauen, entsetze er ihn hingegen seiner Ämter, so würde er seinem Rufe außerordentlich schaden, indem er durch die Vorwürfe, die denen gemacht werden würden, deren Betreiben man den Sturz notwendigerweise zuschreiben müsse, der guten Sache einen gefährlichen Tadel zuziehen würde. Er schloß mit dem Rate, aus der Nähe der jungen Prinzen einige Untergebene zu entfernen, deren man nicht so sicher sei und deren Ungnade in Rom die Parteinahme und Besorgtheit des Königs erkennen lassen würde, ohne ein so nachteiliges und peinliches Aufsehen zu erregen, wie es die Beseitigung des Herzogs von Beauvillier tun würde.

Dies rettete den Herzog, und der König war sehr erfreut darüber. Die tiefeingewurzelte Wertschätzung und die Macht der Gewohnheit hatten trotz aller Mühe, die sich Frau von Maintenon gab, nicht beseitigt werden können. Aber das Ungewitter entlud sich über den andern, ohne daß der Herzog von Beauvillier sie retten konnte, wollte er sich nicht noch verdächtiger machen. Doch entschied der König gemeinsam mit ihm über ihre Verabschiedung. Montag, den 2. Juni vormittags, war er vor dem Kabinettsrat lange mit ihm zusammen, und am Nachmittag erfuhr man, daß der Unterpräzeptor Abbé von Beaumont, der Lektor Abbé von Langeron, die beiden Begleitedelleute des Herzogs von Burgund, du Puy und l'Échelle, davongejagt worden waren, ohne irgend etwas von ihren Bezügen zu behalten, und Fénelon, Offizier der Leibwache, kassiert, nur weil er das Unglück hatte, ein Bruder des Erzbischofs von Cambray zu sein. Nichts kennzeichnete den leidenschaftlichen Grimm der Kabale mehr als diese Kassierung Fénelons, der in puncto Lehre sicherlich keine Meinung hatte.

Frau von Maintenon war sehr verstimmt, daß sie sich keine Hoffnung mehr machen konnte, ihr Ziel zu erreichen; denn wer diesem Schiffbruche entronnen war, der war gegen jeden Angriff gefeit und konnte sich keine Blöße mehr geben. Sie verzieh es ihnen auch nie, aber als weltkluge Frau wußte sie sich in das Unabänderliche zu schicken, sich der Neigung des Königs anzupassen und sich allmählich, wenigstens äußerlich mit alten Freunden auf einen annehmbaren Fuß zu stellen, weil sie sie nicht hatte verderben können. Herr von Noailles war noch aufgebrachter als sie und zeigte sich seinem Bruder gegenüber lange Zeit sehr kalt. Frau von Noailles war nicht weniger betrübt, sie war aber doch zu klug, um nicht die Folgen dieses häuslichen Zwistes vorauszusehen. Sie setzte daher alles daran, zuerst, nach Möglichkeit zu verhindern, daß etwas davon an die Öffentlichkeit dringe, und dann, eine Versöhnung zwischen den beiden Brüdern herbeizuführen.

 

Gleichzeitig mit der Verjagung der Freunde des Erzbischofs von Cambray wurde Frau Guyon von Vincennes, wo der Pater la Combe war, nach der Bastille überführt. Daraus, daß man ihr zwei Frauen beigab, die sie bedienen, vielleicht auch sie ausspionieren sollten, schloß man, daß sie auf Lebenszeit dort bleiben sollte.

La Reynie unterzog Frau Guyon und den Pater la Combe mehrmals einem Verhör. Es sickerte durch, daß der Barnabit viel redete, Frau Guyon hingegen sich mit viel Geist und Zurückhaltung äußerte. Die Veröffentlichungen dauerten fort, der König aber lobte vor aller Welt die Geschichte dieser ganzen Affäre, die der Bischof von Meaux ihm überreicht hatte, und erklärte, es stände kein Wort darin, das nicht wahr wäre, auch beauftragte er den Nuntius, das Buch dem Papste zu übersenden. In Rom herrschte lebhafte Aufregung über diesen ganzen Lärm. Die Affäre, die bei der Kongregation des heiligen Offiziums, dem sie übertragen worden war, ein wenig schlief, bekam wieder Farbe, und zwar eine Farbe, die für den Erzbischof von Cambray sehr trübe zu werden begann.


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