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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Die Insel Halloran

Der Kommandant stand neben Trollops Leichnam und schaute nieder auf das regungslose Antlitz und die wohlgebaute Gestalt.

»Dich hatte der Herrgott nicht zum Verbrecher geschaffen,« murmelte er. »Du hast einst bessere Tage gesehen, bist ein Gentleman gewesen, wahrscheinlich ein Offizier in der Armee. Und nun solch ein Ende! Wie hast du die Gaben verwendet, die dir von der Vorsehung verliehen waren und mit deren Hilfe du ein braves, brauchbares, vielleicht ein hervorragendes Mitglied der menschlichen Gesellschaft hättest werden können und müssen? ... Gott sei uns gnädig und übe Nachsicht mit uns allen!«

Er nahm den breitrandigen Strohhut ab und wischte sich den Schweiß von dem erhitzten Gesicht; dann befahl er einigen Matrosen, den Leichnam nach vorn zu schaffen.

Stubbins, der Bootsmann, trat an ihn heran.

»Eine heiße Affaire,« sagte der Kommandant, »und blutiger, als mir lieb ist.«

»War nicht zu ändern, Euer Ehren.«

»Leider nein; die Kerle fochten wie richtige Satanskinder. Wir haben drei Verwundete, soviel ich weiß. Mr. Matthews rapportiert vielleicht noch mehr. Immerhin sind wir noch gut genug weggekommen. Hätten die Piraten besser und ruhiger gezielt, so wäre noch mancher brave Junge gefallen. Ist Miß Mansel an Deck?«

»Jawohl, Sir; die Miß steht hinten am Heck.«

»Sind die Gefangenen in Eisen gelegt?«

»Jawohl, Sir.«

»Gut. Lassen Sie nun das Deck waschen und dann das Großboot binnenbords nehmen. Hernach brassen wir wieder voll.«

Er schritt nach hinten und stieg die Treppe zum Achterdeck empor. Margaret kam ihm hastig entgegen.

»Bist du verwundet, Robert?« rief sie in ängstlicher Erwartung.

»Mir ist kein Haar gekrümmt, Liebchen, Gott sei Dank.«

»Gott sei Dank!« wiederholte das Mädchen inbrünstig. »Wie die Räuber feuerten! O, es war schrecklich! Wenn eine der unzähligen Kugeln dich getroffen hätte ...!«

»Wie wohl das thut, wenn man hört, daß ein liebendes Herz sich um unsereinen bekümmert und gebangt hat,« sagte der Kommandant weich und glücklich. »Das ist eine bisher ungekannte Empfindung für mich. Denn seit meine gute Mutter starb, hat keine Menschenseele mehr an mich gedacht.«

»Das ist nun anders geworden, mein lieber, guter Robert,« versetzte Margaret liebevoll.

Einige Matrosen kamen die Treppe herauf, um in die achteraus schleppende Jolle zu gehen und das eine Strecke fortgetriebene Großboot zu holen. Unter ihnen befand sich der Däne Harry.

»Einer von euch verletzt, Leute?« fragte Boldock.

»Nein,« war die Antwort, »aber vorn im Logis liegt einer tot.«

»Mein Gott!« rief der Kommandant, und noch ehe er Zeit fand, den Namen zu erfragen, hatten sich die Matrosen über die Reeling geschwungen.

»Das war der Däne, der deinen alten Bekannten, den Trollop, niedergeschossen hat,« sagte der Schiffer, zu seiner Braut gewendet.

»Der Hauptmann Trollop ist tot!« murmelte das Mädchen erschüttert. »Sind noch mehr von ihnen geblieben?«

»Nein, die übrigen liegen in Eisen im Achterraum.«

»Hast du vorhin wohl beobachtet, Robert, wie Caldwells Gesicht sich veränderte, als er mich gewahrte?« fragte Margaret im Laufe der weiteren Unterhaltung.

»Ich hatte bei dem Handgemenge weder Zeit noch Gedanken zur Anstellung von Beobachtungen,« versetzte Boldock lächelnd. »Allerdings war ich etwas erstaunt, als er sich plötzlich, nach so wütender Gegenwehr, so leicht niederwerfen ließ. Ein böser Geselle!«

Jetzt erschien Mr. Matthews auf dem Achterdeck. Er sah bleich und ergriffen aus.

»Einer der Matrosen, der alte, gute Tom ist tot,« meldete er, »und mit den andern steht es auch nicht zum besten.«

»Die Banditen hätten sich ergeben sollen, dann wäre uns all dieser Jammer erspart geblieben!« knirschte der Kommandant, zornig das Deck stampfend.

»Auf dem Wege hierher sagte mir Ihr Bootsmann, daß einer der Gefangenen verrückt geworden sei,« fuhr Matthews fort. »Ich steckte den Kopf in die Achterluke, und da hörte ich den schwarzen Caldwell allerlei dummes Zeug schwatzen und schreien. Es handelte sich dabei immer um Sie, Miß Mansel, um Sie und um Masters. Erinnern Sie sich des jungen Mannes? Es hieß allgemein, er habe sein Herz an Sie verloren.«

Margarets Wangen begannen zu glühen, der Kommandant aber sagte steif und abweisend:

»Das gehört nicht hierher, Mr. Matthews.«

»Haben Sie behalten, was der schreckliche Caldwell gesagt hat?« forschte das junge Mädchen. »Ich möchte es wohl wissen.«

»Viel läßt sich nicht wiederholen, denn die Sprechweise des Elenden ist zu wüst und lästerlich. »Ich hätte dich ja nimmer getötet, du Narr,‹ so ungefähr heulte er, ›wenn ich gewußt hätte, daß sie noch am Leben war. Warum hast du mich um eines toten Weibes willen herausgefordert? Denn du hieltest sie doch für tot. Frage doch Davenire, der wird dir sagen, daß ich sie nur im Interesse unser aller über Bord warf, auch in deinem Interesse.‹ So war der Inhalt seines Geschreies und Geheuls – immer dasselbe. Er ist ganz und gar von Sinnen und meint, den Geist des toten Masters fortwährend vor sich zu sehen. Die andern saßen dabei und redeten kein Wort.«

»Davenire hat ihm also bei der Unthat geholfen,« sagte der Kommandant.

»Das habe ich von Anfang an geglaubt,« nickte Margaret.

»Was sind nun Ihre weiteren Befehle, Sir?« fragte der Obersteuermann, sein Auge auf die ferne Brigg richtend.

»Wir wollen noch warten, bis das Großboot binnenbords gebracht ist, dann steuern wir direkt der Insel zu und holen das Gold. Zunächst aber lassen Sie der Mannschaft einen guten Trunk reichen und erfrischen Sie auch sich selber, Mr. Matthews. Auch mir wird ein Glas Wein gut thun. Komm mit uns hinunter, liebe Margaret.«

Während das Schiff seinen Kurs auf die Insel zu verfolgte, begab Boldock sich hinunter in den Raum, der jetzt als Gefängnis für die Seeräuber diente, und suchte von diesen zu erfahren, an welchem Orte auf dem Eiland sie das Gold verborgen hatten.

»Geben Sie uns das Großboot und unsere Freiheit,« sagte Davenire. »Versehen Sie uns auf vierzehn Tage mit Proviant, kurz, geben Sie uns die Möglichkeit, dem Geschick zu entrinnen, dem Sie uns jetzt zu überliefern gedenken, und ich schwöre Ihnen bei allem, was heilig ist, daß Ihnen dann der Ort genau und zuverlässig angegeben werden soll, wo das Gold zu finden ist.«

Boldock zuckte die Achseln und schaute den in seinen Fesseln vor ihm Kauernden mit seinen durchdringenden Augen an. Endlich entgegnete er:

»Sie haben Miß Mansel zu ermorden versucht; Ihr Helfer bei der Unthat sitzt dort,« damit deutete er auf Caldwell, der teilnahmlos vor sich hinstierend in einer finstern Ecke hockte, ab und zu murmelnd und schnatternd und blödsinnig kichernd. »Gott hat ihn heimgesucht, und seine Strafe ist hart. Die junge Dame, die Sie knebelten und über Bord warfen, hat eingewilligt, mein Weib zu werden. Sie aber, Davenire, können versichert sein, daß Sie aus diesen Eisen nicht herauskommen, bis ich Sie in der Hand der irdischen Gerechtigkeit weiß.«

Damit ließ er ihn sitzen. –

Als Miß Margaret am nächsten Morgen an Deck kam, sah sie vor sich, kaum noch eine Seemeile entfernt, ein schönes grünes Inselland; ein wunderbar erfrischender Anblick, nachdem sie so lange nichts als das endlose Meer vor Augen gehabt. Bald darauf ließen beide Schiffe die Anker fallen.

Der Kommandant suchte das Land durch das Teleskop ab, konnte aber keine Spur von den drei zurückgebliebenen Piraten entdecken.

Caldwell war aus dem Raum in die Kammer geschafft worden, in der Trollops Leichnam gelegen hatte, bis er, am Abend zuvor, ins Meer bestattet worden war. Der wahnwitzige Verbrecher hatte Anwandlungen von Tobsucht gezeigt und benahm sich so wild und ungebärdig, daß ein handfester Matrose mit einem starken Knittel als Wache über ihn gesetzt werden mußte. So lag er gefesselt in der Koje, schreiend, heulend und lästernd und Geheimnisse ausplaudernd, so blutig und gräßlich, daß sich allen, die es hörten, vor Entsetzen die Haare sträubten.

Um elf Uhr vormittags ließ der Kommandant ein Boot klar machen und begab sich mit acht Matrosen an Land. Margaret ließ ihn nur unter Thränen von sich. Sie hatte die Seeräuber kennen gelernt. Drei von denselben befanden sich noch frei und mit Revolvern bewaffnet drüben auf jener Insel; in der Verteidigung ihrer Freiheit würden sie sicherlich ein Menschenleben nicht schonen. Heiße Gebete für ihren Robert zum Himmel emporsendend schaute sie dem Boote durch ein Opernglas nach, bis es am Strande angelangt war. Boldock sprang, gefolgt von sechs Mann, ans Land; zwei Matrosen blieben als Wache zurück. Die kleine Schar drang in den dichten Wald ein, der die Insel überall bedeckte und nur einen Streifen weißen Sandes am Strande freiließ.

Es vergingen zwei lange, bange Stunden. Die junge Dame wich nicht von der Reeling und verwendete keinen Blick von der Stelle, wo der Kommandant mit seinen Leuten den Wald betreten hatte. Gegen ein Uhr huschte sie in die Kajüte hinunter, um sich durch einen Schluck Wein zu stärken, da sie in ihrer Herzensangst ganz schwach und krank geworden war.

Wieder an der Reeling des Achterdecks angelangt, gewahrte sie drüben am Strande eine dunkle Linie; sie brachte schnell das Glas an die Augen und erkannte in dieser Linie eine Reihe von zehn Männern. Ihr Herz pochte so heftig, daß sie das Glas kaum zu halten vermochte. Noch einmal schaute sie hinüber. Es waren und blieben zehn Männer, und unter ihnen befand sich auch Robert Boldock, frisch und munter.

Der Obersteuermann Matthews war auf dem Hauptdeck mit einer Schiffsarbeit beschäftigt. Ein freudiger Ruf des Mädchens ließ ihn aufblicken.

»Sie kommen, Mr. Matthews! Sie bringen die Drei gefangen!«

Er ließ die Arbeit liegen und eilte zum Achterdeck hinauf. Das Mädchen reichte ihm das Glas.

»Richtig,« sagte er, nachdem er lange zum Strande hinübergeblickt hatte, »sie bringen sie. Dann haben sie auch das Gold gefunden.«

Er setzte das Glas nieder und rieb sich vergnügt die Hände.

»Das Gold!« wiederholte Margaret. »Daran hatte ich gar nicht gedacht. Wie aber, wenn die Räuber sich geweigert haben, dem Kommandanten die Stelle zu zeigen, wo die Goldkisten versteckt oder vergraben sind? Die Insel ist zwar nur klein, aber doch groß genug, um Jahr und Tag nach den Kisten suchen zu können und dann schließlich doch nichts zu finden.«

»Sie müssen das Gold haben,« entgegnete Mr. Matthews zuversichtlich, »sonst hätten sie sich nicht so bald auf den Rückweg gemacht.«

Das Großboot stieß vom Strande ab, und bald waren von Bord aus Cavendish, Johnson und Burn in den drei Gefangenen zu erkennen. Als dieselben über die Reeling gekommen waren und nun Miß Mansels ansichtig wurden, standen sie wie versteinert.

Auf Boldocks Befehl wurden Cavendish und Johnson in den Achterraum gebracht, Burn aber mußte dem Kommandanten in die Kajüte folgen.

Margaret trat an das Oberlichtfenster und sah hinunter. Die beiden Männer saßen am Tische; Boldock hatte sein Taschenbuch aufgeschlagen, und Burn zeichnete eine Art Skizze oder Plan auf eine leere Seite desselben.

Sie hörte, wie der unselige Mann um einen Schluck Bier bat; der Kommandant holte eine Flasche und ein Glas aus des Stewards Pantry und schenkte ein; Burn trank, und dann begann er zu weinen und unter strömenden Thränen von dem armen Masters zu sprechen.

Das junge Mädchen lauschte mit gespanntester Aufmerksamkeit.

Burn beteuerte, daß er dem unglücklichen Menschen herzlich zugethan gewesen sei; gegen den schwarzen Caldwell habe er stets eine instinktmäßige Abneigung empfunden, seit derselbe aber den Mordversuch an Miß Mansel ausgeführt habe, hasse und verabscheue er ihn. Er verschwor sich hoch und teuer, daß weder er noch Masters eine Ahnung davon gehabt hätten, daß ein solches Verbrechen im Werke gewesen, wohl aber hätten die übrigen ohne weiteres ihre Zustimmung gegeben, als Caldwell und Davenire mit der Absicht, das Mädchen aus dem Wege zu schaffen, herausgerückt waren.

Margaret zweifelte keinen Augenblick an der Wahrheit dieser Beteuerung; sie erinnerte sich jetzt genau, bemerkt zu haben, daß Burn und sein Freund mit den andern niemals sonderlich harmoniert hatten.

Eine eigentümliche Bewegung hatte sie ergriffen. Masters hatte sein Leben eingebüßt, bei dem Versuche, ihren vermeintlichen Tod zu rächen. Wäre Caldwell von seiner Kugel gefallen, dann – so hörte sie Burn dem Kommandanten versichern – würde er ohne Verzug auch Davenire vor die Pistole gefordert haben.

Margaret trocknete verstohlen eine Thräne. Der Aermste! Er hatte also eine stille Neigung für sie gehegt, von der sie nichts gewußt. Mit Rührung erinnerte sie sich seines bleichen Gesichtes – sie war überzeugt, nie ein so schönes Profil gesehen zu haben, wie das seine. Und der Mann war für sie in den Tod gegangen! Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Aufschluchzen; sie trat von dem Oberlichtfenster zurück, damit der Kommandant nicht gewahrte, daß sie gelauscht, denn sie sah ihm an, daß der letzte Teil von Burns Bericht ihm nichts weniger als angenehm gewesen war.

Dann vernahm sie Boldocks Stimme.

»Ich will hoffen, daß Sie mich nicht hintergangen haben, Mr. Burn,« sagte er streng.

»Bei Gott im Himmel!« antwortete der ehemalige Schauspieler schluchzend, »was ich Ihnen mitteilte, ist die lautere Wahrheit, die heilige, lautere Wahrheit!«

»Gut,« versetzte Boldock. »Gehen Sie jetzt in diese Kammer und kommen Sie ungerufen nicht heraus. Sie sind mein Gefangener, das versteht sich von selbst. Sie haben mir keine Veranlassung gegeben, mich über Ihr Benehmen zu beklagen, ganz im Gegensatz zu all den andern; wenn wir das Gold wieder an Bord haben, dann sollen Sie auch mit der Ihnen meinerseits zu teil werdenden Behandlung zufrieden sein.«

Gleich darauf erschien er wieder an Deck, ließ das Boot bemannen und fuhr abermals dem Lande zu. Er hatte es diesmal so eilig, daß er sich von Margaret nur durch eine Kußhand vom Boote aus verabschiedete.

Wieder stellte das Mädchen sich mit dem Opernglase an die Reeling.

Eine halbe Stunde nach der Landung des Bootes sahen sie die Matrosen aus dem Walde zum Strande kommen; sie schleppten schwere Kisten, die sie ins Boot luden. Dies wiederholte sich mehrmals, dann stießen sie ab und ruderten dem Schiffe zu.

Als die Kisten an Bord gehißt wurden, stand der Kommandant am Fallreep. Ein überglückliches Lächeln verklärte sein großes, rotes Gesicht.

Drei Stunden erst waren seit der Information verstrichen, die Boldock durch Burn erhalten, und schon befand sich der gesamte Goldschatz wieder im Raum, in seinem alten Verschlage zwischen den Wollballen; die Lukendeckel wurden aufgelegt, und dann erging der Befehl zum Ankerhieven und Segelsetzen.

Ehe dies geschah, trat Mr. Matthews, der Obersteuermann der ›Queen‹, an den Kommandanten heran. Der Mann war so tief bewegt, daß er seinen Empfindungen nur mit Mühe Worte verleihen konnte. Er streckte Boldock die Rechte hin, die dieser schweigend drückte.

»Es ist ein Glücksfall,« sagte der Kommandant, »der uns beide reicher und hoffentlich auch glücklich machen wird«

Dann rief er die Brigg an, die nicht weit von dem Schiffe ankerte.

»Wissen Sie schon, Mr. Hardy, daß wir den Goldschatz wieder an Bord haben?«

Hardy rief mit schallender Stimme seinen Glückwunsch herüber und empfing darauf die Mitteilung, daß der Kommandant mit Sonnenuntergang an Bord des ›Wellesley‹ zu kommen gedenke, sowie den Befehl, jetzt gleichfalls unter Segel zu gehen und sich in der Nähe der ›Queen‹ zu halten.

Darauf erzählte Boldock seiner Margaret und dem Obersteuermann, wie er die drei letzten der Seeräuber zu Gefangenen gemacht und die Kisten wieder erlangt hatte. Der Wald auf der Insel war sehr dicht, so daß er mit seinen Leuten nur mit großer Behutsamkeit hatte Vordringen können. Das hohe Gras machte ihre Tritte unhörbar. Nachdem sie eine Strecke zurückgelegt hatten, stießen sie ganz unerwartet auf eine sonnenbestrahlte Lichtung, in deren Mitte ein aus Segeln errichtetes Zelt stand. Im Eingang desselben gewahrten sie Mr. Burn, der beim Anblick der Schar sprachlos vor Schreck und wie angedonnert verharrte. Sie sahen eine Menge leerer Flaschen und die Reste einer Mahlzeit umherliegen. Die andern schliefen im Innern des Zeltes. Im Nu waren alle drei ergriffen und durch Wegnahme ihrer Waffen unschädlich gemacht. Auf Boldocks Frage nach den Kisten mit dem Golde grinste Cavendish höhnisch und verstockt, keiner aber gab eine Antwort. Als ihnen jedoch eröffnet wurde, daß das Großboot mit Beschlag belegt, der Hauptmann Trollop tot sei und ihre Kameraden sich in Eisen an Bord der ›Queen‹ befänden, die in Begleitung des königlichen Vermessungsschiffes ›Wellesley‹ bei der Insel vor Anker liege, da schauten sie einander bleich und betroffen an. Noch immer aber wollten sie nicht Rede stehen, bis endlich, auf dem Marsche nach dem Strande, Burn dem Kommandanten ein verstohlenes Zeichen gab und ihm leise sagte, daß er unter vier Augen alles bekennen wolle, was im Salon der ›Queen‹ später auch geschah.

Die Kisten fanden sich an dem von Burn bezeichneten Ort, in einer engen, dicht verwachsenen Schlucht am Fuße eines kleinen Hügels. Sie waren, wie Burn versicherte, seit dem Tage, an welchem man sie aus dem Raum geholt hatte, nicht wieder geöffnet worden. Zwar hatte man daran gedacht, mit dem Inhalt einer derselben ein Fahrzeug zu kaufen, war aber bei der Besprechung dieses Planes in Streit geraten, wie überhaupt Zank und Zwistigkeiten unter ihnen nie aufgehört hatten, bis die Sechs im Großboot davongesegelt waren, um ein des Weges kommendes Schiff zu kapern, wie der Kommandant richtig vorausgesehen hatte.

An demselben Nachmittage hatte Boldock noch eine zweite, längere Unterredung mit Burn. Der arme Teufel, dessen erstes Debüt als Seeräuber so verhängnisvoll für ihn geworden war, erzählte freiwillig alles, was er wußte, in der Hoffnung, daß der Kommandant später zu seinen Gunsten Fürsprache einlegen werde. So berichtete er, daß es in Sydney allgemein bekannt gewesen sei, daß die ›Queen‹ mit einer aus den Diggings gekommenen reichen Goldladung nach England in See gehen sollte. Eines Tages war ihm Trollop auf der Straße begegnet und hatte ihn gefragt, ob er Lust habe, sich einer Gesellschaft von Männern anzuschließen, die den Plan gefaßt hätten, als Passagiere an Bord der ›Queen‹ zu gehen, um sich während der Fahrt des Schiffes und des Goldes zu bemächtigen. Als er einwilligte, führte Trollop ihn in das Haus eines Mannes mit Namen Moses Jakobs ein, der das zu diesem Unternehmen notwendige Kapital herzugeben bereit war. Hier lernte er Davenire, Caldwell und einige der andern kennen. Da die Gesellschaft noch nicht vollzählig war, bewog er Masters, derselben beizutreten. Saunders, der Eigentümer der Brigantine, die sich zur bestimmten Zeit bei der Insel Halloran einfinden sollte, war Moses Jakobs Schwager. Derselbe wurde jedoch auf See von einer fallenden Raae so schwer verletzt, daß er umkehren mußte, ohne seinen Anteil des Planes ausgeführt zu haben. Am Tage seiner Rückkunft nach Sydney war er seinen Verletzungen erlegen. –

 

Nach glücklicher Fahrt langten beide Schiffe wohlbehalten in Sydney an. Die sogleich angestellten Nachforschungen ergaben, daß Moses Jakobs sich aus dem Staube gemacht hatte. Er war der Schlimmste der ganzen Bande gewesen. Nach allgemeiner Ansicht mußte er mindestens zweitausend und fünfhundert Pfund für das seeräuberische Unternehmen aufgewendet haben, sein Verlust war daher nicht gering. Und diese Summe hatte er gewagt lediglich auf die Voraussetzung hin, daß die Brigantine rechtzeitig bei der Insel eintreffen würde. In der Regel pflegen Leute von der Abstammung Moses Jakobs keine Freunde solcher unsicheren Spekulationen zu sein.

Kommandant Boldock war eine Zeit lang der Held des Tages. Scharen von Neugierigen pilgerten täglich zum Hafen, um sich die ›Queen‹ und den ›Wellesley‹ anzusehen. Als die erstere später die Heimfahrt nach London antrat, geschah dies unter der Führung des Mr. Matthews, der von der Rhederei zum Kapitän des Schiffes ernannt worden war.

Das Bergegeld, an das der Kommandant des ›Wellesley‹ so freundliche Zukunftsträume geknüpft hatte, kam in Höhe von zwanzigtausend Pfund zur angemessenen Verteilung unter allen denen, die den Goldschatz seinen Eigentümern retteten und zurückbrachten Boldocks Anteil überstieg seine kühnsten Erwartungen; auch seine Gattin, die ehemalige Miß Mansel, wurde reichlich bedacht, denn ohne die Rolle, die ihr in dem Seedrama zugeteilt worden, hätten die Piraten ihre Beute ungehindert in Sicherheit gebracht und sich damit in alle vier Winde zerstreut, ohne auch nur an Moses zu denken.

Davenire und seine Spießgesellen wurden zu lebenslänglicher Deportation nach der schrecklichen Strafkolonie auf der Insel Norfolk verurteilt, ausgenommen Burn und Caldwell. Der Letztere mußte als unheilbar wahnsinnig in einem Irrenhause untergebracht werden. Burn aber wurde nach Beendigung des Prozesses auf freien Fuß gesetzt; seine Bereitwilligkeit, dem Kommandanten Boldock zur Wiedererlangung des geraubten Gutes zu verhelfen, wurde dadurch belohnt, daß man ihm die Vergünstigung der Kronzeugen gewährte und ihm jegliche Strafe erließ.

Die in den Booten der ›Queen‹ ausgesetzten Passagiere und Mannschaften wurden sämtlich gerettet und in australischen Häfen gelandet, nur Mrs. Peacock unterlag den Strapazen und fand ein Grab im tiefen Ozean. Und gerade sie hatte die Reise lediglich zur Kräftigung ihrer Gesundheit unternommen!

Kommandant Boldock blieb noch einige Zeit im königlichen Dienst, aber wenn er von einer Fahrt heimkehrte, dann erwartete ihn seine junge Gattin in einem freundlichen Häuschen, das inmitten eines blühenden Gartens lag und vor dessen Thür ein kleiner Springbrunnen plätscherte.


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