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Sechstes Kapitel.
Die Waffenkiste

Als Kapitän Benson in der nächsten Morgenfrühe wieder sichtbar wurde, war die Mannschaft beim Deckwaschen; in der mittleren Nachtwache hatte sich eine Brise aufgemacht, und nun strich das schöne Schiff in fliegender Fahrt über den frisch bewegten Ozean dahin. Der Seegang kam stetig aus Südwest; in der Ferne erschimmerten drei lichtweiße Spitzen im Sonnenschein – die Masten eines großen Schiffes, das gleichfalls seinen Weg um das Kap Horn nehmen zu wollen schien. In den blauen, schaumumkränzten Wogenthälern hinter der Bark wimmelten Scharen weißer Seevögel, von der Art, die im südlichen Eismeere zu Hause ist; sie verfolgten das Schiff in unermüdlichem, wellenartigem Fluge, genau parallel mit der wogenden Oberfläche des Meeres.

Der Schiffer beobachtete diese Vögel eine Minute lang, eine weitere Minute ruhte sein Blick auf den drei weißen Spitzen am Horizont, dann rief er den ersten Steuermann heran.

»Ist Ihnen an Ihrem Ende des Tisches seither etwas Bemerkenswertes aufgefallen?« fragte er diesen, aus dem Winkel seines Auges das Achterdeck überschauend.

»Nein, Kapitän, mir scheint es vielmehr, als ob die Herren neuerdings recht vorsichtig in ihren Unterhaltungen geworden seien.«

»Haben Sie noch nicht in Erfahrung gebracht, wer dieser Hauptmann Trollop eigentlich ist?«

»Auch das nicht. Einige seiner Freunde könnten wohl Auskunft darüber geben, aber werden sie das thun? Vielleicht weiß Mr. Dent etwas über ihn, oder eine der Damen –«

»Die haben mich gerade nach ihm gefragt,« unterbrach der Schiffer. »Das Aussehen des Menschen gefällt mir nicht.«

»Und doch ist gerade er eine so stattliche Erscheinung.«

»Ich sage Ihnen, sein Aussehen gefällt mir nicht,« entgegnete der Kapitän heftig; »auch der Masters ist mir widerwärtig. Einen Kerl aber, wie dieser schwarze Caldwell –« hier sah er sich vorsichtig um – »ein solches Banditengesicht möchte ich nicht um alles Geld in meinem Matrosenlogis haben.« –

Der ›Erste‹ senkte gedankenvoll den Kopf. Der Argwohn des Schiffers war ihm rätselhaft, im Grunde jedoch kaum mehr, als dem alten Benson selber. Was fürchtete man denn eigentlich? Eine Meuterei der zehn Passagiere? Weswegen aber sollten die meutern? Sie fühlten sich ja vollständig zufrieden und glücklich an Bord. Sie hatten wiederholt den guten Marsala des Schiffes gelobt, sie ließen sich die kulinarischen Leistungen des Kochs trefflich munden, sie promenierten gruppenweise umher, unterhielten sich ruhig und anständig und machten den Damen so weit als zulässig den Hof, wie es Kavalieren und Gentlemen gebührt. Woher also dieser Argwohn des alten Benson? Das war die Frage, die dem würdigen Steuermann den Kopf schwer machte, als er an die vordere Barriere des Decks trat und den deckwaschenden Matrosen zuschaute.

Ueber der Frühstückstafel schien an jenem Morgen etwas wie eine Wolke zu schweben. Man hatte einen Toten an Bord, und der sollte bestattet werden.

»Haben Sie schon einmal einem Begräbnis auf See beigewohnt, Miß Mansel?« fragte der junge Masters.

»Nein, noch niemals,« antwortete das junge Mädchen mit einem leichten Erschauern.

»Es giebt ein Gedicht über diesen Gegenstand,« bemerkte Mr. Storr. »Als ich noch ein Knabe war, wußte ich es auswendig.«

»Hundert, vielleicht tausend Gedichte giebt's darüber,« schnarrte Caldwell, sein dunkles, häßliches Gesicht dem Auktionator zuwendend. »Gedichte giebt's über jedes Ding und Vorkommnis auf Erden; manche sind von den Reimdrehern so mit Versen belastet worden, wie Papierdrachen, denen die Jungen zu lange Schwänze angebunden haben. Hab' ich recht, Kapitän Benson?«

Der Schiffer that, als habe er diese Frage überhört.

»Sie scheinen kein Freund der Poesie zu sein,« sagte Mr. Storr.

»Nein, ebensowenig wie unser Kapitän.«

Miß Holroyd kicherte, der alte Benson aber wurde dunkelrot. Durch derartige persönliche Bezugnahmen fühlte er seine Würde gekränkt und verletzt. Er hatte von der Pike auf gedient und konnte auch nicht die leiseste Andeutung von Sarkasmus vertragen. Seine einzige Antwort war ein finsterer, argwöhnischer Streifblick über die Reihen der ihm so zweifelhaft erscheinenden Herren zur Rechten wie zur Linken der Tafel. Hauptmann Trollop schaute unmutig drein, und die Unterhaltung geriet beinahe völlig ins Stocken.

Um halb elf Uhr wurde der Leichnam seinem nassen Grabe übergeben. Man wußte nichts von dem Verstorbenen, weder seinen Namen, noch seine Herkunft. Die Damen wohnten tief ergriffen der kurzen Ceremonie bei; Mrs. Peacock vergoß einige Thränen.

Schnell, wie die Flut sich über dem Versenkten schloß, war auch dessen Andenken erloschen. Der Kapitän klappte sein Gebetbuch zu und ging in seine Kammer, um den Sextanten zu holen. –

Drei Tage verstrichen, ohne daß Mr. Matthews etwas Außergewöhnliches in das Logbuch des Schiffes einzutragen gehabt hätte.

Am Nachmittag des dritten Tages flaute der Wind ab; es wurde so windstill, daß die Segel schlaff herunterhängend gegen die Stengen schlugen. Der vorher so krause Seegang wurde glatt, die Dünung rollte wie geschmolzenes Glas in lang gestreckten, flachen Hügeln daher, und das träge, schlengernde Schiff zeigte bald steuerbord und bald backbord seine im Sonnenschein erschimmernde Bekupferung. Backbord, etwa zwei Seemeilen entfernt, lag ein Walfischfänger; mit Hilfe der Signalflaggen und eines schwarzen Brettes, das man mit Kreide beschrieben, hatte man erfahren, daß derselbe ein Amerikaner sei, daß er drei Jahre lang auf dem Fang gewesen und nun um das Kap Horn herum der Heimat zustrebe, die er in sechs Monaten zu erreichen denke.

Einen schwerfälligeren, alten Wagen, als diesen ›Fangmann‹, konnte man sich nicht denken; stumpf und breit im Bug, mit einem Heck, so viereckig wie eine Kiste, lag er tief in der blauen Flut, fast so unbeweglich wie eine Klippe. Die drei Schiffe – die ›Queen‹, der Amerikaner und der ferne Segler – befanden sich jetzt in einer Linie.

Die [Quecksilbersäule] in Kapitän Bensons Barometer war seit Mittag stetig gesunken; die Atmosphäre wurde langsam dicker und dunstiger, kein Laut kam von der See. Die Dünung rollte geräuschlos wie Oel vorüber, die weißen Vögel waren verschwunden.

Die Passagiere fühlten sich so unbehaglich wie noch nie während dieser Reise. Die Bark schlengerte so heftig, daß die Damen weder gehen noch stehen konnten; die Mehrzahl der Herren schritt jedoch, wie der Schiffer sehr wohl bemerkte, mit unverkennbar seegewohnten Beinen an Deck umher.

Man hätte gar nicht glauben sollen, daß die ›Queen‹ so abscheulich rollen konnte. Sie wälzte sich nach backbord und dann wieder nach steuerbord, bis das Wasser durch die Speigaten an Deck hereinströmte, und nervöse Ohren konnten in dem Donnern der gegen die Masten schlagenden Segel, in dem Knarren und Knacken des Takelwerks, dem Geklirr zerbrechenden Geschirrs in Kombüse und Pantry, dem gelegentlichen Schreckens- oder Angstruf einer weiblichen Stimme, den Kommandoworten vom Achterdeck und den von unterdrückten Verwünschungen begleiteten Antworten vom Verdeck her sehr wohl die Vorboten eines Sturmes finden. Die gesamte Leinwand wurde aufgegeiet und festgemacht; nur die beiden dichtgerefften Marssegel und das Fockstagsegel blieben stehen.

Trollop und einige andere standen unter der Galerie des Achterdecks und sahen den Arbeiten der Matrosen zu. Die Großmarsraae war heruntergeviert, die Refftaljen ausgeholt. Ein paar Matrosen stiegen in den Wanten empor.

»Wollen wir ihnen helfen?« fragte Mr. Burn unternehmungslustig.

»Ich bin dabei,« sagte Johnson.

»Still!« gebot Trollop. »Starren Sie nicht so nach oben. Müssen Sie denn immer wieder vergessen, daß wir beobachtet werden?«

»Donnerwetter, wie rollt der Fangmann da drüben!« rief Burn nach einer kleinen Pause.

Der Segler in der Ferne war in dem dichter und dichter werdenden Dunst nicht mehr sichtbar. Der Walfischfänger folgte dem Beispiel der Bark und barg die Segel; er rollte so gewaltsam, daß die Nocken seiner Raaen in die See zu tauchen schienen.

»Wasch, wasch – wasch, wasch,« murmelte Shannon im Takte der Bewegungen des ungefügen Fangmanns, »Himmel, wenn ich an den Gestank von Fisch und altem Thran denke, der bei jedem Ueberholen aus seinen Luken qualmt und quillt! Ich bin sechs Monate an Bord von solch einem –«

Trollop stieß ihn heftig an.

»Wir werden einen Orkan haben, und zwar bald,« sagte er und suchte die Kajüte auf. –

Am Firmament gingen eigentümliche Veränderungen vor. Sein schmutziges Blau verwandelte sich in bleiche Aschenfarbe, die sich nach und nach verdunkelte, bis das ganze Himmelsgewölbe grünlichschwarz erschien.

Man nahm das Mittagsmahl bei Lampenlicht ein. Der Stuhl des Kapitäns war leer. Mr. Matthews kam in Eile, nahm hastig einige Bissen zu sich und entfernte sich dann wieder, die vom oberen Tischende an ihn gerichteten Fragen kaum notdürftig beantwortend. Auch der ›Zweite‹ war an Deck, ebenso sämtliche Mannschaften beider Wachen.

Trollop und Hankey erhoben sich zuerst von der Tafel. Johnson und Cavendish warfen einander verständnisvolle Blicke zu.

Gleich darauf hörte man den Kapitän durch die Kampanjeluke mit einer Trompetenstimme nach seinem Oelzeug rufen; einer der Stewardsgehilfen eilte mit langem wasserdichten Rock und einem Südwester hinauf.

»Horch! Was war das?«

Ein dumpfes Knattern und Rollen, wie fernes Artilleriefeuer; dann brach ein ungeheures, blendend violettes Licht aus dem zerreißenden Firmament; eine Frauenstimme kreischte; es war, als ob eine Masse von Feuer durch das Oberlichtfenster in den Salon hinabgefallen wäre; noch einmal donnerte die Kanonade in der Ferne, dann stürzte der Regen in massivem Guß hernieder. Die Wasserflut rauschte und prasselte auf den Planken, sie erfüllte das Deck wie ein brausender See, sie schoß aus den Speigaten wie aus Spritzenschläuchen – und noch immer kein Windhauch.

Der Platz unter der vorspringenden Galerie des Achterdecks gewährte Schutz gegen den Regen; hier hatten sich mehrere Herren zu Trollop gesellt. Ein seltsamer Schein lag in der Atmosphäre – kein Licht; man glaubte sehen zu können und sah doch nichts; er lag fahl auf den Gesichtern, wie der Widerschein aus einer andern Welt, er war unheimlicher, als absolute Finsternis gewesen wäre.

Die Herren unter der Galerie saugten an ihren Pfeifen und beobachteten den in Dampfform von dem Holzwerk abprallenden Regen. Das Gewitter stand jetzt im Zenith; ununterbrochen und auf allen Seiten zugleich flammten die Blitze herab, und das Schiff erbebte unter dem betäubenden Krachen der Donnerschläge. Aber noch immer kein Wind!

»Ich kenne diese Art Gewitter,« sagte Davenire. »Dahinter steckt weder eine Bö, noch ein Orkan.«

»Sollte das nicht der für uns passende Moment sein?« bemerkte Masters.

»Sie wissen ganz gut, daß wir noch nicht bereit sind,« rief Trollop mit unterdrücktem Grimm. »Wer hat die Führung, ich oder ein anderer? Wenn ich sie noch habe, dann verbitte ich mir jedes Dreinreden, und einigen von euch möchte ich ernstlich raten, in ihrem Benehmen mehr auf sich acht zu geben.«

»Was hat er gesagt?« wendete Burn sich an Shannon, als ein knatternder Donnerschlag verhallt war.

Ehe der letztere jedoch antworten konnte, wurde die See in weitem Umkreise durch eine wunderbar großartige und zugleich furchtbare elektrische Entladung erleuchtet; eine mächtige Feuerkugel, wie aus einer abwärts gerichteten Riesenkanone geschossen, zischte aus der Höhe und erlosch im Ozean; ein kurzer harter Donnerschlag folgte.

Auf dem Achterdeck stieß jemand einen Schrei aus.

»Was ist geschehen?« rief Mr. Storr, zu den unter der Galerie stehenden Herren heran tappend.

»Der Fangmann ist vom Blitz getroffen und steht in Flammen,« antwortete der Hauptmann Trollop kühl und ruhig.

Er mußte ein scharfes und geübtes Auge haben. Ein Licht, das draußen auf der See stetig zu brennen begann, bewies die Richtigkeit seiner Worte. Die Luft war so still, daß die Flamme einer Kerze sich nicht geregt haben würde. Der Regen war bis vor kurzem noch so gewaltig herabgeschossen, daß die Pulsierungen der Meerflut durch seine Wucht niedergehalten worden waren. Jenes Licht aber war von Minute zu Minute heller und größer geworden, bis der Walfischfänger in dem Schein der Feuerzungen, die an seinem Fockmast emporleckten, klar zu erkennen war.

»Bis unter die Decksbalken mit Thran geladen,« sagte Mr. Burn. »Beim Zeus, da werden wir ein Feuerwerk zu sehen kriegen!«

Mr. Storr rannte die Treppe zum Achterdeck hinauf.

»Ein brennendes Schiff!« rief er in den Salon hinab.

»Darf man sich denn an Deck wagen?« rief Mrs. Dent zurück.

»Gewiß; es regnet nicht mehr, und die Blitze haben auch nachgelassen.«

Jetzt erschien auch Mr. Matthews in seinem vor Nässe glitzernden Oelzeug in der Kajüte; er brachte mit den Komplimenten des Kapitäns die Neuigkeit, daß ein in Flammen stehendes Fahrzeug in Sicht sei, und ferner die Mitteilung, daß aus Grätings und trockenen Planken eine Stellage hergerichtet sei, von der aus die Damen trockenen Fußes das Schauspiel in Augenschein nehmen könnten.

»Da muß ich hinauf,« rief Mrs. Dent. »Einen solchen Anblick darf man sich nicht entgehen lassen!«

»Und das nennt man eine Reise zur Wiederherstellung seiner Gesundheit machen,« klagte Mrs. Peacock, die während des Gewitters beinahe vor Furcht gestorben wäre.

Miß Mansel lachte. Alle Damen aber machten sich eilig für den Aufenthalt an Deck bereit, Mrs. Peacock nicht ausgenommen, und gleich darauf wimmelte die Reeling der ›Queen‹ von Schaulustigen. Die schwarze Masse des Gewitters zog sich nordwärts, nach Süden zu klärte der Himmel sich auf und ließ die blinkenden Sterne zwischen locker sich auflösendem Gewölk herniederschauen.

Durch das Nachtglas konnte man wahrnehmen, wie die Mannschaft des brennenden Schiffes das zerstörende Element bekämpfte, das jedoch immer wütender um sich griff, allenthalben jäh emporlodernd, wie Schlangen nach hinten ringelnd und auswehend in schwerem, zuerst rotbraunem, dann pechschwarzem Qualm.

»Gut auslugen da vorn nach des Fangmanns Booten!« rief der Kapitän, der in kurzen Touren am Kompaßhäuschen auf und ab lief.

Der alte Benson war in hoher Erregung. Es giebt nicht viel, das einen Seemann tiefer ergreifen kann, als der Anblick eines solchen Unglücks. Ihm ist ein brennendes Fahrzeug der herzbrechendste Ausdruck, dessen die See fähig ist. Für das Sensationelle, das Prachtvolle, das Romantische eines solches Schauspiels hat er keine Gedanken, ganz im Gegensatz zu den Empfindungen, mit denen die Damen und ein Teil der männlichen Passagiere der ›Queen‹ den Brand des Walfischfängers beobachteten. Sogar die Herren unter der Galerie konnten ihre Gemüter dem Einfluß des sich dort auf dem nächtlichen Meere vollziehenden Verhängnisses nicht verschließen; sie standen regungslos, saugten an ihren Pfeifen und tauschten hin und wieder mit unwillkürlich gedämpfter Stimme Bemerkungen aus, die von dem Mitgefühl zeugten, das sie erfüllte.

»Ein Gutes ist noch dabei,« sagte Masters; »solch einem Fangmann fehlt es nie an Booten.«

»Allerdings,« nickte Burn; »das aber nimmt dem Ereignis keinen seiner Schrecken.«

»Lassen Sie eine Rakete steigen, Mr. Matthews!« befahl der Kapitän; die Worte schallten klar durch die stille Luft. »Brennen Sie auch ein Blaufeuer ab; vor allem aber soll scharf nach Booten ausgelugt werden!«

Er stapfte mit hastigen kurzen Schritten zur Kajütskappe und verschwand in derselben; eine Minute später war er wieder da, denn er hatte ein rapides Steigen des Barometers wahrgenommen.

»Reffe aus den Marssegeln!« rief er. »Los Bramsegel! Achteraus hier einige, und setzt den Besan!«

In diesem Augenblick fuhr die Rakete gen Himmel mit einem Geräusch, als würde das größte Segel von oben bis unten durchgerissen; dann sah man die Gestalt des zweiten Steuermanns über die Backbordreeling hinausgelehnt, leuchtend abgehoben von dem schwarzen Hintergrund durch die strahlende Blendung des zischenden blauen Magnesiumfeuers, das seiner ausgestreckten Hand entsprühte. Ein kleines Stück der See, die Schiffsseite, ein Teil der Segel waren magisch grell beleuchtet, darüber hinaus schwarze Finsternis. Die von dem Lichte bestrahlten Menschen glichen Gespenstern, Dämonen.

Aus dem Südwesten kam ein leichter Windhauch.

Das Blaufeuer war ausgebrannt. Noch eine Rakete stieg gegen das Firmament empor, dann begann das Wasser am Vordersteven zu plätschern und zu rieseln und das Schiff war wieder in Fahrt. Der Schiffer stand neben dem Rudersmann, und von der Back schauten die Matrosen nach Booten aus.

Näher und näher kam man der fürchterlichen Feuersbrunst, die den Ozean auf Meilen in der Runde erleuchtete. Aber kein Boot, noch sonst ein Anzeichen treibender Schiffbrüchiger war in Sicht.

»Sie werden sich nach dem Schiffe aufgemacht haben, das wir heute in nördlicher Richtung sahen,« sagte Mr. Matthews zu dem zweiten Steuermann.

Noch zwei volle Stunden lang hielt sich die ›Queen‹ in der Nähe der Unglücksstätte, um vielleicht noch einen oder den andern der Schiffbrüchigen auffischen zu können, dann kam der Befehl zur Fortsetzung der Fahrt. Die lohende Glut blieb mehr und mehr zurück. Es war zehn Uhr geworden. Ein frischer, angenehmer Wind füllte die Segel. Als man sich von der Feuersbrunst so weit entfernt hatte, daß dieselbe nur noch anzusehen war wie eine Laterne weit draußen in der Nacht, da lagen die meisten der Passagiere bereits lange in ihren Kojen.

Sechs Glasen – elf Uhr.

»Mr. Poole!« rief plötzlich der Schiffer, der, seine abendliche Manila rauchend, bis jetzt an der Luvseite des Achterdecks seinen Spaziergang gemacht hatte.

Der ›Zweite‹ kam eilfertig herbei.

»Ich höre da unter der Galerie noch Stimmen. Wer ist das?«

»Einer ist Mr. Davenire; auch Mr. Hankey ist dabei, und noch ein paar andere.«

»Warum gehen die Herren nicht zu Bett?«

Der ›Zweite‹ zuckte die Achseln.

»Was thun sie da?«

»Sie rauchen.«

Nach einer kurzen Pause begann der Kapitän von neuem.

»Mr. Matthews sagte mir, daß Sie diesen Hankey schon gekannt haben, ehe er hier an Bord kam.«

»Er machte die Ausreise in einem Schiffe, dessen dritter Steuermann ich war.«

»Was ist er eigentlich?«

»Das weiß ich nicht.«

»War er nicht am Abend, ehe wir segelten, auf Ihre Einladung hier an Bord gekommen?«

»Nein, Kapitän. Ich sah ein Boot herankommen, und als ich über die Reeling guckte, da rief einer meinen Namen. Ich erkannte Mr. Hankey, und da er mir sagte, daß er einer der Passagiere der ›Queen‹ sein werde, forderte ich ihn auf, an Bord zu kommen.«

»Worüber haben Sie sich mit ihm unterhalten?«

»Ueber allerlei – ich erinnere mich nicht mehr; über das Schiff, in dem wir uns kennen lernten, über das Leben in den Kolonieen und so weiter.«

»Fragte er nach dem Golde, das wir an Bord haben?« forschte der Schiffer, mit gespreizten Beinen vor dem jungen Manne stehend und das Gesicht desselben scharf beobachtend.

Der aber fürchtete sich, die Wahrheit zu gestehen. Dies Verhör hatte ihn erschreckt und eingeschüchtert. Allerlei undeutliche Befürchtungen erfüllten seinen Kopf, und er verneinte, was er hätte bejahen sollen.

Der Schiffer ließ ihn stehen, schritt nach vorn, machte jedoch einige Schritte hinter der Galerie Halt, so daß die unter derselben Stehenden ihn nicht gewahren konnten. So sehr er auch die Ohren spitzte, so vernahm er doch nichts als ein dumpfes Gemurmel von Stimmen und ab und zu ein unterdrücktes Lachen.

Um halb zwölf Uhr hatten auch die Letzten der Passagiere ihre Kammern aufgesucht. Der alte Benson warf noch einen Blick auf den Kompaß, einen zweiten nach den Segeln, einen dritten luvwärts in die Ferne, dann tauchte er in sein Sanktuarium hinab.

Acht Glasen – zwölf Uhr, Mitternacht.

Eine heisere Stimme brüllte den Weckruf in das Matrosenlogis hinein; die Steuerbordwache kam an Deck, der Rudersmann wurde abgelöst, der ›Erste‹ stieg verschlafen die Treppe zum Achterdeck herauf und wechselte einige Worte mit dem ›Zweiten‹, der sich sodann in seine Kammer begab.

Es mochten zwanzig Minuten vergangen sein, da sah Matthews, der auf der Luvseite seinen Wachgang angetreten hatte, zu seinem Erstaunen von der Treppe auf der Leeseite her den ›Zweiten‹ in Hast herbeikommen. Er blieb stehen.

»Mr. Matthews!« meldete Poole ganz außer Atem. »Denken Sie sich! Man hat die Waffenkiste in meiner Kammer aufgebrochen und ausgeräumt.«


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