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Erstes Kapitel.
Die Bark »Queen«

Es war eine mondhelle, stille Nacht. Auf einer kleinen Landspitze, die eine kurze Strecke in die Bai von Sydney hinausragte, standen zwei Männer in angelegentlichem Gespräch.

Zur Zeit dieser Geschichte war noch keine Spur von dem gewaltigen ›Zirkular-Quai‹ vorhanden, der heute die Bai von Sydney umschließt. Die ladenden und löschenden Schiffe fanden damals Unterschlupf in sogenannten Creeks, langen, künstlich hergestellten Ufereinschnitten, in denen sie an Pfählen und Bollwerken vertäut lagen, und zwar so zahlreich, daß die dichten Mastenwaldungen in dieser Mondnacht wie Wolkenmassen jenseits der blendend erschimmernden Bai lagerten.

Die Mastlaternen der draußen im offenen Wasser ankernden Fahrzeuge blinkten in dem allgemeinen Silberglanze so schwächlich wie Glühwürmchen.

Eins dieser letzteren Schiffe befand sich dem Standorte der beiden Männer gerade gegenüber, kaum eine kleine Seemeile von der Landspitze entfernt. Es war eine schmucke kleine Bark, die, ihrer in allen Teilen vollständigen Takelung nach zu urteilen, entweder demnächst auslaufen sollte, oder aber soeben erst binnen gekommen war.

Die beiden Männer hielten während ihrer Unterhaltung beinahe unablässig die Blicke auf dieses Schiff gerichtet. Jetzt zog schattenhaft, wie eine lichte Nebelwolke, ein großes Vollschiff, das soeben die lange Fahrt von Europa nach Australien beendet haben mochte, an demselben vorüber. Einige Minuten später wurde das über der Bai lagernde Schweigen unterbrochen, zuerst von dem Gerassel der durch die Eisenklüsen fahrenden Ankerketten, und dann durch das verhallende Schreien und Singen der Seeleute, die die Segel aufgeiten, die im Mondlicht zu zerfließen und zu verschwinden schienen.

Es war zehn Uhr. Von der Stadt her verkündeten dies in verschwimmenden Klängen einige Kirchenuhren. Die Glocken der Schiffe nahmen die Kunde auf und verbreiteten sie weiter, und eine kurze Zeit lang erfüllte ein allgemeines Geklingel die bisher so stille Mondnacht, teils näher und lauter, teils ferner und schwächer, in den Creeks wie draußen in der Bai, bald höher, bald tiefer, aber immer melodisch wie Geistermusik. Hier und da kroch wie ein dunkles Fleckchen ein Boot über die glatte, leuchtende Flut, umwallt und begleitet von Phosphorgefunkel, das sprühend und glänzend erschienen wäre, wenn kein Mond am Himmel gestanden hätte.

Die Schiffsglocken hatten soeben ihr Klingen eingestellt, als die Männer ein Rudergeräusch vernahmen.

»Jetzt kommt er,« sagte der eine, die Augen mit der Hand beschattend und in der Richtung des Geräusches auslugend.

»Nicht doch, Trollop,« entgegnete der andere, »was da kommt, ist ein Boot mit mindestens einem halben Dutzend Reemen in den Dollen. Den Hankey, der sein Boot wrickt, merken wir erst, wenn er dicht vor uns ist.«

Während der letzte Sprecher noch redete, glitt ein langes weißes Boot aus dem weißdunstigen Mondschein in den Gesichtskreis; der Mann im Stern desselben stand auf, als er die beiden am Strande wahrnahm, wie um sie genauer betrachten zu können. Man sah die Knöpfe an seinem Rock glänzen, auch die sechs Bootsruderer waren uniformiert.

Auf ein Kommando des Mannes im Stern blieben die Reemen über dem Wasser in der Schwebe und das Boot trieb langsam an der Mündung des nahen Creeks vorüber, in die der Mann forschend hineinspähte. Weit konnte sein Blick nicht reichen, denn der Silberschimmer des Mondlichtes verwandelte sich dort drinnen in trübe Dämmerung, ins Schwärzliche verdunkelt durch die Schiffe und ihre dichtverwobene Takelung. Die Männer auf der Landspitze ließen das kleine Fahrzeug nicht aus den Augen.

»Was ist das für ein Boot?« fragte einer von ihnen.

»Entweder ist es das Hafenwachtboot, oder aber es gehört zu einem der Kriegsschiffe,« antwortete der andere.

»Was hat es hier zu suchen? Vielleicht ist's hinter einem Deserteur her, vielleicht will es auch wissen, was da draußen vorgeht – was?«

Der Sprecher wies mit einem Neigen des Kopfes nach der Bark hinüber.

Der Mann im Stern des weißen Bootes hatte seinen Sitz wieder eingenommen, die Reemen senkten sich ins Wasser, und das kleine Fahrzeug verschwand in dem schimmernden Dunst.

Fünf Minuten später erschien ein schwarzer Punkt in der Linie zwischen der Landspitze und der Bark. Derselbe vergrößerte sich zusehends und entwickelte sich bald zu einem Boote, das ein im Hinterteil stehender Mann mittels eines über das Heck gelegten Reemens vorwärts wrickte. Er lenkte das Boot in den Creek hinein und sprang hier leichtfüßig ans Ufer, das Fahrzeug an der Fangleine festhaltend. Die beiden andern gesellten sich zu ihm.

»Nun, Hankey, wie schaut's aus?«

»Ich bin über eine Stunde mit Poole allein gewesen und habe nach Möglichkeit alles, was uns von Wichtigkeit sein kann, aus ihm herausgepumpt,« antwortete der Angekommene. »Der Kapitän ist am Lande, der erste Steuermann liegt unwohl in seiner Kammer, und so gelang es mir um so eher, ihn mit Hilfe einiger Flaschen Champagner redselig zu machen. Die Bark hat einige Passagiere an Bord; sie geht morgen nachmittag in See. Ich betrachtete mir alles genau, als ich das Deck entlang schritt, und ich kann sagen, daß sie ein Fahrzeug ist, an dem auch der wählerischste Seemann seine helle Freude haben muß. Meiner Ansicht nach ist sie mit sechs Mann sehr gut zu handhaben. Zwar sind die Raaen etwas lang für die Größe des Schiffes, dennoch mache ich mich anheischig, das Großmarssegel bei steifer Brise mit drei Mann zu bewältigen und fest zu machen.«

Die beiden andern hörten ihm eifrig zu. Die Ausdrucksweise des Mannes war die jemandes, der eine gute Erziehung genossen hat. Dasselbe galt auch von seinen Gefährten. Allen dreien konnte man anmerken, daß sie einst den besseren Gesellschaftskreisen angehört hatten, und es lag die Mutmaßung nahe, daß das Goldfieber sie nach Australien geführt, daß sie hier jedoch keine Schätze gesammelt, sondern ihr Leben in wechselvollster Art gefristet hatten, teils zu Lande und teils zu Wasser; letzteres ging besonders aus Hankeys Worten hervor und aus dem Verständnis, das dieselben bei den andern fanden.

»Ist eine Waffenkiste an Bord?« fragte einer.

»Ja.«

»Wo ist die verstaut?«

»In der Kammer des zweiten Steuermanns. Viel Staat kann die Bark allerdings damit nicht machen,« fuhr Hankey fort, »denn der ganze Waffenvorrat besteht in einigen alten Marinesäbeln, einigen rostigen Pistolen und einer Anzahl kurzer Musketen. Die schottischen Reeder legen augenscheinlich nicht viel Geld in der Bewaffnung ihrer Schiffe an.«

»Sie können den Inhalt der Waffenkiste doch unmöglich gesehen haben,« warf einer der andern ein; »was Sie da sagen, ist also eine bloße Voraussetzung.«

Ohne hierauf zu antworten, gab Hankey die Fangleine des Bootes dem ihm Zunächststehenden zu halten und zog eine kurze Holzpfeife aus der Tasche.

»Und wenn die Waffen auch von neuester Konstruktion sein sollten,« meinte der Mann, der die Fangleine hielt, »die Kajütsfenster werden wohl groß genug sein, sie hindurchzuwerfen.«

»Wie steht's mit der Munition an Bord?« fragte der dritte Mann.

»Ich habe ganz vergessen, danach zu fragen,« war die Antwort.

»Und wie stark ist die Mannschaft?«

»Elf Mann vor dem Mast, mehr waren nicht aufzutreiben. Zur vollen Besatzung gehören achtzehn Mann: aber kaum haben die Kerle angemustert und eine Monatsheuer als Handgeld in der Tasche, dann brennen sie durch und der Kapitän hat das Nachsehen, weil die Polizei ihm nicht helfen kann. Wie der zweite Steuermann mir erzählte, haben sie die ›Queen‹ auch nur deshalb da draußen vor Anker gelegt, um den Matrosen das Entwischen zu erschweren. Das Boot der Hafenwache hat Anweisung, während der Nacht die Bark im Auge zu behalten und Desertionen zu verhindern.«

»Das Boot ist soeben hier vorbeigekommen,« bemerkte einer.

»Ich weiß. Der Hafenoffizier sah meine Jolle am Heck der Bark hängen und rief uns an. Der zweite Steuermann aber beruhigte ihn und sagte, es wäre alles richtig und ich wäre sein Freund, und sie sollten mich ungehindert ziehen lassen, wenn ich demnächst an Land fahren würde.«

»Nun zur Hauptsache,« sagte der Mann, der den Namen Trollop führte; »das, worauf es ankommt, ist doch an Bord?«

»Selbstverständlich,« war die Antwort. »Als der Champagner in Pooles Kopf zu wirken begann, da brüstete der dumme Mensch sich ordentlich damit. ›Denken Sie sich nur,‹ sagte der Mann, die Hand vertraulich auf meinen Arm legend, ›Sie mögen's glauben oder nicht, aber die alten spanischen Gold- und Silber-Galeonen waren Bettelpack gegen uns hier!‹ ›Ach, Sie übertreiben,‹ meinte ich. ›Wahrhaftig nicht,‹ erwiderte er. ›Ich kann Ihnen sagen, wir haben eine furchtbare Verantwortung hier an Bord; wenn die Banditen und Strolche in Sydney davon eine Ahnung hätten, dann dürften wir, so lange wir hier noch in der Bai sind, Säbel und Revolver nicht aus der Hand legen.‹ Ich that, als wäre ich schon schläfrig und als interessiere mich das schöne Mondscheinbild des Hafens mehr als sein Gerede, nebenbei aber fragte ich so ganz verloren, wo sie eine so gefährliche Ladung denn eigentlich verstaut hätten, und ob man ihn dabei ins Vertrauen gezogen habe. ›Oho,‹ antwortete er, ›das kann Ihnen keiner besser beantworten als ich, denn ich habe die ganze Verstauung geleitet. Es liegt alles in einem festen, aus Balken und Bohlen hergestellten Gelaß, das lediglich zu diesem Zweck im Raume, unmittelbar hinter dem Großmast, angebracht worden ist. Ringsherum und obendrauf sind die Wollballen gepackt, so daß beim Oeffnen der Luke keine Spur davon zu sehen ist.«

Die beiden andern hatten diesem Bericht Hankeys mit größter Aufmerksamkeit gelauscht; das Gehörte mochte ihnen wohl zu denken geben, denn während einiger Minuten sprach keiner ein Wort.

»Die Bark sieht in dieser Beleuchtung wirklich entzückend aus,« begann Trollop endlich wieder, mit einer Handbewegung über das Wasser deutend. »Gerade ein solches Schiffchen war es, in dem ich damals als Ueberzähliger aus England hierher kam. Der Kasten war ein Schnellsegler und lief dreizehn Knoten bei einer Bramsegel-Brise, und das war gut, denn ich hatte nicht die besten Tage an Bord. Die ›Queen‹ da drüben aber sieht mir so aus, als käme es ihr auf ein paar Knoten mehr nicht an.«

Wieder standen die drei Männer in schweigender Betrachtung der Szenerie. Nach einer Weile begann Trollop den Anfang eines Liedchens zu pfeifen.

»Ich möchte wohl wissen, wie es in diesem Augenblick in London aussieht,« sagte er. »Wenn alles geht, wie es gehen soll, dann wird das später meine Residenz. An keinem Orte der Welt läßt es sich besser leben, als dort, und ich kenne die Welt.«

»Es ist spät,« sagte der Mann, der von der Bark gekommen war, »ich mache, daß ich heimkomme. Will jemand noch mitfahren bis zum Bollwerk?«

Alle drei stiegen in das kleine Fahrzeug, das gleich darauf geräuschlos in den Creek hineinglitt. Als es im Schatten der Schiffe verschwand, schlug die Glocke der Bark fünf Glasen – halb elf. Unmittelbar darauf verkündeten auch die übrigen Schiffsglocken die Zeit, und wieder wurde die nächtliche Stille durch ein Klingen unterbrochen, das einen mit geschlossenen Augen Lauschenden wohl an einen friedlichen Sonntagmorgen drüben in der alten Heimat hätte erinnern können. – – –

Den Bekanntmachungen in den Zeitungen zufolge hatte die ›Queen‹ schon drei Wochen vor ihrem wirklichen Auslaufen in See gehen sollen. Der Grund der Verzögerung war die Schwierigkeit, Matrosen zu erlangen und die bereits angemusterten festzuhalten. Die Unvollzähligkeit ihrer Besatzung fiel um so mehr ins Gewicht, als man in jenen Tagen noch keine doppelten Marsraaen kannte und die Schiffsarbeit demgemäß mehr Kräfte beanspruchte, als heute.

Der Kapitän wußte sich schließlich vor Ungeduld kaum zu fassen. Einige der Passagiere dachten schon ernstlich daran, sich nach einer andern Reisegelegenheit nach Europa umzuthun. Zum Glück für die ›Queen‹ aber befanden sich alle übrigen Schiffe in derselben schlimmen Lage. Endlich war es dem Steuermann gelungen, die notwendigste Mannschaft zusammenzubringen, verwahrloste, zerlumpte, verkommene Subjekte, die der Hunger aus den Goldfeldern getrieben hatte, die schon seit langer Zeit nicht mehr wußten, was es hieß, die Nächte unter Dach und Fach und in Betten zuzubringen. Um zu verhindern, daß die nicht auch noch davonliefen und verschwanden, während der Kapitän beim Frühstück saß oder der Steuermann den Proviant musterte, warf man die Trossen am Bollwerk los, ließ das Gangspill bemannen und in wenigen Minuten glitt das schöne Schiff unter wenigen Segeln und vor einer leichten Brise nach dem Ankerplatz hinaus, wo es gegenwärtig lag.

Am folgenden Tage, nachmittags zwei Uhr, trat die ›Queen‹ ihre Reise an. Ihr Bestimmungsort war London. Man hatte herausgerechnet, daß sie die Fahrt dorthin in fünfundsiebzig Tagen zurücklegen würde. Die Ausreise hatte sie in achtzig Tagen gemacht, schneller als die Dampfschiffe jener Zeit dies zu thun vermochten.

Der Wind war günstig, der Himmel blau und klar und die Luft durchglüht von dem australischen Sonnenschein. Am Morgen hatte der Kapitän seine Kleidervorräte aufgethan und die Matrosen, die sich vorher waschen mußten, mit neuen Anzügen ausgestattet, so daß sie nun im allgemeinen recht anständig einhergingen. Der Preis dieser Ausrüstung wurde dem Konto jedes einzelnen zur Last geschrieben. Sie hatten seit langer Zeit zum erstenmal wieder regelrechte Schlafstätten gehabt, sodann ein menschenwürdiges Frühstück genossen, und nun kamen sie sich wieder etwas menschenähnlicher vor, als bisher. Mit lautem Gesange wanden sie den Anker auf und dachten dabei an die Genüsse der Zivilisation, die ihnen am Ziel der Reise winkten.

Einige Boote ruderten vom Schiffe nach dem Lande zurück; in ihnen standen Männer und Frauen, die mit winkenden Tüchern die Abschiedsgrüße beantworteten, die ihnen vom Achterdeck der Bark noch zuteil wurden. Sämtliche Passagiere der Bark, neunzehn an der Zahl, befanden sich an Deck, als der Anker aus dem Grunde emporkam und das Fahrzeug sich unter Klüver und Vormarssegel langsam auf seinen Kurs legte. Unter dieser Schar befanden sich nur sieben Damen, darunter Mrs. James Dent, die Frau eines kolonialen Kaufmanns, sodann eine Mrs. Holroyd und ihre Tochter Edith, und ferner eine Miß Margaret Mansel, letztere ein schönes junges Mädchen mit dunkeln Augen und weichen, gedankenvollen Zügen. Noch hatte der Lotse das Kommando des Schiffes, der Kapitän schritt abseits auf und nieder; man sah ihm an, daß er den Kopf voll von den Schiffsangelegenheiten hatte und allein zu sein wünschte.

Er war ein Typus jener alten Seeschiffer, die heute leider beinahe ausgestorben sind. Sein Gesicht hatte die Farbe des frisch abgesägten Endes eines Mahagonibalkens, welcher ungewöhnliche Teint durch sein schneeweißes Haupt- und Barthaar noch gehoben wurde. Seine tiefliegenden grauen Augen blickten so scharf und durchdringend, wie die eines Fischadlers. Das jahrelange Wandern auf den Decksplanken hatte seine Beine nach außen gekrümmt. Er trug den hohen Cylinderhut, den man allenthalben in Londons Straßen sieht; eine andere Kopfbedeckung kannte er nicht, mochte er sich nun in den wilden Winterstürmen des Kap Horn, oder in der Glühofenhitze der Windstille zwischen den Wendekreisen befinden.

Einige der Passagiere waren wohl wert, daß man sie mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtete. Dieselben sind bestimmt, eine Hauptrolle in dieser merkwürdigen Seegeschichte zu spielen, es wird daher am Platze sein, einen und den andern von ihnen schon jetzt dem Leser vorzuführen, während die Bark dem letzten Vorlande zustrebt. An dem messingenen Geländer, welches das erhöhte Achterdeck nach vorn abgrenzt, lehnt ein hochgewachsener Mann, er dreht an seinem großen schwarzen Schnurrbart, während er voll Neugier und Interesse das Vorschiff zu betrachten scheint. Sein Aeußeres ist nicht unschön, er schaut männlich und martialisch drein, er mag gegen sechs Fuß messen, seine Schultern sind von entsprechender Breite und seine Manieren sicher und vornehm. Seinem ganzen Wesen nach könnte man ihn für einen ehemaligen Offizier der Armee halten.

In geringer Entfernung von diesem steht ein anderer Herr, der ebenfalls etwas Militärisches an sich hat; er ist von mittlerer Größe, hat einen starken, dunkeln Bart, ein ruhiges, forschendes Auge und ein nicht unangenehmes Gesicht. Seine Kleider sind noch zu neu, um absolut fein zu sein. Wer aber achtet auf so etwas bei einem Manne, der im Begriff ist, aus Australien heimzukehren?

Ein dritter Gentleman lehnt an der Backbord-Reeling; seine kleinen blauen Augen haben den eigentümlich stieren und nebelhaften Blick des Gewohnheitstrinkers; er hat dieselben auf Miß Margaret Mansel gerichtet, die auf der andern Seite des Achterdecks mit Mrs. Holroyd und deren Tochter plaudert. Von Gestalt ist er groß, schwer und fett, sein Haar ist hellblond, sein schwacher Schnurrbart kaum sichtbar.

Das waren die drei Männer, die am vergangenen Abend auf der Landspitze an der Bai von Sydney standen und die Bark und das ganze sternenfunkelnde Mondscheinbild bewunderten. Wer hätte wohl aus ihrer Unterhaltung daraus schließen können, daß sie bereits als Kajütspassagiere der ›Queen‹ ihre Ueberfahrt bezahlt hatten?

Der hochgewachsene Mann mit dem schwarzen Schnurrbart war der Hauptmann Henry Trollop; der Name des zweiten war Paul Hankey und der Mann an der Reeling nannte sich Alexander Burn.

Ein weiterer Passagier, zu dem die Damen gelegentlich verstohlen hinblickten, war Mr. Sampson Masters; aus einiger Entfernung betrachtet, war sein Antlitz von vollkommener Schönheit, trat man jedoch etwas näher, so zeigte seine Haut jene unreine und pockige Beschaffenheit, die eine Folge wüster Ausschweifungen aller Art ist. Er stand in der Nähe des Steuerrades und schaute unter der Krempe seines weißen, schwarzbebänderten Filzhutes zu den Segeln empor, und zwar mit einem Blicke, der den Sachkenner verriet.

Noch einige andere Herren befanden sich an Deck; einer, ein kleines Männchen, Mr. William Storr, war ein Auktionator, der seine Geschäfte bei den Antipoden beendet hatte und nun heimkehrte. Sein rundes, dünn umbartetes Gesicht blickte eifrig und aufmerksam hierhin und dorthin; die Neuheit der Umgebung und die Schönheit der Szenerie schienen ihn augenscheinlich höchlichst zu interessieren. Ganz in seiner Nähe gewahrte man einen hünenhaften Mann, der unter dem Namen Mark Davenire an Bord gekommen war; er trug eine schwere silberne Uhrkette auf seiner glänzend grünen Weste, hatte den Strohhut bis fast auf die Nase gerückt und seine Augen schweiften lauernd allenthalben umher.

Eine gewisse scheue Zurückhaltung, die man beim Beginn einer Seereise stets unter den Passagieren wahrnehmen kann, schien auch hier obzuwalten. Die Damen machten sich zuerst untereinander bekannt, die Herren aber bewahrten noch ihr steifes Wesen, was man allerdings bei den Dreien, die am vergangenen Abend so bekannt miteinander schienen, kaum hätte erwarten sollen.

»Du meine Güte!« rief plötzlich Mrs. James Dent, deren schwarzes Haar, der damaligen Mode entsprechend, an der Stirn und einem Teil der Wangen hinab glatt festgeklebt war, »du meine Güte! Schwimmt da nicht ein Boot?«

Die Hand, mit der sie in die Ferne deutete, funkelte von Ringen. Das Schiff befand sich am Ausgange der Bai von Sydney, der Gegenstand, auf den die Dame hinwies, hob und senkte sich mit den Wogen in einer Entfernung von etwa dreiviertel Seemeilen. Alles drängte sich herzu, um zu sehen. Hauptmann Trollop klemmte sein Monocle ins Auge. Kapitän Benson, der weißhaarige Schiffer, nahm das Teleskop zur Hand.

»Ach bitte, Herr Kapitän, lassen Sie uns recht dicht an dem Boot vorbeifahren,« sagte Mrs. Dent.

»Ihr Wunsch ist mir Befehl, Madam,« antwortete der Schiffer.

»Solch ein einsames Boot,« bemerkte Mrs. Storr, den Arm ihres Gatten nehmend, den sie beinahe um einen halben Kopf überragte, »solch ein einsames Boot läßt uns den Ozean noch öder erscheinen, als er ohnedies schon ist.«

»Ah!« rief Mr. Burn, an die Gruppe herantretend, die sich um den Kapitän gebildet hatte, »in diesem Ausspruch liegt ein tiefer Sinn, er zeigt uns den Ozean gleichsam in einem neuen Lichte.«

Mrs. Storr schaute sich argwöhnisch nach dem Sprecher um, dann aber lächelte sie und fuhr fort: »Auf unserer Ausreise in der ›Perle von Indien‹ begegneten wir einem verlassenen Schiffe. Sein Anblick machte den Ozean thatsächlich zu einer schrecklichen Wüste. Eine ähnliche Wirkung bringt jenes kleine Boot dort hervor.«

»Das ist erklärlich,« versetzte Mr. Burn sehr höflich, »solche einsam treibenden Fahrzeuge geben der unermeßlichen Weite des Meeres erst ihren Accent, wenn ich mich so ausdrücken darf. Ein Wrack verleiht unserer Einbildung den Punkt, von dem aus wir die Messung der gewaltigen Entfernungen erst beginnen können.«

Er sprach diese Worte mit einem Pathos, als wäre er früher einmal Schauspieler gewesen.

Der Hauptmann Trollop warf durch sein Monocle einen Blick auf Mr. Burn und wendete sich dann mit leichtem Lächeln zur Seite. Mr. Davenire, Mr. Caldwell, letzterer ein schwarzbärtiger, jüdisch aussehender Mann, und noch einige andere der Umstehenden schienen gleichfalls durch Burns Worte belustigt zu sein.

Mrs. Storr fühlte sich durch die Aufmerksamkeit, die sie erregt hatte, geschmeichelt; sie war im Begriff, noch mehr zu sagen, als eine laute Stimme von der Back her sie daran hinderte.

»Ein Boot dicht unter dem Buge!« meldete der Steuermann.

Während das Boot an der Seite des Schiffes dahinglitt, erhob sich ein allgemeines Gemurmel an Deck. Es war seiner Bauart nach ein Walfischfängerboot; unter den Duchten lagen die Leichname zweier Seeleute; man konnte denselben ansehen, daß sie nach furchtbaren Qualen dem Hunger und dem Durste zum Opfer gefallen waren.

Die meisten der Damen wendeten entsetzt die Gesichter ab und traten hastig von der Reeling zurück; einige der Herren wurden bleich, Mr. Burn sah aus, als ob er krank werden wollte. Die wahre Bedeutung der Sache aber wurde allein den Seeleuten der Bark verständlich. Welch eine Tragödie mußte sich in dem kleinen, wettergebleichten Boote abgespielt haben!

Als der Kapitän das Teleskop in die Klampen unter der Kajütskappe zurücklegte, zeigte sein Gesicht keine Veränderung.

»Ich wünschte,« sagte Mr. Dent zu dem weißhaarigen Seemann, »wir wären dem Boote nicht begegnet. Wenn einem gleich zum Beginn der Reise Leichen in die Quere kommen, so ist dies eine schlimme Vorbedeutung.«

»Die beiden Toten dort können Ihnen nichts mehr zuleide thun,« entgegnete der Schiffer trocken.

»Zugegeben,« rief einer der Passagiere, ein Mann mit winzigen Augen und einem unangenehmen, selbstgefälligen Grinsen um den großen Mund. »Der Herr aber hat gewiß dem Gedanken mehrerer von uns Ausdruck verliehen. Ich wundere mich übrigens, Kapitän, daß Sie, ein alter Seefahrer, nicht abergläubisch sind.«

Der Schiffer blickte seitwärts nach den Stiefeln des Sprechers und dann hinauf nach den oberen Raaen.

»Nach diesem Anblick werde ich nicht im stande sein, heute mittag auch nur einen Bissen zu genießen,« rief der Hauptmann Trollop, sich von der Gruppe entfernend.

Wie um ihn auf die Probe zu stellen, erklang in diesem Augenblick der erste Ruf der Tischglocke.

Weit hinten am Horizonte wurden die von der Sonne bestrahlten Segel eines Schiffes sichtbar. Dasselbe segelte genau im Kielwasser der ›Queen‹, so stetig und unentwegt, als wäre es ein Verfolger.


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