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Dreizehntes Kapitel.
Miß Mansels Erzählung.

Es war gegen drei Uhr nachmittags. Kommandant Boldock marschierte an Deck auf und ab, häufig stehen bleibend, um einen Blick durch das Oberlichtfenster in die Kajüte hinabzuwerfen. Die Brigg schwamm gemächlich auf ihrem Kurse dahin. Der Ozean lag in tiefem Schweigen, die Strecke bis zur glashellen Kimmung erschien so unermeßlich weit, wie der Weg zum Himmel. Boldock lauschte dem Knattern der Reffzeisinge, die gegen die schlaffen Segel schlugen, er sah mißvergnügt über die See hinaus und schickte sich eben an, in die Kajütskappe hinab zu tauchen, als Mr. Hardys Gestalt aus derselben emporstieg.

»Nun?« fragte der Kommandant erwartungsvoll.

»Sie hat die Suppe genossen und auch den Sherry,« lautete die Antwort; »ich glaube, sie hat's überstanden.«

»Ist sie denn bei Verstande?«

»Vollkommen.«

»Gott sei Dank! Und wie redet sie – ich meine, wie ist ihre Ausdrucksweise?«

»Wie die einer Dame.«

»Haben Sie ihr Fragen gestellt?«

»Wollte ich mir nicht erlauben, glaubte es Ihnen überlassen zu müssen.«

»Ist sie bereits kräftig genug zu einer kurzen Unterhaltung? Wie? Meinen Sie?«

»Versuchen könnte man's ja,« sagte der Steuermann zögernd, wie jemand, der seiner Sache nicht sicher ist.

»Sie wird doch nichts dawider haben, wenn ich mich ihr vorstelle?« meinte der Kommandant mit einer schüchternen Bescheidenheit, die ihm gut zu Gesichte stand.

»Ach, die Aermste! Was bleibt ihr übrig? Das ist doch nicht zu umgehen,« entgegnete Hardy. »Freilich würde ihr anders zu Mute sein, wenn sie ihr Haar in Ordnung gebracht und auch etwas Rechtes anzuziehen hätte. Wir müssen überhaupt ernstlich daran denken, wie wir sie auftakeln, wenn sie uns erhalten bleiben sollte.«

»Welcher Art war der Anzug, in dem sie an Bord kam?« forschte Boldock.

»Das war nicht viel; ein Schlafrock, der noch ganz brauchbar sein wird, wenn er trocken ist, und so ein Ding von Flanell, das sie einen Unterrock nennen.«

»Kenne ich,« sagte der Kommandant mit weiser Miene, »ist ein gutes und nützliches Kleidungsstück für Frauensleute. Sie muß sehen, wie sie sich behilft. Wollen hoffen, daß wir einem Fahrzeug begegnen, das Weiber an Bord hat, die uns aushelfen können. Jetzt will ich gehen und ihre Bekanntschaft machen.«

Er nahm seinen Mut zusammen und ging die Treppe hinab. Unten angelangt, wurde ihm doch ein wenig bange ums Herz. Er war ein Hagestolz, hatte seines Lebens größten Teil auf der See zugebracht, kannte von Frauen und ihren Eigenschaften nur wenig und fühlte sich stets nervös und beklommen in ihrer Gesellschaft. Zögernd näherte er sich jetzt der Thür der Kammer, in welcher sein Schützling lag, und fast erschrocken fuhr er zurück, als er dem Blick von einem Paar großer, schwarzer Augen begegnete. Die junge Dame hatte sich bereits so weit erholt, daß sie, wenn auch noch bleich, so doch schon wieder lebensfrisch aussah. Sie war ganz in Decken gehüllt, so daß nur ihr Kopf sichtbar blieb. Der Steuermann hatte ihr Haar zu trocknen versucht, jedoch ohne sonderlichen Erfolg; noch immer lag es wie Schlangengeringel auf Pfühl und Schultern. Der Kommandant verneigte sich; die junge Dame erwiderte den Gruß mit einem Lächeln.

»Ich bin der Befehlshaber dieser Brigg, Madam,« sagte er; »mein Name ist Boldock, von der Königlichen Marine. Ich bitte um die Erlaubnis, mich nach Ihrem Befinden erkundigen zu dürfen.«

»Ich danke Ihnen,« antwortete das Mädchen. »Ich fühle mich besser und werde gewiß morgen schon wieder ganz gesund sein.«

»Das freut mich,« versetzte er, »noch mehr freut es mich aber, daß es uns vergönnt war, eine Landsmännin zu retten, was ich an Ihrer Sprache erkenne. Sie sind durch ein reines Wunder dem Leben erhalten worden!«

Er setzte sich nieder.

»Mir ist es wie ein Traum,« sagte das Mädchen leise.

»Können Sie sich erinnern, wie alles zugegangen ist?«

»Ja,« antwortete sie, »ganz genau – ganz genau.« Ein Ausdruck tiefen Grauens zeigte sich auf ihrem Antlitz. »O Gott, es war schrecklich! So unbarmherzig, so teuflisch, teuflisch grausam! – Soll ich Ihnen erzählen?«

»Wenn ich bitten darf – das heißt, nur wenn Sie sich kräftig genug fühlen,« sagte der Kommandant.

»Zunächst möchte ich gern erfahren, welche Art von Schiff dies ist und in welchem Teil des Ozeans wir uns befinden.«

»Sie sind hier an Bord eines Vermessungsfahrtzeuges, der Brigg ›Wellesley‹; dieselbe gehört nach Sydney und ist Eigentum der Regierung. Ich bin ihr Kommandant. Wir befinden uns gegenwärtig auf einer Expedition im Großen Ozean, um die Lage einiger Untiefen, Klippen und Korallenriffe festzustellen, die neuerdings einer Anzahl von Schiffen verderblich geworden sind, weil sie in den Karten nicht verzeichnet stehen. Sydney liegt etwa vierzehn Tagereisen entfernt.«

Sie hörte aufmerksam zu; ihre schönen dunklen Augen verrieten volles Verständnis.

»Mein Name ist Margaret Mansel,« begann sie nunmehr. Boldock machte eine Verbeugung. »Ich bin von Beruf Gouvernante,« fuhr sie fort, »und kam als solche vor zwei Jahren nach Australien, in der Hoffnung, dort ein besseres Fortkommen zu finden, als daheim. Ich wurde jedoch enttäuscht, mußte trübe Erfahrungen machen und begab mich daher vor etwa zwei Wochen wieder auf die Heimreise und zwar an Bord eines Schiffes, genannt ›Queen‹.

»Kenne ich,« nickte Boldock; »eine Bark. Der Schiffer heißt Benson. Kenne alle beide.«

»Unter den Passagieren,« erzählte Miß Mansel weiter, »waren zehn Herren; sie bildeten den überwiegenden Teil der Kajütspassagiere. Vom ersten Augenblick an erschienen sie mir auffällig, unheimlich; ich konnte mir keine Rechenschaft geben, weswegen, aber sie kamen mir verdächtig vor, und so mußte ich sie unwillkürlich beobachten, ich mochte wollen oder nicht. Der Gedanke, daß sie mit einem bestimmten, unlauteren Plan an Bord gekommen seien, wollte mir nicht aus dem Kopf. Ich bemerkte bald, daß auch der Kapitän diese Leute beargwöhnte, er fand jedoch keine Handhabe gegen sie. Einer von ihnen, ein orientalisch aussehender, brutaler Mensch, war mir besonders widerwärtig; er nannte sich Dike Caldwell.«

»Ha!« rief der Kommandant mit einer Stimme, die aus den Tiefen seiner Seele zu kommen schien.

»Was ist?« fragte die Miß, ihren Kopf aufrichtend.

»Bitte, fahren Sie fort,« sagte Boldock.

»Ein anderer hieß Mark Davenire, ein großer, ungeschlachter, gefährlicher Mann. Für den Anführer dieser zehn Männer habe ich immer den Hauptmann Trollop halten zu müssen geglaubt, obgleich diese Annahme eigentlich durch nichts bestätigt wurde. Die Leute waren sehr vorsichtig, sie schienen einander anfänglich ganz fremd zu sein, und ihre Unterhaltung bei Tisch drehte sich immer um die gleichgültigsten Dinge. In einer Nacht wurde die Waffenkiste erbrochen und ihr gesamter Inhalt gestohlen.«

»Oho!« schnaufte der Kommandant, die Augen weit aufreißend.

»Ja,« sagte Miß Mansel. »Sie können sich denken, welchen Schrecken diese Nachricht unter uns allen hervorrief. Kapitän Benson ließ die Kammern untersuchen, es fand sich jedoch nichts. Haben Sie schon jemals so etwas gehört?«

»Noch niemals!« versetzte Boldock. »Das scheint mir die außerordentlichste Geschichte zu werden, die sich je auf See zugetragen hat!«

Ein mattes Lächeln der Erschöpfung spielte auf den Zügen der jungen Dame.

»Erholen Sie sich ein wenig, Miß,« sagte der Kommandant, sich von seinem Sitze erhebend. »Ich bin sogleich wieder da.«

Mit sorglicher Hast ging er in seine Kajüte, holte eine Flasche Madeira aus einem Kasten, füllte ein Glas voll, kehrte damit zurück und präsentierte es der jungen Dame, die jedoch aus erklärlichen Gründen nicht imstande war, ihre Arme frei zu machen. Boldock stand, die Situation schnell erkennend, ratlos und verlegen vor ihr, das Glas, den Schiffsbewegungen entsprechend, in der erhobenen Faust balancierend. Die Miß aber biß sich tief errötend auf die Lippen und wußte in ihrer Verwirrung nicht, wo sie mit den Augen bleiben sollte.

»Da giebt's nur einen Ausweg,« rief der wackere Seemann endlich kurz resolviert. »Gestatten Sie mir, Miß.«

Damit kniete er nieder, schob den linken Arm zart unter ihren Kopf und führte ihr so das Glas an die Lippen. Der Trunk erquickte sie sichtlich. Zufrieden mit seinem Werk setzte er sich wieder auf seine Kiste, und Miß Margaret fuhr in ihrer Erzählung fort:

»Es muß gestern abend gewesen sein – ich bin mir allerdings rächt ganz klar darüber. Haben Sie eine Idee davon, wie lange ich wohl im Wasser gewesen sein kann, als Sie mich erretteten?«

»Meiner und meiner Leute Ansicht nach nicht sehr lange: nur wenige Stunden.«

»Dann wird es also gestern abend gegen zehn Uhr gewesen sein.« Sie berichtete nun, was dem Leser bereits bekannt ist, wie sie sich, um Kühlung zu finden, am Fuße des Großmastes niedersetzte und wie sie dadurch in die Lage kam, Patrick Weston und Dike Caldwell zu belauschen und so das Geheimnis der Zehn zu erfahren. »Ich war auf das höchste erschrocken,« fuhr sie fort. »Mut und Besonnenheit waren nie meine starke Seite. Ich meinte, daß diese Raubgesellen mich auf der Stelle umbringen würden, sowie sie erführen, daß ihr Plan mir bekannt geworden war. Ich fragte mich, ob ich zu Kapitän Benson gehen und ihm sogleich alles mitteilen sollte. Aber wie, wenn er mir nicht glaubte? Oder wenn er die Nacht verstreichen ließ, ohne etwas zu thun? Oder wenn, trotz meines Zeugnisses, den Schelmen nicht beizukommen war und diese sich doch des Schiffes bemächtigten? Dann war ich erst recht verloren. Ich suchte meine Kammer auf, um Ordnung in meine ganz verwirrten Gedanken zu bringen und den Morgen abzuwarten. War das richtig, Kapitän Boldock? Oder hätte ich anders handeln sollen?«

»Sie mußten ohne Zögern direkt zum Schiffer gehen,« antwortete der Kommandant. »Seine Sache wäre es gewesen, Sie zu beschützen. Warum sollte er Ihnen denn nicht Glauben schenken? Die Plünderung der Waffenkiste und Ihre Mitteilung waren vollständig hinreichend, jede Gewaltmaßregel gegen die zehn Piraten zu rechtfertigen.«

»Die müssen übrigens bemerkt haben, daß ich hinter dem Maste saß und sie belauschte.«

»Sehr wahrscheinlich,« nickte Boldock.

»Ich weiß nicht, wie spät es gewesen sein mochte,« nahm die junge Dame ihre Erzählung wieder auf, »als plötzlich leise an meine Kammerthür geklopft wurde. Ich lag in der Koje, war aber völlig wach. Die Aufregung ließ mich nicht schlafen, und das leiseste Geräusch jagte mir einen Todesschreck ein. Dachte ich doch immer, daß das Schiff schon in dieser Nacht von den Räubern genommen werden würde. Auf das Klopfen fragte ich, wer da sei und was man von mir wolle. ›Ich bin's, Miß,‹ antwortete eine undeutliche Stimme. ›Trickel, der Steward. Kapitän Benson läßt Sie bitten, doch sogleich zu ihm in seine Kajüte zu kommen. Er hat notwendig mit Ihnen zu reden.‹ Ich brachte diese Aufforderung ohne weiteres mit dem in Verbindung, was ich erlauscht hatte; in der Hast überlegte ich gar nicht, daß er ja davon noch nichts wissen konnte. Ich stand auf, warf meinen Schlafrock über und öffnete die Thür. In demselben Moment war ich gepackt und geknebelt. Ich versuchte, mich zu wehren, aber nicht lange, denn die Sinne schwanden mir und ich erwachte erst wieder hier unter Ihrer gütigen Obhut. Gott vergelte Ihnen, was Sie an mir gethan,« schloß Miß Mansel bewegt.

Boldock schwieg eine Weile, als müsse er das Gehörte erst in seinem Innern zurechtstauen. Dann sagte er:

»Erstaunlich, höchst erstaunlich! Sollte man so etwas für möglich halten?«

Jetzt gewahrte er, daß der jungen Dame Thränen über die Wangen liefen. Sein mitfühlendes Herz erkannte sogleich, was hier nötig war; er ging eiligst in seine Kajüte und kehrte mit einem großen, sauberen Taschentuch zurück, das er neben ihrem Kopf auf das Kissen legte.

»Ich werde Ihre Kleider zur Kombüse schicken, wo der Koch sie zum Trocknen aufhängen soll,« bemerkte er dann. »Das wird nicht lange dauern. Wenn ich nicht irre, haben Sie kein Fußzeug. Einer von meinen Matrosen soll Ihnen ein Paar Pantoffeln aus Segeltuch anfertigen.«

Er suchte die Gewänder zusammen, in denen das arme Geschöpfchen an Bord gekommen war, verabschiedete sich mit einer Verbeugung, von welcher Miß Margaret jedoch nichts gewahrte, da sie das Antlitz der Wand zugedreht hatte, und verfügte sich an Deck.

Als der Kommandant aus der Kampanjeluke aufstieg, mußte der Mann am Ruder sich auf die Lippen beißen, um ein Grinsen zu unterdrücken; trotzdem verzog die wettergegerbte Haut seines Gesichtes sich zu tausend Fältchen, in denen die Augen glitzerten, wie Thauperlen in einem Spinngewebe.

»Hier, Mr. Hardy,« sagte der Kommandant in seiner tiefsten Stimmlage, »rufen Sie, bitte, einen Mann und lassen Sie dies Zeug zur Kombüse tragen. In einer Stunde kann es gut trocken sein, meinen Sie nicht auch? Die Dame braucht es dringend.«

Der Steuermann warf einen respektvollen Blick auf seinen Vorgesetzten und gröhlte dann den Namen eines Matrosen. Der Gerufene erschien, nahm die Kleidungsstücke mit unbeweglichem Gesicht in Empfang und ging damit nach vorn.

Kommandant und Steuermann begannen auf und ab zu spazieren, wobei der erstere haarklein berichtete, was Miß Margaret ihm erzählt hatte.

»Das kann nur die Bark sein, die mit der reichen Goldladung in See gegangen ist,« sagte Hardy, der mit wachsendem Erstaunen zugehört hatte. »Sie sollte eine Woche vor uns auslaufen, wurde aber aufgehalten, weil ihr Matrosen fehlten. Sie kann nicht weit von uns sein, weil die junge Dame nicht lange im Wasser gewesen ist.«

»Nichts in Sicht,« warf Boldock hin.

»Eine verwegene, abgefeimte Bande!« rief der Steuermann, stehen bleibend und tief Atem holend. »Zehn Mann hoch! Aber ich wußte es ja gleich; sowie ich den Knebel gewahrte, da sagte ich mir, daß hier Piraten die Hände im Spiel haben müßten.«

»Wenn Miß Mansel ihre Thränen getrocknet und sich angekleidet hat, dann wird sie uns vielleicht Näheres über den Plan der Schurken mitteilen können,« nahm der Kommandant wieder das Wort. »Ihr Gedächtnis ist noch ein wenig unklar. Mir ginge es auch nicht besser, wenn man mich halb erstickt und ersäuft aus dem Wasser gezogen hätte. Wenn ich erfahren kann, wohin die Räuber das Schiff zu bringen beabsichtigen, dann mache ich mich an die Verfolgung.«

Er unterbrach seinen Gang und betrachtete den Neunpfünder, das einzige Geschütz, das er an Bord führte. Dann überflog sein Auge die Zahl und die Beschaffenheit der auf dem Vordeck beschäftigten Mannschaft.

»Wir haben jetzt zwar Friedenszeiten,« sagte er, stillvergnügt die Hände reibend, »aber Prisengelder kann's dennoch geben, wenn man nur Glück hat. Dreimalhunderttausend Pfund, glaube ich, sagte sie. Möchte bloß mein Gesicht sehen, wenn mir so fünftausend Pfund Bergelohn auf den Tisch gezahlt würden – hohoho! Und Sie, Steuermann, würden auch Ihre Fassung nicht verlieren, wenn man Ihnen mit zweitausend Goldfüchsen unter die Arme griffe – was, alter Seefreund?«

Der Steuermann kicherte nicht minder vergnügt, als sein Befehlshaber; es kam nicht oft vor, daß Kommandant Boldock so scherzhaft wurde, wenn er auch jederzeit das Wohlwollen und die Güte selbst war. Der wechselvolle Dienst hatte ihn auf diese kleine Brigg verschlagen, wo die ihm unterstellte Bemannung nur aus einem Steuermann, einem Bootsmann, zwölf Matrosen und dem Koch – einem Mulatten – bestand. Seine Natur war anders, als die des Kapitän Benson, der sich im Gefühl seiner Würde gern zu isolieren pflegte, und so hatte er sich aus dem Steuermann Hardy nicht nur einen Tischgenossen, sondern auch einen vertrauten Gefährten und Freund geschaffen, einen Vorzug, den dieser redliche Seefahrer gar wohl zu würdigen wußte. Sie promenierten mit einander an Deck, sie tauschten Erinnerungen aus, und so versprach die Vermessungsfahrt nach den Gegenden unter dem 157. Grad westlicher Länge und dem 34. Grad südlicher Breite einen recht angenehmen Verlauf zu nehmen.

»Es ist recht schade,« fing der Kommandant wieder an, »daß unsere Miß nicht vollständiger mit Toilette versehen ist. Wir müssen sehen, wie wir uns da helfen können. He, Johnson!« rief er, winkend die Hand erhebend.

Ein Matrose kam eilig achteraus getrabt.

»Johnson!« redete der Kommandant ihn an, »könnt Ihr Schuhe aus Segeltuch machen?«

»Jawohl, Euer Ehren.«

»Gut. Setzt Euch sogleich hin und verfertigt ein Paar für die junge Dame, die wir aus dem Wasser erretteten.«

»Soll geschehen, Euer Ehren. Ich muß der Dame aber zuvor Maß nehmen.«

»Das geht nicht – das geht nicht, Johnson. Macht ein Paar Knabenschuhe, das wird genügen.«

Der Mann salutierte und wollte gehen.

»Noch eins,« hielt der Schiffer ihn auf. »Ihr habt eine geschickte Hand mit der Nadel, wie ich höre. Unsere Miß braucht auch eine Kopfbedeckung. Wie wär's, wenn Ihr eine Art von runder Mütze, so eine – na, Ihr wißt schon – für sie machtet?«

»Das könnte ich schon, Euer Ehren,« antwortete Johnson. »Ich könnte ihr sogar eine richtige Ausstattung nähen, und zwar in drei oder vier Tagen, wenn ich so lange von der Wache frei käme.«

»Wie denkt Ihr Euch solch eine Ausstattung?« forschte Boldock, während Hardy den Matrosen neugierig beäugelte.

»Ein Kleid, ein Jackett und zwei Unterröcke. Ich würde dazu das neue Bramtuch aus der Segelkoje nehmen.«

»Ehe Ihr zur See gingt, waret Ihr Schneider, nicht so?« fragte der Steuermann.

Der Mann nickte grinsend.

Dem Schiffer leuchtete Johnsons Vorschlag ein.

»Gut,« sagte er. »Nehmt von dem Bramtuch, so viel Ihr wollt und setzt Euch sogleich an die Arbeit. Von den Wachen seid Ihr bis auf weiteres dispensiert.«

»Ohne Maß zu nehmen ist das aber nicht zu machen,« bemerkte der Matrose.

»Ihr sollt der Dame Maß nehmen, aber nicht zu den Schuhen. Die bringt Ihr morgen früh, verstanden?«

»Jawohl, Euer Ehren.«

Der Mann trabte, höchlichst erfreut durch diesen Auftrag, wieder nach vorn, wo die andern schon darauf brannten, die Neuigkeit zu hören. Boldock und der Steuermann setzten ihre Promenade und zugleich die Unterhaltung über die Erzählung des Mädchens fort.

Die im Nordwesten sinkende Sonne erfüllte Himmel und Meer mit feuriger Glut; der Wind war so flau, daß er die Segel des sich träge vorwärts schiebenden Fahrzeuges kaum zu füllen vermochte. Nach einiger Zeit kam der farbige Koch aus der kleinen Kombüse; er brachte dem Steuermann die getrockneten Kleidungsstücke. Der befühlte dieselben prüfend und trug sie in die Kajüte. Hier faltete er Stück für Stück sauber zusammen, dann nahm er den Hut ab und klopfte an die Kammerthür. Man hieß ihn näher treten. Es war schon beinahe finster hier unten; er zündete die Wandlampe an, trat mit einer Verbeugung an die Koje heran und fragte nach dem Befinden der jungen Dame.

»Ich danke Ihnen,« versetzte Miß Mansel freundlich. »Ich habe ein wenig geschlafen. Bringen Sie mir meine Kleider?«

Hardy bejahte dies und legte den kleinen Packen vorsichtig zu ihren Füßen in die Koje.

Darauf verneigte er sich abermals und sagte, er werde in einer halben Stunde wiederkommen und ihr ein Paar von seinen eigenen, ganz neuen Schlafschuhen bringen. Sie bat ihn noch um verschiedene Gegenstände – um Handtücher, Kamm und Bürste und ähnliches mehr – und er war überglücklich, ihr dienen zu können und ihre dunklen Augen in Freude und Dankbarkeit erglänzen zu sehen.


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