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Viertes Kapitel.
Mr. Burn träumt

Der Durchbrenner und Selbstmörder war der Gegenstand der Unterhaltung im Matrosenlogis ebenso wie in der Kajüte. Kennt der Leser ein solches Matrosenlogis? Hat er jemals Janmaat in seinem Heim zu Mittag speisen sehen? –

Das Logis der ›Queen‹ befindet sich vor dem Fockmast und der Vorluke. Das Dach desselben bildet die Back, das erhöhte Deck vorn im Buge des Schiffes. Man betritt es durch zwei Thüren, die sich in Felgen laufend öffnen und schließen. Die Schwellen sind hoch, um nach Möglichkeit das Wasser von dem Innenraum abzuhalten, wenn die Seen an Deck schlagen oder wenn das Schiff seine Nase in den Fluten begräbt. Unmittelbar außerhalb der Thür hat die Ankerwinde ihren Platz.

Die Backbordthür des Logis ist geöffnet, sie führt in ein düsteres, höhlenartiges Gemach, an dessen Decke eine qualmende Oellampe hin und her schwingt, bei deren unbestimmtem Licht allerlei undeutliche Umrisse sichtbar werden. Das Tageslicht dringt von der Thür her nicht weit in diese Finsternis hinein, obgleich der Schiffer mit seinem Sextanten soeben festgestellt hat, daß die Sonne im Zenith steht.

Es sind jetzt so ziemlich alle Mann im Logis anwesend; die dampfenden Holznäpfe, die das Mahl enthalten, sind soeben aus der Kombüse geholt worden und stehen nun auf dem Fußboden und rings herum hocken und kauern die Matrosen – das ist Janmaats Mittagstafel. Von der niederen Decke baumeln schmutzige Hängematten tief herab; die Reihe der Kojen an den Seiten verliert sich nach vorn in undurchdringlichem Dunkel.

Es giebt noch frische Kost, australisches Hammelfleisch billigster Qualität, und verunstaltete Reste von Rindern, die als Gespanne von Wollwagen, nach einer Fahrt von Tausenden von Meilen, während welcher ihre Muskulatur in zähe, schwärzliche Stränge verwandelt wurde, in Sydney dem Schlachtmesser verfielen, um Janmaats Leib zu füllen.

Die Leute haben aus den Holznäpfen ihre Blechteller gefüllt und sich dann mit ihrer Beute zurückgezogen. Mit den teerigen Scheidenmessern säbeln und sägen sie an dem Fleisch herum, verwünschen kauend das beinahe ungenießbare Leder, werfen endlich den Teller klappernd in die Koje und atmen ordentlich erleichtert auf, wenn sie die Pfeifen hervorlangen und mit dem in der Hand geschnittenen Tabak füllen.

»Sagt doch 'mal, Maaten,« rief der Matrose Bill, während er seine Pfeife mit einem an der Lampe in Brand gesetzten Kabelgarn anzündete, »sagt doch 'mal, wie ist einem wohl zu Mute, wenn man sich vergiftet hat?«

»So wie mir jetzt,« antwortete der Matrose Joe. »Wahrhaftig, in London kriegen die Katzen besseres Fleisch zu fressen, als wir hier. Der Teufel hole die geizige Brut.«

»Wieviel hatte der Mann eigentlich gestohlen?« fragte ein anderer.

»Eine halbe Million, soviel ich davon gehört habe,« versetzte ein Matrose, der sich Tom nannte.

Alles schwieg. Keiner der Anwesenden hatte einen Begriff von solch einer Zahl, keiner aber wollte auch seine Unwissenheit eingestehen.

»Als ich den Menschen zuerst sah,« fuhr Tom fort, »da dachte ich mir gleich, daß mit dem nicht alles in Richtigkeit sei. Warum kam er nicht an Bord wie die andern? Was hatte er hinter uns her zu jagen? Und sein Bart! Wie ein paar Wergzipfel. Ich für meinen Teil bin froh, daß er nicht mehr an Bord ist.«

»Was mag das für ein Zeug gewesen sein, womit er sich so schnell abthat?« fragte einer aus seiner Koje.

Niemand wußte es.

»Unsereiner müßte solch Zeug eigentlich auch immer bei sich tragen,« redete der Mann in der Koje weiter. »Denkt doch bloß an das Boot, dem wir gestern begegneten – an die verhungerten und verdursteten Seeleute darin. Wieviel Qual und Jammer wäre den armen Kerlen erspart geblieben, wenn sie solch einen Tropfen bei sich gehabt hätten, wie der war, mit dessen Hilfe sich der Mann heute vor Ketten und Banden und Zuchthaus und Peitsche bewahrte.«

Er schwieg, steckte seine Pfeife wieder zwischen die Zähne und ließ seine Augen über die Schiffsgenossen schweifen, um die Wirkung seiner Rede zu erspähen.

»Daß der alte Unglücksrabe immer mit seinem Gekrächz bei der Hand sein muß!« kam eine unwillige Stimme aus einer der Hängematten.

»Laß ihn doch, er hat nicht unrecht,« fing der Matrose Tom wieder an. »Ich will euch übrigens nur sagen, außer dem Kerl, den der Inspektor Fox abgeholt hat, sind noch mehr Leute hier an Bord, mit denen es nicht geheuer ist – ja, das könnt ihr mir glauben.«

Diese Bemerkung erregte nicht das Interesse, das der Sprecher erwartet zu haben schien.

»Da ist ein Mann unter den Passagieren,« ließ sich endlich einer vernehmen, »der hat ein Gesicht wie der Mond, wenn man den durchs Teleskop beguckt – so pockennarbig und zerfressen. Den Kunden muß ich früher schon irgendwo gesehen haben. Ich erinnere mich, wie eines Abends bei einer Prügelei in Sydney jemand erstochen wurde, und wie hernach die Polizei hinter einem Burschen her war, der ganz genau so aussah, wie der Passagier mit dem schimpfierten Gesicht.«

»Ja, und mehr als einer von den feinen Passagieren ist auch schon Janmaat vor dem Mast gewesen, darauf möchte ich einen Eid ablegen,« sagte Bill.

»Nach Soldaten sehen sie eher aus, als nach Seeleuten,« wendete Tom ein, »die Zehn wenigstens, die ich meine. Und es will mir nicht aus dem Kopf – die Zehn gehören irgendwie zusammen. Manchmal scheint es mir auch, als sähen sie sich alle untereinander ähnlich – wenn auch der eine mit dem großen Schnurrbart mindestens seine sechs Fuß mißt und der kleinste von ihnen nicht höher ist als der Sackkuchen, den es Sonntags auf deutschen Schiffen giebt.«

»Ein paar von ihnen kamen gestern nach vorn,« erzählte ein anderer, den Kalkstummel aus dem grinsend verzogenen Munde nehmend, »kamen nach vorn und fingen an zu reden, als ob sie unsereinen zur Meuterei aufstacheln wollten – hahaha! Redeten von Mord und Totschlag, die eingesalzen im Pökelfaß liegen sollten – haha! Das müßte der Steuermann bloß hören, dachte ich so bei mir. Es ist so, wie Tom sagt; mit den Herren da hinten hat es nicht seine Richtigkeit.«

»Ein lauter Ruf, der durch die kleine Luke herabschallte, unterbrach die Unterhaltung im Matrosenlogis. Die Pfeifen wurden ausgeklopft, die Mützen und Leibriemen zurecht gerückt, und dann ging die Hälfte der Mannschaft hinaus in den Sonnenschein, um die Arbeit an Deck wieder aufzunehmen.

Der Wind hatte zugenommen, die Bark fuhr, stark auf die Seite geneigt, mit lautem Gebrause durch die schäumende Flut. Luvwärts über dem Buge verdickte sich das Blau des Himmels zu weißlichem Nebel, ein Zeichen dafür, daß man von dorther noch mehr Wind erwarten konnte.

Der wachhabende Offizier ließ die beiden Oberbramsegel aufgeien und den Außenklüver niederholen. Bald darauf befahl der Schiffer, das Gaffeltopsegel festzumachen.

Der kochende Schaum vor dem Buge schwoll bis zum Bugspriet empor, glitt dann wirbelnd nach hinten und breitete sich im Kielwasser wie ein Schneefeld aus.

»Gei auf Großsegel!« rief der Steuermann.

Die Matrosen tummelten sich mit Lust und bestem Willen. Hoch oben blähte sich das Groß-Oberbramsegel wie ein Ballon in seinen Geitauen. Mr. Davenire stand bei den Wanten des Besanmastes und schaute hinauf.

»Ich denke, wir schaffen's noch!« rief er Mr. Alexander Burn zu.

»Ich denke auch,« lachte dieser. »Also vorwärts!«

Im Nu hatten beide Herren die Röcke abgeworfen und waren bereits halbwegs die Wanten hinauf, als die Matrosen ihr Vorhaben bemerkten.

»Was habe ich gesagt?« rief Bill, den Kletternden nachblickend.

Die Herren hatten die Püttingswanten erreicht und schwangen sich schnell und gewandt in den Mars. Trotz seiner Beleibtheit gönnte sich Mr. Burn keinen Augenblick zum Verschnaufen; er erreichte die Oberbramraae zuerst, da Davenire im Saling eine kurze Pause machen mußte.

Der alte Benson hatte vom Achterdeck das Thun der beiden Passagiere mit finsterer Mißbilligung beobachtet; sein Gesicht erhellte sich jedoch, als er gewahrte, daß das Segel auf das netteste und nach allen Regeln der Kunst festgemacht wurde. Er war erstaunt. Von der Raae kommend blieb Mr. Burn im Saling stehen und schaute, die Hand schwenkend, herab.

»Vielleicht auch gleich das Bramsegel festmachen?« rief er.

»Nein, nein, meine Herren, ich danke Ihnen,« antwortete der Steuermann lachend und sich zugleich nach dem Kapitän umsehend.

Die beiden Amateur-Seeleute erreichten wohlbehalten wieder das Deck.

»Ich wette, daß das Oberbramsegel die Reise um's Kap Hoorn machen würde, ohne loszuwehen,« sagte Burn mit seiner fetten, ein wenig pfeifenden Stimme zum Steuermann, während er seinen Rock wieder anzog.

Der Hauptmann Trollop, der auf der Leeseite des Decks umherschlenderte, sah Burn mit schlecht verhehltem Aerger nach, als dieser dem Achterdeck zuschritt, um das Kompliment des Schiffers entgegen zu nehmen.

»Ich wollte, die Dummköpfe thäten sich nicht so hervor,« sagte er zu Mr. Isaak Cavendish, dem Manne mit den kleinen Augen und dem widerwärtig selbstgefälligen Wesen. »Dieser Burn ist ein eitler Narr. Wenn keine Weibsleute an Bord wären, würde er sich hüten, solche Streiche zu machen.«

»Und noch einen Fehler hat er an sich: er erzählt lange Geschichten, wenn er schläft, und so laut, daß man's in den Nebenkammern hören kann,« versetzte Cavendish. »Ich habe vergangene Nacht vor seinem Salbadern kaum schlafen können.«

»Dann muß er umquartieren,« sagte Trollop hastig und warf noch einmal unter gerunzelten Brauen hervor einen Blick auf Burn.

Dieser war inzwischen bei dem Kapitän angelangt, der ihn jedoch gar nicht zu Worte kommen ließ.

»An Bord meines Schiffes,« sagte der alte Seemann knurrig, »ist es nicht Sitte, daß die Passagiere die Arbeit der Matrosen verrichten.«

»Nicht die grobe und schmutzige Arbeit,« erwiderte Burn, dessen Gesicht etwas länger geworden war, »aber solch eine kleine gymnastische Uebung thut einem zuweilen gut. Ueberdies ist Ihre Mannschaft nicht vollzählig, wenn ich nicht irre.«

»Das geht Sie nichts an, Herr!« fuhr der Schiffer auf. Damit wendete er sich ab und ließ den überraschten Burn stehen, der in seiner Verlegenheit dem Mann am Ruder eine Grimasse schnitt.

Wider Erwarten und trotz den Anzeichen zu luward flaute am Nachmittag die Brise ab; sie raumte sogar nach Süden herum, so daß, als die Passagiere sich zur Einnahme des Diners, das nach englischem Brauch um sechs Uhr serviert wurde, in die Kajüte begaben, die Bark wieder all ihre Leinwand stehen hatte.

Die Mahlzeit verlief still. Der Selbstmord des Bankdirektors, der verschiedenen der Anwesenden persönlich bekannt gewesen war, drückte die Stimmung, besonders die der Damen, nieder. Der Kapitän unterhielt sich ruhig mit Mr. Dent und Mr. Storr. Man merkte ihm an, daß er eine Konversation mit den andern zwar nicht vermeiden wollte, aber auch nicht wünschte. Er war höflich, aber zurückhaltend, wie jemand, der die Gesellschaft, in der er sich befindet, noch nicht sondiert hat. Man merkte dies wohl, that aber, als mache es keinerlei Eindruck.

Der Steuermann am unteren Ende der Tafel war redseliger. Die Herren beschäftigten sich daher vorzugsweise mit ihm, indem sie den Unterhaltungsstoff weiterspannen, den er anregte.

Es war verwunderlich, daß Leute, denen es an allgemein interessierendem Gesprächsstoff nicht fehlen konnte, sich in dieser Weise so abhängig machten. Ab und zu begann einer wohl von den Goldfeldern zu reden oder auch von dem Leben im australischen Busch – in Bezug auf letzteres schien Mr. Patrick Weston besonders reiche Erfahrungen hinter sich zu haben; im allgemeinen aber berührte das Gespräch nichts von den persönlichen Verhältnissen und der Vergangenheit der einzelnen. Soviel aber schien festzustehen, daß die meisten der Herren an Bord eines Schiffes und auf See sehr gut Bescheid wußten.

Miß Mansel, die der athletischen Gestalt Mr. Davenires gegenüber saß, äußerte ihre Verwunderung darüber, daß dieser den Mut besessen, so hoch empor zu klimmen.

»Sind Sie früher vielleicht ein Seemann gewesen?« fragte sie ihn.

»Ei gewiß,« antwortete er, die Hand nach dem vor ihm auf dem Schlengerbrett stehenden Glase Marsala ausstreckend. »Als Knabe war ich auf See; jeder tüchtige Junge geht zur See.«

»Und in all den langen Jahren haben Sie nicht vergessen, wie ein Oberbramsegel festgemacht wird,« lächelte der Steuermann.

»Ich will Ihnen was sagen, Mr. Matthews,« versetzte Davenire, das volle Glas aufhebend. »Sie können mir kein Stück Schiffsarbeit aufgeben, dem ich nicht gewachsen wäre.«

Der Steuermann lehnte sich in seinen Sessel zurück.

»Man sollte fast meinen,« sagte er, »daß Sie hier an Bord gekommen seien, weil Sie wußten, daß die Mannschaft minderzählig ist.«

Diese absichtslose Aeußerung brachte eine eigentümliche Wirkung hervor. Es trat eine gewisse Verstimmung ein; die Herren redeten fortan nur untereinander von Wind und Wetter und anderen gleichgültigen Dingen; der Steuermann war für sie nicht mehr am Tische. Der erhob sich auch sehr bald und ging, augenscheinlich gedrückt, an Deck.

Wieder zog eine milde, ruhige Mondnacht herauf. Um elf Uhr wurden die Lampen im Salon bis auf eine ausgelöscht; die Passagiere waren zur Ruhe gegangen, auch der Kapitän hatte seine Kammer aufgesucht. Der zweite Steuermann schritt als Wachhabender einsam auf der Luvseite des Achterdecks auf und nieder.

Es hatte soeben sieben Glasen – halb zwölf Uhr – geschlagen, da kam aus einer der Kammern eine Männergestalt in weißwollenem Unterzeug heraus, ging um den Tisch herum und betrat ohne weiteres eine der gegenüber liegenden Kammern, in der zwei der männlichen Passagiere hausten. Der Eingetretene, Mr. Isaak Cavendish, berührte den in der oberen Koje Ruhenden, der sofort emporfuhr, aber nicht ohne mit sehr bezeichnender Bewegung unter sein Kopfkissen zu greifen. Draußen lag das Mondlicht auf der See, und sein Widerschein erfüllte die Kammer mit leichter Dämmerung.

»Kommen Sie, Trollop,« sagte Cavendish flüsternd. »Sie müssen hören, wie Burn im Schlaf redet. Man hört ihn sogar von hier aus.«

Der Mann in der unteren Koje, Patrick Weston, schnarchte laut und ununterbrochen, trotzdem aber vernahmen die beiden Lauschenden Burns Stimme, die rauh und abgerissen aus einer entfernteren Kammer erscholl. Schweigend glitt Trollop von seinem Lager herab, gekleidet wie sein Gefährte in Wolle, so daß er sich im Notfalle, bei Ausbruch von Feuer oder einer Kollision, sogleich hätte sehen lassen können. Sie begaben sich zunächst in Cavendishs Kammer, die dieser mit Mr. Caldwell teilte, um hier festzustellen, ob Burns Reden durch die Zwischenwand verständlich waren. Sie brauchten nicht lange zu warten. Die fette, heisere Stimme erhob sich und deklamierte lallend abgerissene Stücke aus einem dramatischen Monolog. Man unterschied deutlich einige Worte.

Trollop zog Cavendish mit sich nach Burns Kammer. Dieselbe war die kleinste im ganzen Schiff und bot nur Raum für eine Person. Der Hauptmann faßte den in unruhigem Schlafe Liegenden bei der Schulter. Burn stieß einen durchdringenden Schreckensruf aus und sprang aus der Koje.

Sein Schrei störte alle übrigen Passagiere auf. Kammerthüren öffneten sich, und männliche und weibliche Stimmen zischelten Fragen durch den Salon. Der alte Benson kam in einem langen Lotsenrock eilfertig aus seinem Gemach, schraubte die Flamme der Lampe höher und rief dann durch das Oberlichtfenster dem zweiten Steuermann zu, um von ihm zu erfahren, was das für ein fürchterlicher Schrei gewesen wäre. Poole schob seinen Kopf zum offenen Fenster herein und antwortete, daß er keinen Schrei gehört habe, und nicht wisse, was der Kapitän meine.

»Es war bloß Mr. Burn, der im Schlafe geheult hat,« sagte der Hauptmann Trollop, aus der Kammerthür tretend. »Jetzt ist er wach und weiß nichts davon.«

Der Schiffer lugte zu Burn hinein, um sich zu überzeugen, ob nichts Unrechtes passiert sei.

»Ich dachte schon, es wäre ein Mord geschehen,« brummte er; dann ging er die Kampanjetreppe hinauf, um nach Wind und Wetter zu sehen. Die Passagiere verfügten sich wieder in ihre Kojen, bis auf drei, die um den Tisch herum nach Burns Kammer glitten.

»Was zum Teufel war denn los?« flüsterte der eine.

»Gehen Sie in Ihre Kammer, Hankey, es war nichts. Auch Sie, Johnson und Shannon, machen Sie, daß Sie fortkommen; wir dürfen kein Aufsehen erregen. Morgen erzähle ich Ihnen alles. Nur jetzt keine Versammlung hier, wo der Kapitän und der Steuermann auf dem Achterdeck sind und die Lampe so hell brennt.«

Wenngleich Trollop diese Worte nur flüsterte, so sprach er doch so gebieterisch, wie dies etwa der Häuptling und Befehlshaber einer Bande gethan haben würde, und gehorsam, wie die Mitglieder einer solchen Bande, schlüpften die Angeredeten davon. Trollop blieb mit Burn allein.

»Sie müssen umquartieren,« sagte er zu diesem. »Sie dürfen nicht länger allein liegen.«

»Aber zum Henker, warum denn das?«

»Sie lärmen und schwatzen und schreien –«

»Wer hat Sie denn geheißen, mich anzurühren? Wer würde nicht schreien, wie Sie das nennen, wenn er im Schlafe angepackt wird?«

»Darum handelt es sich jetzt nicht. Sie plappern im Schlaf so laut, daß man es in den Nebenkammern deutlich verstehen kann. Darum müssen Sie mit einem von uns zusammenziehen. Verstanden?«

»Nun, wenn's weiter nichts ist, meinetwegen,« gähnte Burn verdrossen. »Was habe ich denn gesagt?«

»Dieses Mal nur Unsinn – Verse; Reminiscenzen aus Ihren Komödiantentagen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß Sie auch einmal von unserm Vorhaben träumen werden, daß Sie dann erzählen, was keiner hören darf – und Ihre Stimme ist in der Nacht lauter, als am Tage – he? Wie dann?«

»Das wäre allerdings gefährlich,« versetzte Burn. »Soll ich sogleich umquartieren? Und wohin?«

Trollop steckte den Kopf zur Thür hinaus und sah nach der Uhr im Salon; dann sagte er:

»Ich denke, daß man Ihnen für den Rest dieser Nacht trauen kann. Versuchen Sie, wach zu bleiben.«

Gähnend zog er sich in seine Kammer zurück.

»Um sieben Uhr morgens war der alte Benson, den Cylinder auf dem weißen Kopfe, bereits wieder an Deck. Er stand mit dem Obersteuermann an der Reeling, um ein mastenloses Wrack zu betrachten, das im Osten der Bark auf der sanft bewegten See trieb, ohne das geringste Lebenszeichen an Bord und ein wüstes Wirrsal von Tauen und Spieren neben sich herschleppend.

Während der Schiffer das Wrack durch das Teleskop betrachtete, kam Trollop herauf.

»Guten Morgen, Kapitän Benson,« sagte er, herzutretend. »Das Wetter ist heute ja wieder herrlich, aber wenn die ›Queen‹ sich nicht zu schnellerer Fahrt bequemt, dann wird es nichts mit einer zehnwöchentlichen Reise bis London.«

»Wahrscheinlich nicht,« entgegnete der Schiffer kurz.

»Mr. Burn hat mich beauftragt,« fuhr Trollop fort, »wegen der nächtlichen Störung um Entschuldigung zu bitten. Er hat Alpdrücken gehabt.«

»Die Damen sind erschreckt und belästigt worden,« brummte Benson.

»Er fürchtet, daß sich das wiederholen könnte, wenn er fernerhin allein schläft. Würden Sie Einwendungen erheben, wenn er seine Kammer wechselt?«

»Wenn er eine andere findet, durchaus nicht. Er soll mit dem Steward reden.«

Im Begriff, nach vorn zu gehen, kehrte der Schiffer plötzlich wieder um, trat dicht an den Hauptmann heran und sah demselben scharf in die Augen.

»Sie waren mit Mr. Burn schon bekannt, ehe Sie ihm hier an Bord begegneten, nicht wahr?« fragte er.

»Nein,« antwortete Trollop, ruhig und kalt den Blick Bensons erwidernd. »Wozu diese Frage?«

»Ich glaubte, Sie wären bereits länger mit ihm befreundet.«

»Ich wiederhole: nein.«

Der Schiffer ging ab und gesellte sich zu dem Steuermann, der am vorderen Ende des Achterdecks spazierte. Trollop trat an die Reeling, lehnte sich mit den Ellenbogen darauf und sah nach dem Wrack hinüber. Von Zeit zu Zeit warf er einen raubvogelähnlichen Seitenblick auf den Schiffer und den Steuermann, die in leisem Gespräch bei einander standen.

»Wir haben dieses Mal einige Passagiere an Bord, aus denen ich nicht klug werden kann,« sagte der alte Benson zu seinem ersten Offizier. »Die Leute haben etwas an sich, was mir nicht gefällt. Sie an Ihrem unteren Tischende hören mehr von ihren Gesprächen, als ich. Es sind ihrer zehn. Manchmal scheint es mir, als müßten sie einander schon früher gekannt haben.«

»Aehnliche Gedanken sind auch mir bereits gekommen,« versetzte Matthews.

»Trollop, der sich Hauptmann nennen läßt, stellte soeben jede frühere Bekanntschaft mit dem Herrn, der heute nacht den Lärm vollführte, rundweg in Abrede.«

»Er mag seinen Grund dazu haben,« sagte der Steuermann. »Ich werde Augen und Ohren offen halten, und ich glaube bald feststellen zu können, daß er Ihnen die Unwahrheit gesagt hat.«

Es kam nicht oft vor, daß der Kapitän so vertraulich mit seinem Steuermann redete. Er fühlte sich jedoch von allerlei dunklem, unverstandenem, unerklärlichem Argwohn, von eigentümlichen, nie gekannten Vorgefühlen so bedrückt, daß ihm eine Mitteilung Erleichterung gewährte. Andererseits aber wollte er auch nicht zu viel sagen.

»Immerhin machen sie alle den Eindruck von Gentlemen,« fügte er hinzu und wandte sich, um zu sehen, wo Trollop geblieben war.

»Das sind sie auch,« bestätigte Matthews, »man hört es an ihrer Sprache.«

Der Schiffer trat noch näher an den Steuermann heran.

»Suchen Sie herauszufinden,« sagte er ganz leise, »ob sie sich bereits kannten, ehe sie als Passagiere zu uns an Bord kamen.«

»Das soll geschehen, Kapitän.«

»Es sind, wie gesagt, ihrer zehn, die mir alle so aussehen, als hätten sie im Leben überall Schiffbruch gelitten, das letzte Mal in Australien, und als hätten sie jetzt alles auf eine Karte gesetzt, um noch einen letzten Versuch in England zu machen – wie Ertrinkende, die nach einem Strohhalm greifen. Ja – aber wie komme ich denn eigentlich dazu, anzunehmen, daß sie so mittellos seien?«

»Weil sie alle zusammen, trotz ihrer nagelneuen Kleider, so sturmverschlagen aussehen,« sagte der Steuermann, der mit wachsender Aufmerksamkeit zugehört hatte.

»Ganz recht, das wird's sein,« nickte der Schiffer. »Haben sie viel Gepäck mitgebracht?«

»Im Gegenteil, nicht mehr, als bequem in den Kammern verstaut werden konnte.«

Der Mann am Ruder schlug acht Glasen. Der Kapitän brach das Gespräch ab.

»Sie haben Ihre Instruktion, Mr. Matthews,« schloß er und ging, während der Steuermann salutierend die Rechte an die Mütze legte, auf einige der Passagiere zu, die nach dem Wrack ausschauten.


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