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Achtes Kapitel.
Belauscht

Sechs Tage lang hatte die ›Queen‹ mit dem schweren Wetter zu kämpfen. Der Sturm wehte ihrem Kurse gerade entgegen und trieb sie in nordwestlicher Richtung hundert Meilen von demselben ab.

Das unausgesetzte Toben der Elemente draußen wirkte lähmend auf den Verkehr der an Bord Befindlichen untereinander; nur gelegentlich noch kam die Plünderung der Waffenkiste zwischen dem Kapitän und dem Steuermann zur Sprache; der Sturm und die Sicherheit des Schiffes nahmen ausschließlich ihre Gedanken in Anspruch. Auch den Zehn konnte der Schiffer nur eine verminderte Aufmerksamkeit zuwenden; die Herren drückten sich umher, so gut sie konnten; sie suchten geschützte Ecken und Winkel auf, um sich dort dem Genuß ihrer kurzen Holz- und Meerschaumpfeifen hinzugeben; dabei verteilten sie sich absichtlich in kleine Gruppen, so daß von der anscheinenden Zusammengehörigkeit, die den Schiffer so beunruhigt hatte, nichts mehr zu merken war.

Am Abend des fünften Tages nahm der Sturm merklich ab. Gegen Mitternacht war das Wetter soweit aufgeklärt, daß hier und da die Sterne sichtbar wurden. Beinahe auf den Schlag zwölf fiel ein milchweißes, blendendes Meteor, wie ein kleiner Mond, aus den Himmelshöhen; es erhellte See und Atmosphäre in weitem Umkreis und verschwand dann mit lautem, donnerähnlichem Knall im Wasser.

Es schien, als ob dies ein Signal für den Wind gewesen wäre, denn zwanzig Minuten später war eine vollkommene Stille eingetreten; das Schiff aber wälzte sich noch lange Stunden halt- und willenlos auf der hochgehenden See, die sich erst nach und nach zu beruhigen vermochte.

Der nächste Tag war wolkenlos, heiß und still. Die Segel trockneten, die Decksplanken wurden wieder weiß. Der Koch warf die Hühner, die während des Unwetters in ihren Ställen ertrunken waren, über Bord, und die Matrosen hingen vorn ihre durchnäßten Kleidungsstücke im Sonnenschein auf.

Dem schönen Tage folgte ein schöner Abend. Der Mond ging jetzt erst nach Mitternacht auf. Der Kapitän spazierte mit dem Ehepaar Dent auf und ab. Um zehn Uhr waren noch sämtliche Passagiere auf dem Achterdeck. Matthews hatte seine Koje aufgesucht; Poole hatte die Wache.

Aus der Thür unter der Achterdecksgalerie kamen zwei Männer heraus; sie schlenderten bis zum Großmast und blieben hier rauchend und plaudernd stehen. Die Nacht war warm, an dieser Stelle aber fächelte das in seinen Geitauen hängende Großsegel eine angenehme Kühle. Der Ort war ganz dunkel.

»Ich wollte,« sagte der eine der Männer, Patrick Weston, »daß dies die Nacht der Ausführung wäre. Die meisten von uns haben das Warten längst herzlich satt.«

»Das Wetter ließ es bisher nicht zu,« antwortete Caldwell, denn das war der andere.

»Hoffentlich kann man leicht an das Gold herankommen.«

Hankey weiß, wo und wie es verstaut ist. Trollops Idee, zwei von den Matrosen an Bord zu behalten, ist nicht schlecht. Denn ohne Zweifel wollen alle zehn dabei sein, wenn das Gold an Land vergraben wird. Die Matrosen bewachen inzwischen das Schiff.«

»Oder sie gehen damit durch.«

»Das ist wohl zu verhindern,« sagte Caldwell langsam. »Donnerwetter! Sie sollten die Seeleute doch wohl kennen!«

»Der Spaß mit der Waffenkiste hat manchem Kopfzerbrechen verursacht,« meinte Weston. »Der Alte wird schließlich noch an Hexerei glauben. Die Musketen sollen höllischen Lärm gemacht haben, als sie durch das Fenster ins Wasser fielen, so erzählte mir Hankey. Diese und die Pistolen hatten Feuersteinschlösser, waren also höchstens als Schlagwerkzeuge zu gebrauchen. Wir hätten den ganzen Kram ruhig in der Kiste lassen können.«

»Nun, wo er jetzt liegt, ist er besser aufgehoben,« brummte Caldwell.

»Merkwürdig, daß keiner das Geplätscher gehört hat,« fuhr Weston fort. »Freilich, man hatte ja nur für das brennende Schiff Augen und Ohren. Ich denke, Trollop wird die nächste Nacht wählen – was meinen Sie?«

»Möglich, wenn sie ist wie diese,« versetzte Caldwell. »Geben Sie mir doch Ihr Feuerzeug.«

Er setzte seine Pfeife in Brand und reichte dem Genossen das silberne Büchschen zurück.

»Wenn nur die Insel Halloran der richtige Ort für uns ist,« fing er dann wieder an. »Ich wäre weiter nach Osten gegangen. Wir haben uns da so blindlings auf die Anordnung des Saunders verlassen, das gefällt mir nicht. Wer kann wissen, welche Hintergedanken solch ein Schuft hat?«

»Ach, darauf kommt es nicht an,« entgegnete Weston. »Eine Insel ist so gut wie die andere, vorausgesetzt, daß sie unbewohnt ist und vorüberkommende Segler nicht zum Landen verlockt.«

»Das ist aber bei Halloran gerade der Fall!« versetzte Caldwell eifrig. »Nach Saunders' Beschreibung muß die Insel ein wahrer Garten sein, just so ein Ort, wie ihn die Walfischfänger aufsuchen, um sich dort Wasser und Kokosnüsse zu holen. Gesetzt den Fall, wir vergraben die dreimalhunderttausend Pfund in jener paradiesischen Wildnis, und Saunders läßt uns dann mit seiner Brigantine im Stich – –«

Der Steward kam aus der Kajüte, um sich nach vorn zu begeben. Er musterte im Vorbeigehen die beiden Männer mit forschenden Blicken, konnte in der Finsternis jedoch keinen derselben erkennen, obgleich er sich noch einmal umsah.

»Der Kerl hat dieselben krummen Beine wie der Alte,« sagte Weston leise, dem Steward nachblickend. »Dem sind wir übrigens auch schon verdächtig geworden.«

»Was liegt daran?« höhnte Caldwell.

»Ich wollte, wir hätten die Sache hinter uns,« sagte Weston. »Das ganze Schiff beargwöhnt uns. Wir können jeden Augenblick gewärtig sein, daß man über uns herfällt. Benson ist gerade der Mann dazu, kurzen Prozeß zu machen, wenn er erst scheu geworden ist, und die Dummheit mit der Waffenkiste hat ihn scheu gemacht.«

»Wir sind zehn Mann,« erwiderte Caldwell mit seiner brutalen Stimme. »Zehn Mann, deren letzte Aussicht und Zuflucht dies Stück Arbeit ist. Mensch, wir fressen das ganze Schiff auf. Wir werden zu verhüten wissen, daß man uns überrumpelt.«

»Das sagen Sie jetzt. Wie aber, wenn man uns plötzlich in unsern Kammern einschließt? Was nützen uns dann unsere Waffen?«

»Mir sind unserer viel zu viel,« sagte Caldwell, ohne auf Westons Einwand zu achten. »Sieben waren auch genug, um das Schiff zu regieren, dazu dann die beiden Matrosen – die Dreimalhunderttausend wären dann nur in sieben Teile gegangen –«

Weston packte ihn plötzlich am Arm.

»Still, Mann!« flüsterte er im Tone des Entsetzens. »Wir sind belauscht worden!«

Caldwell stand erstarrt.

Hinter dem Maste kam eine Frauengestalt hervor, die dem Kajüteneingang unter der Achterdecksgalerie zuschritt und in demselben verschwand.

»Wer war das?« flüsterte Caldwell, der seine Selbstbeherrschung sogleich wiedergefunden hatte.

»Ich habe ihr Gesicht nicht erkannt,« antwortete Weston.

Caldwell huschte hinter der Frauengestalt her. In der Kajüte brannten die Lampen. Die Mehrzahl der Passagiere befand sich noch auf dem Achterdeck. Vom Gange aus beobachtete er die Eingetretene und erkannte nun in derselben Miß Mansel. Er sah, wie dieselbe die Linke auf den Tisch stützte und die Rechte auf den fliegenden Busen drückte; er sah auch, daß sie totenbleich war.

Er verwendete keinen seiner düster lohenden Blicke von ihr. Was würde sie nun beginnen? Würde sie mit ihrer furchtbaren Entdeckung sogleich den Kapitän aufsuchen? Die Finger des unheimlichen Menschen öffneten und schlossen sich, wie Tigerkrallen. Fünfzig blutige Mordpläne durchkreuzten wirbelnd sein Hirn, während er das Mädchen belauerte. Sie blieb eine Minute an dem Tische stehen, dann schritt sie um denselben herum und ging in ihre Kammer.

Jetzt kehrte Caldwell schleunigst zu Weston zurück, der am Großmast stehen geblieben war.

»Wir dürfen sie nicht aus den Augen lassen,« sagte er. »Die andern werden uns für unsere Geschwätzigkeit die Pestilenz an den Hals wünschen, und mit Recht. Was machen wir nun? Wenn sie auch nur den vierten Teil gehört hat, dann weiß sie genug. Wo steckte sie eigentlich?«

»Hier, auf der andern Seite des Mastes. Ich hörte, wie sich etwas regte, und dann sah ich sie dort sitzen. Sie wird sich diesen Fleck der Kühlung wegen ausgesucht haben.«

»Vielleicht schlief sie.«

»Dann wäre sie nicht sogleich aufgestanden und fortgegangen, als ich um den Mast herumlugte!«

»Ich muß Trollop die Sache mitteilen,« sagte Caldwell nach kurzem Besinnen. »Behalten Sie inzwischen ihre Kammerthür im Auge. Wenn sie sich wieder gefaßt hat dann wird sie jedenfalls sogleich zu Benson laufen. Also passen Sie gut auf; dort vom Gange aus können Sie alles Nötige übersehen.«

Er stieg die Treppe zum Achterdeck empor. Trollop lehnte vor der Besanswant an der Reeling. Es war sehr finster, so daß man die weiter hinten sich aufhaltenden Passagiere nur an ihren Stimmen erkennen konnte.

Er trat dicht an den Hauptmann heran.

»Unser Geheimnis ist verraten,« zischte er diesem ins Ohr. »Miß Mansel weiß, daß wir zehn uns morgen nacht des Schiffes bemächtigen wollen.«

Trollop rührte sich nicht.

»Die Schuld trifft mich und Weston,« fuhr Caldwell fort. »Wir besprachen unser Vorhaben dort unten bei dem Großmast, natürlich ganz leise, aber der Teufel fügte es, daß während der ganzen Zeit das Mädchen auf der andern Seite des Mastes hockte.«

Noch immer stand Trollop regungslos. Es war, als habe er die Sprache verloren. In dem schwachen Schein aus dem vorderen Oberlichtfenster erschien sein Gesicht dunkel und verzerrt; das Blut schwellte seine Stirnadern zum Zerspringen, so daß er den Hut abnehmen mußte.

»Wo ist sie?« stieß er endlich hervor.

»In ihrer Kammer.«

»Ihr elenden Idioten –!«

»Ich bin erboster als Sie. Enthalten Sie sich jedes Schimpfwortes,« zischte Caldwell drohend. »Wenn jemals ein Mensch den Satan in sich hatte, so bin ich das! Es handelt sich jetzt nur um die Frage: Was ist zu thun?«

Mr. Matthews, der die Wache hatte, kam von der andern Seite herüber, ging langsam an den beiden vorbei und kehrte nach Lee zurück, von wo aus er sie im Auge behielt.

»In ihrer Kammer ist sie?« sagte Trollop. »Dann wird sie gleich heraufkommen und dem Kapitän die Neuigkeit erzählen. Oder vielleicht wartet sie, bis der hinuntergeht. Mensch, wie konnten Sie – gerade Sie! – so hirnverbrannt handeln?«

»Das ist jetzt Nebensache. Es bleibt uns nur eins: Wir müssen uns bewaffnen und das Schiff noch heute nacht nehmen!«

In diesem Augenblick kam Davenire herzu.

»Was ist los?« fragte er.

»Woher wissen Sie, daß etwas los ist?« entgegnete Caldwell, ihm Vorsicht winkend.

»Sehen Sie doch Trollop, sehen Sie sich selber an! Was ist los? Antwort!«

Trollop ging zum Oberlichtfenster und schaute in den Salon hinab. Caldwell unterrichtete inzwischen Davenire in kurzen Worten von der Lage der Dinge. Der packte den Erzähler beim Arm; er war ein Riese an Körperkraft, so daß der andere sich unter seinem Griffe so hilflos fühlte, wie ein Kind.

»Ich wollte, ich könnte euch beide über den Haufen schießen!« flüsterte er heiser. »Hat das Mädchen schon mit dem Schiffer geredet?«

»Durch solch eine ausdrucksvolle Pantomime verbessern wir unsere Lage nicht,« entgegnete Caldwell mit grimmigem Hohn. »Lassen Sie mich los! Drüben steht Matthews und beobachtet uns, und der Alte ist auch noch an Deck. Kommen Sie nach vorn.«

Trollop kam zurück.

»Sie ist nicht zu sehen,« sagte er. »Weiß Davenire schon?«

Cavendish und Hankey fanden sich ein.

»Das geht nicht!« rief Trollop leise und schnell. »Keine Versammlung! Kommen Sie mit hinunter auf das Hauptdeck, Davenire. Sie, Caldwell, bleiben hier und sind zur Hand, wenn das Mädchen mit dem Alten spricht. Sie und Weston müssen alles in Abrede stellen, Sie müssen Stein und Bein lügen – das Mädel ist hysterisch, krank, übergeschnappt – verstanden?«

Damit ging er, gefolgt von Davenire, die Treppe hinab. Er hatte seine ganze Ruhe wiedergefunden, Davenire aber konnte sich vor Wut kaum lassen. Am Großmast stieß Weston zu ihnen.

»Begeben Sie sich sofort nach hinten, in die Nähe des Schiffers, so daß er Sie sieht. Fangen Sie, wenn möglich, mit einer Dame ein Gespräch an. Wenn Miß Mansel zu schwatzen beginnt, müssen Sie sie Lügen strafen.«

Weston ging gehorsam ab. Die beiden andern schritten nach vorn.

»Caldwell meint, wir sollen den Anschlag heute nacht noch ausführen,« begann Trollop. »Das ist nicht möglich, und zwar aus folgenden Gründen. Masters und Burn haben sich im Trinken übernommen und liegen wie ein Paar ersäufte Eulen in ihren Kojen. Miß Holroyd ist krank, ihre Mutter wird die ganze Nacht aufbleiben und hin und her rennen, ein Gleiches wird der Doktor thun. Dazu ist die Hälfte der Mannschaft an Deck; wie sollen wir die ohne Mord und Todschlag auf die Seite schaffen? Blutvergießen aber ist ausgeschlossen, wie Sie wissen.«

»Die Matrosen sind morgen auch an Deck, und auch übermorgen,« entgegnete Davenire. »Glauben Sie etwa, daß wir das Schiff so ruhig und gemütlich in Besitz nehmen können, als läge es abgetakelt und unbewacht im Dock?«

»Lassen Sie das meine Sorge sein,« versetzte Trollop aufbrausend. »Ich habe die Leitung in Händen, kein anderer! Wenn jeder befehlen will, dann können wir den Plan nur aufgeben, denn dann holt uns alle der Teufel!«

»Aber unser Plan ist verraten, Mann!« rief Davenire knirschend. »Demnächst wird das ganze Schiff voll davon sein!«

»Heute nacht geschieht nichts!« beharrte Trollop.

Davenire spuckte wütend aus und machte Miene, sich zu entfernen. In diesem Augenblick näherte sich Caldwell.

»Sie steckt noch immer in der Kammer,« meldete er, »und die andern gehen zu Bett.«

Die drei blieben stehen und sahen nach hinten. Der Steward drehte die Lampen im Salon aus, bis auf eine, die er herunterschraubte. Man konnte durch die offene Thür bequem hineinschauen. Der Doktor kam aus einer der Kammern und begab sich auf das Achterdeck, wahrscheinlich um dem Kapitän Bericht zu erstatten. Mr. Dent stand mit Mrs. Storr am Tische. Er leerte ein Glas, schüttelte der Dame die Hand, und beide zogen sich in ihre Kammern zurück.

»Wenn heute doch nichts mehr draus werden soll, dann wollen auch wir uns schlafen legen,« sagte Davenire.

Es war um die elfte Stunde.

»Bis Mitternacht spaziere ich noch umher,« erwiderte Trollop. »Wenn sie sich bis dahin nicht gezeigt hat, dann wird sie's aufschieben bis zum Morgen.«

»Und dann?« lauerte Davenire.

»Dann müssen die Narren, die uns durch ihre Geschwätzigkeit hineingeritten haben, uns durch Lügen vorläufig wieder herausreißen,« antwortete der Hauptmann ruhig. »Hernach werden wir ja weiter sehen. Außerdem eilt es noch gar nicht. Wir sind vierhundert Meilen weit nach Nordwesten verschlagen. Es ist noch zeitig genug, wenn wir am Sonntag ans Werk gehen.«

»Wenn wir mit der Arbeit heute nicht beginnen, dann kommt kein Sonntag, sie zu beenden,« grollte Caldwell dumpf.

Trollop ging, ohne zu antworten, in den Salon; er schenkte sich ein Glas Wasser ein, das er, lauschend an Miß Mansels Thür stehend, langsam austrank. Als er an Deck zurückkam, waren Davenire und Caldwell verschwunden.


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