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Achtzehntes Kapitel.
Land ho

Zehn Tage waren vergangen, seit die Piraten sich des Schiffes bemächtigt hatten. Es war ein wundervoller, sonnenroter Nachmittag; Inseln von schneeweißem Dampf strichen am blauen Firmament dahin, südwärts, hoch über ihren eigenen Schatten auf der See.

Und südwärts zog auch die ›Queen‹ ihre Straße durch die unbegrenzte Weite des Ozeans, die Segel von einer leichten Brise geschwellt. Sie war jedoch nicht mehr ganz das graziöse Fahrzeug, das einst des alten Bensons Stolz gewesen; sie sah etwas zerzaust und verwahrlost aus. Ein Seemannsauge würde auf den ersten Blick erkannt haben, daß sie schweres Wetter zu überwinden gehabt hatte; die Vorbramstenge fehlte, und da sie infolgedessen vorn kein Bram- und Oberbramsegel und auch den Außenklüver nicht mehr führen konnte, so sah sie sich selber kaum noch ähnlich.

Es war fünf Uhr nachmittags. Shannon stand am Ruder; der Hauptmann Trollop kam, Bensons Teleskop unter dem Arm, die Achterdeckstreppe herab, ging eine Strecke nach vorn und blieb dann, zum Vorbramsaling emporblickend, stehen. Dort oben saß Dike Caldwell, mit des verstorbenen Schiffers Opernglas nach Land ausspähend.

»Noch nichts in Sicht?« rief Trollop.

»Doch,« antwortete Caldwell, sich langsam umwendend und hinabschauend. »Land ist in Sicht.«

»Land ho!« schrie Trollop über das Schiff.

»Wo?« riefen sieben Stimmen eifrig durcheinander, und die Gentlemen eilten in Ueberstürzung nach vorn auf die Back.

Caldwell streckte seinen Arm aus; nach dieser Angabe mußte das Land etwa drei Strich voraus im Lee liegen.

»Sollte der nicht eine Wolke für Land halten?« meinte Weston. »Dem schwarzen Maulwurf traue ich nicht, weder als Ausguckmann, noch auch sonst.«

Schnell und gewandt sprang jetzt Hankey in die Takelung hinauf. Caldwell händigte ihm das Glas ein und trat dann schwerfällig wie ein Bär den Rückzug an.

»Nichts von der Brigantine zu sehen?« rief Trollop nach einer kleinen Weile.

Hankey stand frei auf dem Saling, hielt sich mit der Linken am Stumpf der Bramstenge und ließ das Glas über den Horizont schweifen.

»Nichts in Sicht, was einem Segel ähnlich wäre,« berichtete er. »Freilich, Wolkenspitzen in Menge rings an der Kimmung, und da kann man in der That nicht wissen, ob nicht ein Segel darunter ist.«

Caldwell sprang wie eine Kröte von der Reeling an Deck.

»Mein Kompliment, Trollop,« sagte er. »Das Land ist die Insel, die wir suchen. Sie sind ein Seefahrer erster Klasse.«

Trollop legte die Hand an den Hut und drehte dann lächelnd seinen Schnurrbart.

»Von der Brigantine aber keine Spur,« fuhr der Schwarze fort. »Wenn Saunders nicht schon unter Land zu Anker gegangen ist, dann fürchte ich, daß der letzte Sturm ihn verschlagen hat. Kann auch zu Grunde gegangen sein.«

»Solch ein Unglück zu befürchten, wäre etwas verfrüht,« entgegnete Trollop. »Wir sehen hier von Deck aus noch nicht einmal die Insel; warum sollen wir da voraussetzen, daß Saunders nicht zur Stelle sein wird?«

Inzwischen war auch Hankey wieder herabgekommen.

»Ich bewundere Ihre nautische Geschicklichkeit, Trollop,« sagte er, das Glas auf das Oberlichtfenster legend – die Gesellschaft hatte das Achterdeck wieder aufgesucht – »es stimmt alles auf ein Haar.«

Trollop dankte mit einer kurzen Verbeugung. »Jetzt fehlt also nur noch Saunders,« sagte er. »Sollte der ausbleiben – man muß ja alle Möglichkeiten in Betracht ziehen – dann bleibt uns nichts übrig, als den Plan auszuführen, den ich Ihnen allen bereits andeutete – der Not gehorchend, wie der Affe sagte, als er seinen Schwanz zu Mittag verspeiste. Das Gold wird an Land geschafft; ein Teil von uns bleibt als Wache dabei und die andern machen sich im Großboot auf die Fahrt, um mit List oder Gewalt ein Fahrzeug zu kapern, das dann die Stelle der Brigantine vertreten muß. Das Los bestimmt die Rolle, die jedem zufallen soll.«

»Ich bin gegen das Vergraben des Goldes,« warf Weston ein, »und auch dagegen, daß es bewacht werden soll, ganz gleich, von wem.«

»Die Kisten wiegen zusammen ungefähr vierzig Centner,« entgegnete Trollop ruhig. »Meinen Sie, Weston, daß die Wächter während der Abwesenheit des Großboots ein Floß oder sonst ein Fahrzeug konstruieren könnten, das solch eine Last zu tragen vermöchte?«

»Das nicht,« antwortete der Gefragte. »Aber mein Anteil ist dabei an sich allein schon ein großes Vermögen, und ich will nicht, daß ein anderer Mann darüber Gewalt haben soll.«

Caldwell, der an der Reeling lehnte, grunzte Beifall; auch andere gaben ihre Zustimmung zu erkennen.

»Ja, mein lieber Freund,« erwiderte Trollop gelassen, »denken Sie denn das Großboot mit dem Golde zu beladen, wenn die Brigantine ausbleiben sollte?«

»Es würde unter der Last bis zum Dollbord wegsinken,« bemerkte Davenire.

»Ich habe es ausgemessen,« entgegnete Weston; »es trägt vierzig Centner, gehörig verteilt, mit Bequemlichkeit.«

»Wie aber, wenn wir während der Fahrt auf ein Schiff stoßen, das uns für Schiffbrüchige hält und uns beistehen will?« fragte Cavendish. »Den achtzehn Kisten sieht man sogleich an, was sie enthalten, und wenn die hilfbereiten Leute uns mit Fragen über den Hals kommen, was dann?«

»Solchen Schiffen kann man rechtzeitig ausweichen,« sagte Weston.

»Vorausgesetzt, das Großboot trägt das Gold und uns, und auch der Ozean hat ein Einsehen und läßt uns ungeschoren, – welchen Hafen gedenken die Herren dann anzulaufen?« fragte Trollop.

»Das ist Ihre Sache,« antwortete Weston schnell. »In dieser Beziehung trauen wir Ihnen unbedingt.«

»Aber weshalb bleiben wir nicht einfach an Bord dieser Bark, wenn die Brigantine nicht kommt?« ließ Shannon sich vom Ruder her vernehmen.

»An Bord dieser Bark?« wiederholte Mr. Davenire achselzuckend. »Und wenn nun die Passagiere und Mannschaften inzwischen von andern Schiffen aufgenommen wurden und die Kunde von unserer That in alle Welt getragen haben? Wie erginge es uns wohl, wenn man die ›Queen‹ fände und uns darauf?«

»Ich denke, wir ersparen uns vorläufig alles Kopfzerbrechen und warten, bis wir die Insel klar in Sicht haben,« meinte Cavendish; »dann wird sich ja herausstellen, ob Saunders da ist, oder nicht.«

Der Rat war gut und wurde befolgt, was aber nicht verhinderte, daß man unablässig und scharf auslugte. Schon am Tage zuvor hatte man unter Anleitung der Matrosen William und Harry beide Anker klar zum Fallenlassen über den Bug gebracht, um in jedem Moment im stande zu sein, die Fahrt des Schiffes zu unterbrechen, denn aus der Karte hatte man ersehen, daß in dieser Gegend einige gefährliche Riffe und Klippen lagen, deren Situation und Ausdehnung jedoch noch nicht genügend festgestellt war.

Endlich kam die Insel auch vom Deck aus in Sicht; in einer Entfernung von etwa vierzehn Seemeilen zeigte sie sich, durch die Gläser betrachtet, als ein niedriges, zwei Meilen langes Stückchen Land, von weißschäumender Brandung umkränzt und allenthalben dicht und grün bewaldet.

Wo aber war die Brigantine?

Diese Frage dämpfte die Freude, die sich beim Anblick des Eilandes der neun Männer bemächtigt hatte.

Mit Anbruch der Dunkelheit legte sich der Wind, keiner der Neun aber dachte daran, unter Deck zu gehen und sich der Ruhe zu überlassen. Man ratschlagte und überlegte, man stritt und zankte sich und gelangte dennoch zu keinem Resultat. Die Schar war zu vielköpfig; jeder bestand auf seiner eigenen Meinung, jeder wußte, daß seine Genossen sämtlich Halunken, Spitzbuben und noch Schlimmeres waren. So kam die Morgensonne herauf, die wieder eine leichte Brise mitbrachte.

»Der Schuft, der Saunders, hat uns im Stich gelassen!« rief Weston, die Fäuste in die Hosentaschen schiebend und grimmig umherstampfend.

Trollop sah finsteren Blickes nach dem Eiland hinüber; auf seinen Zügen malte sich Enttäuschung und Ratlosigkeit.

»Ich hatte bestimmt gehofft, ihn hier zu finden,« sagte er. »Aller Berechnung und Voraussicht nach mußte er jetzt auch hier sein. Der ›Rival‹ ist ein seetüchtiges Fahrzeug und Saunders mindestens ein ebenso guter Seemann, als ich. Dem sei nun, wie ihm wolle – Thatsache ist, er ist nicht hier, und damit haben wir zu rechnen. Da liegt die Insel Halloran; meine Ansichten über das, was wir nun zu thun haben, sind jedermann bekannt.«

»Lassen Sie uns dieselben noch einmal hören,« sagte Davenire herantretend.

»Ich gebe der Brigantine noch eine Woche Zeit; während derselben kreuzen wir hier auf und ab, immer die Insel in Sicht behaltend. Zeigt sich der ›Rival‹ bis dahin nicht, dann gehen wir dicht unter Land zu Anker, schaffen das Gold auf die Insel und wählen durch das Los diejenigen, die sich im Großboot aufzumachen und ein anderes Fahrzeug zu kapern haben.«

»Wie aber,« wendete der schwarze Caldwell langsam ein, »wenn der ›Rival‹ während der Abwesenheit des Großboots anlangt? Wer hindert dann die zurückgebliebenen Wächter des Goldes daran, sich mit der ganzen Beute auf und davon zu machen?«

»Ja, Mann, etwas Vertrauen muß doch vorhanden sein, selbst unter uns,« entgegnete Trollop sarkastisch; »wie sollen wir sonst überhaupt mit der Sache vorwärts kommen?«

»Da wir auf dies Thema gekommen sind, Gentlemen,« nahm Weston das Wort, »so erkläre ich hiermit ganz unumwunden, daß ich zu keinem einzigen von uns auch nur ein Atom Vertrauen hege, am allerwenigsten zu mir selber.«

Einige der Männer lachten, andere zuckten die Achseln. Mark Davenire setzte sich auf den Rand des Oberlichtfensters und sah nach dem Eiland hinüber.

»Sollen wir nicht so dicht als möglich heranlaufen und dann im Boot einen Abstecher nach dem Lande machen, um uns über die Oertlichkeit zu informieren?« sagte er, zu Trollop gewendet.

»Warum nicht?« versetzte dieser. »Die Idee gefällt mir.«

»Sachte, nicht zu voreilig,« widersprach Shannon, der platt auf den Decksplanken sitzend an seiner Pfeife saugte. »Wer bleibt inzwischen hier an Bord? Mich bringt keiner ins Boot, es wäre denn, daß alle Mann mit mir gingen.«

»Gut,« sagte Davenire, »gehen alle Mann an Land.«

»Und wer bewacht das Schiff?«

»Die beiden Matrosen.«

»Was? Während alle diese Segel stehen?« hohnlachte Shannon.

»Trollop hat die beiden Leute ausdrücklich zu diesem Zweck an Bord behalten,« bemerkte Caldwell. »Sie sollten das Schiff beaufsichtigen, während wir am Lande sein würden.«

»Ganz recht,« fiel der Genannte ein, »vorher aber sollten die Segel festgemacht und die Bramstengen an Deck gegeben werden.«

Davenire stand auf.

»Es ist außer Frage,« begann er, »daß wir zu einander das Vertrauen nicht haben, das Trollop, wie es scheint, so gern in uns erwecken möchte. Ebenso unfraglich ist es, meines Erachtens, daß wir jene Insel besichtigen müssen; das Wetter ist herrlich und ganz geeignet zu einem Abstecher nach dem Lande. Trollop schlägt vor, noch eine Woche hier herum zu kreuzen; ehe ich mich damit einverstanden erkläre, wünsche ich meinen Anteil an der Beute sicher auf dem Lande zu wissen, leicht zu erreichen und dabei geborgen vor allen Zufälligkeiten und Gefahren der See. Aber, wie gesagt, die Insel möchte ich besichtigen, und Sie alle hegen wohl das gleiche Verlangen. Ich schlage daher vor, wir gehen in der Nähe der Küste zu Anker und begeben uns dann an Land.«

»Wir alle?« fragte Caldwell.

»Wir alle,« nickte Davenire.

»Sollen wir das Schiff und all das Gold den beiden Matrosen anvertrauen?« warf Shannon mit gedämpfter Stimme ein.

Davenire kam näher.

»Wie sollen die beiden den Anker aus dem Grunde bringen?« fragte er leise, um von den mittschiffs herumlungernden Matrosen nicht gehört zu werden.

»Sie können das Kabel schlippen lassen,« hauchte Hankey.

»Wir müssen natürlich das Schiff im Auge behalten,« versetzte Davenire nach kurzem Besinnen. »Ehe sie Segel setzen und das Schiff in Fahrt bringen können, haben wir sie mit dem Boote längst wieder erreicht. Aber solch ein Gedanke kommt ihnen gar nicht in den Kopf. Sie wissen genau, was ihnen bevorstünde, wenn wir sie eingeholt haben. Wer also mit mir einverstanden ist, der hebe die Hand auf.«

Alle erhoben die Hände, Trollop ausgenommen.

»Wenn Sie auch anderer Meinung sind, so werden Sie dennoch mit uns kommen, nicht wahr?« forschte Caldwell lauernd.

»Ich werde mitkommen, weil man mir ein Zurückbleiben doch nicht gestatten wird,« antwortete Trollop. Damit wendete er den übrigen den Rücken und schaute über die See hinaus.

Er rührte keine Hand mehr, weder bei dem Brassen der Raaen, noch bei den Vorbereitungen zum Ankern, noch auch bei dem Aussetzen des Großbootes, des einzigen, das der Bark geblieben war. Ehe letzteres geschehen konnte, war es drei Uhr nachmittags geworden. Das Boot wurde mit einem Segel und sechs langen Reemen ausgerüstet. Jeder der Männer versah sich mit Waffen.

»Gesetzt den Fall, daß während unserer Abwesenheit jemand kommt und das Schiff anruft,« sagte Burn, als man sich anschickte, über die Fallreep zu gehen, »was soll dann die Antwort sein?«

»Ich möchte wohl wissen, wer dieser jemand sein sollte,« entgegnete Davenire achselzuckend. »Die See liegt wie eine Glasplatte, so weit das Auge reicht, ist nichts in Sicht, und außerdem werden wir nur wenige Stunden abwesend sein. Das Schiff kann also von niemand angerufen werden, es müßte denn gerade ein Komet daherkommen.«

»Sehr richtig,« pflichtete Johnson bei. »Und selbst wenn William und Harry eine Verräterei beabsichtigen sollten, so könnten sie in dieser Stille mit der Bark nichts anfangen.«

»Das Wetter wird über Nacht so bleiben,« sagte Davenire; »morgen schaffen wir das Gold an Land und damit haben alle Gefahren, soweit dies Schiff in Betracht kommt, ein Ende. Das übrige wird sich dann finden, ob Saunders nun eintrifft, oder nicht.«

Damit stiegen alle in das Boot hinab. Trollops Kommando schien plötzlich sein Ende erreicht zu haben und es ließ sich an, als sollte der fernere Verlauf dieses Abenteuers sich unter Davenires Führung vollziehen.


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