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Elftes Kapitel.
Der Ueberfall

Der Doktor begab sich mit dem Steuermann in dessen Kammer.

»Ich hoffe inständigst,« sagte der letztere, den Kasten hervornehmend, der seinen Sextanten enthielt, »ich hoffe inständigst, daß die Befürchtungen Kapitän Bensons grundlos sind. Ich fahre nun auch schon eine lange Reihe von Jahren zur See, habe aber noch nie gehört, daß die Passagiere sich empörten und das Schiff in Beschlag nahmen.«

»Das glaube ich Ihnen,« versetzte der Doktor. »Es ist aber nicht zu leugnen, daß diese Zehn eine unangenehme, verdächtige Gesellschaft sind.«

»Einige davon gefallen mir allerdings nicht. Dieser Caldwell sieht so aus, als könnte er um ein Goldstück Vater und Mutter umbringen, und was Davenire im Traum schwatzt, das dürfte gewiß bei Tage nicht laut werden. Burn, Masters und Weston dagegen scheinen mir ganz gute Kerle zu sein.«

Er legte die Hand auf den polierten, dreieckigen Kasten, wie um nicht zu vergessen, weshalb er gekommen war, und blickte sinnend vor sich nieder.

»Ein seltsamer, ein außerordentlicher Zustand, in dem wir uns befinden,« nahm der Doktor wieder das Wort; »aber je mehr ich darüber grübele, desto fester wird meine Ueberzeugung, daß hier weniger Gefahr, als Einbildung und Furcht vorliegt. Unter uns, Mr. Matthews – der Kapitän trägt seit kurzem eine Reizbarkeit zur Schau, die – nun, die mindestens kein gutes Zeichen ist. Er hat seine sechzig Jahre auf dem Rücken und ein Leben voll von Anstrengungen und Drangsalen aller Art hinter sich. Dazu kommen seit einer langen Reihe von Jahren alle die Verantwortlichkeiten, die ein Schiffsführer zu tragen hat. Sie werden mir zugeben, daß er die gewöhnlich solch einem Manne zugemessene Zeit der Thätigkeit und des Dienstes bereits überschritten hat. Sechzig Jahre bedeuten auf See so viel, wie achtzig Jahre am Lande.«

»Darin haben Sie recht,« pflichtete der Steuermann bei, auf die Uhr sehend und den Sextanten herausnehmend. Seine Gedanken waren bereits an Deck, wo demnächst die Sonne ›genommen werden‹ mußte.

»Ohne Frage. Welchen Rat soll man aber unter solchen Umständen dem Kapitän erteilen?«

»Ja, da sitzt eben der Haken,« nickte Matthews.

»Ich meine, ein Mittel zur Beruhigung der Nerven, sagen wir Bromkali, würde von bester Wirkung sein und diesen krankhaften Argwohn zerstreuen.«

Sie verließen die Kammer. Matthews erstieg das Achterdeck, wo der Schiffer bereits mit seinem Instrument herumhantierte, der Doktor aber suchte seine kleine Kajüte auf, um hier, umwallt von bedrückendem Apothekengeruch und umgeben von Regalen mit einer Unzahl von Flaschen und Fläschchen, sich beim Genuß einer Pfeife Tabak seinen Grübeleien hinzugeben.

In dem Salon saßen vier von den Zehn beim Whistspiel. Sie handhabten die Karten schweigend und waren anscheinend ganz bei der Sache, sobald sie aber niemand in der Nähe wußten, unterhielten sie sich in halbem Flüstern so lebhaft, daß jeder Beobachter erkannt hätte, daß das Spiel ihnen nur ein Vorwand war. Matthews überflog diese Spieler mit forschendem Blick, ehe er aus dem Gang, der von dem Salon nach dem Hauptdeck führte und in welchem seine Kammer lag, ins Freie trat.

Der Tag war prachtvoll. Die Brise war nach Norden herumgesprungen und wehte frischer; sie schnitzte gleichsam weiße Späne aus den langen, blauen Wogen, und in der Richtung, aus der sie kam, lag der Ozean wie von ungezählten Diamanten glitzernd unter der feurigen Sonne. In der Ferne über dem Buge zu luward, war eine kleine Brigg in Sicht, die auf westlichem Kurse lag; ihre weißen Segel erhoben sich wie ein Schneehügel über der dunkeln Kimmungslinie, für das Auge eine wohlthuende Unterbrechung der endlosen Weite des Horizontes.

Trotz dieses freundlichen Sonnentages aber vermochten sich die Gemüter einer bestimmten Zahl der Passagiere nicht zu erhellen. Während Kapitän Benson mit dem Sextanten vorm Auge die Sonne fixierte, hing manch ein Blick von Unruhe und verhaltener Angst an seiner untersetzten, charakteristischen Gestalt. Mrs. Peacock, der es keine Ruhe ließ, stand von ihrem Deckstuhl auf und näherte sich ihm. Er aber machte ihr eine kurze, abweisende Verbeugung, und sagte: »Entschuldigen Sie, Madam.«

Die Damen, und ebenso Mr. Dent und Mr. Storr, vermochten sich von dem Schreck, der ihnen Miß Mansels Verschwinden verursacht hatte, nicht zu erholen. In den meist geflüsterten Unterhaltungen über dies unheimliche Geschehnis konnte man nicht selten das Wort ›Mord‹ vernehmen, und mehr als ein Paar Augen heftete sich dabei verstohlen auf Davenire, häufiger aber noch auf Caldwell, welche beide miteinander im Lee promenierten, während der Kapitän seine Beobachtung mit dem Sextanten fortsetzte.

Vorn im Logis saßen die Matrosen beim Mittagsmahl. Auch hier drehte sich das Gespräch fast ausschließlich um die Verschwundene.

»Beim heiligen Joseph!« rief John, ein vierschrötiger Mensch mit zottigem Haar und Bart, indem er an einem Stück Salzfleisch sägte, dem eine Platte Hartbrot als Unterlage diente. »Auch noch nicht dagewesen, daß die Mannschaft vor dem Mast den Schiffer gegen seine Passagiere beschützen soll! Jungens, das ist 'ne Neuigkeit für die Janmaaten am Lande.«

»Ich sage, umgebracht haben sie sie nicht,« fing der Matrose Bill an. »Ich sage, sie ist einfach über Bord gefallen, und auch nicht mal mit Willen. Solche jungen Damen haben immer den Kopf voll von Wundern und Romantik, wie sie das nennen. Sie kommen an Deck, wenn sie von Rechts wegen unten bleiben sollten, sie gucken nach den Sternen und freuen sich über die Segel, die das Schiff so still vorwärts ziehen. Wenn sie eine Ratte sehen, dann rennen sie und schreien, wenn's aber richtige Gefahr giebt, dann wissen sie nichts davon, wenigstens nicht auf See. Sie hängen sich über die Reeling, sehen mit langem Hals ins Wasser, träumen von ihren Liebsten, und wenn das Schiff einmal unversehens überholt – schwapp liegen sie über Bord.«

»Ihre Zeit war gekommen,« kam es wie Rabengekrächz aus dem Winkel, wo der Matrose Tom saß. »Ihre Seele hatte Segelordre gekriegt. Darum ist's ganz gleich, wie sie abging, ob sie über Bord fiel oder über Bord sprang, oder ob sie einer umgebracht hat, wie Harry meint.«

»Sie hätte geschrieen, wenn jemand sich an ihr vergriffen hätte,« sagte ein anderer. »Und wenn solch ein Mädel schreit, dann hört's ein Tauber, das kann ich euch versichern.«

»Aber richtig ist's hier schon lange nicht mehr,« begann ein Vierter, der in der Tageshelligkeit unter der offenen Luke auf einer Seekiste saß. »Wie ich vorhin am Ruder stehe, kommt der Dicke, der immer nach Bier riecht – Burn heißt er ja wohl – zu dem Großen mit der silbernen Uhrkette, der hinter mir auf der Gräting saß, und fängt da an zu reden, wie das Verschwinden doch ein Glück wäre – richtig: ›Etwas Besseres konnte uns gar nicht passieren, als dieses Verschwinden‹ – so sagte er, weiter aber kam er nicht, denn der Große schlug ihm mit der Faust gegen den Leib, daß ihm der Atem stehen blieb. Nun frage ich, hat er damit nicht das Verschwinden des Mädchens gemeint? Warum hat der Große ihn denn sonst nicht ausreden lassen? Der Schlag kam zur rechten Zeit. Ich sage euch, Maaten, es spinnt sich was an, da achteraus.« Er stand auf, reckte sich und gähnte, dann schloß er: »Uns geht das ja nichts an. Wer aber wissen will, wie er sich zu verhalten hat – ich meine die da in der Kajüte – der soll hierhin kommen, ins Logis; hier giebt's den besten Rat, und umsonst obendrein.« –

Der Nachmittag verlief ruhig. Die Brise wehte gleichmäßig und günstig. Der Kapitän blieb an Deck und stapfte unermüdlich stundenlang auf seinem beschränkten Terrain zu luward hin und her, einsam und schweigend, ab und zu die Lippen im Selbstgespräch bewegend, das dunkle Antlitz finster und bewölkt. Die Damen saßen mit ihren Handarbeiten unter dem Sonnenzelt; auch sie waren ungewöhnlich schweigsam. Zuweilen schaute die eine oder die andere über das Heck hinaus in die Ferne, als müsse sie an das Mädchen denken, das dort irgendwo im Ozean sein Grab gefunden.

Auch Miß Holroyd befand sich wieder an Deck. Einige der Herren versuchten mit den Damen ein Gespräch anzuknüpfen. Burn machte sich an Mrs. Peacock heran und richtete höflich einige Bemerkungen über das Wetter an dieselbe. Er hatte jedoch kein Glück. Das Gesicht der Dame nahm den starren Ausdruck eines hölzernen Gallionsbildes an, und ihre Lippen blieben geschlossen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen ging Burn leise pfeifend ab.

Mr. Masters wendete sich in seiner untadelhaften äußeren Form an Miß Holroyd. Er nahm neben ihr Platz, wünschte ihr Glück zur Genesung und begann dann von Miß Mansel zu reden. Man sah dem jungen Mann an, daß es ihm hiermit ernst war.

»Schrecklich! Unfaßbar!« rief er aus. »Denken zu müssen, daß diese liebenswürdige, junge Dame jetzt da draußen sein soll, ein Spiel der öden Meeresflut! Was konnte sie nur dazu bewogen haben, sich das Leben zu nehmen? Haben Sie wohl bemerkt, wie schwermütig oft ihre Augen waren? Zuweilen schaute sie vor sich hin, als sähe sie Dinge, die außerhalb ihres irdischen Gesichtskreises lagen.«

»Komm hierher, Edith!« rief Mrs. Holroyd. »Es zieht dort, und du mußt dich noch schonen.«

Man verhielt sich unleugbar ablehnend gegen die Zehn.

Die Nacht hatte keinen Mond mehr, desto glänzender aber funkelten die Sterne. Um acht Uhr abends warf Mr. Matthews das Log; das Schiff lief acht Knoten die Stunde.

Um Mitternacht löste Poole den ›Ersten‹ ab. Eine halbe Stunde später klagte der am Ruder stehende Matrose Bill über plötzliche Schmerzen im Leibe und bat um Ablösung. Poole ging an die Galerie und rief den vorn weilenden Leuten der Wache zu, einen anderen Mann ans Ruder zu schicken. Dies geschah.

»Legt Euch in die Koje,« sagte der ›Zweite‹ zu dem sich vor Schmerzen krümmenden Bill; »sobald ich kann, schicke ich Euch euren Schluck Rum.«

Bill ging die Achterdeckstreppe hinab, kam aber nach wenigen Augenblicken auf den Fußspitzen wieder herauf.

»Der Gang zur Kajüte steht ganz voll von Leuten!« flüsterte er dem Steuermann ins Ohr. »Sehen Sie sich vor, ich habe Revolver gesehen! Unter dem Galeriedach sind auch einige.«

Poole eilte bis an die Treppe und schaute vorgebeugt hinab. Es war ganz finster da unten, er erkannte jedoch den und jenen an den Umrissen.

»Mr. Davenire,« rief er, »was thun Sie und die andern Herren dort zu dieser Nachtzeit?«

Während er auf die Antwort lauschte, hörte er, wie eine Stimme aus dem Knäuel die dumpfen Worte sprach: »Jetzt ist's Zeit – vorwärts!«

Im nächsten Moment sprang Davenire mit der Schnelligkeit eines Panthers die Stufen zum Achterdeck hinauf.

Ein Schauer des Entsetzens durchrieselte den jungen Steuermann, als er in des Mannes Faust einen Revolver erblickte – eines jener ungeschickten Schießgeräte alten Musters, bei denen die sechs Läufe durch ebenso viele Bohrlöcher in einem walzenförmigen Eisenblock gebildet wurden.

»Wenn Sie ruhig sind, soll Ihnen kein Leid geschehen,« rief der herkulische Mann, Poole festpackend.

»Hilfe! Verrat! Mord!« schrie dieser jedoch mit aller Kraft seiner Lungen. »Die Banditen überfallen das Schiff!«

»Seine durchdringende Stimme hallte in den Segeln wider und drang nach vorn, wie ein Bootsmannspfiff.

»Ins Logis mit den Leuten, schnell!« donnerte Davenire seinen Genossen zu und sogleich huschten fünf schattenhafte Gestalten, drei auf der Backbord- und zwei auf der Steuerbordseite, mit Windeseile nach vorn und verschwanden in der um Kombüse, Fockmast und Ankerspill brütenden Finsternis.

»Hilfe!« schrie Poole noch einmal. »Sie überfallen das Schiff!«

Dabei wehrte er sich mit einer solchen Wut und Verzweiflung gegen seinen übermächtigen Angreifer, daß dieser mehrmals beinahe zu Falle kam.

»Wart',« knirschte dieser, »dir stopf' ich den Mund!«

Damit erhob er die schwere Waffe, als wolle er seinem Gegner den Schädel einschlagen, im letzten Moment aber besann er sich noch – einen Mord wollte er nicht auf sich laden. Er faßte den Steuermann am Halse und riß ihn mit unwiderstehlicher Gewalt zur Kampanjeluke.

Der Matrose Bill hatte sich bis zum Kompaßhäuschen zurückgezogen.

»Hier, Bill, faß das Rad an, ich will dem ›Zweiten‹ beistehen,« sagte der Rudersmann, die Speichen loslassend.

Bill griff zu und der andere näherte sich den Kämpfenden.

»Zurück!« schrie Davenire ihn an. »Noch einen Schritt und ich schieße Euch eine Kugel durch den Kopf.«

Der Matrose, der den Revolver auf sich gerichtet sah, blieb zögernd stehen.

»Geht nach vorn!« befahl Davenire. »Und – bei Eurem Leben – verhaltet Euch ganz ruhig!«

Er stieß den zweiten Steuermann kopfüber die Kampanjetreppe hinunter, den im Salon Befindlichen zurufend, ihn in Empfang zu nehmen.

Bill hatte das Ruder nicht übernommen. Das Schiff, das jetzt neun Knoten Fahrt lief, luvte in den Wind auf und schon schlugen die oberen Segel back; es hätte Havarie gegeben, wenn Davenire nicht herbeigesprungen wäre, um das Rad herumzuwerfen und dann in der Hand zu behalten.

Inzwischen hatte der von ihm bedrohte Matrose schleunigst das Achterdeck verlassen, und Bill war demselben gefolgt.

Im Vorderschiff hatte sich die Katastrophe sehr schnell vollzogen. Die Backbordwache lag schlafend in ihren Kojen, und ein paar Mann der Steuerbordwache hockten im Halbschlaf hier und dort in den Ecken herum.

»Was – was giebt's?« rief plötzlich der eine, aufspringend.

»Hinein mit dem Burschen!« brüllte Hankey, und, seinen Mann fassend, fuhr er wie ein Sturmwind mit demselben zur Thür des Logis; den andern Matrosen wurde von Hankeys Genossen in gleicher Weise mitgespielt, und ehe die Mannschaft noch recht begriffen, um was es sich handelte, waren die Logisthüren verrammelt und die Luke auf der Back fest verschlossen.

»Ja, Maaten, was soll denn das bedeuten?« kam eine Stimme aus der hintersten Koje des in ein Gefängnis verwandelten Logis.

Aus einer der Hängematten erschienen ein Paar Beine; aus einer der Kojen plumpte ein Mann auf die darunter stehende Seekiste herab; Tom sprang zur Luke und rüttelte daran, und bald wimmelte der von einer qualmenden Lampe düster erhellte Raum von einem Durcheinander dunkler, unruhiger Gestalten; Fragen und Flüche wurden laut.

»Maaten,« sagte Tom, unter die Lampe tretend und resigniert die Arme über der Brust verschränkend, »Maaten, ich will als altes Weib geboren sein, wenn die zehn Hundsfötter von Passagieren nicht das Schiff gestohlen haben.«

»Hätte ich das vorher gewußt,« begann der Koch, »dann hätte ich mir vom Doktor Arsenik geben lassen und damit einen Pudding gemacht, allein für die Zehn, daß sie daran krepiert wären wie Ratten. Maaten, ich will verhungern, wenn die Spitzbuben uns nicht um all unsere Sachen und unsere sauer verdienten Heuern bringen! Gebt acht, es kommt, wie ich euch sage. Sie werden uns irgendwo an Land setzen, wo es weder Menschen noch Tiere giebt, nichts als Sand und Steine – na, und wie es uns da gehen wird, das könnt ihr euch denken. Und warum werden sie das thun? Weil die Wahrheit durch uns nicht an den Tag kommen soll.«

»Aus mir sollen sie keinen Kannibalen machen!« schrie ein anderer in hellem Zorn. »Ich habe für die Reise nach London angemustert und nach London will ich, und mein Geld und meine Sachen will ich auch behalten! Zum Donner, Leute! Wir sind elf Mann, mit dem Koch zwölf! Sollten wir nicht ausbrechen können?«

Er ergriff einen Besenstiel und stieß damit wütend gegen die verschlossene Luke.

»Still! Horch!« rief einer. »Sie antworten draußen!«

»Ruhe da unten!« ließ sich eine dröhnende Stimme auf der Back vernehmen. »Ruhe da unten und hört, was euch gesagt wird!«

Der Rufer war Peter Johnson.

»Was habt ihr uns zu sagen?« schrie der entrüstete Matrose zurück.

»Wir haben das Schiff in Besitz genommen und gedenken es vorläufig auch zu behalten,« antwortete Johnson. »Wenn ihr euch ruhig verhaltet, soll euch kein Leid geschehen, versucht ihr aber, auszubrechen, dann ist der erste, dessen Kopf sich zeigt, ein toter Mann. Wir sind unserer Zehn, wie ihr wißt, und jeder von uns führt einen sechsläufigen Revolver. Habt ihr mich verstanden?«

Die Matrosen hatten ihn verstanden. Ein Gemurmel, zu einem Gebrüll anschwellend, durchwogte das Logis.

»Sie haben das Schiff und sie haben uns,« ließ endlich Tom sich hören. »Wir thun am klügsten, uns zu fügen.«

Und kühl, wie ein echter Seemann, der an Abenteuer jeglicher Art gewöhnt ist, zog er ein Stück Tabak hervor, schnitt sich eine Pfeife voll und begann zu rauchen. Die andern folgten seinem Beispiel und nach wenigen Minuten brannte das aromatische Kraut allenthalben, so daß das dunkle Gelaß wie mit Glühwürmchen durchsetzt erschien und die Flamme der Lampe den blauen Rauch kaum noch zu durchleuchten vermochte. –

Unter dem Achterdeck, im Salon und in den Kammern war alles so still gewesen, als wäre das Schiff selber in Schlummer gesunken, als das gleichmäßige, eintönige Sausen des Windes plötzlich durch des zweiten Steuermanns gellenden Alarmruf und dann durch Davenires Donnerstimme unterbrochen worden war. Dies war das Signal für Trollop und die drei andern gewesen, in diesem Teil des Schiffes ans Werk zu gehen.

Jeder der Zehn wußte genau, welche Aufgabe er zu erfüllen hatte. Trollop stürzte, den Revolver in der Hand, nach der Kajüte des Kapitäns; Burn und Masters verschlossen die Salonthür und machten sich dann an die Kammern der Dents und der Storrs, während Weston in die des ersten Steuermanns eindrang.

Diesen hatte Pooles Hilferuf aus dem Schlaf geschreckt. Horchend war er aufgefahren; das Herz pochte ihm in den Ohren. Jetzt hörte er Davenires Gebrüll; hastig sprang er aus der Koje und legte die Kleider an – da brach Weston herein.

»Es ist vorbei, Mr. Matthews,« sagte dieser, den Revolver erhebend, »bleiben Sie ruhig hier. Wir haben das Schiff genommen. Die Mannschaft sitzt unter Schloß und Riegel. Schicken Sie sich in das Unvermeidliche – die Sache ist lange nicht so schlimm, wie ein Schiffbruch.«

In einer der nächsten Kammern kreischte eine Frauenstimme; ein Gepolter, als würde ein Mensch die Kampanjetreppe hinabgeworfen, wurde hörbar; wieder ertönte Davenires Stiergebrüll und dann Burns antwortender Ruf.

Der Steuermann war bei dem Anblick des Revolvers gegen die Koje zurückgeprallt.

»Allmächtiger!« rief er. »Wollen Sie uns alle ermorden?«

»Nur mit Ihnen zu plaudern kam ich nicht her, Matthews,« entgegnete Weston. »Ermorden will Sie niemand. Sie sind ein guter Kerl, wir mögen Sie leiden, das wissen Sie; thun Sie uns nun auch den Gefallen und bereiten Sie uns keine Schwierigkeiten – schon in Ihrem eigenen Interesse,« schloß er, mit einem bezeichnenden Blick auf den Revolver.

Der Steuermann stand in dem matten Schein seiner kleinen Wandlampe regungslos und stumm. Weston verließ rückwärts schreitend die Kammer, zog den Schlüssel ab und schloß von außen zu.

»Ich fürchte, daß Davenire dem ›Zweiten‹ das Genick gebrochen hat,« sagte Masters zu Weston.

»Dem Poole? Wo ist er?«

Masters wies kopfnickend nach Caldwells Kammer.

»Eingeschlossen?«

»Ja.«

»Zum Henker mit allem Mitleid!« rief Weston knirschend. »Wo steckt Burn?«

Der dicke Mann trat gerade in diesem Augenblick aus einer der Kammern heraus; hinter ihm wurde Weibergeschrei vernehmbar.

»Sind wir hier fertig?« fragte Weston.

»Ich denke,« lächelte Burn, mit den Schlüsseln in seiner Tasche klappernd.

»Wo nur Trollop bleibt!« bemerkte Masters.

Ein schrilles Gekreisch erscholl aus einer Kammer.

»Ich wollte, die Hexe erstickte!« knurrte Weston. »Wer ist es?«

»Mutter Peacock,« antwortete Burn.

»Mir thun die Holroyds leid,« sagte Masters finster. »Ein gemeines, nichtswürdiges Stück Arbeit, gegen Damen so verfahren zu müssen! Beide waren ganz wach und sahen mich an mit Augen – o, mit Augen!« Er zischte einen Fluch hervor. »Ich wollte, wir hätten erst alles hinter uns! – – Zum zweitenmal lasse ich mich auf solch eine elende Schurkerei nicht ein!«

Weston warf ihm einen bösen Blick zu.

Wieder hörte man die mächtige Stimme des am Ruder stehenden Davenire.

»Hinauf, Burn,« sagte Weston, »fragen Sie, was er will.«

Während der dicke Mann in Ueberstürzung die Treppe emporsprang, trat Trollop langsam aus der Kajüte des Kapitäns heraus.

Masters stieg auf einen Stuhl und schraubte die Flamme der während der ganzen Nacht im Salon brennenden Lampe zu voller Helligkeit. Oben an Deck wurden Schritte laut; einige der Männer waren von vorn zurückgekommen und lugten nun durch die geschlossenen Oberlichtfenster hinab.

»Wie steht's mit dem Alten?« fragte Weston.

»Der Schiffer ist tot,« versetzte Trollop gelassen.

»Was!« rief Weston fast erschrocken, »Sie Und sein Blick streifte den aus Trollops Tasche hervorragenden Revolverkolben.

Die Stufen der Treppe erknarrten unter Davenires Tritten, als dieser jetzt in den Salon kam.

»Nun, wie sieht's hier aus?« rief er, sich umschauend.

»Der Steuermann ist in Sicherheit, alle übrigen auch,« antwortete Weston. »Also der Schiffer ist tot?« wendete er sich an Trollop.

»Kommen Sie und sehen Sie selber,« versetzte dieser.

Damit schritt er, gefolgt von Davenire, Weston und Masters, wieder der Kapitänskajüte zu. Hier brannte zur Nacht eine kleine Wandlampe, ähnlich der in des Steuermanns Kammer. Das Gelaß war groß und geräumig, das beste im ganzen Schiffe. Ein Mahagonitisch war mit nautischen Instrumenten bedeckt. Der alte Benson, wenngleich ein Junggeselle, war Eigentümer eines Hauses daheim in England, sein eigentliches und liebstes Heim aber war seine Kajüte an Bord, das ersah man aus der sorgfältigen, liebevollen Ausstattung derselben, dem eleganten, schwingenden Bett, den Schränken aus edlem Holz, der bequemen Waschtoilette, dem kostbaren Barometer, den Büchern, den Bildern und dem weichen Teppich.

Und auf diesem Teppich lag er jetzt ausgestreckt auf dem Rücken, starr und tot – in seinen rotwollenen Unterbeinkleidern und dem großen Lotsenrock, den er erst halb angezogen hatte.

Davenire und Masters gingen dicht heran und betrachteten das regungslose Antlitz.

»Ich habe ihm nichts gethan,« sagte Trollop, die Frage beantwortend, die er durch das allgemeine Schweigen an sich gerichtet fühlte.

»Tod infolge von Apoplexie,« brummte Davenire, sich wieder aufrichtend.

»Wir wollen ihn in sein Bett legen,« schlug Masters vor. »Fassen Sie mit an, Davenire.«

Sie legten ihn in das Bett und Masters deckte ihn zu. Dann berichtete Trollop:

»Als ich die Thür aufgerissen hatte und hereinsprang, um ihn zu überrumpeln – ich konnte ja nicht wissen, wie er mich empfangen würde – da schwang er sich gerade aus seinem Bett. ›Was soll das heißen?‹ schrie er mich an. ›Was wollen Sie hier in meiner Kajüte? Hinaus, Sie Schurke! Wo ist Mr. Matthews?‹ Dabei rannte er, holte seinen Rock und wirtschaftete damit umher, um hinein zu kommen. ›Wir haben uns in Besitz des Schiffes gesetzt,‹ erklärte ich ihm und zeigte meinen Revolver, ›und ich irre wohl nicht, wenn ich annehme, daß Sie so etwas von uns auch erwartet haben. Sie, Kapitän Benson, sollen sich jeder Rücksicht unsererseits zu erfreuen haben –‹ Weiter gelangte ich nicht, denn der alte Herr fing plötzlich an, Gesichter zu schneiden, wurde dunkelblau, griff nach seinem Halse und stürzte dann rücklings nieder. Ich wollte ihn aufheben, sah dann aber, daß er bereits verschieden war.«

Trollop schwieg, zupfte an seinem Schnurrbart und schaute melancholisch zum Bett hinüber.

Davenire schritt an das Bett heran und betrachtete den Leichnam wohl eine Minute lang.

»Kapitän Benson wird auf dieser Welt kein Schiff mehr kommandieren,« sagte er langsam. »Aber so ist's mit diesen alten Hitzköpfen; sie wissen sich niemals in eine veränderte Lage zu fügen.«


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