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Fünfzehntes Kapitel.
Das Gold

Die ›Queen‹ rauschte unter vollen Segeln und leicht nach Lee übergeneigt durch die von der Morgensonne bestrahlte, frisch bewegte Flut. Hinter ihr in weiter Ferne, war ein weißblinkender Punkt sichtbar, eins der Boote. Fünf Glasenschläge waren soeben verklungen; die Uhr war halb sieben.

Die Zehn hatten die lange vorher festgesetzten Rollen nunmehr unter sich verteilt. An des alten Benson Stelle marschierte der Hauptmann Trollop auf dem Achterdeck, allerdings nicht wie ein Seemann, sondern wie ein Soldat. Mr. Walther Shannon stand in Hemdärmeln am Ruder, und das schnurgerade Kielwasser bewies, daß er trefflich zu steuern verstand. In der Thür der Kombüse lehnte Mr. Peter Johnson; er plauderte mit Mr. Paul Hankey und Mr. Alexander Burn. Er stand nur in Hemd und Beinkleidern und hatte die Aermel aufgestreift; der Rauch aus dem Schornstein kräuselte lustig nach Lee hinaus über die See. Peter Johnson war der Koch der ›Queen‹ und hatte sein Amt in aller Form angetreten, indem er Feuer anmachte, die Kessel mit Wasser füllte und die Vorbereitungen zum Frühmahl traf.

Zwei der Matrosen waren an Bord zurückbehalten worden, William und der Däne Harry. Sie hatten sich, wenn auch widerwillig, der Gewalt gefügt und drückten sich nun finster und mürrisch beim Ankerspill herum.

Masters, Davenire und Weston hatten sich dem auf dem Achterdeck promenierenden Trollop angeschlossen.

»Ich bin mir noch immer nicht recht klar darüber, aus welchem Grunde jene beiden Matrosen an Bord bleiben mußten,« sagte der Erstere, zu Trollop gewendet.

»Himmel!« brummte Davenire. »Wie oft ist das schon besprochen worden!«

»Vielleicht in meiner Abwesenheit,« versetzte Masters. »Ueberhaupt hat es euch von Anfang an beliebt, mich über vieles im Ungewissen zu lassen, mich und auch Burn. Ihr habt Geheimnisse vor uns, das ist nicht kameradschaftlich und wider die Verabredung.«

»Sehr richtig,« sagte Davenire kalt. »Aber um so besser für Sie, Masters.«

»Hören Sie zu, Masters,« begann Trollop, den jungen Mann, dessen Antlitz von Unmut gerötet war, von der Seite ansehend; »Sie wissen doch, daß wir ankern müssen, wenn der ›Rival‹, die Brigantine, bei unserm Eintreffen bei der Insel nicht zur Stelle ist. Da sind hundert Dinge möglich, die ihre Ankunft verzögern können. Ferner kann es sich ereignen, daß wir unliebsame Begegnungen haben, vielleicht mit einem Walfischfänger, oder einem von seinem Kurse verschlagenen Passagierschiffe, oder gar mit einem amerikanischen Kriegsfahrzeug. Es kann uns aber unmöglich daran liegen, uns ausfragen zu lassen. Finden wir die Brigantine nicht vor, dann muß das Gold sogleich an Land geschafft werden. Selbstverständlich wird jeder von uns dabei sein wollen, denn wir sind keine Busenfreunde und trauen einander nur so weit, als wir uns sehen.«

»Hahaha!« lachte Weston.

»Hahaha!« lachte auch Davenire.

»Wenn wir nun aber alle Mann an Land gehen,« fuhr Trollop fort, »dann muß das Schiff inzwischen doch bewacht werden, und dazu haben wir die beiden Matrosen zurückbehalten.«

»Und hernach?« forschte Masters.

»Kein Mensch kann in die Zukunft blicken, Sam,« sagte Davenire.

»Hernach gehen wir wieder an Bord und halten uns in der Nachbarschaft der Insel, bis die Brigantine kommt,« antwortete Trollop. Dann blieb er stehen, als fiele ihm plötzlich etwas ein. »Bei George!« rief er. »Wir haben den alten Benson ganz vergessen.«

»Nur keine Ceremonie!« brummte Davenire.

»Er war ein braver Seemann,« sagte Trollop. »Das Meer wird sein Grab und das Aufplätschern des Wassers sein Requiem sein.«

»Geben wir ihm seinen Cylinder mit auf die Reise?« lachte Weston.

Masters wendete sich unwillig ab und ging nach hinten, wo er sich neben Shannon stellte und auf den Kompaß schaute.

»Daß wir den Laffen mit in unser Unternehmen gezogen haben, war ein dummer Streich,« brummte Davenire. »Der hat nämlich ein Herz. Ich glaube, er trauert um Miß Mansel. Wäre ein Verrat möglich, er käme von seiner Seite.«

»Er soll nicht landen, wo ich lande,« versetzte Trollop. »Nehmen Sie die Angelegenheit mit dem alten Benson in die Hand, Davenire, damit wir das noch vor dem Frühstück hinter uns haben.«

Kapitän Benson lag noch so da, wie sie ihn verlassen hatten. Er schlief den Schlaf, den nichts mehr stören kann. Davenire, Weston und Hankey traten in die Kajüte. Sie standen und sahen hernieder auf das bleiche Antlitz, das weiße Haar und die regungslose Gestalt. Hankey erschauerte, faßte mechanisch in seinen schwarzen Bart und drehte sich um.

»Ich wollte, Sie hätten mich damit verschont, Davenire,« sagte er, und plötzlich eilte er hinaus.

»Der hat seine Leber im australischen Busch gelassen,« murmelte Davenire achselzuckend. »Wir schaffen's auch allein.«

Sie nahmen die Leiche aus dem Bett und legten sie auf ein zu diesem Zweck mitgebrachtes Stück Segeltuch. Zwanzig Minuten später erschienen sie mit ihrer Bürde an Deck.

»Was giebt's da?« gröhlte Caldwell von der Back her.

»Ein Paket für Poseidon,« rief Davenire zurück. »Wollen Sie die Bestellung übernehmen?«

»Bei Sankt Peter!« sagte Harry der Däne zu seinem Gefährten William, der neben ihm an der Thür des Logis lehnte, »da bringen sie den toten Kapitän! Und der große Spitzbube treibt noch Spott mit seinem Leichnam! Ich könnte ihm mein Messer in den Wanst stoßen!«

»Will uns niemand helfen, dem Schiffer den letzten Dienst zu erweisen?« rief Davenire über das Deck.

»Gewiß,« antwortete Burn von der Galerie des Achterdecks herab. »Aber etwas mehr Ernst und Feierlichkeit wäre doch wohl am Platze; wenigstens sollte man den Hut abnehmen und schweigen, wenn er bestattet wird. Der Verstorbene war Kapitän dieses Schiffes und ein ganzer Mann.«

»So kommen Sie her und übernehmen Sie die Sache an meiner Stelle,« entgegnete Davenire mit einem haßerfüllten Blick auf den Sprecher. Damit stieg er die Backbordtreppe zum Achterdeck hinauf.

Burn sprang die Stufen auf der andern Seite hinab. Er warf seinen Hut zur Seite, Weston aber blieb bedeckt. Von vorn her kamen die beiden Matrosen herzugeeilt.

»Ist das der Kapitän?« fragte Harry.

»Ja,« antwortete Weston, und er und Burn hoben die Leiche auf. Der Däne zog die Kappe ab und William folgte seinem Beispiel.

»Ich glaube, Sie haben recht, Burn,« murmelte Weston und entblößte nun auch den Kopf, ein gleiches thaten verschiedene der umstehenden Zuschauer. Davenire und Caldwell behielten trotzig die Hüte auf, ebenso Shannon am Ruder.

Sie hoben den toten Schiffer über die Reeling und ließen ihn in das Meer gleiten, das ihn mit dumpfem Aufrauschen begrüßte. Kapitän Bensons Stätte auf Erden war leer ...

Eine halbe Stunde später setzten die Neun sich gleichmütig und in bester Laune im Salon an die von Weston und Burn hergerichtete Frühstückstafel. Schiffe wie die ›Queen‹ pflegten mit feinerem Proviant für die Kajüte stets auf das reichlichste ausgerüstet zu sein, um allen Anforderungen der Passagiere genügen zu können. Die Vorratskammer der Bark befand sich im hinteren Schiffsraum, im sogenannten Lazarett; gegenwärtig aber lag noch keine Veranlassung vor, diesen Raum aufzusuchen, da des Stewards Pantry mit Speisen und Getränken noch vollauf versehen war. Trollop hatte Bensons Platz eingenommen, Peter Johnson saß in Mr. Matthews Stuhl. Davenire, der Backbordwache zugeteilt, war zur Aufsicht des Schiffes an Deck geblieben. Die beiden Matrosen saßen in der Kombüse und schwelgten in Kaffee, gebratenem Speck und weißem Schiffsbrot aus der Kajüte.

»Ist das nicht genug?« schmunzelte William.

»Ja,« sagte Harry kauend. »Ich möchte zwar nicht für anderer Leute Spitzbubenstreiche an den Galgen kommen, aber jeden Morgen gebratenen Speck zum Frühstück, das könnte mir schon gefallen.«

»Wir sind keine Seeräuber, wenn wir jetzt auch Seeräubern dienen müssen,« meinte William. »Ich werde mir um das, was hernach kommt, nicht den Kopf zerbrechen. Was geht es uns an, wer das Kommando an Bord hat? Bei Benson gab's keinen gebratenen Speck. Bei diesen hier giebt's Speck und gute Bezahlung obendrein – so ist's uns versprochen. Außerdem können wir nichts ändern, wenn wir auch wollten.«

Harry beschäftigte sich mit seinem Speck und schwieg; man konnte ihm jedoch ansehen, daß er mit Williams' Auffassung so ziemlich einverstanden war.

Im Salon tafelte man inzwischen fürstlich, wobei manches Lob für den Koch, Mr. Peter Johnson, abfiel.

»Hören Sie, Hankey,« rief Masters vom unteren Ende der Tafel her, »Sie sind ja wohl in diesen Meeresgegenden bekannt?«

»Nun, und wenn?« entgegnete Hankey.

»Meinen Sie, daß die Damen in den Booten Aussicht haben, bald von des Weges kommenden Schiffen aufgenommen zu werden?«

»Das gehört nicht hierher,« fiel Trollop barsch ein. »Sobald wir mit dem Frühstück fertig sind, dann wollen wir das Gold holen und hierher in die Kajüte schaffen.«

»Bravo!« rief Shannon mit vollem Munde.

»Verstauen wir's wieder, nachdem wir's uns angesehen haben?« fragte Weston.

»Ja, aber nicht, wo es jetzt liegt.«

»Und wo liegt es jetzt?«

»Im Raum beim Großmast.«

»Angenommen also, es läge da,« versetzte Weston, »soll es dann hernach nicht wieder dort verwahrt werden?«

»Angenommen, es läge da –?« wiederholte Trollop gedehnt und mit einem grimmigen Blick auf Weston.

»Nun, angenommen, es läge nicht da, wenn Ihnen das besser gefällt,« entgegnete dieser ruhig.

Trollop sah ihn noch einmal durchbohrend an und fuhr dann fort:

»Ich schlage vor, wir verstauen das Gold in einer dieser Kammern.«

»Dagegen erhebe ich Einspruch,« sagte Weston.

»Weshalb? Was fürchten Sie?« fragte Hankey spöttisch.

»Ich fürchte, daß auf uns alle zehn kein Verlaß ist. Soll ich etwa auch dafür noch verantwortlich sein?« Und Weston erhob die rechte Hand und machte damit Gebärden des Sägens, Bohrens u. s. w.

»Was das anbelangt,« versetzte Trollop, »so ist das Gold an dem einen Ort ebenso unsicher aufgehoben, wie an dem andern, vorausgesetzt, daß wir die Halunken sind, für die Weston uns zu halten scheint.«

»Es handelt sich hier nicht um eine Kleinigkeit,« entgegnete Weston, »und es erscheint mir doch wünschenswert, daß wir uns nach Beendigung der Reise unter gegenseitiger Hochachtung und Dankbarkeit zu trennen vermögen. Jedenfalls hat Trollop ehrenhaft gehandelt, als er die Wagschale mit an Bord brachte, so daß sich später niemand für übervorteilt halten kann. Wenn aber die Goldkisten in einer dieser Kammern untergebracht werden, wer kann dafür einstehen, daß ich mich nicht in einer stillen Nacht mit Laterne und Werkzeugen in diese selbige Kammer einschließe und mir mehr von dem Golde zueigne, als Trollop mir zuzuwiegen gedenkt?«

»Sie besitzen unser volles Vertrauen, Patrick,« sagte Masters.

»Gentlemen,« nahm Trollop das Wort, »für alles, was ich thue, habe ich meine Gründe, im Interesse von unser aller Wohl. Lassen Sie Feuer an Bord ausbrechen, lassen Sie uns eine der hundert Gefahren zustoßen, die eine Fahrt in diesen nur unvollkommen bekannten Gewässern mit sich bringen kann, so daß wir das Schiff schnell verlassen müssen, dann, Weston, ist das Gold hier« – er deutete mit dem Daumen über die Schulter nach den Kammerthüren – »bei der Hand und bald ins Boot geschafft. So schnell wir uns selber retten, retten wir dann auch das Gold und erreichen damit auch im Falle höchster Not noch den Zweck, der allein uns hier an Bord führte.«

Weston schwieg.

»Und wer bewahrt den Schlüssel zur Goldkammer?« fragte Peter Johnson.

»Der Mann am Ruder. Der Ablösende erhält jedesmal den Schlüssel eingehändigt,« antwortete Trollop.

»Sehr gut,« nickte Shannon.

Masters erhob sich.

»Zunächst dächte ich, müssen wir uns überzeugen, ob Poole, der zweite Steuermann, unserm Freunde Hankey auch keinen Bären aufgebunden hat,« sagte er, »und ob das Gold auch wirklich an Bord ist.«

Damit ging er hinaus an Deck. Alle andern folgten ihm, Trollop kühl und würdevoll. Mittschiffs angelangt, gebot er, die Deckel der Großluke abzunehmen. Alle drängten sich herzu und schauten in den geöffneten Raum hinab. Die Wollballen reichten nicht bis unter das Deck, zwischen ihnen und den Decksbalken konnte ein Mann gebückt stehen. Davenire, Hankey, Trollop und einige andere sprangen hinab. Der Schaft des Großmastes war durch einen aus neuen, starken Planken hergestellten, kastenartigen Verschlag verdeckt. Hankey stieß einen Jubelruf aus.

»Hurra!« schrie er. »Genau so, wie Poole es mir beschrieben hat! Aexte her, wir müssen den Kasten aufbrechen!«

Trollop kam herzu; es war dunkel hier unten, da die Lukenöffnung gegen zwölf Fuß weit entfernt war. Weston und Caldwell schafften Aexte, Beile, einen schweren Hammer und andere Werkzeuge herbei, und Davenire und Hankey machten sich an die Arbeit. Mehr als zwei Mann konnten des beengten Platzes wegen dabei nicht angestellt werden. Der zu sprengende Behälter war außerordentlich fest; die Bretter hatten die Stärke von Decksplanken, und das Ganze war mehrfach von eisernen Schienen umklammert.

Während das Holzwerk unter den gewaltigen Axtschlägen krachte und splitterte, standen die unthätigen Genossen auf den Wollballen unter der Lukenöffnung und warteten mit gespanntester Aufmerksamkeit auf das Ergebnis. Sie warteten lange, lange. Endlich gab die vordere Wand des Verschlages nach und der ganz erschöpfte Davenire riß die letzten Planken weg. Hankey steckte den Kopf in die gähnende Oeffnung. Er gewahrte eine Anzahl aufeinander gepackter Kisten; der ganze Stapel war mit Ketten verschnürt.

Auf seinen Ruf kamen die übrigen herbei. Die Freude der Männer beim Anblick der Kisten war unbeschreiblich. Enthielten sie doch ein großes Vermögen für jeden von ihnen. Jenes Gold, in Münze umgesetzt, sicherte allen ein behagliches Dasein; jetzt gab es für sie keine Arbeit mehr, jetzt brauchten sie nicht mehr zu graben und Holz zu fällen, nicht mehr auf elenden Winkelbühnen hinter qualmenden Lampen jämmerliche Rollen zu spielen, nicht mehr vor dem Mast zur See fahren, nicht mehr mit Karten und Würfeln zu betrügen, nicht mehr im Kampfe ums Dasein zu jenen Mitteln zu greifen, die gegen die Gesetze verstießen, das Gewissen belasteten und den Schlaf mit schrecklichen Träumen erfüllten – Erfahrungen, von denen jeder der zehn Männer reichlich zu erzählen wußte.

Sie betrachteten die Kisten und klopften daran.

»Hart wie Gold,« sagte Trollop. »Die Ketten müssen durchgefeilt werden.«

Hankey sprang an Deck hinauf, rannte in das Matrosenlogis, entnahm der Werkzeugkiste des Zimmermanns zwei große Feilen und kehrte damit in den Raum zurück. Gleich darauf wurde das quiekende Knirschen des Eisens vernehmbar. Die Arbeit war mühselig und schritt nur langsam vorwärts. Alle lösten einander dabei ab. Trollop begab sich in den Salon und sah nach der Uhr. Es fehlten noch fünf Minuten an zwölf. Er holte den Sextanten des verstorbenen Kapitäns und ging damit auf das Achterdeck, wo der Matrose William am Ruder stand.

Der Hauptmann mußte Uebung in dergleichen Dingen haben, denn er handhabte das Instrument mit der Sicherheit eines Navigators von Beruf. Als er das Besteck ausgerechnet und dadurch erfahren hatte, wo das Schiff sich gegenwärtig befand, verfügte er sich wieder zur Großluke. Hier hatte man inzwischen das Durchfeilen der Ketten beendet. Die Arbeit in dem heißen, dumpfigen Schiffsraum war sehr anstrengend gewesen; Mrs. Peacock hätte in den verwilderten, erhitzten, besudelten, nur mit Hemd und Hosen bekleideten Gestalten die Herren nicht wiedererkannt, die zu Bensons Zeiten so kühl und gestriegelt und elegant mit ihr an derselben Tafel gesessen. Jetzt sahen sie aus, als kämen sie unmittelbar aus dem australischen Busch.

»Sollen wir die Kisten an Deck bringen?« fragte Davenire.

»Wieviel sind's?« entgegnete Trollop.

»Achtzehn Stück, große und kleine; jeder von uns hat sie dreimal gezählt.«

»Gut. Herauf damit.«

Die Kisten wurden aus dem Raum geschafft und nach Trollops Anweisung auf dem Achterdeck neben dem hinteren Oberlichtfenster niedergesetzt. Hankey brachte Hammer und Stemmeisen aus der Zimmermannskiste herbei und machte sich an das Oeffnen der ersten derselben. Seine neun Genossen standen um ihn herum.

Auf ihren Gesichtern spiegelten sich jetzt alle niedrigen Empfindungen und Leidenschaften, deren die Menschennatur fähig ist. Es war, als ob ein satanischer Zauber von diesen Goldkisten ausgehe und die in jedem der Männer schlummernde Bestie erweckt habe; alles, was auf diesem und jenem der Gesichter bisher noch eine höhere Veranlagung angedeutet hatte, war verschwunden, nichts war geblieben, als das Charakterzeichen tierischer Gier und Brutalität.

Hankey führte seine Werkzeuge mit Meisterschaft. Die eisernen Bänder fielen, der Deckel hob sich, und die Zuschauer brachen in ein Triumphgebrüll aus. Es war mancher unter ihnen, der nicht erst lange hinzuschauen brauchte, um zu erkennen, was ein Nugget sei. Keiner aber unterfing sich, den Inhalt des gerüttelt vollen Kastens anzurühren. Derselbe bestand aus Stücken und Stückchen des kostbaren Erzes, bleichgelb von Farbe, eher abgetropfter, trockener Seife gleichend, als dem edlen Metall, das in den Goldmünzen blitzt und als Schmuck auf weißen Armen funkelt.

»Sehen Sie jenen großen Klumpen, Caldwell?« sagte Masters. »Wieviel Mordthaten ließen sich damit wohl bezahlen?«

»Zum Teufel mit Ihnen und Ihrem Moralisieren!« antwortete der schwarze Mann, die blutunterlaufenen Augen langsam gegen den Frager rollend.

»Wieviel Flaschen Feuerwasser könnte man dafür kaufen, Sampson?« sagte Weston lachend zu Masters. »Das ist die Frage, die Sie doch wohl am meisten interessiert.«

»Zunageln, Hankey,« gebot Trollop. »Dann die folgende.«

Eine Kiste nach der andern wurde geöffnet, untersucht und sorgfältig wieder verschlossen. Jede war bis zum Rande mit Nuggets oder Goldstaub angefüllt. Man mußte weit zurückschauen in den Annalen der Seeräuberei, um einen annähernd reichen Fang verzeichnet zu finden. Nur eine Bedenklichkeit hatte die Sache – die Beute befand sich noch auf einem zerbrechlichen Schiffe, nur durch wenige Planken von der unermeßlichen Tiefe geschieden; und der Ozean ist so unzuverlässig. Unwillkürlich hob Trollop die Augen und musterte windwärts den Horizont.

Als der letzte Kasten wieder zugenagelt war, transportierte man den Schatz die Kampanjetreppe hinunter und stapelte ihn in der Kammer auf, die ehemals Mr. Storr mit seiner Gattin innegehabt hatte. Dann verschloß Trollop die Thür.

»Nun, Gentlemen,« rief er, den Schlüssel um den kleinen Finger schwingend, »war mein Rat nicht gut? Im Moment der Gefahr ein Sprung – und das Gold ist geborgen. Dagegen im Raum – wie?«

»Sie haben immer recht, Trollop,« sagte Hankey, die Wolle aus seinem Bart zupfend. »Wenn nun aber die Schlüssel der andern Kammern auch passen?«

Sogleich machten die andern sich an die Probe; die Schlüssel erwiesen sich als sämtlich einander ungleich, und alles atmete auf.

Masters hatte sich an dem Experiment nicht beteiligt. Er stand in sich versunken am Fuße der Treppe.

»Wo weilen Ihre Gedanken?« fragte Burn, an ihn herantretend.

»Der Wind nimmt zu,« antwortete der junge Mann, »ich dachte soeben an die Damen in den Booten. Ob sie wohl von einem Schiffe gesehen und aufgenommen worden sind?«


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