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Siebentes Kapitel
Der Kapitän im Zorn

Matthews glaubte nicht recht gehört zu haben, der zweite Steuermann mußte seine Meldung wiederholen.

»Und die Waffen sind gestohlen? Alle? Wann ist das geschehen?«

»Das weiß ich nicht; ich habe den Diebstahl soeben erst entdeckt.«

»Bleiben Sie hier an Deck,« befahl der Obersteuermann; »ich gehe zum Kapitän.«

Als der alte Benson die Hiobspost erhielt, sprang er mit erstaunlicher Schnelligkeit aus seinem schwingenden Bett.

»Was – wer – wer hat das gethan? –« stieß er hervor, während er im Handumdrehen in die Kleider schlüpfte und den hohen Cylinder aufsetzte. »Das ist – ein vorbereiteter Plan – eine Verschwörung – aber wo? Vorn oder achter? Kommen Sie – leise!«

Er öffnete die Thür und trat mit dem Steuermann hinaus.

»Schicken Sie mir Mr. Poole,« flüsterte er und huschte nach der Kammer des ›Zweiten‹. Hier brannte eine kleine Wandlampe. Der Deckel der Waffenkiste war offen; während er noch in dieselbe hineinstarrte, erschien Poole.

»Was heißt das?« schnaubte der alte Benson, auf die leere Kiste deutend.

»Ich habe keine Ahnung,« antwortete der junge Mann, der ganz bleich aussah.

»Sie führen den Schlüssel der Waffenkiste; wo ist er?«

Der ›Zweite‹ öffnete ein Wandschränkchen und nahm einen Schlüssel heraus.

»Hier,« sagte er. Die Diebe haben keinen Schlüssel gebraucht; das Schloß ist aufgebrochen.«

»Wann machten Sie diese Entdeckung?« fragte der Schiffer, seine kleinen Augen überall umherschweifen lassend.

»Soeben erst; bald nachdem Mr. Matthews mich ablöste.«

»Was veranlaßte Sie, gerade jetzt die Kiste zu untersuchen?«

»Die Fragen, die Sie vorher an mich gerichtet hatten.«

»Wo ist die Liste der Waffen?«

Poole durchkramte eine Handvoll Papiere in dem kleinen Wandschrank und reichte dann dem Schiffer ein unsauberes Blatt, mit dem derselbe an die Lampe trat.

»Sieben Musketen,« las er laut, »fünf Flinten, vier Reiterpistolen, fünf andere Pistolen, ein Dutzend Säbel – die Waffen sind im Schiffe, sie müssen gefunden werden – – das Ding gefällt mir nicht, Poole. Daß die Mannschaft dabei beteiligt sein sollte, glaube ich nicht. Es kann nur geschehen sein, als alle Mann an Deck waren und nach dem Feuer auslugten. Wer schläft hier nebenan?«

»Der Hauptmann Trollop und Mr. Weston. Ich kann mir aber nicht denken –« der junge Mann stockte in vollständiger Verwirrung.

»Was? Wie?« forschte der Kapitän gebieterisch.

»Ich kann mir nicht denken, daß die Waffen noch an Bord sein sollten,« stammelte Poole weiter. »Als ich von meiner Wache kam, war das Fenster weit offen, und das Wasser schlug herein. Ich erinnere mich aber genau, daß ich es fest zumachte, ehe ich um acht Uhr an Deck ging. Da – mein Bett ist ganz durchnäßt.«

Er griff in die Koje und zog eine triefende Wolldecke heraus.

»Rufen Sie die beiden Stewards,« befahl Benson nach einer kurzen Pause.

Die beiden aus tiefstem Schlaf Erweckten kamen eilig herbei. Sie waren höchlichst verwundert, den Schiffer zu dieser Stunde in Pooles Kammer zu finden, den hohen Hut auf dem Kopfe und das Antlitz rotbraun vor Erregung, den zweiten Steuermann aber außer Fassung und leichenblaß.

»Trickel,« sagte der Kapitän, »hier sind Spitzbuben gewesen und haben die Waffenkiste geplündert.«

Trickel öffnete den Mund und sah nach der offenen Kiste.

»Haben Sie bemerkt, ob jemand gestern abend im Salon herumlungerte, als alle andern das Feuer betrachteten?«

Der Steward hatte niemand bemerkt, ebensowenig John, der zweite Steward; beide hatten sich unter den Zuschauern auf der Back befunden.

Der Schiffer winkte, und die beiden verschwanden wieder. Langsam und geräuschlos ging er in den Salon und überflog hier die Reihe der Kammerthüren. Eine große Bangigkeit erfüllte sein altes, tapferes Herz. Mußte aus dem Raub der Waffen nicht auf eine Verschwörung geschlossen werden? Und welchen Zweck verfolgten die Verschwörer? Ihm schwindelte, wenn er den Gedanken weiter ausspann. Fast wankten die stämmigen Beine unter ihm, als er auf das Deck hinaustrat, wo der feuchte Wind ihn umrauschte und die Sterne auf ihn herabfunkelten.

Von der Luvseite kam Matthews, von der Leeseite Poole auf ihn zu.

»Nun?« fuhr er gegen den letzteren herum.

»Ich bin ganz fest davon überzeugt,« sagte dieser, »daß die Waffen aus dem Fenster meiner Kammer über Bord geworfen worden sind.«

»Er fand das Fenster, das um acht Uhr geschlossen gewesen war, um zwölf Uhr weit offen und seine Koje unter Wasser,« wendete der Schiffer sich erklärend zu dem ersten Steuermann.

»Ich würde mit Freuden die Heuer dieser ganzen Reise hingeben,« fuhr Poole mit bebender Stimme fort, »wenn ich die Spitzbuben entdecken könnte. Bedenken Sie meine Lage, Kapitän Benson. Sie bringen in Erfahrung, daß ich einen der Passagiere vorher gekannt habe; Sie reden zu mir von den Leuten in einer Weise, die zu erkennen giebt, daß Sie Argwohn gegen dieselben hegen, und gleich darauf wird die Waffenkiste, die ich unter Obhut habe, erbrochen und geplündert! Genügt das nicht, mich zu ruinieren? Und ich habe für eine Frau und eine alte Mutter zu sorgen!«

»Ich habe noch keine Beschuldigung gegen Sie ausgesprochen, Mr. Poole,« versetzte der Kapitän. »Ich bin überzeugt, daß sich alles so verhält, wie Sie sagen. Sie werden uns behilflich sein, die Halunken, die diesen Raub ausführten, ausfindig zu machen. Das Schiff muß gründlich durchsucht werden, Mr. Matthews, und zwar gleich morgen nach dem Frühstück. Besitzen Sie Privatwaffen?«

»Leider nein.«

»Sie?« fragte der Schiffer den zweiten Steuermann.

Auch dieser verneinte.

»Die Leute vorn haben damit nichts zu schaffen, darauf will ich wetten,« murmelte der alte Herr nach längerem Schweigen. »Nun, warten wir ab.«

Dem am Ruder stehenden Matrosen war nicht verborgen geblieben, daß sich etwas Außergewöhnliches zugetragen haben mußte. Nach der Ablösung um zwei Uhr erzählte er seinen Wachgenossen, daß der ›Alte‹ bis an die Zähne bewaffnet auf dem Achterdeck umherliefe, und daß die beiden Steuerleute, die vom Schiffer ebenfalls Revolver erhalten hätten, ihm Gesellschaft leisteten.

»Was mag denn los sein?« fragte der Matrose Bob, seine Augen mit den harten Fäusten reibend, um sich zu ermuntern.

»Hier vorn ist doch alles in Ordnung,« bemerkte ein anderer. »Der Janmaaten wegen brauchen sie doch nicht mit den Schießdingern herumzulaufen.«

»Vielleicht wollen ihnen die Damen zu Leibe,« grinste Bill.

»Eher wohl noch die feinen Kunden, die wir in ihrer nagelneuen Kluft und den nagelneuen Stiefeln und Hüten immer so vorkommen, wie Wachsfiguren, die aus einer Schaubude ausgebrochen sind,« sagte ein dritter. »Da ist besonders der eine, der Lange mit dem großen Schnurrbart, der weiter nichts thut als lauern und spionieren – ich lasse mich totschlagen, wenn das ein richtiger Passagier ist.«

»An die Lee-Großbrasse!« rief der Steuermann von hinten her, um dem Kopfzusammenstecken ein Ende zu machen. –

Der Morgen kam und mit ihm die Frühstückszeit. Aus der Kombüse drang der Duft von gebratenen Eiern und Speck, der tagtäglichen Frühkost der Engländer zu Lande und zu Wasser. Die Stewards hatten den Tisch im Salon bereits gedeckt; der Kapitän kam aus seiner Kajüte, die Damen fanden sich ein, und bald war die Tafelrunde vollzählig versammelt.

»Sind wir in der Nacht ein gut Stück vorwärts gekommen, Kapitän Benson?« fragte Mr. Storr, die Hände reibend.

»Ja,« nickte der Schiffer.

»Sie sind viel auf den Beinen gewesen, wenn ich nicht irre,« bemerkte Mrs. Peacock. »Ich hörte Ihre Stimme.«

»Das Seeleben ist unruhig,« versetzte der alte Herr.

»Das Mädchen da drüben läßt uns keinen Moment aus den Augen,« raunte Johnson seinem Nachbar Davenire zu, ohne vom Teller aufzublicken.

»Wen von uns sie sich wohl aussuchen mag?« antwortete dieser, kühl lächelnd den schönen Augen Miß Mansels begegnend.

»Sind Sie heute nacht auch von dem Rumoren gestört worden, Mr. Matthews?« fragte Hankey den Steuermann, sich zugleich eine Scheibe Schinken abschneidend.

Matthews warf einen Blick auf den Kapitän, und that, als höre er eifrig dem Geplauder des Mr. Dent zu, der ihn mit Einzelheiten aus dem kaufmännischen Leben Australiens unterhielt.

»Wer hat in der Nacht rumort?« fragte Trollop.

Auch diese Frage blieb unbeantwortet, da dieselbe in der allgemeinen Unterhaltung keine Beachtung fand. Das Mahl nahte sich seinem Ende, als Mr. Isaak Cavendish sich vom Tische erhob. In demselben Moment schoß aber auch Kapitän Benson aus seinem Stuhl empor, einen Sturm von leidenschaftlichen Empfindungen auf dem dunkelroten, apoplektischen Antlitz.

»Die Herrschaften wollen die Güte haben,« rief er mit starker Stimme, »nicht eher den Salon zu verlassen, bis sie gehört, was ich ihnen zu sagen habe!«

Ein tiefes Schweigen folgte diesen Worten. Die Anwesenden saßen starr und betroffen. Mrs. Peacock wurde todesbleich; Mrs. Storr faßte den Arm ihres Gatten. Cavendish setzte sich wieder auf seinen Platz; jedes Gesicht war auf den Kapitän gerichtet. Matthews überflog mit scharfem Blick die Züge einiger der Herren, bemerkte auf denselben aber nichts als Erstaunen und Neugierde, gemischt mit der Erwartung einer spaßhaften Entwicklung. Der Hauptmann Trollop drehte, kein Auge von dem Schiffer wendend, an seinem Schnurrbart.

»Ich möchte zunächst die Frauen bitten, sich nicht ohne Not zu beunruhigen,« fuhr der alte, weißhaarige Herr fort, der kaum im stande war, seine Erregung zu bemeistern. »Dieses Schiff führt eine Waffenkiste, enthaltend Hieb- und Schußwaffen zur Verteidigung der Kajütenbewohner, falls die Mannschaft aufsässig werden sollte – überhaupt zur Verwendung in Fällen, die solches erheischen,« fügte er hinzu, einen funkelnden Blick auf Trollop werfend. »Diese Waffenkiste befindet sich in der Kammer des zweiten Steuermanns; in der vergangenen Nacht hat man sie jedoch erbrochen und sämtliche Waffen gestohlen.«

Mr. Storr öffnete den Mund vor Entsetzen.

»Aber warum –?« fragte Mr. Dent, sich zu äußerlicher Ruhe zwingend.

»Das wissen wir nicht,« versetzte der Schiffer. »Was wir aber wissen, ist, daß der Dieb sich an Bord befindet.«

»Wo meinen Sie wohl, Kapitän Benson?« fragte Trollop kalt und hochmütig. »Vorn oder hinten?«

»Das werden wir herausfinden,« entgegnete Benson kurz.

»Aber Kapitän Benson, um Gottes willen, droht uns Gefahr?« rief Mrs. Holroyd.

»Nicht doch, Madam! Fürchten Sie nichts.«

»Haben Sie bereits jemand in Verdacht?« fragte Masters in einem Tone, der an Unverschämtheit grenzte.

»Aufgebrochen war die Kiste?« warf Storr dazwischen. »Das hätte doch aber ein Geräusch gegeben, und so viel ich weiß, hat niemand ein Geräusch gehört –« hier beugte er den Kopf vor und schaute die Tafel hinauf und hinab.

»Es geschah, als alles an Deck war und das Feuer betrachtete,« versetzte der Kapitän. »Ich bedauere, den Damen und Herren eröffnen zu müssen, daß ich mich im Interesse der Menschenleben und des Eigentums, die meiner Obhut unterstellt sind, gezwungen sehe, die Kammern der Passagiere durchsuchen zu lassen.«

»Auch die der Damen?« fragte Weston mit halber Stimme und einer Grimasse.

»Die Kammern aller Passagiere!« donnerte der Schiffer.

»Mit meiner kann der Anfang gemacht werden,« sagte Trollop höhnisch. »Und wenn ich sonst behilflich sein kann –«

»Was mich betrifft, so habe ich auch gar nichts dagegen,« lächelte Cavendish. »Wäre es nicht aber ein Gebot der Rücksicht und Höflichkeit, auf die jemand, der fünfzig Pfund und mehr für seinen Platz an Bord erlegt hat, doch wohl einigen Anspruch hat, wenn das Matrosenlogis zuerst durchsucht würde?«

Er verbeugte sich und lehnte sich selbstgefällig in seinen Stuhl zurück.

»Bester Kapitän,« bat Mrs. Holroyd, »meine Kammer braucht wirklich nicht untersucht zu werden!«

Der alte Herr zuckte die Achseln. »Es thut mir von Herzen leid, meine Damen, daß Sie an Bord meines Schiffes in eine so unangenehme Lage gebracht werden sollen, allein Sie werden einsehen, daß wir um unserer aller Sicherheit willen feststellen müssen, wer die Waffen gestohlen hat, und wo dieselben geblieben sind.«

Damit nahm er seinen Hut und ging an Deck. Der Steuermann folgte ihm. Die Passagiere blieben sitzen. Ein lebhaftes Durcheinander von Meinungsäußerungen entspann sich.

»O dieses unglückselige Schiff!« rief Mrs. Peacock verzweiflungsvoll. »Hätte ich ahnen können, was diese Reise mir für Angst und Unruhe bringen würde, ich hätte sie nie angetreten!«

»Wir müssen uns die Waffenkiste ansehen,« sagte Mr. Johnson. »Mag das Schloß auch erbrochen sein, so ist das noch lange kein Beweis dafür, daß wirklich Waffen darin gewesen sind.«

»Ich möchte doch daran zweifeln, daß ein Schiffskapitän das Recht hat, die Kammern seiner Passagiere zu durchstöbern,« sagte Trollop in vornehmer Weise.

»Die Macht und die Befugnisse eines Kapitäns an Bord seines Schiffes sind absolut despotisch,« versetzte Mr. Dent. »Sie sind unbegrenzt und meines Erachtens mit Recht.«

»Aber wer, zum Kuckuck, soll sich denn an solchen Waffen vergreifen?« rief Mr. Burn, mit breitem Lächeln die ihm gegenüber Sitzenden betrachtend. »Waren die Dinger denn so wertvoll? Vielleicht Kabinetstücke? Oder kostbare und seltene Altertümer? Sie werden sehen, daß da irgend eine Dummheit vorliegt. Die Kiste wird leer gewesen sein, als sie an Bord kam, und Mr. Poole wird das gestern erst gewahr geworden sein.«

Er erhob sich und ging die Kampanjetreppe hinauf. Auch die andern verließen den Tisch, teils um an Deck, teils um in ihre Kammern zu gehen.

Die Matrosen waren noch nicht zur Arbeit gerufen worden; sie hatten sich bei der Kombüse versammelt und sahen erwartungsvoll nach hinten. Es war klar, daß einer der Steuerleute ihnen von dem Vorgefallenen Mitteilung gemacht hatte.

Kapitän Benson promenierte kurzen, festen Schrittes auf dem Achterdeck. Seine Gesichtszüge arbeiteten heftig, und der Rudersmann konnte sich eines Grinsens nicht enthalten, als er hörte, wie eifrig der Schiffer mit sich selber redete.

Beide Steuerleute befanden sich auf dem Hauptdeck. Der Rudersmann schlug vier Glasen; es war zehn Uhr.

Mrs. Storr erschien an Deck, geführt von ihrem Gatten und begleitet von Miß Mansel. Caldwell, Johnson und Hankey kamen die Kampanjetreppe herauf. Als der Schiffer dieselben gewahrte, trat er an die Galerie.

»Beginnen Sie mit der Durchsuchung,« rief er dem ›Ersten‹ zu. »Mr. Poole soll Ihnen dabei helfen!«

Die Steuerleute begaben sich durch die Thür unter der Galerie in den Salon; hier kam ihnen Trollop entgegen.

»Ich möchte mich zunächst durch den Augenschein persönlich davon überzeugen, daß die Waffenkiste wirklich erbrochen worden ist,« sagte er.

Caldwell, der mit einigen anderen die Kampanjetreppe herabgekommen war, schloß sich diesem Verlangen an. Bereitwillig führte Matthews die Herren in die Kammer des zweiten Steuermanns und wies ihnen die Kiste. Hankey untersuchte das Schloß und mußte zugeben, daß dasselbe ganz neuerdings demoliert worden war.

Trollop sah über seine gekreuzten Arme in die Kiste hinab.

»Welcher Art waren die Waffen?« fragte er.

»Musketen, Säbel, Reiterpistolen,« antwortete Poole.

Die Passagiere brachen in ein schallendes Gelächter aus.

»Man denke sich den alten Benson mit Schleppsäbel und Reiterpistolen an Deck herumwirtschaften!« rief Hankey lustig.

Die Steuerleute schauten finster drein; auf Trollops Vorschlag durchstöberte man zuerst Pooles Kammer, dann die des Obersteuermanns; darauf kam diejenige an die Reihe, in der Caldwell und Cavendish wohnten. Man kehrte unter den Späßen der Passagiere die Betten um und schaute in alle Ecken.

»Da steht ein Handkoffer!« sagte Matthews.

»Nicht anrühren!« entgegnete Caldwell mit düster drohendem Blick, indem er sich auf den Koffer setzte. »Nicht daß etwa Ihre verrosteten Schießeisen darin waren, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich gestatte, daß hier mit meinen Privateffekten eine öffentliche Ausstellung veranstaltet wird.«

Matthews kratzte sich hinter dem Ohr. »Eine vertrackte Geschichte, meine Herren,« sagte er. »Geht mir höllisch gegen den Strich! Ich glaube auch nicht, daß wir die Waffen in diesen Kammern finden. Aber der Kapitän hat's befohlen.«

Die Durchsuchung, der sich lachend und scherzend immer mehr von den Herren anschlossen, nahm ihren Fortgang, bis man bei den Kammern der Damen kam.

»Hier mögen die Steuerleute ihr Heil allein versuchen,« sagte Trollop. Damit drehte er sich auf dem Absatz um, zog seine Zigarrentasche hervor und schlenderte auf das Deck hinaus.

»Trollop!« rief Hankey ihm nach. »Die Kajüte des Kapitäns ist noch nicht durchsucht worden!«

»Daran dachte ich gar nicht,« antwortete der Hauptmann, eiligst zurückkehrend.

»Meiner Kajüte haben die Herren gefälligst fern zu bleiben!« schrie der Schiffer zornbebend durch das Oberlichtfenster herab.

»Kapitän Benson,« entgegnete Davenire, durch ein Monocle emporblickend, »Sie haben uns, die Kajütenpassagiere der ›Queen‹, durch Ihren Verdacht schwer beleidigt. Es beliebt uns jetzt, Sie der Plünderung der Waffenkiste verdächtig zu halten.«

Der Schiffer fand in seiner Wut zuerst keine Worte, dann rief er den Steuermann an Deck. Einige Minuten später erschien dieser wieder im Salon.

»Meine Herren,« sagte er, »die Durchsuchung ist auf Befehl des Kapitäns zu Ende. Mr. Poole, folgen Sie mir nach vorn in das Matrosenlogis.«

Die Steuerleute entfernten sich. Jetzt traten Storr und Dent aus ihren Kammern. Trollop trat auf sie zu.

»Hören Sie, meine Herren,« redete er sie an, »wir müssen vom Kapitän Genugthuung für diesen Schimpf fordern! Er soll uns Abbitte leisten.«

»Das wird nicht angehen,« stammelte Mr. Storr. »Kapitän Benson ist in seinem Recht. Ich will mir keine Unannehmlichkeiten zuziehen. Wo sind übrigens die Waffen?«

Trollop wendete ihm verächtlich den Rücken, und die beiden friedliebenden Herren stiegen die Treppe hinauf.

Nach und nach wurden auch die Damen, die sich bisher in ihren Kammern gehalten hatten, wieder sichtbar. Burn bot Mrs. Dent mit Grandezza seinen Arm, erhielt jedoch einen Korb. Mrs. Peacock war liebenswürdiger, sie ließ sich von Hankey führen; die übrigen Damen gingen ungeleitet an Deck. Ein Gleiches thaten die übrigen Herren, der Hauptmann Trollop allen voran. Es war um die Mittagszeit; der Schiffer rief dem Steward zu, ihm den Sextanten zu bringen. Die Matrosen saßen im Logis bei ihrem frugalen Mahl, während die Steuerleute ihre Kojen durchsuchten.

Zwölf Uhr; der Rudersmann schlug acht Glasen.

Matthews und Poole hatten ihre Arbeit beendet und kamen die Achterdeckstreppe herauf. Alles drängte herzu, ihren Bericht anzuhören. Die Damen sahen ängstlich und beklommen aus. Miß Mansels dunkle, nachdenkliche Augen irrten verstohlen von einem der Gentlemen zum andern. Kapitän Benson stand wie aus Erz gegossen, den Sextanten in der herabhängenden Linken. Die Steuerleute berührten ihre Mützen.

»Nun?«

»Wir haben nichts gefunden,« sagte Matthews.

»Daß die Waffen im Logis stecken sollten, habe ich auch gar nicht erwartet,« entgegnete der Schiffer, dessen Gesicht sich noch dunkler färbte.

Da trat die hohe Gestalt Trollops ganz dicht an ihn heran, drohend, herausfordernd. Dent und Storr wichen erschrocken einige Schritte zurück, die beiden Steuerleute aber nahmen sogleich zu beiden Seiten des Schiffers Aufstellung.

»Das war soeben wieder eine ungehörige Insinuation, Kapitän Benson,« sagte der Hauptmann. »Sie werden die Güte haben – ich rede hier im Namen sämtlicher Passagiere – Ihre Verdächtigungen zu widerrufen und uns Abbitte zu leisten für die Beleidigungen, die Sie uns zugefügt haben.«

»Was?« stotterte der weißhaarige alte Herr ganz außer sich. »Mir das?« Er rang nach Atem. »Herr! Ich bin der Befehlshaber dieses Schiffes! Mir sind Waffen gestohlen worden. Können Sie mir vielleicht sagen, was damit geschehen ist?« Er rief diese Worte voll Hohn und Verachtung. »Als Passagier haben Sie doch – so sollte man wenigstens meinen – dasselbe Interesse an des Schiffes Sicherheit, wie ich; oder nicht? Es muß Ihnen doch, ebensogut wie mir, daran gelegen sein, die Spitzbuben zu entdecken, damit wir erfahren, was die Halunken im Schilde führen! Oder denken Sie anders? Abbitten soll ich? Lieber senke ich das Schiff in den Grund!«

»Allmächtiger!« schrie Mrs. Peacock auf. »O, meine Herren, wie können Sie nur den Kapitän in solche Aufregung bringen!«

»Um Gottes willen!« rief auch Mrs. Holroyd, »Kapitän Benson, reden Sie doch nicht so etwas Schreckliches! Das Schiff in den Grund senken! Der Himmel erbarme sich unser!«

»Wenn Sie uns Genugthuung verweigern,« sagte Trollop kalt, »dann soll das letzte Wort in dieser Sache in London von den Gerichten gesprochen werden.«

»Und wenn Sie in diesem unverschämten Benehmen verharren,« schrie der Schiffer an dem langen Manne empor, »dann lasse ich Sie wegen Meuterei in Eisen legen, dann sollen Sie die Gewalt fühlen, die ich als Kommandant dieses Schiffes über Sie habe!«

Jetzt wurde auch der Hauptmann Trollop dunkelrot. Kein Wort der Entgegnung kam über seine Lippen. Andere von den Zehn bissen sich auf die Lippen und sahen nach vorn, wo die Matrosen sich bereit machten, auf den ersten Ruf ihres Schiffers herbeizustürzen. Caldwell näherte sich diesem von hinten, geräuschlos und mit einem so tückischen Ausdruck auf seinem wilden, orientalischen Gesicht, daß dem kleinen Storr ganz krank zu Mute wurde. War es der Anblick der bereits am Großmast angelangten Matrosen, war es ein anderer Grund, der Trollop veranlaßte, plötzlich nach Lee zu gehen und sich dort an die Reeling zu lehnen?

Der alte Benson schaute ihm mit zuckenden Lippen nach. Er sah aus, als müsse der mühsam verhaltene Grimm ihn ersticken.

»Mr. Matthews!« rief er dann, »lassen Sie die Wache zur Koje gehen! Mr. Poole, verteilen Sie die Arbeiten und halten Sie scharfen Ausguck!«

Damit stieg er die Kampanjetreppe hinab und verschwand.

Am Nachmittag bezog sich der Himmel; das Barometer sank; in der verdickten Atmosphäre und in dem fauligen, schlammigen Geruch der See zeigten sich Vorboten eines Sturmes. Die Sonne versank hinter einer rotbraunen Dunstwand, schwarz wie Tinte zog die Nacht herauf, die See erhob sich hohl, und aus dem Osten kam der Wind mit klagendem Geheul. Die Segel waren längst bis auf die nötigste Leinwand geborgen, dunkel hoben sich Masten, Raaen und Takelwerk der ›Queen‹ von dem düsterroten Abendhimmel ab – ein Bild voll wilder Schönheit.

Der Sturm gewann langsam an Stärke. Er brach aus der Finsternis hervor und erfüllte das Takelwerk mit hundertfältigem, schrillem Getön. Die zergeißelten Wogen trafen das schwer arbeitende Schiff mit donnerähnlichen Schlägen, um in brausenden, weißleuchtenden Schaummassen wieder zurückzustürzen. Um zwei Uhr morgens wehte ein Orkan. Die See rollte in schwarzen Bergen daher und war in dem fahlen Schimmer des Sturmes schreckenvoll anzuschauen. Das Deck des Schiffes war bei jedem Ueberholen nach Lee so steil wie ein Hausdach; die Leute am Ruder mußten festgelascht werden. Der Schiffer stand, an die Luvreeling gegürtet, im Schutze eines in den Besanswanten angebrachten Stückes Segeltuch. Ihm gegenüber, im Lee, hatte der Steuermann seinen Platz; bei der Neigung des Schiffes fuhr der heulende Orkan zumeist hoch über seinem Kopfe dahin, ohne ihn zu berühren.

Mit dem Morgengrauen ließ der Orkan ein wenig nach. Der Zustand an Bord war höchst unbehaglich. Das Deck war von Fluten überbraust. Der Salon schwamm. Die Damen lagen in ihren Kojen, hilflos vor Angst und Seekrankheit.

Mr. Dent aber glaubte, daß für alle das letzte Stündlein gekommen sei. Bleich, mit zusammengebissenen Zähnen, schrieb er eine Schilderung ihrer Lage nieder, stopfte das Papier in eine Flasche, die er sorgfältig verkorkte, kletterte dann mit Aufbietung aller Kraft und Geschicklichkeit die Kampanjetreppe so weit hinauf, daß er den Kopf aus der Luke stecken konnte, wartete den rechten Moment ab und schleuderte seine Flasche seewärts. Dieselbe fiel jedoch zu kurz und zerschellte an der Reeling in tausend Stücke. Zu gleicher Zeit wurde Dents breitrandiger Filz vom Winde gepackt und davongeführt. Der Schiffer schrie dem kolonialen Kaufmann einige Worte zu, die dieser nicht verstand; er hielt sich auch nicht lange mit Fragen auf, sondern rutschte, seinen Beinen nicht trauend, die Treppe hinab und erreichte glücklich wieder seine Kammer.

Dies ereignete sich kurz vor dem Frühstück. Die beiden Stewards hatten unter Lebensgefahr ein Mahl hergerichtet. Als der Kapitän an der Tafel erschien, saßen die Zehn bereits auf ihren Plätzen.

Er reichte seinen triefenden Südwester einem der Stewards und ließ sich nieder. Einige der Herren, die seinem schweifenden Blick begegneten, verneigten sich grüßend. Er dankte mit kurzem Kopfnicken, fragte den Steward nach den Damen, nach Mr. Dent und Mr. Storr, und erhielt die Antwort, daß die Herrschaften nicht erscheinen würden. Aus dem Benehmen Mr. Hankeys und einiger anderer ging hervor, daß sie den Kapitän zu versöhnen wünschten. Trollop aber saß steif und kalt wie eine Bildsäule.

Viel war diesmal nicht auf der Tafel zu sehen, da es dem Koch nicht möglich gewesen war, Feuer anzumachen. Es gab nur kalte Küche, dazu Bier und Wein.

»Es weht ein tüchtiger Sturm,« bemerkte Mr. Johnson, den Kapitän ansehend, höflich.

»Ja, es weht hart,« versetzte der alte Benson, den Steward beobachtend, der auf allen Vieren einem Stück Salzfleisch nachkroch, das vom Tische gefallen war.

»Kann der Sturm unserm Schiffe gefährlich werden?« fragte Mr. Masters.

Der Schiffer heftete seine kleinen funkelnden Augen auf den jungen Mann, dann entgegnete er:

»Sind Sie früher nicht Seemann gewesen?«

»O, gelegentlich einmal,« antwortete Masters leichthin. »Solch einen Sturm aber habe ich noch nicht durchgemacht.«

»Sie alle, Gentlemen,« sagte der Schiffer, »haben das Glück, tüchtige Seebeine zu besitzen. Es giebt nur wenige Landratten, die es Ihnen heute an diesem Frühstückstisch gleichthun könnten.«

Trollop sah den Sprecher starr an, sagte aber nichts.

»Mr. Cavendish,« rief Burn vom untern Ende her, »Sie sind ja wohl auch ein ehemaliger Seefahrer?«

Cavendish nickte lächelnd über seinem Glase.

»Und auch noch andere der Herren,« fuhr Burn fort, »haben die Gefahren gekostet, die von Ihrem Lebensberuf, Kapitän Benson, leider unzertrennlich sind. Wir leben in einer Zeit, wo ein Mann nicht nur viel sieht, sondern auch die verschiedensten Dinge unternehmen muß, wenn er durch die Welt kommen will.«

»Das scheint so,« brummte der Schiffer.

Die Unterhaltung stockte. Draußen schlugen die Wogen mit dumpfem Anprall gegen die Schiffswand. Ab und zu hörte man am Achtersteven das schwere Ruder heftig an den knirschenden Ketten reißen und rucken.

Die zehn Herren aßen und tranken schweigend, aber mit Behagen. Sie bedienten einander mit so höflicher Aufmerksamkeit, als habe ihre gegenseitige Bekanntschaft den Reiz der Neuheit noch nicht ganz verloren. Dem Kapitän entging dies nicht. Der ehrliche Seemann war innerlich erstaunt und ratlos. War es möglich, daß diese zehn – ja, was denn? Da lag der Knoten.

Er kaute mechanisch und zerbrach sich den Kopf.


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