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Sechzehntes Kapitel.
Der Zweikampf

Es war eine lustige Tafelrunde im Salon der ›Queen‹. Nur zwei von den Zehn verharrten an Deck – Trollop, um das Schiff nicht aus den Augen zu lassen, und Caldwell, der am Ruder stand.

Davenire nahm Trollops Stuhl ein. Caldwells Abwesenheit schien von keinem schmerzlich empfunden zu werden. Masters allein schien aus irgend einem Grunde niedergedrückt zu sein.

»Warum so melancholisch, Sam?« rief Hankey dem jungen Manne zu, nachdem bereits mehrere Flaschen Champagner die Runde gemacht hatten und die Unterhaltung allseitig laut und fröhlich geworden war. »Man sollte fast meinen, daß Sie ein geliebtes Wesen im Busch zurückgelassen hätten.«

Masters zuckte stumm die Achseln.

»Sam quält sich mit Sorgen über das Schicksal der Frauen in den Booten,« sagte Burn. »Er fürchtet für sie bei diesem zunehmenden Seegange.«

»Was hat Masters sich um die Weiber zu kümmern?« rief Davenire, dessen Gesicht vom Wein gerötet war. »Früher mag er ja ein ganz hübscher Mensch gewesen sein, die Flasche aber hat von seiner Schönheit nicht mehr viel übrig gelassen. Die Weibsleute fragen schon längst nichts mehr nach ihm, er braucht sich daher auch ihretwegen nicht mehr das Herz schwer zu machen.«

Masters sah den Sprecher an und spielte schweigend mit seinem Glase. Dann stand er plötzlich auf und ging hinaus.

Die Unterhaltung im Salon wurde immer lärmender; Gläser klangen und zerklirrten, die Champagnerpfropfen knallten immer häufiger, und ab und zu stimmte einer der Zecher ein Lied an.

Caldwell wurde von dem Matrosen William abgelöst; er händigte diesem den Schlüssel der Schatzkammer ein und stieg die Kampanjetreppe hinab. Masters kam auf das Achterdeck, wo nach einiger Zeit auch Davenire erschien. Unten sang jetzt der ganze Chor ein Schifferlied.

»Unser heutiger Goldfund scheint auf Ihre Stimmung keinen Einfluß zu üben, Masters,« fing Davenire an. »Ich möchte Ihnen aber den freundschaftlichen Rat geben, sich selber und auch uns andern nicht unnütz die Laune zu verderben. Jene Weiber können Ihnen doch so gleichgültig sein wie uns.«

»Jeder hat seine eigenen Auffassungen,« entgegnete der junge Mann, indem er sich an die Reeling lehnte, »und was meine Stimmung anbelangt, so gestehe ich Ihnen nicht das Recht zu, darüber Bemerkungen zu machen, um so weniger, als Sie und Caldwell und noch einige andere mir und auch Burn gegenüber gewisse Geheimnisse haben, die ich noch nicht ergründen konnte, deren Vorhandensein mich aber kränken und beleidigen muß, da wir alle hier den gleichen Strang ziehen und daher auch das gleiche Vertrauen verdienen. Wollen Sie das bestreiten?«

»Bestreiten?« lachte Davenire finster. »Meinen Sie, daß ich mich vor Ihnen fürchte?«

»Sie weichen mir aus,« fuhr Masters gereizt fort. »Es besteht ein Geheimnis, das man mir verbirgt. Man hat, wenn ich mich näherte, vorher mit Eifer geführte Gespräche plötzlich abgebrochen. Dasselbe sagt Burn, der auch bei solcher Gelegenheit den Namen der Miß Mansel gehört haben will. Davenire, ich frage Sie als ein Mann den andern, was verbirgt man vor uns? Handelt es sich um die Art des Verschwindens jener armen jungen Dame? Wissen Sie darum?«

»Zum Henker!« rief der Hüne wild aufbrausend. »Lassen Sie mich damit in Ruhe! Gehen Sie hinunter und fragen Sie Caldwell nach der Geschichte, dessen Gewissen ist nicht so zart, wie das anderer Leute – Tod und Teufel sage ich! Ich will nicht mehr daran erinnert sein!«

Masters war bleich geworden.

»Es war verabredet worden und jeder hatte versprechen müssen, daß kein Blut vergossen, kein Mord begangen werden sollte,« sagte er fest und schneidend. »Aus Ihren Worten aber scheint hervorzugehen –«

»Was?« rief Davenire, dunkelrot von Wein und Zorn, die gewaltigen Arme über der breiten Brust verschränkend und sich wie ein schwankender Turm dicht vor den andern hinstellend.

»Antworten Sie mir,« fuhr Masters noch bleicher werdend fort; »hat man Miß Mansel gewaltsam aus dem Wege geschafft?«

In Davenires Augen funkelte es wie rotes Wetterleuchten, als sprühe eine Lohe aus seinem erhitzten, blutüberfüllten Gehirn. Bei den stärkeren Bewegungen des Schiffes stackerte er nach links und nach rechts.

»Was auch geschehen ist,« stieß er heiser hervor, »Sie hatten davon Ihr Gutes – Sie werden Ihren Anteil an der Beute empfangen, ohne gezwungen gewesen zu sein, Ihr Gewissen zu belasten – ohne Blut an dem Golde sehen zu müssen. Genügt Ihnen das nicht?«

Seine ragende Gestalt schwankte so gefährlich, als wolle er über Masters herstürzen.

»Wer hat die Unthat begangen?« forschte dieser. »Caldwell?«

»Fragen Sie ihn doch selber, Sie –« er verschluckte ein Schimpfwort, ergänzte dasselbe jedoch durch einen wegwerfenden Blick. Dann schwankte er nach hinten, stellte sich neben William und that, als lausche er dem Gesange in der Kajüte.

Masters folgte ihm mit den Augen, darauf schritt er zum Oberlichtfenster und schaute hinab auf die an der Tafel sitzenden Männer; sein Gesicht war weiß, aber nicht vor Furcht. Der erste, auf den sein Blick fiel, war Dike Caldwell; der schwarze Mann sang aus voller Kehle und schwang sein Glas im Takt dazu. Masters ging die Treppe hinunter und trat in den Salon. Trollop, gerade im Begriff, sich zu erheben, rief:

»Hier kommt Sampson; er sieht so vergnügt aus, wie ein Totenschädel!«

Masters stellte sich dicht vor Caldwell hin.

»Was stieren Sie mich so an?« grunzte dieser. »Was wollen Sie von mir?«

»Ehe wir uns auf dieses Abenteuer einließen,« entgegnete der junge Mann mit gewaltsam erzwungener Ruhe, »wurde ausgemacht, daß kein Blutvergießen dabei stattfinden sollte. Trotzdem haben Sie, Caldwell, ein Mädchen ermordet. Ich erfuhr es von Davenire. Burn,« rief er dem letzteren zu: »das war das Geheimnis; alle andern wissen darum! Dieser Schurke hat ein armes, wehrloses Mädchen umgebracht.«

Ohne ein Wort zu erwidern sprang Caldwell auf und führte einen tückischen Faustschlag gegen die Schläfe seines Anklägers; getroffen taumelte dieser zur Seite.

Trollop trat dazwischen.

»Friede!« rief er. »Das schickt sich nicht in einer Gesellschaft von Gentlemen! Der verwünschte Wein! Legen Sie sich nieder und schlafen Sie's aus, Masters, Sie sind dem Schwarzen nicht gewachsen, der in seiner Wut zehn Teufel im Leibe hat.«

»Wir sind hier nicht im Busch, Dike!« schrie Cavendish dem mit erhobener Faust und einem Ausdruck höllischer Bosheit auf seinem verzerrten Gesicht dastehenden Caldwell zu.

»Giebt's hier etwas auszufechten, dann laßt uns nicht vergessen, daß wir Gentlemen sind,« meinte Hankey.

»Unser Sampson ist auf einmal merkwürdig heikel,« kam Davenires Posaunenstimme durch das Oberlicht herab; »und doch war er der Mann, der zu Ballarat sein Messer im Leibe eines Bäckers stecken ließ und es nicht zurückforderte.«

Burn hatte sich inzwischen an Caldwell herangemacht und den Wütenden zurückgedrängt.

»Er ist in das Mädchen verliebt gewesen,« sagte er dabei. »Lassen Sie ihn jetzt in Ruh, Dike; er wird Ihnen Genugthuung geben – nicht wahr, Sam? Wir sind hier Männer von Ehre.«

»Ich will mich mit ihm schlagen,« rief Masters in unbändigem Zorn, indem er sich gegen die Hände sträubte, die ihn festhielten, »mit den Fäusten – mit Handspeichen – mit Revolvern – ich will diese wilde, mörderische Bestie umbringen mit jeder Waffe, die man mir nennen wird!«

Das kam wie ein Sturzbad über die erhitzten Köpfe; man stand plötzlich ernüchtert vor einer tragischen, tödlichen Thatsache, und die Dünste des Weins verflogen vor dieser Erkenntnis, wie Rauch vor dem Winde.

»Sam soll in das Mädchen verliebt gewesen sein?« rief Trollop. »Er hat sie vorher doch gar nicht gekannt und hier an Bord kaum dreimal mit ihr geredet.«

»Er hätte seine Zunge besser hüten müssen,« sagte Hankey gelassen. »Wilde Bestie ist allerwegen eine Beleidigung, im Norden, wie im Süden.«

»Er ist eine wilde, blutige Bestie, eine Mordkanaille, ich wiederhole es noch tausendmal,« schrie Masters. »Ein Mädchen, das sich nicht verteidigen kann, über Bord zu werfen! Stellt es euch doch nur vor, Leute! Ein junges Mädchen hilflos in den Krallen dieses Satans – – O du Höllenhund!«

»Trollop,« sagte Caldwell, und die Worte kamen ihm nur halb verständlich aus der heiseren Kehle, »ich will diesen Wicht jetzt nicht totschlagen; es soll ihm eine Chance bleiben – ich werde mich mit ihm schießen.«

»Es waren ihrer zwei bei dem Stück Arbeit, Sampson,« rief Davenire dröhnend durch das Fenster herab. »Der andere bin ich!«

»Dann sollst auch du feiger Schurke mir vor die Pistole, wenn ich mit dem hier fertig bin!« antwortete der junge Mann.

Davenire stieß ein wieherndes Gelächter aus, Masters aber ging, ohne noch ein Wort zu verlieren, in seine Kammer, deren Thüre er hinter sich zuschlug.

Caldwell stand keuchend am Tische, die plumpen Fäuste auf die Platte gestützt. Er sah zu Davenire hinauf.

»Ich möchte wissen,« sagte er, »was dem Menschen einfiel – gerade mit mir Streit anzufangen. Was wir gethan haben, geschah zum Besten aller, selbstverständlich auch zu seinem Besten. Was ging ihn das Frauenzimmer an?«

Er redete noch, als Masters wieder aus seiner Kammer trat. Der junge Mann hielt den schweren Revolver in der Rechten, die Mündungen gegen den Fußboden gekehrt. Kalt und ruhig sah er Caldwell an.

»Ich bin bereit und stehe Ihnen zu Diensten,« sagte er.

»O!« stieß der schwarze Mann unwillkürlich hervor, während eine grünliche Blässe sein Gesicht überflog. »Wenn Sie also mit Gewalt ... Trollop, ich bitte Sie, die Vorbereitungen zu treffen, ich gehe inzwischen, meine Pistole zu laden.«

Er schritt seiner Kammer zu, aber keineswegs mit der Festigkeit, die man bei einem Manne seines Charakters hätte erwarten sollen.

»Sie müssen's an Deck miteinander ausmachen,« sagte Trollop zu den unbeteiligten Anwesenden. »Aber Masters, warum in aller Welt mußten Sie diesen ganz überflüssigen Streit beginnen? Ich gebe ja zu, es war eine schreckliche, schauderhafte That, aber sie war nicht zu umgehen. Das Mädchen hatte durch Zufall unsern Plan erlauscht – was blieb da übrig? Nicht jeder hätte sich zu diesem Schritt verstanden und sein ganzes Leben durch solch eine Erinnerung verdunkelt. Ich würde die Waffe nicht gegen den erheben, der uns allen diesen Freundesdienst erwies und uns damit zu der reichen Beute verhalf.«

»Ich aber thue dies,« versetzte Masters, »und einer von uns soll auf dem Flecke bleiben. Großer Gott!« fuhr er mit leidenschaftlicher Heftigkeit fort, »hat die Welt jemals einen feigeren, schnöderen Mord gesehen? Zwei solche Kerle dringen in die Kammer eines schutzlosen Mädchens, reißen sie aus dem Bett und – und – haben Sie sie erwürgt?« schrie er Davenire zu. »Ich bewundere den männlichen Gebrauch, den Sie von Ihrer Hünenkraft gemacht haben,« schloß er mit dem Ausdruck verachtungsvollsten Hohns auf seinen verwüsteten, aber noch immer schönen Zügen.

Schweigend trat Davenire von dem Oberlichtfenster zurück; auch die andern schwiegen, bis Caldwell wieder im Salon erschien. Seine Waffe war der Masters ganz ähnlich; zog man den Abzug, dann drehte sich die eiserne Walze, welche die sechs Bohrlöcher als Kugelläufe enthielt; an ein rechtes Zielen war bei diesen schwerfälligen Maschinen nicht zu denken.

»Wo soll es sein, Trollop?« fragte er dumpf.

»Mittschiffs, beim Großmast,« antwortete der Gefragte mißmutig. »Zwölf Schritt Distanz; geschossen wird, wenn ich das Taschentuch fallen lasse. Ist's so recht?«

Die Gegner waren damit einverstanden, und die ganze Schar begab sich hinaus an Deck.

»Ist's nicht jammerschade,« rief Burn, als alle draußen im hellen Sonnenschein und umweht von dem frischen Winde standen, »ist's nicht jammerschade, daß zwei Kameraden jetzt einander totschießen wollen, nachdem unser Plan so ganz nach Wunsch gelungen ist?«

Masters sah ihn an, sagte aber kein Wort.

Trollop zog mit einem Stück Kreide einen Strich auf der Luvseite des Decks, ging zwölf Schritt nach hinten und zog vor seinen Fußspitzen einen zweiten Strich. Dann trat er zur Seite an die Reeling. Die Gegner nahmen ihre Plätze ein.

»Wieviel Schuß?« fragte der neben Masters stehende Burn.

»Soviel, als nötig sind, den da zu töten,« zischte Caldwell zwischen den zusammengekrampften Kinnbacken hervor.

»O nicht doch!« rief Shannon. »Wir wollen hier keine Schlächterei! Ich schlage vor, nur einen Schuß. Geht der fehl, dann mögen sie sich wieder vertragen.«

»Gehen Sie aus dem Wege, Burn,« sagte Caldwell, mit dem Revolver seitwärts winkend.

Die Zuschauer gruppierten sich auf der Großluke, die inzwischen wieder zugedeckt worden war. Trollop nahm ein weißes Tuch aus der Tasche und hielt es empor.

»Fertig?« fragte er.

»Fertig!« antworteten die Gegner zugleich.

Masters warf einen Blick gen Himmel, dann richtete er das Auge fest auf den Feind. Der stand mit gesenktem Nacken und katzenartig emporgezogenem Rücken; Mord lag in seiner ganzen Haltung, Mord funkelte aus seinem roten Auge, grinste aus dem verbissenen Zuge um seinen Mund. Wer ihn beobachtete, in dem mußte die Befürchtung aufsteigen, daß dieser Mann meuchlerische Tücke im Schilde führe, daß er die Kugel noch vor dem Zeichen entsenden würde. Diese Befürchtung wäre allerdings grundlos gewesen.

Trollop ließ das Tuch fallen; die Schüsse krachten gleichzeitig. Masters that einen Sprung rückwärts, der Revolver entfiel seiner Hand. Er griff nach dem Herzen, schaute sich nach Burn um, lächelte ihm zu und stürzte dann nieder auf sein Angesicht.

Caldwell stand wie zuvor, unverletzt.

»Ist er tot?« forschte Davenire beklommen.

Burn war herzugeeilt und hatte den Freund mit schonender Hand auf den Rücken gelegt. Zweimal noch entrang sich ein leises Stöhnen den Lippen des Gefallenen, dann war seine Seele entflohen.

»Ein guter Schuß,« sagte Trollop zu Caldwell, neben dem Toten niederknieend. »Sehen Sie her.«

Er wies auf ein kleines Loch in Masters Rock; dasselbe befand sich genau über dem Herzen.


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