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Neunzehntes Kapitel.
Kommandant Boldocks Antrag

Nahezu vier Wochen waren vergangen, seit Miß Margaret Mansel an Bord der Brigg ›Wellesley‹ eine rettende Zuflucht gefunden hatte. Gegenwärtig rollte das plumpe, breite Fahrzeug auf der starkbewegten, erbsengrünen See so schwerfällig und unbeholfen, daß man bei jedem Ueberneigen meinen konnte, der ganze Ozean werde an Bord kommen. Unter dem Firmament hingen die Sturmwolken in weichen, dunkeln Massen, aufgelöst und im Abzug begriffen. Die Farbe des durch die Wolkenlücken hervorschimmernden Himmels war ein verblichenes Grünblau, hier und dort am Horizonte, wo es noch regnete, durch schräg gezeichnete graue Stellen verdeckt.

Es war neun Uhr morgens. Die Brigg hatte die gerefften Marssegel und die Fock stehen und diese Leinwand schlug ab und zu mit solchem Donnergetön gegen die Masten, daß das dunkle Himmelsgewölbe ein grollendes Echo zurückzuwerfen schien. Denn dem Sturme war eine absolute Windstille gefolgt. Die Brigg schlengerte fürchterlich. Es war unmöglich, an Deck auch nur einen Schritt zu thun, ohne sich dabei mit aller Macht festzuklammern. Wer seinen Halt aufgab, stürzte und kollerte rettungslos nach Lee hinunter.

Aus der Kajütskappe tauchte langsam die vierschrötige Gestalt des Kommandanten auf; als er mit den Schultern über dieselbe emporragte, blieb er auf der Treppe stehen und schaute prüfend um sich. Ihm gegenüber stand Mr. Hardy an der Reeling, sich krampfhaft an der Großbram-Pardune festhaltend. Das Steuerrad ruckte und zuckte wie ein lebendiges, widerspenstiges Wesen in dem festen Griffe des Rudersmannes. Eben hatte der Kommandant das rote Antlitz luvwärts gedreht, da traf ein bleicher, wässeriger Sonnenstrahl den Messinghut des Kompaßhäuschens und ließ denselben auf einige kurze Momente blinken und blitzen; Boldock blickte nach oben, wie in Verwunderung, woher der Strahl wohl käme, dann paßte er die Gelegenheit ab, schwang sich aus der Kajütskappe und fuhr über das Deck an Mr. Hardys Seite, wo er sich mit seinen dicken Fingern gleichfalls an einer Pardune festhakte.

»Ein schauderhafter Kasten, wenn er ins Schlengern kommt,« rief er.

»Ja, wahrhaftig, ein schauderhafter Kasten,« bestätigte Mr. Hardy. »Wenn nur ein wenig Wind käme, daß das alte Tier einen Halt kriegte.«

»Ich bedauere nur unsere Miß,« sagte Boldock. »Das arme Mädchen ist ganz außer sich, da sie bei jedem Ueberholen fürchtet, die alte Tonne müsse nun kentern und wegsinken. Ich will Ihnen was sagen, Hardy, es müßte gar nicht gestattet werden, daß Weibsleute Seereisen machen.«

»Ein Schaden wäre das wenigstens nicht,« meinte Hardy, eine helle, violette Wolkenschattierung betrachtend, von der das Vormarssegel sich mit seltsamer Klarheit abhob.

»Ich will nur hoffen,« redete der Schiffer weiter, »daß die zehn Banditen, ihr Schiff heil und gesund durch das schlechte Wetter gebracht haben, denn es wäre doch sehr ärgerlich, wenn sich hernach herausstellen sollte, daß es mit all dem Golde auf den Grund gesackt ist«

»Soviel man aus Mr. Matthews Reden entnehmen konnte, müssen die Kerle, zum größten Teil wenigstens, ganz tüchtige Seeleute sein,« versetzte Hardy. »Mit elf Mann vor dem Mast lief die ›Queen‹ von Sydney aus; die Piraten sind zehn, der Unterschied ist also kaum nennenswert.«

Sie standen noch eine Weile in kameradschaftlichem Geplauder, bis der Steuermann Hardy, dessen wachsame Augen unablässig bald über das Schiff, bald über die See schweiften, plötzlich anfing, bald geduckt, bald mit gerecktem Halse nach dem Horizont zu spähen; Boldock, dadurch aufmerksam gemacht, folgte seinem Blicke und gewahrte nun am Rande einer jener schräg gezeichneten grauen Stellen, einer kleinen Regenbö, das lichtweiße Schimmern eines Segels.

»Ein Schiff, ich sehe es,« rief er, ohne die Meldung des Steuermanns abzuwarten. Er ließ die Pardune fahren und steuerte im Schuß auf die Kajütskappe zu, dieselbe glücklich erfassend; in dem festen Schutze dieser Deckung stehend, langte er nach dem großen Teleskop, und im Laufe einiger Minuten glückte es ihm auch, den fernen Segler in sein Gesichtsfeld zu bringen. Derselbe, eine Bark, befand sich augenscheinlich in Not; ihm fehlte die Vorbramstenge, auch hatte er nichts weiter als das Fockstagsegel stehen und von der Gaffel hing schlaff eine nicht erkennbare Flagge herab. Er mochte vier oder fünf Seemeilen entfernt sein und war in dem Schatten der über ihm hängenden Wolken nur undeutlich zu sehen.

Der Kommandant stieg aus der Kappe heraus, in die sich nun, auf seinen Wink, der Steuermann hineinschwang.

»Sehen Sie zu, was Sie aus dem Fremden machen können,« sagte Boldock, dem andern das Teleskop einhändigend.

Der Steuermann visierte lange, Da brach die Sonne durch das Gewölk und beschien den Teil der See, wo der fremde Segler sich befand. Hardy ließ einen Ruf der Ueberraschung hören.

»Wenn das nicht die ›Queen‹ ist,« sagte er, »dann bin ich der Prinz Albert von England!«

»Geben Sie her!«

Der Kommandant griff nach dem Rohr; er lugte und lugte; gierig, durstig. Die Sonne warf ihre Morgenhelle auf den Ozean, und das Blau zwischen den Wolken wurde klarer und reiner. Nach einer Weile drehte Boldock sich nach dem Steuermann herum. Sie starrten einander in die Augen.

»Auf mein Wort!« rief der Schiffer endlich, »ich glaube, Sie haben recht! Es ist eine grüne Klipperbark – es kann nur die ›Queen‹ sein. Wir sind noch eine Tagesfahrt von der Halloran-Insel entfernt. Die ›Queen‹ muß sich daher in diesen Gewässern befinden. Springen Sie hinunter, Mr. Hardy; ich lasse Mr. Matthews bitten, sich an Deck zu bemühen.«

Und von neuem richtete er das Glas auf die Bark, bis Mr. Matthews, der von vier bis acht die Wache gehabt hatte und eben ein wenig eingeschlafen war, auf der Treppe erschien.

»Bleiben Sie innerhalb der Kappe,« sagte der Kommandant, »sehen Sie sich das Fahrzeug dort an und sagen Sie mir dann, was Sie von demselben halten.«

Matthews nahm das Teleskop und brachte es ans Auge: dreimal setzte er ab, und dreimal hob er das Rohr wieder empor.

»Kommandant Boldock,« sagte er dann im Tone festester Ueberzeugung, »die Bark dort ist die ›Queen‹.«

»Und kein Wind, kein Wind!« klagte der Kommandant. »Immer verkehrtes Wetter auf See, immer verkehrtes Wetter! Vorn da!« rief er mit dröhnender Stimme. »Die Leute von der ›Queen‹ sollen hierher kommen!«

Stolpernd, schwankend und gleitend eilten die fünf Matrosen herbei. Boldock ließ jeden einzelnen derselben in die Kajütskappe treten und durch das Teleskop nach dem fremden Segler schauen, und jeder einzelne bestätigte das Urteil der Offiziere – es war die ›Queen‹.

»Ich möchte wohl wissen, ob die Piraten da noch an Bord sind,« sagte Boldock, als die Matrosen sich in heller Aufregung wieder nach vorn begeben hatten.

»Sie sieht mir so aus, als wäre sie von ihrem Ankerplatz weggetrieben,« versetzte Mr. Hardy.

»Wo soll sie vor Anker gelegen haben?« fragte der Schiffer.

»Bei Halloran.«

»Richtig, bei Halloran!« rief Boldock. »Das Wetter ist schlecht genug gewesen. Ich möchte aber wissen, warum die Leute an Bord nur das Fockstagsegel gesetzt haben – wenn überhaupt Leute an Bord sind.«

»Vielleicht wollen sie erst den Wind abwarten,« meinte Hardy.

»Soll mich wundern, ob sie sich zur Wehr setzen werden, wenn wir ihnen auf den Leib rücken,« fuhr der Kommandant fort, einen Blick auf den Neunpfünder werfend. »Na, wollen's hoffen. Sagten Sie nicht, Mr. Matthews, daß die Halunken sämtlich mit Revolvern bewaffnet seien? Die enternde Mannschaft führe ich selber, Hardy,« setzte er schnell hinzu.

»Und ich werde nicht der letzte sein, wenn's ans Entern geht,« sagte Matthews. »Alles, was ich auf der Welt mein eigen nenne, befindet sich dort an Bord jener Bark. Leider brachte ich es nicht weiter; ich schäme mich, es eingestehen zu müssen. All die langen Jahre meines Seefahrens habe ich gelebt wie ein Hund, und wofür? Für eine Seekiste voll Zeug und Krimskrams.«

Mr. Hardy nickte verständnisinnig.

»Reden Sie da von der ›Queen‹?« kam Miß Mansels melodische Stimme vom Fuße der Kajütstreppe herauf.

»Ja, Miß, von der ›Queen‹,« antwortete der Kommandant, sein großes, rotes Antlitz in die Kappe hineinsteckend. »Wir haben Ihr Schiff gefunden und warten nur noch auf ein wenig Wind. Seien Sie vorsichtig, Miß, ich beschwöre Sie! Wir schlengern fürchterlich. Halten Sie sich fest mit aller Macht, bis ich bei Ihnen bin.«

Er huschte hinab, legte seinen eisernen Arm um die schlanke Mitte der jungen Dame und trug sie mehr, als er sie führte, bis zur Kappenöffnung hinauf, wo er mit ihr stehen blieb, indem er sich so einkeilte, daß er ihr bei den heftigen Bewegungen des Schiffes als feste Stütze und Polster diente. Das Leben an Bord gestattet Situationen, für welche sich an Land keine Entschuldigung finden ließe.

Miß Mansel trug noch immer ihren Schlafrock und dazu die weiße, runde Mütze aus Segeltuch.

Denn die Bemühungen des schneidernden Matrosen, ihr ein Kostüm anzufertigen, hatten in einem kläglichen Mißerfolg geendet. Boldock war in lautes Gelächter ausgebrochen, als die Dame, eingezwängt in einen leinenen Schlauch mit Aermeln daran, die jede Bewegung unmöglich machten, vor ihm erschienen war. »Der Kerl muß nach Paris!« hatte er thränenden Auges gerufen. »Die Franzosen lieben ja wohl die Originalität des Zuschnittes. Der Damenkleidermacher der ›Wellesley‹ wird dort sein Glück machen!« So war die arme Miß gezwungen gewesen, wieder ihre Zuflucht zu dem Schlafrock zu nehmen; es gelang ihr jedoch, aus dem verunglückten Kostüm wenigstens einige Untergarderobe zu fertigen.

Der Kommandant beobachtete ihr Antlitz, um zu sehen, welchen Eindruck der Anblick der Bark auf sie hervorbringen werde. Er konnte nicht umhin, dabei den Glanz ihrer Augen zu bewundern. Die Erregung hatte ihre Wangen gerötet.

»Ist das die ›Queen‹?« rief sie, das weiße Segel erspähend.

»Das ist die ›Queen‹, Miß Mansel,« sagte Mr. Matthews.

Eine kleine Weile stand sie sprachlos, dann schaute sie den Kommandanten an.

»Was gedenken Sie nun zu thun?« fragte sie.

»Vorläufig können wir nur warten, bis der Wind einsetzt und diese schauderhafte See sich legt,« antwortete Boldock.

»Wird es dann zu einem Kampfe kommen?«

»Das wäre mir sehr erwünscht; allein, nach dem Aussehen der Bark zu urteilen, scheint mir ihre Bemannung nicht sehr kampflustig gesonnen zu sein.«

Sie stellte noch eine Reihe von Fragen, dann geleitete der Kommandant sie wieder die Treppe hinab und achtete sorglich darauf, daß sie ohne Fährlichkeit ihre Kammer erreichte.

Jetzt folgten einige Stunden fast unerträglicher Spannung und Erwartung. Am Nachmittag begann der hohe Seegang merklich abzunehmen, und gegen vier Uhr machte sich auch eine östliche Brise auf. Sogleich ließ Boldock alle Segel setzen, das Geschütz wurde mit Kartätschen geladen, und die Brigg steuerte geraden Weges auf die Bark los.

Diese trieb noch auf derselben Stelle, wo sie den ganzen Tag gelegen hatte. Der Wind wehte die von der Gaffel hängende Flagge aus, und Hardy erkannte bald durch das Teleskop, daß sie verkehrt, also als Notsignal, gehißt war. Es war nicht schwer, hieraus zu folgern, daß bewaffneter Widerstand nicht erwartet zu werden brauchte.

Die alte Brigg strich so stetig durch das ruhig gewordene Wasser, daß es nicht länger gefährlich war, sich an Deck frei zu bewegen; Miß Mansel war daher wieder erschienen und hatte auf einem vorsorglich am Gangspill festgebundenen Stuhl Platz genommen. Neben ihr stand der Kommandant, das lange Teleskop unter dem Arm.

Ueber dem Heck der Bark wurden jetzt zwei Gestalten wahrnehmbar; Boldock musterte dieselben durch sein Glas.

Nach einer kleinen Weile drehte sich die steuerlos rollende Bark so, daß man den Namen an ihrem Stern zu lesen vermochte; ›Queen – London‹ stand da in großen weißen Buchstaben.

»Das ist Harry!« rief der Matrose Tom, der vorn auf der Back der Brigg stand.

»Und William!« fügte ein zweiter von den Leuten der ›Queen‹ hinzu.

Der ›Wellesley‹ passierte langsam das Heck der Bark und ruderte im Lee derselben auf; während Mr. Hardy dies Manöver ausführen ließ, erhob der Kommandant seine dröhnende Stimme.

»Bark ahoy!« schallte es wie ein Poaunenstoß über das Wasser.

»Hillo, hillo!« rief Harry antwortend zurück, indem er auf die Reeling sprang und winkend seine Kappe schwenkte. Da aber erblickte er Miß Mansel; der Ruf blieb ihm in der Kehle stecken, er stand offenen Mundes, die Hände auf die Kniee gestützt, und stierte starr und regungslos nach der Brigg hinüber.

»Sind noch welche von den Banditen, die das Schiff gestohlen haben, an Bord bei euch?« fragte der Kommandant.

»Nein, Sir, Gott sei Dank!«

»Ihr beide seid also ganz allein?«

»Ganz allein,« antwortete Harry.

»Wie lange treibt ihr schon so auf der See herum?«

»Es sind jetzt vier Tage, seit wir bei der Insel Halloran vom Anker gerissen wurden,« berichtete der Matrose William.

Der Kommandant wendete sich an Mr. Matthews.

»Bringen Sie Ihr Boot zu Wasser,« befahl er, »nehmen Sie Ihre fünf Leute mit und ergreifen Sie wieder Besitz von der Bark. Lassen Sie Segel setzen, berichten Sie mir, wie Sie das Fahrzeug vorgefunden und halten Sie sich dann in Rufweite von der Brigg.«

Der Obersteuermann griff salutierend an seine Mütze.

»Zu Befehl, Euer Ehren,« sagte er ernst und prompt und machte sich dann unverzüglich an die Ausführung der Ordre. Das Boot wurde ausgesetzt, und die fünf Matrosen sprangen hinein. Entblößten Hauptes drückte Matthews des Kommandanten ihm zum Abschied dargebotene Rechte, wobei er einen fragenden Blick auf Miß Mansel warf.

»Darf ich Mr. Matthews an Bord der ›Queen‹ begleiten?« wendete diese sich an den Schiffer.

»Sobald die See ruhig geworden ist, werde ich Sie, mit Ihrer gütigen Erlaubnis, selber zur Bark begleiten,« war die Antwort.

Sie verbeugte sich mit leichtem Erröten.

Matthews erreichte in wenigen Minuten sein altes Schiff, wo er vor allen Dingen das Boot binnenbords schaffen ließ, da es das einzige war, das ihm zur Verfügung stand.

»Haben die Schufte das Gold geraubt?« fragte er den Matrosen William, der mit Harry zu seinem Empfange herbeigekommen war.

»Bis auf die letzte Unze.«

»Wohin sind sie damit?«

»An Land, Sir.«

Nach einer kleinen Pause, während welcher er seine innere Erregung niederzwang, fuhr der Obersteuermann fort: »Schon recht, Leute. Helft nun den andern das Schiff aufklaren; hernach sollt ihr mir alles ausführlich erzählen.«

Damit begab er sich in den Salon. Hier glaubte er alles in wilder Verwüstung zu finden und war daher erstaunt, als er außer einigen umherliegenden Champagnerflaschen, etwas Stroh auf dem Teppich und einer leeren Weinkiste keinerlei Unordnung bemerkte. Sodann suchte er seine Kammer auf. Der erste Rundblick sagte ihm, daß hier alles noch so war, wie er es verlassen hatte. Mit bebender Hand öffnete er den Wandschrank und nahm einen Lederbeutel mit Geld heraus. Er zählte den Inhalt – zehn Banknoten und einige Goldstücke. »Sie haben mir keinen Heller genommen,« murmelte er bewegt und freudig aufatmend. Auch fehlen Sextanten und seine sonstige Habe fand er unberührt vor. »Im Grunde waren die Zehn doch Gentlemen,« sagte er zu sich selber, während er kopfschüttelnd in Kapitän Bensons Kajüte trat. Auch hier sah alles aus, wie vordem. In den Kammern der Storrs und der andern Passagiere hingegen fand er deutliche Spuren der Räuber. Koffer und Reisetaschen waren geöffnet, und ihr Inhalt lag am Fußboden umher. Es hatte den Anschein, als hätten die Zehn hier nach Kleidungsstücken gesucht, vielleicht auch nach Geld, und wieder regte sich in seinem Herzen das Dankgefühl dafür, daß sie ihm seine Ersparnisse gelassen hatten.

An Deck zurückgekommen, unterrichtete er sich von dem Zustand des Schiffes, dann stieg er zum Achterdeck empor und rief die Brigg an.

»Alles in Ordnung hier an Bord, Sir,« meldete er dem Kommandanten.

»Haben die Kerle das Gold mitgenommen?« war Boldocks erste Frage.

Matthews berichtete, was er von den beiden Matrosen vernommen hatte.

»Wir dürfen keine Zeit verlieren,« rief Boldock zurück. »Ich werde Ihnen vier von meinen Leuten an Bord schicken; lassen Sie dann Segel setzen, aber nicht zuviel, damit Sie mit uns gleiche Fahrt halten können.«

»Sehr wohl, Sir!« antwortete Matthews.

Jetzt sah er, wie Miß Mansel einige Worte zu dem Kommandanten redete.

»Haben Sie in die Kammern hineingesehen?« fragte der letztere darauf.

»Jawohl, Sir.«

»Wie fanden Sie die von Miß Mansel?«

»Meinem Urteil nach gänzlich unberührt.«

Diese Kunde schien den braven Kommandanten ganz glücklich zu machen, die junge Dame aber winkte ihren Dank herüber. Sie befand sich in ähnlicher Lage, wie der Obersteuermann; die Kammer barg ihren gesamten irdischen Besitz. Ihre Augen ruhten auf der Bark mit jenem gedankenvollen Ausdruck, den Mr. Masters so oft bewundert hatte. Und wieder stieg die Erinnerung an die schrecklichen Augenblicke, die sie zu durchleben verurteilt gewesen, in ihr auf. Sie begann zu zittern; unwillkürlich flüchteten sich ihre Blicke auf das große, rote, gute Antlitz ihres Retters und Freundes, und nun wurde sie wieder ruhig.

»Sie werden es kaum verständlich finden,« sagte sie mit ihrem lieblichen Lächeln, »daß ich mich über die Erhaltung meiner armseligen Siebensachen so freuen kann, besonders gegenüber dem Raube des großen Goldschatzes. Aber glauben Sie mir, Kapitän Boldock, der Verlust des Goldes trifft die Eigentümer desselben sicherlich nicht so schwer, als mich der Verlust meiner geringen Habseligkeiten getroffen haben würde. Wann gedenken Sie mich an Bord der Bark zu begleiten?«

»Morgen, so hoffe ich.«

»O, nicht früher?« rief sie, nach der Sonne schauend, die bereits niedrig über dem westlichen Horizonte hing und die See und die Wolken darüber mit glühroten Tinten färbte.

»Liegt Ihnen denn so viel daran, dieser Brigg sobald als möglich den Rücken kehren zu können?« fragte der Kommandant.

»Wenn das der Fall wäre, dann müßte ich ja das undankbarste Geschöpf auf Gottes Welt sein! Nein, Kapitän Boldock, so etwas dürfen Sie von mir nicht denken.«

Der Schiffer schwieg und schien seine ganze Aufmerksamkeit der Bark zuzuwenden. Die vier Mann vom ›Wellesley‹ waren an Bord gesetzt worden, so daß Mr. Matthews jetzt über eine Mannschaft von elf Matrosen verfügte, den Bootsmann der Brigg mitgerechnet, der als zweiter Offizier zu fungieren hatte. Als die beiden Schiffe sich endlich in Bewegung setzten, funkelte am östlichen Horizont bereits hell ein Stern, obgleich im Westen die Abendröte noch nicht verglommen war.

»Ich werde eine Laterne an meine Gaffel hängen lassen,« rief der Kommandant der Bark zu. »Halten Sie sich in meinem Kielwasser, aber vorsichtig, daß Sie mich nicht in den Grund rennen. Auch Sie können vorn eine Laterne aufbringen.«

Nachdem diese Verfügungen getroffen waren, bot der Schiffer der jungen Dame die Hand und führte sie in die Kajüte, wo ein Matrose inzwischen den Theetisch gedeckt hatte. Der Marineoffizier und die Gouvernante befanden sich allein. Miß Mansel nahm ihre Segeltuchmütze ab, setzte sich nieder und schenkte aus der alten, verbeulten, zinnernen Theekanne zwei Tassen voll, deren eine sie dem Kommandanten reichte.

»Unsere Begegnung mit der Bark ist ein höchst erstaunlicher Zufall,« nahm dieser das Wort, nachdem er sich ein Quantum Rum in den schwarzen Trank gegossen hatte. »Aber hätte sie auch das Zehnfache des gestohlenen Goldes jetzt noch in ihrem Raum, so würde ich selbst dann noch aus tiefstem Herzen bedauern, sie aufgefunden zu haben.«

»Und warum das?« fragte Miß Mansel, große Verwunderung heuchelnd.

»Sie fragen noch? Muß ich Sie nun nicht verlieren?« versetzte Boldock zärtlich und schmerzvoll.

Das Mädchen antwortete nicht.

»Miß Mansel – oder lassen Sie mich Margaret zu Ihnen sagen,« fuhr er fort, mit beiden Händen seinen Rock fassend, als müsse er sich zu einem heroischen Unternehmen gürten, »Margaret, ich bin ein Seemann, nichts mehr und nichts weniger, und als solcher nicht gewohnt zu kreuzen, wenn der Wind günstig ist. Wenn ich nicht glaubte, solch einen günstigen Wind in Ihren Augen zu erblicken, dann Margaret, bei meiner Ehre als Offizier und Gentlemen! würde ich mich eurer solchen Rede Ihnen gegenüber nicht unterfangen – – Margaret, ich liebe Sie!«

»O Kapitän Boldock ...!«

»Ja, Margaret, ich liebe Sie,« wiederholte der Kommandant, indem er seinen Sitz verließ und kühn neben der jungen Dame auf der Kastenbank Platz nahm. »Sie sind das erste Mädchen, das jemals meine Zuneigung gewann. Ich besitze keine Reichtümer, aber ich bin wohl imstande, eine Frau zu ernähren, und so frage ich Sie hiermit, wollen Sie meine Frau werden, wenn wir mit dem Willen Gottes die beiden Schiffe glücklich in den Hafen von Sydney gebracht haben?«

Die junge Dame saß glutübergossen, aber sie antwortete nicht. Ein Beben durchlief sie, als Boldock seinen Arm um sie legte. Der Antrag war ihr keineswegs unerwartet gekommen. Längst hatte sie erkannt, daß der Schiffer sein Herz an sie verloren, längst war sie sich der Aufmerksamkeiten, mit denen er sie umgab, sehr wohl bewußt. Er war ein Seemann, rauh, bieder, gutherzig, dazu ein Offizier in der königlichen Marine.

»Sehen Sie, Margaret,« so führte er seine Sache weiter, »wenn Sie sich an Bord der Bark begeben, dann sind wir getrennt. Schlechtes Wetter kann die Schiffe verschlagen, eins hierhin, eins dorthin. Auf See ist nichts unmöglich. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, mir jetzt und hier zu sagen, ob Sie mein liebes Weib werden wollen, wenn wir nach Sydney zurückgelangt sind. Wollen Sie, Margaret – liebste Margaret?«

Miß Mansel senkte den Kopf.

»Ich habe oft gedacht und gesagt,« antwortete sie leise, »daß, wenn ich jemals heiraten sollte, mein Gatte ein Seemann sein müßte ...«

»Na sehen Sie – ich bin ja ein Seemann!« rief der Kommandant glücklich.

»Das weiß ich,« versetzte sie lachend.

Der Schiffer rückte ein klein wenig von ihr ab, wie um den vollen Anblick von ihr zu gewinnen; dann legte er ihr den Zeigefinger unter das Kinn und hob ihr lachendes Antlitz auf.

»Also Margaret, liebste Margaret, sprechen Sie das Wort aus, nach dem mein Herz so hungrig ist; sagen Sie mir, daß Sie meine Frau werden wollen, und dann gebe ich Ihnen einen Kuß.«

»Aber Sie kennen mich ja erst so kurze Zeit,« antwortete das junge Mädchen. »Wissen Sie denn, ob ich Ihren Erwartungen entsprechen und Ihnen die Frau sein kann, die Ihrer würdig ist?«

»Ich kenne soviel von Ihnen, wie Sie von mir, das gleicht sich also aus,« rief der Schiffer ungeduldig. »Geben Sie mir Ihre Antwort, süße Margaret, lassen Sie mich nicht so lange zappeln!«

Damit spitzte er schon die Lippen.

Halb lachend und halb weinend, mit Wangen, die so rot waren wie die seinen, legte Margaret ihren Kopf an des Schiffers breite, hoch gewölbte Brust, in der das treueste Herz schlug, das je um eines Mädchens Liebe geworben.

»Ja,« hauchte sie, »ich will Ihnen ein treues, liebendes Weib sein.«

Dann begegneten ihre Lippen denen des Kommandanten.


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