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Achtes Kapitel

Lökken, den 19. Juli 19..

Lieber Freund!

Ich habe die Dokumente über den Kriminalfall erhalten und ersehe aus ihnen, daß Sie sich die Würde eines Richters verliehen haben. Schön, das ist Ihre Sache. – Nun aber haben Sie mich zum entscheidenden Richter ernannt, zu einer höheren Instanz, die darüber beschließen soll, ob der Fall weiter zu verfolgen sei oder nicht. Und das geht zu weit, lieber Freund. Da mache ich nicht mit! Dem Himmel sei Dank, daß ich kein Rechtsgelehrter bin, denn dazu eigne ich mich am allerwenigsten. Ich protestiere dagegen, daß Sie mir ein solches Amt auferlegen – ich will es nicht übernehmen.

Ihr Verhör finde ich bewundernswert, und es gelang mir auch ohne Schwierigkeit, die Pausen, die Sie dabei gemacht haben, auszufüllen. Wenn ich jung wäre, würde ich Sie beneiden, denn Jugend und Liebe sind die einzigen Dinge, um die ich andre beneide. Nun sitze ich hier auf diesem Felsenstrand wie eine alte graue Krähe und lasse meine krächzende Unglücksstimme erschallen.

Über die Affäre wissen Sie jetzt also alles. Sie haben ergründet, wer der Ermordete – und wer der Mörder ist.

Ich habe hierzu noch zu berichten, daß Major Johnson sich augenscheinlich der getreuen Amy Nummer 1 erbarmt hat, für die ich schon immer Bewunderung empfand, soweit ich imstande bin, ein weibliches Wesen zu bewundern.

Und so scheint die ganze Geschichte zu Ende zu sein, jeder von den handelnden Personen ist erledigt, wie es sich für eine Geschichte mit befriedigendem Ausgang gehört.

Und doch ist die wichtigste von allen Personen unerledigt geblieben: Die Leiche im Keller!

Ein weiser Mann, dessen Namen ich vergessen habe, hat mal vor Zeiten gesagt, daß die Toten es sind, die über uns Sterbliche herrschen; sie füllen unsre Erde mit ihren Gebeinen, sie leben in ihren Werken fort und fort, sie legen ihre Knochenhände auf uns – sie befehlen und wir müssen gehorchen. Das ist wahr, denn die Toten machten unsre Gesetze, sie bestimmten unsern Kurs, sie verlangen unsern Gehorsam – – sie herrschen.

Die Leiche im Keller harrt noch ihrer Erledigung. – Sie fragten mich selbst, was noch zu tun sei. Jawohl, sehr freundlich von Ihnen, daß Sie die Entscheidung dieser Frage mir überließen. Doch ich – ich lehne es ab, darüber zu entscheiden. Ich sende die Frage wieder an Sie zurück.

Was also nun?

Major Johnson und seine Amy baten mich inständig, sie mit dem toten Mann zu verschonen. Ich protestierte zwar um Ihrer Amy willen, mußte aber zugeben, daß es höchst albern wäre, das Leben zweier Menschen zu vernichten, bloß um dem sogenannten Recht dieses unbeklagten Toten Genüge zu leisten. Er war ein Schurke und hat seinen Lohn bekommen. Zum Leben kann er nicht mehr zurückkehren, und als Toter hat er keinen Anspruch auf richterliche Genugtuung. Nur die Gesellschaft, wie alle rechtdenkenden Menschen sagen würden, nur die Gesellschaft hat Anspruch darauf. Ich habe den Fehler begangen, den Major und seine Amy vor einer Verantwortung der Gesellschaft gegenüber zu bewahren; sie sind davongezogen, ich weiß nicht, wohin. Vergeben Sie mir das. Ein Stück Papier, auf dem er ein paar Worte bescheinigt hat, ist alles, was ich erlangen konnte; und obwohl ich kein Rechtsgelehrter bin, vermag ich einzusehen, daß dieses Papier keinen gesetzmäßigen Wert besitzt.

Doch wenn nun der Tote den Major hat entkommen lassen, so wird er sich um so sicherer auf Sie und Ihre Amy legen. Und mit vollem Recht, würde die Gesellschaft sagen. Sie ermordete ihn – wollen sagen tötete ihn, und sie muß nun auch von Angesicht zu Angesicht der Gesellschaft gegenüberstehen und ihre Tat rechtfertigen. Erst wenn ein Tribunal der Menschheit sie freigesprochen hat, ist sie wirklich frei – früher nicht. Das Rechtswesen, das wir von den Toten erbten, verlangt das von ihr.

Das wissen Sie ebensogut wie ich: Sie sind ja Rechtsdiener und müssen verstehen können, daß die Leiche, die seit drei Monaten im Keller des Hauses liegt, ihre Rechte hat, die Sie und Mrs. Weston respektieren müssen.

Die Leiche im Keller muß erledigt werden. Miß Derry in ihrer weiblichen Unwissenheit schlug vor, sie zu vernichten; sie erklärte, es wäre am besten gewesen, wenn bereits Throgmorton sie vernichtet hätte. Das mag freilich richtig sein, doch so, wie die Sache liegt, muß das Gesetz seinen gewöhnlichen Gang nehmen. Das bedeutete allerdings nichts andres, als daß Ihre Amy wegen Mordes verhört werden würde, was ihr wohl manches Leiden brächte und ihr Schicksal in die Hand einiger gleichgültiger Männer legte.

Mein lieber Freund, Rechtsbeflissener, Vorkämpfer der Justiz, und wie Sie sich sonst nennen mögen, ich sagte vorhin, die Geschichte wäre aus – – sie hat eben erst angefangen! Damals wünschten Sie die Unannehmlichkeiten einer öffentlichen Verfolgung der Sache zu vermeiden; ich selbst regte Sie dazu an, und Sie vermieden sie wirklich. Es ging wohl schwer, jedoch es ging. Nun stehen Sie auf genau derselben Stelle, an der Sie zu Anfang standen. Und jetzt können Sie es nicht länger vermeiden, nein, in der Tat, Sie können's nicht.

Ich weiß nicht, wie Sie jetzt denken – Sie sind ja jung und daher unbeständig. Doch für mich enthält dieser Fall nur die eine Lehre, daß wir Menschen uns zu unserm Schutz mit einer sogenannten Justiz umgeben haben, die ebenso etwas von uns selbst Geschaffenes ist, wie Soldaten und Kanonen es sind. Sie ist etwas, das keine innere Rechtfertigung besitzt, sozusagen nicht auf sich selbst beruht, sondern nur zu unserm Schutz existiert oder aber – wenn wir es nicht selbst kontrollieren können – unser Feind werden kann. Alsdann gleicht die Justiz einem Schäferhunde, der derselben Herde, die er behüten soll, seine Zähne weist. Reden Sie daher nicht von Justiz, sondern von einer nützlichen menschlichen Einrichtung, die – solange sie nur ihrem Zweck entsprechend wirksam ist – auch verteidigt werden muß.

Wohl sind die Rechte des toten Weston an sich ein Nichts; man könnte höchstens sagen, daß die Gesellschaft zu ihrem Schutz ein Verfolgen der Angelegenheit verlange, und ich will die Beurteilung dieser Frage ganz Ihnen überlassen. Eins aber bleibt, auch wenn Sie die Frage verneinen, immer bestehen: Die Leiche des toten Weston liegt im Keller des Hauses, das Ihr neu begründetes Glück beherbergen soll.

Und da kann sie nicht liegen bleiben.

Das Amt, das Sie mir auferlegen, weise ich zurück. Ich bin außerstande zu entscheiden, was Sie nunmehr beginnen sollen; aber eine Frage will ich an Sie richten: »Haben Sie den Mut, das Werk Throgmortons fortzusetzen und zu vollenden, haben Sie den Mut – um Ihre Amy zu schonen – den Körper des toten Weston, sei es durch Verbrennung, sei es durch Bestattung – aus der Wirklichkeit zu schaffen?«

Haben Sie den Mut dazu? – Oder verurteilen Sie gemeinsam mit der übrigen ehrlichen Menschheit die Tat, die diese ein Verbrechen nennen würde? Beachten Sie das und geben Sie zu, daß für Sie die Affäre erst jetzt beginnt. Hic Rhodus – hic salta!

Ihr Freund Jens Koldby.

P. S. In der Hitze des Gefechts habe ich etwas vergessen. Ihr Bericht nämlich enthält nichts über Amys Katze, obwohl diese kein ganz unwichtiger Punkt ist. Ich habe nun von Miß Derry erfahren, daß Katze und Halsband ursprünglich ihr gehörten. Sie hat beides vom Major zum Geschenk erhalten, es ihm jedoch später – um ihn an seine Treue zu mahnen – zurückgesandt. Ich lege nun Wert darauf, Ihnen mitzuteilen, daß Miß Derry die Katze mittlerweile mir geschenkt hat. Es ist jetzt also meine Katze, was ich gefälligst zu beachten bitte. Miß Derry oder vielmehr Mrs. Johnson, wie sie jetzt heißt, sagt, daß die Katze zu einer auserlesenen Rasse gehört.


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