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Sechstes Kapitel

Ein seltsames, feierliches Schweigen lag über dem Hotel, als die Gäste zum Abendessen versammelt waren. Sie hatten über den ertrunkenen Engländer gesprochen, hatten alles gesagt, was zu sagen war – und sie hatten ihm alles vergessen und vergeben – um des Mutes willen, den er gezeigt. Was man auch über ihn sagen mochte, er war ein tapferer Bursche gewesen. Und nun lag er draußen, ein Spiel des Windes und der Wellen; vielleicht nahm ihn die See für immer auf, bestenfalls spülten ihn die Wellen an einer nördlicheren Stelle ans Land.

Und die Damen schauderten bei dem Gedanken.

Mrs. Weston war zur Abendtafel nicht erschienen. Dagegen nahm Mr. Weston wie gewöhnlich seinen Platz neben Nielsen ein. Er redete mit gedämpfter Stimme, wie es sich gehörte, doch schien er nicht bekümmert zu sein. Nielsen konnte es verstehen; er begriff, daß das Band, das diese beiden Männer zusammengehalten hatte, nicht Freundschaft gewesen war. Nielsen war überzeugt, daß Throgmorton der Führer bei allen Unternehmungen gewesen war, und er hegte keinen Zweifel, daß durch seinen Tod die Arbeit wesentlich erleichtert wurde. Solange jener, der vor keiner Tat zurückschreckte, am Leben gewesen war, hatte sich Nielsen in acht zu nehmen gehabt. Nun, da er draußen in seinem feuchten Grabe ruhte, glaubte Nielsen vieler Mühe überhoben zu sein.

Weston berichtete den Hergang des Ganzen. Der Sturm hatte sie, während sie bei der großen Bank kreuzten, überrascht. Launisch und plötzlich war er gekommen, wie es eben im Skagerrack oft geschieht, und Bolle Jens hatte zur Heimfahrt gewendet. Wohl ging die See immer höher, doch das Boot hielt sich beständig in seinem Kurs, und Weston dachte nicht im entferntesten daran, daß Gefahr vorliegen könne. Als sie das Signal auf dem Berge erblickten, fragte sie der Schiffer, ob sie in das Rettungsboot übergehen wollten, doch Throgmorton erwiderte ihm, daß sie ganz nach dem Wunsche Jensens handeln würden. So beschlossen sie denn, ohne das Rettungsboot die Landung zu versuchen. Es lagen etwa zweihundert Pfund Hummern im Raum, und Jens war nicht gewillt, diese fahren zu lassen. Als er jedoch in die Nähe der dritten Bank gekommen war, begannen Zweifel in ihm aufzusteigen, und er gab dem Rettungsboot ein Signal, heranzuholen. Weston und Niels Hansens Sohn, dessen Leben Bolle Jens nicht in Gefahr bringen mochte, stiegen auf das Rettungsboot über, während die andern zurückblieben; auch Throgmorton wollte den Segler nicht verlassen, und man ließ ihm seinen Willen.

Bei dem Unfall schließlich wurde Throgmorton vermutlich von einem Tau oder der Takelage umstrickt und unter das Boot gerissen.

Das Fahrzeug selbst trieb kieloben nach Norden ab, so daß es wahrscheinlich in der Nähe von Lyngby ans Land geschlagen werden würde. Und Weston wollte noch an demselben Abend mit einigen Fischern dorthin aufbrechen, um die Leiche zu suchen.

Nielsen erbot sich, ihn zu begleiten, doch der Engländer schien es nicht zu wünschen. »Throgmorton ist tot,« sagte er, »und was jetzt noch zu tun ist, kann ich allein vollbringen.«

»Und Mrs. Weston?« fragte Nielsen.

»Sie hat sich zurückgezogen,« erwiderte Weston. »Der plötzliche Tod ihres Bruders hat sie stark angegriffen.«

Damit endete ihre Unterhaltung an diesem Abend. Der Wind ließ gegen Sonnenuntergang bedeutend nach, so daß man noch einen recht schönen Abend genoß. Nielsen und der Doktor schritten zum Strande hinab und sahen dem Niedersinken der Sonne zu. Der Strand war mit vielen Menschen belebt, die alle nordwärts schritten und, nach dem toten Engländer spähend, ihre Augen über die Wasserfläche gleiten ließen. –

Auch Nielsen und Koldby wandten sich nach Norden und hatten bei der schnellen Gangart, die sie anschlugen, bald alle andern weit hinter sich gelassen.

»Nun haben wir also die dritte Stufe bei unsrer Affäre erreicht,« sagte Nielsen, »und ich meine, jetzt ist es an der Zeit, mit der Arbeit zu beginnen. Vielleicht ziehen Mr. und Mrs. Weston jetzt von hier fort und wir bleiben dann hilflos zurück.«

Der Doktor nickte beistimmend. »Möglich. Throgmorton war jedenfalls der Anführer des Trios; mit den beiden andern werden wir leichter fertig werden. Wahrscheinlich sind sie an dem Morde bloß indirekt beteiligt, so daß der Major Johnson, der im Keller liegt, jetzt vom Schicksal selbst gerächt worden ist. Wie gedenken Sie nun vorzugehen?«

Nielsen dachte scharf nach.

»Zunächst werde ich Weston alles erzählen, was wir wissen. Der Mörder ist ja tot, und die beiden andern haben unter seiner Gegenwart, wie wir ja gesehen haben, nur zu leiden gehabt. Der Schatten seines Verbrechens liegt noch verdüsternd über ihrem Leben. Lassen sie uns darum alles aufklären und dann beide wieder in Freiheit setzen.«

»Das wäre zu hitzig gehandelt,« sagte der Doktor stehen bleibend.

Die Sonne war jetzt hinter den Horizont gesunken, und alle andern Besucher des Strandes hatten sich inzwischen zum Heimweg gewandt; kein Wesen war in ihrer Nähe zu erblicken – sie hatten bereits die Klippen von Fureby erreicht.

»Haben wir bisher keinen Fehler gemacht,« sagte Nielsen, »so werden wir es auch weiterhin nicht tun.«

Der Doktor erwiderte nichts, sondern wandte sich sinnend der See zu, die nach dem Sturm in schweren Wogen gegen die Klippen brandete.

Plötzlich ergriff er Nielsen beim Arm.

»Dort,« rief er. »Sehen Sie dorthin!«

Nielsen starrte nach der See. In einiger Entfernung von ihnen spülten die Wellen soeben einen Körper an das Land. Sie eilten hin – es war der ertrunkene Engländer. Hilflos, in seinen langen braunen Lodenmantel gehüllt, das Gesicht nach unten in den Sand gekehrt, wurde der Körper langsam auf den Strand gehoben.

»Wenn Sie und ich nicht hartnäckige Freidenker wären,« sagte der Doktor, »so würden wir jetzt unsre Hände falten und sprechen, es sei der Wille Gottes geschehen. So aber finden wir es ganz natürlich, denn der Leichnam mußte hier an die Küste gespült werden.«

Nielsen stand gedankenvoll und unentschlossen da. Der Doktor dagegen kniete nieder und wandte den Körper um, so daß er auf dem Rücken lag. Das Gesicht trug einen ruhigen Ausdruck und war nicht gedunsen; es glich dem eines Schlafenden; die Augen waren halb geschlossen, und der Bart voller Schaum. Schnell öffnete der Doktor den Mantel, und ehe Nielsen begriff, was jener beabsichtigte, hatte er ein kleines braunes Taschenbuch aus einer inneren Tasche des Toten gezogen.

»Was tun Sie da, Doktor?« rief Nielsen unwillkürlich.

»Sehe nach, ob seine Papiere in Ordnung sind,« versetzte dieser. Die Dämmerung, die allmählich hereingebrochen war, reichte zum Lesen noch hin, und der Doktor leerte eifrig die Brieftasche, die neben mehreren Banknoten einige Papiere enthielt.

Nielsen schüttelte mißbilligend den Kopf. »Das lassen Sie lieber bleiben, Doktor. Bisher haben wir jeden Konflikt mit der Polizei vermieden; dies dagegen ist gesetzwidrig.«

Der Doktor schaute auf. »Mag sein,« erwiderte er ruhig. »Das Geld kann er auch für sich behalten, nur die Papiere will ich einmal durchsehen. Ganz umsonst soll uns der Bursche nicht vor die Füße geschwemmt worden sein.«

Nielsen schüttelte wieder den Kopf, aber er schwieg. Und der Doktor faltete die Papiere, die zusammengesteckt hatten, auseinander. Der Lodenmantel und das eng zugeknöpfte Jakett, sowie das Leder der kleinen Brieftasche hatten die Papiere noch ziemlich erhalten; die Schrift war zwar teilweise verwischt, aber nicht unleserlich.

Plötzlich sprang der Doktor auf die Füße. »Nielsen,« rief er, »hier sind vier an Throgmorton adressierte Briefe und außerdem drei, deren Adresse Herrn Charles Weston lautet. Was in aller Welt hat dieser Mann mit Westons Briefen zu tun gehabt? Selbstverständlich werde ich diese Briefe an mich nehmen, ja ich werde den ganzen Leichnam durchsuchen. Nun, da wir ihn fest haben, muß er uns alle seine Taschen öffnen.«

Nielsen blickte unwillkürlich ringsumher – sie waren allein am Strand.

Der Doktor durchsuchte schweigend alle Taschen, doch ohne weitere Papiere zu finden. Schließlich nahm er die Uhr des Toten aus der Tasche und öffnete sie.

»Nielsen,« sagte er dann erstaunt, »sehen Sie her: da steht innen im Deckel ›Charles Weston 1885‹ eingraviert. Throgmorton trägt die für Weston bestimmten Briefe und eine Uhr bei sich, die ebenfalls den Namen Westons aufweist. Was soll das heißen? – Ja, wenn es Johnsons Briefe wären und Johnsons Taschenuhr, aber Westons ...? Mr. Weston zieht jetzt, nach der Leiche suchend, die ganze Küste entlang. Ich meine, daß ich, wenn ich diese Gegenstände an mich nehme, Mr. Weston damit keinen kleinen Dienst erweise, ja ich glaube sogar, daß wir ihn auf diese Weise werden zum Sprechen bringen können. Ich müßte mich sehr irren, wenn diese Gegenstände sich nicht als Schlüssel des ganzen Rätsels erweisen sollten.«

Nielsen knöpfte in nervöser Erregung seine Jacke auf. »Und was dann?« fragte er.

»Nun, drüben in London haben wir bereits eine Leiche sich selbst überlassen, hier wollen wir es ebenso machen. Lassen sie einfach liegen und gehen nach Hause. Es wird sie schon jemand von den Fischern finden. Und Mr. Weston, meine ich, wird der Polizei gegenüber nicht bemerken, daß etwas fehlt; es kann ihm nur daran liegen, die Polizei so schnell wie möglich loszuwerden. Er fragte mich heute nachmittag bereits, welche Maßnahmen die Behörde treffen werde, und das tat er wahrlich nicht, weil ihm an diesen Maßnahmen etwas gelegen war. Im Gegenteil! – Nun aber wollen wir die Leiche wieder umkehren, wie wir sie fanden.«

Gesagt, getan. Dann schritten sie wieder davon, während die Flut immer weiter von dem Toten zurückwich, der mit dem Gesicht nach unten im Sande lag.

Im Hotel war alles still an diesem Abend; das Pianino schwieg, die Gäste saßen in kleinen Gruppen zusammen und sprachen in flüsterndem Ton. Nielsen und Koldby aber saßen im Zimmer des letzteren, rauchten ihre Zigarren und lasen die Briefe, die sie gefunden hatten.

»Wir müssen sie in der richtigen Reihenfolge vornehmen,« sagte der Doktor, »und zusehen, aus ihnen einen Zusammenhang zu finden.«

Vier von den Schreiben waren Geschäftsbriefe von Sydney Armstrong.

Der erste war vom 25. April datiert und enthielt eine kurze Mitteilung über eine belanglose Sache.

Im zweiten Brief, vom 28. April datiert, wurde der Empfang eines Schreibens von Mr. Throgmorton bestätigt und mitgeteilt, daß Mr. Armstrong bereit sei, einen Mieter für das Haus des Majors zu besorgen.

Der dritte Brief enthielt eine Quittung über entrichtete Abgaben und bestätigte, daß die Briefe des Majors, wie verlangt, nach Hjörring postlagernd gesandt werden würden. Das Datum war verwischt und unleserlich.

Der vierte Brief enthielt die Anfrage, ob das Haus nach Ablauf von drei Monaten weiter vermietet werden solle, und eine Andeutung, daß die jetzigen Mieter gewillt seien, das Haus auf sechs Monate zu mieten.

Der letzte Teil dieses Briefes war besonders interessant; er lautete: »Was Miß Derry anbetrifft, so habe ich mitzuteilen, daß diese Dame mich seit meinem Telegramm vom 4. Mai nicht aufgesucht hat. Es scheint, daß sie sich beruhigt und es aufgegeben hat, nach dem Major zu suchen. Soviel ich weiß, hat über seine Reise nichts in den Zeitungen gestanden; man scheint an die Fahrt nach Birma zu glauben. Ich hoffe, daß der Major die beiden Briefe, die ich sandte, inzwischen erhalten hat. Die beiden Gentlemen, die in Cranbourne Grove wohnen, haben mir noch keine Briefe für den Major zugesandt; es scheinen also keine eingetroffen zu sein. – Ich hoffe ferner, daß der Major den Scheck erhalten hat, den ich neulich sandte. Bis Mitte Juli werden weitere Summen nicht zu senden sein.«

Diese vier Briefe waren an Throgmorton adressiert.

Die drei andern, an Mr. Weston gerichteten, waren mehr vom Seewasser mitgenommen. Das Papier war nicht so gut, und es kostete viele Mühe, sie zu entziffern. Zwei von ihnen schienen eines Interesses nicht wert zu sein; sie waren vom vergangenen Jahr datiert und handelten von Geldangelegenheiten. Der Schreiber, ein gewisser Charles Smith, beanspruchte eine Summe von hundert Pfund und drohte mit gerichtlicher Klage.

Der dritte Brief dagegen war überaus interessant. Vieles war freilich unleserlich geworden, aber der Rest enthielt so viel Wichtiges, daß Nielsen und Koldby sofort eine Abschrift davon nahmen.

Er lautete:

»Geehrter Herr! Obwohl ich Sie nicht persönlich kenne, erlaube ich mir, an Sie zu schreiben, da ich mich hierzu gezwungen sehe. Sie wissen, daß vor einiger Zeit ... (unleserlich) an Major Johnson. Sie kennen ja den Major und seine unglückselige Neigung zum Spiel. Auch seine Neigung zu ... (unleserlich) Ihnen nicht unbekannt sein. Mrs. Weston ist mir ebenso unbekannt wie Sie. Aber ein gemeinschaftlicher Freund hat mir erzählt, daß Sie in jedem Fall ein Gentleman gewesen sind. Ich sage: gewesen sind! Nach den Vorgängen vom letzten Herbst habe ich ein Recht dazu. Es ist freilich ein ungewöhnliches Ding für ein junges Mädchen, an einen ihr fremden Mann wegen dessen Frau zu schreiben, aber ... (hier waren fünf Zeilen unleserlich) ... ich kann nicht drohen, mein Vater will mir nicht helfen, wie Sie wissen. Nach den bisherigen Vorgängen zu urteilen, muß ich annehmen, daß Sie und ... (unleserlich) Vorteil daraus ziehen wollen. Ich bin aber bereit, James loszukaufen, und überlasse es Ihnen, den Preis zu bestimmen. Ich werde bezahlen, soweit ich irgend kann. Betrachten Sie das Ganze als ein Geschäft, das wir machen, und kommen Sie mit mir in Clarendon Road 117, dem Hause einer Freundin von mir, zusammen. Vielleicht irren Sie sich, wenn Sie meinen, ich wäre gänzlich wehrlos, ich habe ... (unleserlich)

Zur Unterhandlung mit Ihnen bereit, zeichne ich
A. Derry.«

Das war ein wertvolles Dokument; was nicht zu lesen war, ließ sich erraten, es betraf den Major Johnson und war an Weston gerichtet; die Schreiberin war Miß Amy Derry. – Warum aber befand sich dieser Brief in Throgmortons Besitz? Mr. Weston war am Leben, hatte mit jenem zusammen gewohnt, und dennoch trug Mr. Throgmorton Westons Taschenuhr und dessen Briefe bei sich?

»Nielsen,« sagte der Doktor, »mir beginnt zu dämmern, daß wir zu der Frage, wer der Ermordete im Keller ist, noch einmal werden zurückkehren müssen. Bisher nahmen wir als sicher an, daß es der Major sei. Nun aber weisen manche Umstände darauf hin, daß wir uns durchaus im Irrtum befunden haben.«

Nielsen nickte; seine Gedanken waren in derselben Richtung gegangen.

Der Doktor fuhr fort: »Daß in der Person des Ertrunkenen Throgmorton zu suchen ist, halte ich für wahrscheinlich. Wir glaubten aber außerdem bisher, daß Throgmorton, seine Schwester und deren Gatte Johnson ermordet hätten. Nun dagegen finden wir, daß Throgmorton eine Taschenuhr mit Westons Namen und die an letzteren adressierten Briefe bei sich getragen hat. Und daraus müssen wir schließen, daß der Weston, den wir kennen, der mit uns am Tisch sitzt, gar nicht der Weston ist, an den diese Briefe adressiert sind.«

Nielsen unterbrach ihn. »Wir wollen direkt sagen, Doktor, daß dieser Weston überhaupt nicht Mr. Weston, sondern – Major Johnson ist.«

»Eben,« sagte der Doktor. »Und ferner schließen wir ...«

Nielsen unterbrach ihn wieder: »Daß der Mann, dessen Leiche wir im Keller fanden, nicht der Major, sondern Weston ist.«

»Freilich,« sagte der Doktor. »Wir haben allen Grund anzunehmen, daß diese Leute nicht unter den ihnen gehörenden Namen weiterleben wollten. Und nur aus Rücksicht auf ihre geschäftlichen Verbindungen, besonders mit Mr. Armstrong, haben sie gewisse Namen beibehalten. Die Namen Throgmorton und Weston waren und blieben erforderlich, der Name Johnson dagegen mußte verschwinden. Wir dürfen als sicher annehmen, daß einer von den Gentlemen Mr. Johnson ist, vermutlich derjenige, der sich Mr. Weston nennt. Dieser lebt ja auch, wie wir bemerkt haben, gar nicht mit Mrs. Weston zusammen, wie es bei einem verheirateten Paar doch sein sollte. Es ist somit klar, daß der Ermordete entweder Weston oder Throgmorton ist.«

»Throgmorton kann es nicht sein, den hat Armstrong gesehen.«

»Wissen wir das?« fragte der Doktor, »und wissen wir, wann? Was wissen wir überhaupt über Weston und Throgmorton außer dem, was wir erraten haben und was dieser Brief der Miß Derry uns erzählt? Ist Throgmorton vielleicht Weston – ist er gar nicht Mrs. Westons Bruder, sondern ihr Gatte? Besonders gnädig war sie zu keinem von beiden Männern. Und dann, ist der Ermordete etwa Throgmorton? Seien Sie aufrichtig, Nielsen, weder Sie noch ich wissen es. Anderseits sind wir jetzt schon so tief in die Affäre hineinverwickelt, daß wir sie nicht auf sich beruhen lassen können, und ich meine, wenn wir irgendwo offizielle Schritte unternehmen wollen, dann können wir das nirgendwo bequemer machen als hier in Dänemark, wo wir bekannt sind und sicheren Boden unter den Füßen haben.«

»Meinen Sie, wir sollten zur Polizei laufen?« fragte Nielsen erstaunt. »Die Lösung des Geheimnisses, die uns zu schwer fällt, einem dänischen Gerichtsbeamten überlassen? Das hieße nichts andres als Mrs. Weston und den Major in dem Augenblick ins Gefängnis bringen, wo wir mit Sicherheit fühlen, daß diese beiden unschuldig sind, und wo der Mörder, wie Sie selbst vorhin sagten, seine Strafe gefunden hat.«

»Ja, da haben Sie freilich recht: für Mrs. Weston sowohl wie für den Major und Miß Derry würde ein solcher Schritt von uns recht unangenehm sein. Und es wäre nicht hübsch von uns gehandelt, ihnen solche Unannehmlichkeiten zu bereiten, während uns selbst die Sache nicht teuer zu stehen kommt. Aber – du lieber Himmel, was wollen Sie sonst machen?«

Nielsen lächelte. »Von der Polizei sehen wir jedenfalls ab. Was ich jetzt zu tun gedenke, ist, an Miß Derry zu schreiben und sie zu ersuchen, hier herüberzukommen.«

Der Doktor starrte ihn einen Augenblick offnen Mundes an. »Wissen Sie, Nielsen,« sagte er dann, »eins habe ich schon oft bei Ihnen bemerkt, nämlich: wenn Ihre närrischen Ideen erst durch eine freundschaftliche Dusche meiner Wenigkeit weggewaschen sind, dann zeigen Sie sich mit einem Male als ein ganz ganz gescheiter junger Mann.«

Das bedeutete mit andern Worten, daß der Doktor dem Gedanken Beifall spendete, und am nächsten Morgen ging mit der Hjörringer Post ein Brief nach London ab, von Nielsen geschrieben und an Miß A. Derry adressiert, der folgendermaßen lautete:

»Sehr verehrtes Fräulein! Aus Gründen, die Sie später erfahren werden, habe ich nach dem Major Johnson gesucht, und ihn hier zusammen mit Mrs. Weston gefunden. Die Dinge liegen nun viel ernster, als Sie denken, und es wäre am besten, wenn Sie herüberkommen könnten. Es wäre auch für Mr. Sydney Armstrong ratsam, herüberzukommen. Bitte, teilen Sie ihm von den Mietern des Hauses Cranbourne Grove 48 mit, daß Mr. Throgmorton bei einem Bootsunfall im Skagerrack ertrunken ist, und daß Mr. Armstrong wirklich nichts Besseres tun kann, als schleunigst nach Lökken zu kommen. Mehr kann ich nicht schreiben, aber ich bitte Sie, mir zu vertrauen.

Ihr ergebener
Holger Nielsen.«

Es war ein gutes Tagewerk, das die beiden hinter sich hatten. Und an demselben Abend verbreitete sich die Nachricht, daß die Leiche des ertrunkenen Engländers zwischen dem Furebyer Bach und Lyngby gefunden sei.

Der Amtsrichter des Bezirks kam selbst herbei, um die Leiche zu besichtigen, denn es konnten möglicherweise Auseinandersetzungen mit der englischen Behörde folgen.


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