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Viertes Kapitel

Mr. Armstrong war recht aufgeregt, als Nielsen und Mrs. Weston ihm ihren Besuch abstatteten. Nielsen ließ Mrs. Weston reden; er hatte ihr noch kein Wort über seine Bekanntschaft mit dem Agenten gesagt und begrüßte diesen höflich wie einen Fremden.

Armstrong ließ seinerseits ebenfalls keine Bemerkung darüber fallen, daß ihm Nielsen bekannt sei, so natürlich das auch sein mochte. Er war augenscheinlich entschlossen, Vorsicht walten zu lassen und seine Zunge mehr zu hüten, als es sonst seine Gewohnheit war.

Mrs. Weston sprach: »Dieser Gentleman hier ist ein Freund, den ich in Dänemark getroffen habe – Mr. Nielsen. Er hat mir versprochen, mir in der Erbschaftssache mit seinem Rat zur Seite zu stehen. Wie ich Ihnen durch mein Telegramm mitteilte, hat mein Bruder infolge eines Unfalls sein Leben eingebüßt, und da er, wie Sie wissen, Vollmacht besaß, befinden wir uns jetzt in einer bedrängten Lage. Dieser Gentleman kennt Mr. Weston und weiß, daß ich ein Sondervermögen habe, über das ich selbständig zu verfügen wünsche. Wir bitten Sie daher, Mr. Armstrong, uns zu erklären, wie die Dinge liegen. Sprechen Sie ganz frei, als ob nur ich zugegen wäre.«

Mr. Armstrong verbeugte sich.

»Wenn ich recht verstehe, ist dieser Herr Rechtsanwalt und mit Ihren Angelegenheiten wohl vertraut?«

Mrs. Weston antwortete mit klarer Stimme, bei jedem ihrer Worte verweilend: »Mr. Nielsen kennt Mr. Weston und mich von Dänemark her – nur von Dänemark her. Er kannte auch meinen Bruder, allerdings nur oberflächlich. Was ich von Ihnen wünsche, ist nichts, als daß Sie uns beiden über die Lage der Geschäfte meines Bruders berichten.«

Mr. Armstrong warf Nielsen einen scharfen Blick zu, dann meinte er in zweifelndem Tone: »Es wäre mir aber angenehmer, wenn auch Mr. Weston zugegen wäre.«

»Ich wünsche seine Gegenwart nicht,« erwiderte sie. »Was ich verlange, ist nur volle Information über die Geschäfte meines Bruders.«

Mr. Armstrong räusperte sich. »Wie Sie wünschen, Mrs. Weston. Lassen Sie mich mit dem Hause Cranbourne Grove beginnen. Das wird ja auch Herrn Nielsen interessieren, denn wie Sie wohl wissen, ist ja Herr Nielsen der Mieter des Hauses Cranbourne Grove 48.«

Mrs. Weston blickte überrascht auf. – »Mr. Nielsen?«

Dieser nickte.

»Allerdings bin ich der Mieter eines Hauses Cranbourne Grove 48, ich und der Doktor, den Sie kennen. Wenn das Haus, von dem Sie zu mir sprachen, in South Kensington, Cranbourne Grove 48, liegt, dann bin ich Ihr Mieter, Mrs. Weston.«

Mrs. Weston errötete und sagte nach einigem Zögern: »Das überrascht mich.«

Mr. Armstrong begann sichern Boden unter den Füßen zu fühlen.

»Herrn Nielsen kann es aber keineswegs überraschen,« platzte er eifrig heraus, »als er das Haus von mir mietete, sagte ich ihm, daß es Mr. Weston gehöre.«

»Pardon, mein Herr,« rief Nielsen, »Sie erzählten mir, daß es einem Major Johnson gehöre. Sie sagten, der Major habe es von einem Mr. Throgmorton gekauft, und nur nebenbei mögen Sie Mr. Westons Namen genannt haben. Erinnern Sie sich?«

Der Agent blickte Nielsen scharf an.

»Und erinnern Sie sich vielleicht,« gab er zurück, »daß Sie mich über diesen Gegenstand scharf ausgefragt haben und zwar auf Veranlassung einer jungen Dame Namens Miß Derry? Und erinnern Sie sich vielleicht, daß ich Ihnen die Adresse des Majors Johnson aufgab und Ihnen sagte, der Major wohne wahrscheinlich mit Mr. Throgmorton zusammen? Vielleicht erinnern Sie sich auch, daß Sie an Miß Derry einen Brief geschrieben und sie ersucht haben, zusammen mit mir – anläßlich des Todes des Mr. Throgmorton – nach Dänemark zu kommen? Sie werden mir jedenfalls zugeben müssen, daß ich allen Grund habe, überrascht zu sein, Sie hier als Mrs. Westons Rechtsvertreter zu sehen, während Mrs. Weston doch wissen sollte, daß ich als Geschäftsagent Ihres Bruders einen Anspruch auf ihr Vertrauen habe.«

»Sind Sie fertig, Mr. Armstrong?« fragte Nielsen belustigt.

»Ich wünsche zu wissen, was Mrs. Weston mir hierauf zu sagen hat,« war des Agenten unmutige Antwort.

Mrs. Weston führte mit etwas erregter Bewegung ihr Taschentuch an die Lippen, dann sagte sie: »Bleiben Sie doch bei der Sache, Mr. Armstrong. Es braucht Sie gar nicht zu überraschen, daß Mr. Nielsen von diesen Dingen nichts zu mir gesprochen hat, da er doch nur meinen Bruder, Mr. Weston und mich in Dänemark antraf und nicht den Major Johnson. Es freut mich zu hören, daß Mr. Nielsen mein Haus gemietet hat, und es überrascht mich durchaus nicht, daß mein Bruder, der niemals gerade handeln konnte, es für gut befand, den Mietern durch Sie sagen zu lassen, das Haus gehöre dem Major Johnson. Sie sind meinem Bruder ein zu gefälliger Agent gewesen, Mr. Armstrong, und darum sage ich Ihnen auch rein heraus, daß ich Ihre Dienste nicht ferner wünsche.«

»Soll das eine Herausforderung sein, Madame?« sagte Armstrong, rot vor Ärger.

»Es drückt meine Absicht aus, weiter nichts. Sie können es auffassen, wie Sie wollen. Mr. Nielsen hat mein Vertrauen – Sie nicht.«

»Hat Mr. Nielsen wirklich Ihr volles Vertrauen?« fragte Armstrong zweifelnd. –

»Ja,« war ihre Antwort.

»Selbst, nachdem Sie erfahren haben, daß Mr. Nielsen, ohne Ihnen ein Wort davon zu sagen, Miß Derry ersucht hat, nach Dänemark zu kommen?«

»Ich kenne Miß Derry nicht, und interessiere mich auch nicht für diese Dame. – Sie sprachen vom Hause Cranbourne Grove – wollen Sie so gut sein und damit fortfahren? Sie wissen, daß Miß Throgmorton, die Schwester meines Vaters, das Haus mir allein vermacht hat, daß ich jedoch meinem Bruder Vollmacht gegeben habe, es für mich zu verwalten, und daß er diese Vollmacht mißbraucht hat. Das wissen Sie, nicht wahr? Sie wissen auch, daß aus dem Kauf des Hauses durch Major Johnson damals nichts wurde, daß ich jedoch das Übereinkommen, das Sie aufgesetzt hatten, respektierte und Ihnen gestattete, das Haus nominell für meinen Bruder zu verwalten, damit er nicht mit dem Gesetz in Konflikt geriete. Er ist nun tot, und ich ersuche Sie, mir Ihre Abrechnung vorzulegen.«

»Die sollen Sie haben,« sagte Armstrong, »ich werde gleich eine Aufstellung machen lassen. Niemand soll mich einer Unregelmäßigkeit in meinem Geschäftsbetrieb beschuldigen dürfen.«

»Umso besser. Die Gläubiger meines Bruders können also das Haus nicht antasten?«

»Nein.«

»Schön, und meine Bankaktien?«

»Sind ebenfalls unberührt, natürlich mit Ausnahme derjenigen, die Ihr Bruder unter Fälschung Ihrer Unterschrift verpfändet hat.«

»Und wer besitzt diese Papiere jetzt?«

»Miß Derry hat sie gekauft,« sagte Armstrong eilig.

»Ah –!« Mrs. Weston führte wieder ihr Taschentuch an die Lippen. »Sie und Miß Derry scheinen ja gute Freunde zu sein. Wer ist Miß Derry eigentlich?«

»Mr. Nielsen hat sie bei mir eingeführt, Madame. Er muß sie also besser kennen als ich. Ihr neuer Rechtsbeistand wird Ihnen volle Auskunft über die Dame geben können.«

Nielsen nickte, und Mrs. Weston fuhr ruhig fort: »Gut. Dann brauchen wir uns auch nicht länger mit ihr aufzuhalten. – Seien Sie also so gut und machen Sie die Abrechnung fertig.«

Sie hatte sich erhoben.

»Wollen wir gehen, Mr. Nielsen?«

Auch Nielsen erhob sich, und Armstrong folgte ihnen bis zur Tür. »Ich möchte mit Ihnen noch sprechen, Mr. Nielsen,« sagte er.

»O, das hängt von Mrs. Weston ab,« erwiderte Nielsen entschieden. »Ich bin ihr Anwalt und darf nur gemäß ihren Wünschen handeln. Ist es Ihnen recht, Mrs. Weston, daß ich mit Mr. Armstrong noch eine Unterredung habe?«

Die Gefragte blickte mit einem Lächeln zu Armstrong hinüber. »Ich bin gewiß, daß Mr. Armstrong begreift, aus welchem Grunde ich kein Vertrauen zu ihm habe; dagegen finde ich nicht den geringsten Grund, andre Leute davon abzuhalten, Mr. Armstrong mit ihrem Vertrauen zu beehren. Handeln Sie also nach Belieben, Mr. Nielsen. Nur meine ich, wir sollten uns über das soeben Gehörte noch besprechen, und wenn es Ihnen recht ist, gehen wir jetzt nach dem Hause in Cranbourne Grove. Da das Haus mir gehört und Sie es gemietet haben, so sind wir dort alle beide zu Hause.«

Nielsen hielt die Tür geöffnet. »Ich werde Sie vielleicht heute nachmittag besuchen, Mr. Armstrong,« sagte er im Gehen.

»O, bitte sehr,« versetzte dieser mit geheuchelter Höflichkeit, »bemühen Sie sich nicht meinetwegen.« – Er schien entschlossen, zu guter Letzt noch den Überlegenen zu spielen. Aber Nielsen und Mrs. Weston machten seinen Bemerkungen ein Ende, indem sie, ohne ein Wort zu erwidern, das Zimmer verließen.


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