Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Also so leichten Kaufes wie bei Mr. Armstrong sind Sie nicht davongekommen,« sagte Koldby lachend, als Nielsen seinen Bericht beendet hatte. »Amy ist zu viel für Sie! O, guter Nielsen, ich fange an zu glauben, daß Sie an dieser Affäre Schiffbruch erleiden werden – stranden an der Sandbank der Weiblichkeit! – Schämen Sie sich was – – Sie, ein großer, starker Kerl! – Sie sollen sehen, sie hat es getan; sie hat ihn auf ihrem Gewissen. Das ist es ja nur, was ihren Mund so fest verschließt.«

»Das glaube ich nicht,« sagte Nielsen, über einen Fahrplan gebeugt. »Der Esbjerger Dampfer geht morgen ab. Ich schlage vor, Doktor, wir reisen nach Hjörring und sehen zunächst, zu was wir aus den andern herausbekommen können.«

»Und in der Zwischenzeit läuft uns die Amy davon,« spottete der Doktor. »Hält man einfach zum Narren, he, he!«

»Ach wo!« sagte Nielsen, das Kursbuch zuschlagend. »Wenn sie weglaufen wollte, so hätte sie es schon längst getan. Ich glaube an ihre Schuldlosigkeit. Sie sah ehrenhaft aus.«

»Jawohl, als sie Lügen erzählte!«

»Wenn sie log, so tat sie es mit Überzeugung. Es war einfach weibliche Zartheit von ihr. Sie mochte einem ihr fremden Manne kein Vertrauen schenken. Denn sie liebt diesen Burschen, wer und was er auch sein mag, sie vergibt ihm – kurz, sie hat Verlangen nach ihm – und er, er liegt in Kalk präpariert unten im Keller.«

Der Doktor murmelte: »Sofern ihre Sicherheit nicht einfach daher rührt, daß sie ihn ganz genau am Leben weiß. Sie behaupten mit Entschiedenheit, daß gerade der Major der Mann im Keller ist. Woher wissen Sie das

»Er muß es sein, Doktor. Bedenken Sie doch, er hat einer fragwürdigen Person eine Vollmacht gegeben, die diese zum Empfang seiner Briefe und Gelder berechtigt. Ja, welcher vernünftige Mensch macht solch einen Unsinn? Was für ein Vergnügen soll er davon haben, sich von diesen beiden Schwindlern das Geld wegfangen zu lassen? Welchen Vorteil soll es ihm bringen, aus London und überhaupt aus England zu verschwinden? Er wird nicht von der Polizei gesucht, und wenn er Miß Derry aus dem Wege gehen will, so kann er das mit Leichtigkeit tun. Und anderseits ist es doch sehr wahrscheinlich, daß diesen beiden an seinem Tod gelegen war, um sich sein Vermögen aneignen zu können.«

»Alles sehr wohl möglich,« sagte der Doktor. »Aber warum erzählten Sie das nicht der Miß Derry?«

»Einfach, weil ich nicht genau weiß, ob in ihr nicht doch die Täterin zu suchen ist. Ich meine diejenige, die ihm den Stoß versetzt hat ... weiter nichts, während den Vorteil von der Tat die beiden andern gehabt haben. Wenn dies der Fall ist, dann sollten wir wohl gegen Miß Derry vorgehen – aber wenn auch, ich habe keine Neigung dazu. Mir gefällt das Mädchen; sie ist tapfer, entschlossen und rege, und wenn sie den Major erstochen hat, so hat sie eben ihren guten Grund dazu gehabt. – Alles, was wir jetzt tun können, ist, nach Dänemark hinüberzusetzen und diesen Gentlemen mitzuteilen, daß sie entdeckt sind und eventuell mit der Londoner Polizei zu tun bekommen werden.«

»Und Madame Sivertsen und die Katze?« fragte der Doktor.

»Die bleiben hier. Die Unkosten der Sache nehme ich auf mich, sofern Sie nicht mit mir teilen wollen. Wenn wir dann später zu einem Resultat kommen, das uns veranlaßt, die Sache fallen zu lassen – das heißt, wenn Miß Derry wirklich die Tat begangen hat, dann rufen wir Frau Sivertsen nach Hause und stellen die Katze der Miß zur Verfügung.«

»Und wenn die Katze der andern Lady gehört? Sie vergessen, daß hier zwei Damen beteiligt sind.«

Nielsen lächelte. »I was! Ich kenne bloß eine, Doktor. Die macht mir schon genug zu schaffen. Alles, was ich von ihr herausbekommen habe, ist, daß sie in jedem Falle recht gehandelt hat, das heißt ohne jede niedrige Absicht. Ich glaube nicht, daß er viel wert gewesen ist, unser Mann im Keller; er interessiert mich nur noch wenig. Aber eins steht jedenfalls fest: gelöst muß das Rätsel werden!«

Der Doktor sagte nichts, aber sie taten, was Nielsen vorgeschlagen hatte, und verließen London am nächsten Abend. Und als sie auf dem Verdeck des Esbjerger Dampfers standen und die Lichter von Harwich in der Ferne verschwinden sahen, sagte der Doktor fast spöttisch: »Unser Besuch hat nicht lange gedauert.«

»Erlauben Sie,« erwiderte Nielsen. »Wir wissen durchaus nicht, ob wir nicht bald werden zurückkehren müssen. So wie die Sache augenblicklich liegt, wissen wir rein nichts.«

»Meinen Sie,« fragte der Doktor, »daß die Polizei an unsrer Stelle mehr erreicht haben würde? Wenn ja, dann haben wir uns freilich nicht sonderlich mit Ruhm bedeckt.«

Nielsen schüttelte den Kopf.

»Dennoch haben wir Gutes gestiftet,« sagte er. »Mr. Armstrong zum Beispiel dürfte, wenn die Polizei an unsrer Stelle gehandelt hätte, sich jetzt wohl auf dem Fußboden einer Untersuchungszelle die Hacken kühlen. Miß Derry wäre noch übler dran – vielleicht sogar schon tot. Und das Trio andrerseits, das wir jetzt besuchen wollen, hätte sich auf die Zeitungsnachrichten hin längst aus dem Staube gemacht. Nein, Doktor, das Rühmen ist sonst nicht meine Sache, aber hier muß ich offen bekennen, daß wir, indem wir die Sache in unsre Hand nahmen, allen Teilen zum Nutzen gereicht haben.«

»Uns beiden besonders,« meinte der Doktor lachend. »Denn die ersten, die man eingelocht hätte, das wären sicher – wir gewesen! Das kann uns übrigens, wenn die Ereignisse uns wieder nach London führen sollten, immer noch passieren. Wir haben somit allen Grund, augenblicklich vergnügt, später aber vorsichtig zu sein.«

* * *

Die See war ruhig und der Himmel klar. Der Doktor saß den ganzen Tag auf Deck und malte Wasserpartieen. Nielsen stand an die Reeling gelehnt und blickte nach den kleinen schaumigen Wellen; seine Gedanken aber weilten in weiter Ferne – bei dem Rätsel, das er lösen wollte, wenngleich die unendliche freie Umgebung es zu etwas Unbedeutendem, Abstraktem verringerte; es war eine Angelegenheit, die wohl den Intellekt, nicht aber das Gemüt berührte.

Nielsen war noch jung, und Amy – die Amy der Affäre – zu unpersönlich für ihn.

Und während ihr Kurs gen Dänemark führte, saß in Cranbourne Grove Madame Sivertsen mit Amys Katze in ihrer Kammer hinter der Küche, und im Keller lag ruhig und still der tote Mann.


 << zurück weiter >>