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Drittes Kapitel

Die Tage gingen hin, die See blieb ruhig und verlockend, und die Sonne sandte ihre warmen Strahlen über das Ganze. Besucher kamen und gingen, Doktor Koldby zog umher und malte, und Nielsen faulenzte am Strande – gewöhnlich in Begleitung von Mrs. Weston. Die Engländer ärgerten sich darüber; aber sie sagten nichts und suchten Zerstreuung im Sport, während die andern Badegäste über Nielsen und seine Begleiterin hinwegsahen.

Jedoch was half das alles – Nielsen kam nicht weiter und auf die neckenden Bemerkungen des Doktors konnte er nichts zu seiner Verteidigung sagen. Miß Derry ließ auch nichts von sich hören, und Madame Sivertsens Berichte waren nur kurz. Letztere vermochte nicht zu begreifen, warum die beiden Herren sich eigentlich das kostspielige Haus in London hielten. Die Katze, schrieb sie, wäre rund und dick geworden, sie hätte sich inzwischen mit ihr gut befreundet – vielleicht hätten die Herren das Haus nur für die Katze gemietet? –

Der Doktor fand das Vergnügen auch ein wenig teuer, und Nielsen mußte zugeben, daß es keine lohnende Kapitalanlage war. Aber das Schlimmste von allem war, daß sie auch nicht den geringsten Fortschritt machten. Endlich beschloß der Doktor, mit Hand anzulegen und seinerseits den Engländern auf den Hals zu rücken. Er mietete von einem alten Fischer Namens Silius Hansen eine sogenannte Schmacke und lud die Engländer zu einer Segelpartie ein. Die Engländer zogen auch einmal mit ihm hinaus, doch dann machten sie im Norden der Stadt einen andern Fischer ausfindig, der ebenfalls seine Schmacke zu vermieten bereit war, und zogen fortan allein auf die See.

Eines Abends – als Nielsen und der Doktor die letzten Zigarren angezündet hatten – erleichterte dieser Nielsen gegenüber sein Herz.

»Sehen Sie, Nielsen,« sagte er, »wir sind jetzt auf dem Punkt angekommen, wo ein guter General zur Entscheidung vorgeht. Ich vermute, daß es Ihnen bis jetzt noch nicht gelungen ist, Mrs. Weston bis zum Siedepunkt zu erwärmen. Beeilen Sie sich also damit ein bißchen, mein Lieber. Ich sehe es ihr ja an, daß sie durch ihren Gatten todkrank gemacht wird und wie glücklich sie über den Umgang mit Ihnen, mein Freund, ist. Versichern Sie sich also Ihrer Bundesgenossin vollständig und gehen Sie dann zum Angriff über. Natürlich nehme ich an, daß sie weiß wie Schnee ist.«

Nielsen schüttelte den Kopf. »In der Weise möchte ich lieber nicht zu Werke gehen. Nein, wir wollen unsern Angriff da gegen die Festung richten, wo sie am stärksten aussieht.«

»Aha!« lachte der Doktor, »Sie sind ein Held!«

»Ja, oder ein Ritter,« sagte Nielsen. »Es wird diesen Gentlemen freilich Mißvergnügen bereiten, aber wir werden sie zwingen, die Waffen zu strecken. Und ich laß mich hängen, wenn uns das nicht gelingt. Ich locke sie mit Jensens ›Betty‹ weit auf die See hinaus – bis zu den großen Sandbänken, und dann, wenn sie mir nicht ausweichen können, eröffne ich gegen sie das Feuer. Was sagen Sie dazu?«

»Hm, nicht übel,« meinte der Doktor, »aber Sie sollten lieber nur einen von beiden mitnehmen. Ich werde mich solange an Throgmorton hängen, während Sie mit Jensens ›Betty‹ hinausfahren und Weston allein mitnehmen.«

»Schön, da haben Sie recht,« stimmte Nielsen bei. »Also Sie nehmen Throgmorton auf sich, während ich mit Weston hinaussegle und das Unumgängliche tue.«

»Das Unumgängliche? Wollen Sie ihm etwa alles erzählen?«

»Ja.«

»Wäre das auch klug gehandelt?«

»Nun, hören Sie meinen ganzen Plan. Wenn wir draußen sind, sage ich zu Mr. Weston, daß ich mich seiner Frau genähert und versucht hätte, ihr zur Unterhaltung zu dienen. Ich wolle seinen Rechten durchaus nicht nahe treten, aber seine Frau interessiere mich im höchsten Grade, denn eine bekannte Dame von mir, die er zweifellos auch kenne, eine Miß Derry ...«

»Ah! –« unterbrach ihn der Doktor.

»Jawohl, nun spiele ich Miß Derry aus. Miß Derry, sage ich, habe mir erzählt, daß ihr Bräutigam, ein gewisser Major Johnson, sein Herz an Mrs. Weston verloren und die Verlobung gelöst habe. Das wird ihn natürlich nur wenig erregen. Doch dann gehe ich weiter vor. Ich sage, Miß Derry wolle ihren Major nicht aufgeben, und ich sei nun nach Lökken gekommen, um ihn zu finden. Das wird ihn natürlich auch nicht sonderlich aufregen, denn er weiß gut, daß der Major ruhig im Keller liegt und nicht so leicht zu finden ist; wahrscheinlich wird er innerlich über mich lachen und äußerlich erklären, er verstehe kein Wort davon. Doch dann mache ich einen Riesenschritt; ich sage: Mr. Weston, es nutzt nichts, daß Sie mit mir spielen. Wir haben Ihr Haus, Cranbourne Grove Nr. 48 gemietet – und – –"

Der Doktor konnte sich nicht länger bemeistern. »– – und unten im Keller fanden wir ... nicht wahr?«

»Darf ich Sie einen Verrückten nennen, lieber Doktor, ohne Sie zu kränken?«

»Bitte sehr, denn vernagelter, als Sie es augenblicklich sind, kann ich nicht sein.«

»Gut, also nenne ich Sie einen Verrückten. Glauben Sie wirklich, daß ich das dem Weston erzählen werde? Gott sei Dank, daß ich nicht der Idiot bin, für den Sie mich halten. Sie sollten aus unsrer langen Bekanntschaft eine höhere Meinung von mir erhalten haben.«

»Nielsen,« erwiderte der Doktor, »zwischen übermäßiger Klugheit und Wahnsinn liegt nur ein kleiner Schritt, und jetzt wollen Sie wirklich überklug sein.«

»Sind Sie imstande, mich zwei Minuten lang ruhig anzuhören?«

Das war der Doktor, und Nielsen fuhr fort: »Ich sage zu meinem Englishman draußen auf der blauen See: Wenn Sie jetzt nicht mit der reinen Wahrheit herausrücken, Mr. Weston, dann gehe ich auf der Stelle nach London zurück, und wenn ich im Hause Cranbourne Grove Nr. 48 in jedem einzigen Zimmer den Fußboden aufreißen sollte, so tue ich es, denn den Major will ich finden – lebendig oder tot! – Na, was sagen Sie nun?«

Da verbeugte sich der Doktor tief und trank sein Glas aus. »Das ist in der Tat das Richtige. Das tun Sie nur.«

Es vergingen einige Minuten in Stillschweigen; Nielsen genoß seinen Triumph, während der Doktor, den Finger an die Nase gelegt, eifrig nachsann. Es wurmte ihn, daß Nielsen ihn bezwungen hatte.

»Was aber dann?« fragte er.

Nielsen lächelte. »Freilich ist schwer vorauszusehen, welche Wirkung meine Worte auf mein Opfer haben werden. Aber wir wollen eine Hypothese aufstellen.«

»Warten Sie noch ein bißchen,« sagte der Doktor mit boshaftem Lachen. »Man darf sich niemals unterkriegen lassen. Sie drückten sich vorhin so verteufelt pfiffig aus, daß ich keine Antwort bereit hatte. Nun aber habe ich eine. Wir wissen freilich, was Miß Derry uns erzählt hat, wir wissen aber auch, daß diese Dame, um noch ein mildes Wort zu gebrauchen, es mit der Wahrheit nicht sonderlich genau nimmt. Wenn also etwa Miß Derry selbst den Tod des Majors auf dem Gewissen hat, wenn sie ihn aus Eifersucht tötete und in dem Kalk versteckte – kurz, wenn sie die Mörderin ist, dann wird Mr. Weston allen Grund haben, aus einer wahren Turmhöhe von Moral auf Sie herabzublicken, und aus der stolzen Stellung des Anklägers würden Sie in die fragwürdige des Mitschuldverdächtigen herabsinken.«

»Sie vergessen, daß in diesem Falle Mr. Weston nicht wissen kann, was im Keller des Hauses Cranbourne Grove liegt, und mich dann schlimmstens für einen Idioten halten wird, was ich ihm gern gestatte. Dann aber wäre auch unsere Mission hier beendet.«

Der Doktor dachte nach. »Das ist nicht so ganz unrichtig,« sagte er, »wir würden in diesem Falle wieder gegen Miß Derry vorrücken und von den drei Engländern hier wertvolle Erkundigungen über sie einziehen können. Das will ich zugeben. Aber nun, gesetzt den Fall, Mr. Weston ist einer von den Mördern, dann würde ...«

»Nun kommt meine Hypothese zur Geltung,« unterbrach ihn Nielsen. »Mr. Westons erster Gedanke wird es sein, zu Throgmorton zu flüchten, woran ihn jedoch die ganze Länge der dazwischenliegenden Bai hindern wird. Wir sind meilenweit von der Küste entfernt, Throgmorton ist nicht zur Hand, und ich gehe direkt auf mein Ziel los. Mr. Weston wird ängstlich werden und eine Menge Dinge reden, die wir nicht erraten können, die ich mir jedoch sehr sorgfältig anmerken werde. In der Zwischenzeit reden Sie in ähnlicher Weise zu Throgmorton – bloß von dem Aufreißen der Dielen brauchen Sie nichts zu sagen. Nach unsrer Rückkehr werden dann die beiden Gentlemen Pläne schmieden, wie sie sich am besten aus dem Staube machen können – – –«

»Wahrscheinlich,« sagte der Doktor. »Ihren Sommeraufenthalt dürften wir jedenfalls gestört haben.«

»Das denke ich auch. Nun aber weiter. Sie werden jedenfalls nicht ohne Mrs. Weston reisen wollen. Wir stellen dann fest, wieviel diese von der Angelegenheit weiß, und richten danach unsren Plan ein. Zweifellos wird sie sich von diesen Verbrechern nicht mitschleppen lassen. Dadurch haben wir letztere isoliert und – – – na, was sollen wir soweit vorgreifen, wir werden ja sehen, was bei unsrer Erkundigung herauskommt, und uns dann entscheiden.«

»Es scheint zu stimmen,« sagte der Doktor, »aber in der Praxis wird's kaum so glatt von statten gehen.«

»Ja, das kommt daher, weil das Ganze auf einer Hypothese beruht, mein lieber Doktor. Aber ich bin es müde, noch länger zu warten. Mag es enden, wie es will. Die Zeit, zu handeln, ist jedenfalls gekommen.«

»Ja, da haben Sie recht,« sagte der Doktor und trank sein Sodawasser aus.

Der Kriegsrat war beendet.


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