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1. Cranbourne Grove Nr. 48

Erstes Kapitel

Spottbillig ist es, mein Herr, spottbillig! Dreieinhalb Guineen pro Woche für das ganze komplett möblierte Haus, bestehend aus Atelier, zwei Wohnzimmern, einem großen Speisesaal und drei Schlafgemächern – den Garten gar nicht mitgerechnet. Elektrisches Licht im ganzen Hause und Gas in der Küche. Spottbillig ist es. Und nur infolge eines ganz außerordentlichen Zufalls kann ich Ihnen das Haus so billig überlassen.«

Mr. Sydney Armstrong schnalzte mit der Zunge und klopfte mit dem Stock auf seine braunen Ledergamaschen. Er war wie gewöhnlich sportsmäßig gekleidet, denn Sport bildete seine Hauptbeschäftigung. Daneben betätigte er sich, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, als Agent für Häuserverkauf und -vermietung. Sein Geschäft war noch jung, und das Kontorpersonal bestand nur aus ihm selbst und einem Kontorfräulein.

Augenblicklich stand er in dem Flur eines kleinen netten Hauses in der Londoner Straße Cranbourne Grove; 48 war die Nummer. Das Haus, ein richtiges Landhaus, stand ein wenig abgesondert inmitten eines von hoher Mauer umgebenen Gartens in South Kensington, unweit des Museums und der Omnibus- und Untergrundbahnstation.

Wie immer wandte Mr. Armstrong auch jetzt seinen alten Geschäftstrick an: er tat, als sei ihm am Vermieten des Hauses nicht das geringste gelegen, während ihm in Wirklichkeit sehr viel daran lag; gab es doch dabei fünf Pfund für ihn zu verdienen, und fünf Pfund sind für einen jungen Häuseragenten schon immerhin eine Summe.

Aus diesem Grunde auch strich Mr. Armstrong nachdrücklich seinen Schnurrbart, während er sich ein möglichst gleichgültiges Aussehen zu verleihen suchte.

Und der Vogel, den er fangen wollte, begann tatsächlich schon in das Netz zu flattern. Es war ja spottbillig für ein solches Haus! Dreieinhalb Guineen pro Woche!

Der Vogel, der ein Däne war, rechnete die Summe in dänisches Geld um. Dreieinhalb Guineen sind mehr als dreieinhalb Pfund, sagte er zu sich selbst, denn eine Guinee ist einer alten Tradition nach – die Götter mögen wissen, warum – soviel wie ein Pfund und ein Schilling. Dreieinhalb Guineen sind also drei Pfund, dreizehn Schilling und sechs Pence, mithin fünfundsechzig dänische Kronen.

Das war allerdings mehr, als Holger Nielsen sich gedacht hatte. Aber es gehörte ja auch ein Atelier zu der Wohnung, und überhaupt war es ein reizendes kleines Haus. Dazu kam noch, daß Holger Nielsen nicht allein darin wohnen sollte, denn er hatte sich mit einem Doktor Jens Koldby verabredet, gemeinsam eine Wohnung in London zu mieten – und zwar nicht eine Etage in einer von jenen ungeheuern Mietskasernen, sondern ein richtiges altenglisches, sauberes Häuschen, zu dem ein Garten gehörte. Und Madame Sivertsen, die vierzehn Jahre lang als Stewardeß auf einem Atlantikdampfer gefahren war und perfekt Englisch sprach, sollte ihnen während der drei Monate, die sie in London zuzubringen gedachten, den Haushalt führen.

Doktor Koldby war Maler, und das Atelier daher vonnöten.

Holger Nielsen strich ebenfalls seinen kleinen, hellbraunen Schnurrbart und machte seinerseits Miene, vom Preise etwas abzuhandeln.

»Wollen sagen drei Pfund zehn Schilling,« schlug er vor.

»In London rechnen wir immer nach Guineen,« versetzte Mr. Armstrong. »Es ist wirklich spottbillig! Sie können's mir glauben! Das Haus ist nicht mein eigen; es gehört einem Offizier, der nach Birma gegangen ist. Und ich habe meine bestimmten Orders. Eigentlich sollten es vier Guineen sein. Auf dreieinhalb jedoch darf ich heruntergehen, aber weiter auch um keinen halben Penny.«

Und Mr. Armstrong versuchte sich ein überlegenes Aussehen zu geben, was ihm jedoch wegen seines dünnen gelben Schnurrbärtchens mißlang.

»Es ist wirklich zu viel,« meinte Holger Nielsen.

Mr. Armstrong zuckte die Achseln. »Dann wollen wir gehen,« sagte er. Nachgeben wollte er nicht, denn bei dreieinhalb Guineen bekam er fünf Pfund, bei weniger aber nur drei. Und so blieb er fest bei seiner Forderung.

Holger Nielsen, dem das Haus sehr zusagte, zögerte. Und Mr. Armstrong begann wieder zu hoffen.

»Zeigen Sie mir das Haus noch einmal,« sagte Nielsen schließlich. Und sie gingen wiederum hinein.

Das Entree war klein und eng; es ging in einen Korridor über, der etwa zwölf Fuß lang und vier Fuß breit war und von dem eine Treppe nach oben führte. Dahinter verengerte sich der Gang, und führte zu der im Souterrain liegenden Küche. Zu beiden Seiten des Korridors befand sich je eine Tür zu den beiden Wohnzimmern, die je ein Fenster so hoch wie die ganze Wand besaßen. Nach hinten zu führte eine Tür aus dem Korridor in den kleinen Garten mit seinen beiden länglichen Grasplätzen und den wenigen Feigen- und Lorbeerbäumen. Die beiden Zimmer im Erdgeschoß waren groß, reichlich mit Teppichen belegt und mit altertümlich eingelegten und geschnitzten Möbeln eingerichtet. Aus dem Zimmer rechts führte eine Tür auf einen nach hinten laufenden Gang, an dessen Ende das sehr geräumige und hohe Speisezimmer lag; es war eine förmliche Halle, doch recht dunkel, da sie nur durch ein Deckenfenster Licht empfing. Die Möbel aus altem Eichenholz waren schwer und dunkel, und der Fußboden war mit neuem Linoleum belegt, auf das Mr. Armstrong sich etwas einzubilden schien.

»Es ist ziemlich dunkel hier,« sagte Nielsen.

»O, im Erdgeschoß eines Londoner Hauses ist es immer dunkel,« klärte der Agent ihn auf. »Oben ist es viel heller.«

Die oberen Räume waren in der Tat hell und freundlich. Die Fenster der beiden Schlafzimmer, die dort neben der Treppe lagen, führten nach der Sonnenseite auf den Garten hinaus, und die Sonne war heute freundlich genug, Mr. Armstrong zu unterstützen. Sie schien mit aller Macht durch die niedlich kleinen Fenster herein, und das Atelier mit seinem großen Dachfenster gar war förmlich von Licht durchflutet.

Dieser Sonnenschein machte dem Zögern Nielsens ein Ende; er gab Mr. Armstrong einen beträchtlichen Vorteil in die Hand, denn die Sonne ist eine Seltenheit in London – besonders in South Kensington, das so nahe der Themse mit ihren Nebeln liegt.

»Soll ich den Kontrakt gleich unterzeichnen?« fragte Nielsen.

Ein Seufzer der Erleichterung erklang an Stelle des Ja. Der Vogel im Netz hatte aufgehört, sich zu sträuben.

Holger Nielsen unterzeichnete den Kontrakt und bezahlte eine halbe Krone für den Stempel. Sonst nichts. »Der Eigentümer hat alle übrigen Kosten zu tragen,« erklärte Armstrong eifrig; nun, da er gewonnenes Spiel hatte, ließ er sich zu einiger Liebenswürdigkeit herbei.

»Wer ist denn der Eigentümer?« fragte Nielsen, der gern wissen wollte, in wessen Hause er eigentlich wohnen sollte.

»Major Johnson,« versetzte Armstrong. »Er ist nach Birma gegangen. Erst kürzlich abgereist. Ein wahrer Zufall ist's, daß Sie das reizende Haus bekommen haben. Der Major hat gerade eine Woche lang darin gewohnt. Ja, denken Sie nur. Er hatte das Haus von einem Freunde gekauft, der es von seiner Mutter geerbt hatte. Ich weiß nicht mehr, wie er hieß, für Namen habe ich ein schwaches Gedächtnis, aber dieser Mister – – Soundso hatte das Haus gerade an den Major Johnson verkauft, als dieser Tags darauf die Order erhielt, nach den Kolonieen abzudampfen. Und da war nichts zu machen, er mußte gehen. Er hatte sich noch verheiraten wollen, aber seine Braut brach das Verhältnis ab, und er zog ohne sie davon. Ja, so etwas kann vorkommen in Ländern, die Kolonieen haben. Seien Sie froh, daß Dänemark keine hat außer Spitzbergen. Aber so ist's dem Major wirklich ergangen. Seine Freunde versichern, er habe beinahe einen Freudensprung getan, weil er eine böse Schwiegermutter losgeworden war.«

Man sieht, Mr. Armstrong begann sogar scherzhaft zu werden; das machten alles die fünf Pfund, die er sicher hatte.

»Wie ist's aber mit den Möbeln?« fragte Nielsen weiter.

»O, die Möbel hat der Major zusammen mit dem Haus gekauft. Soviel ich weiß, hat Mr. Soundso, der es erbte, oder eine Schwester von ihm hier bis vor einer Woche gewohnt. Dann verkaufte er das Ganze an den Major und ging seiner Wege.«

»Und was ist dann weiter aus ihm geworden?«

»Ich weiß es nicht. Ich kenne ihn gar nicht. Ich weiß bloß, daß er unverheiratet war.«

Nielsen sah ihn prüfend an.

»Die Einrichtung hier läßt aber vermuten, daß eine Dame hier gewaltet hat. Meinen Sie nicht auch?«

»Ja,« versetzte Armstrong, »es ist wohl seine Schwester gewesen, die hier mit ihrem Gatten gewohnt haben soll. Dieser hat übrigens das Atelier einrichten lassen, denn er malte, wie ich glaube. Aber, wie gesagt, ich weiß rein nichts über die Familie. Nur Major Johnson kenne ich; er gehört zu den Johnsons von Yorkshire. Aber davon verstehen Sie als Fremder wohl nichts.«

Nielsen kannte die Johnsons von Yorkshire tatsächlich nicht und begleitete somit Mr. Armstrong stillschweigend nach dessen Bureau, wo ein ordnungsmäßiger Kontrakt aufgesetzt und unterzeichnet wurde. Am 1. Mai sollten Doktor Koldby und Madame Sivertsen eintreffen, und beide erwarteten, alles in gehöriger Ordnung vorzufinden. Da man nun heute schon den 29. April schrieb, so war es die höchste Zeit, zu einer Entscheidung zu kommen, und Nielsen war im großen und ganzen mit dem Handel zufrieden.


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