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Zweites Kapitel

Breit, weiß und flach zieht sich der Strand von Lökken hin. Sand nichts als Sand, lange, niedrige Dünen bildend, nur hie und da mit Seegras bedeckt.

Die Dünen sind noch nicht immer dagewesen; denn die Schiffer von Lökken erinnern sich aus ihrer Kindheit, als sie mit den Schiffen ihrer Väter nach Norwegen zu segeln pflegten, daß Lökken der Stapelplatz von Hjörring war, und einige der Magazine aus jener Zeit sind noch erhalten geblieben, sie liegen zwischen den mit Stroh bedachten Hütten der Fischer und schauen über die Bai hinaus. Und so muß auch Lökken ausgesehen haben, als die Engländer im Jahre 1801 draußen auf der Bai vor Anker gingen und die Stadt mit schweren Kanonenkugeln überschütteten. Dieser Gefahr nun ist die Stadt heute nicht mehr ausgesetzt, denn jetzt halten die breiten Dünen sie nach der See zu verborgen.

Eigentlich ist Lökken nichts als ein Fischerdorf von wenigen hundert Seelen, jedoch im Sommer kommen zahlreiche Badegäste nach diesem lieblichen Ort. Denn wenn die Bucht in anmutiger Klarheit daliegt, wenn die Sonne mit ihren Strahlen die Rudbjergklippen, die sich im Norden steil aus der See erheben, und die langgestreckte Bank, die sich nach Süden bis zum steilen Abhang von Borbjerg hinzieht, in hellem Licht erglänzen läßt, dann kann sich Lökken mit den Gestaden des Mittelmeers vergleichen.

Und so sah Lökken auch heute aus, anmutig und in Sonnenlicht getaucht.

Die Badegäste dämmerten behaglich in ihren Strandstühlen, während die Kinder unten im Sande spielten und gruben. Ein wenig abwärts von dieser Stelle scherzten und lachten die Badenden in dem seichten lauen Wasser, und noch weiter abwärts sah man Fischer stehen, ernsthaft mit ihren Kuttern und Motorbooten beschäftigt, als ob es keinen Feiertag für sie gäbe und sie mit der Sonnenseite des Lebens nichts zu tun hätten.

Auch Nielsen hatte sich hier in einem Strandstuhl niedergelassen; er war in einer auf Englisch geführten Unterhaltung mit Mrs. Weston begriffen, die inzwischen von dem Unfall wieder hergestellt war und ihre Hand wie gewöhnlich gebrauchen konnte. Die Bekanntschaft beider war ja schon gemacht.

Mrs. Weston war schön, schlank mit tiefschwarzem Haar und ebensolchen Augen. Ihr ovales Gesicht war etwas blaß, doch war ihr Teint rein und zart. Sie selbst sprach wenig, sondern liebte es augenscheinlich, einen jungen Mann, der zu ihr redete, um sich zu haben, und Nielsen sprach gut und fließend.

Die beiden Engländer liefen währenddessen am Strande umher; sie hätten gern eine Segelpartie gemacht, doch war dergleichen in Lökken nicht Sitte. Hin und wieder zogen sie mit den Fischern hinaus, um Makrelen zu suchen, wenn sie nicht eine Fahrt zu Rad unternahmen oder bei scharfem Westwind den Strand entlang gingen.

Mrs. Weston redete nicht viel mit ihnen; ein sonderbarer gereizter Blick lag immer in ihren großen dunkeln Augen, wenn ihr Gatte sich an sie wandte, und ihren Bruder schien sie ganz und gar nicht leiden zu können. Letzterer spielte augenscheinlich die Hauptrolle; er traf alle Abmachungen mit dem Hotelwirt, ordnete an, was anzuordnen war, und erteilte den beiden andern in kurzem, scharfem Ton Befehle, die diese anscheinend auch befolgten. Er war kurz gewachsen und von untersetzter Figur, seiner Schwester ganz unähnlich, obgleich er wie sie dunkles Haar besaß. Er war pockennarbig und hatte durchdringende graue Augen, die stets mißvergnügt und unfreundlich dreinblickten. Jedermann ging ihm aus dem Wege, und der Hotelwirt klagte über seine Knauserigkeit und Unhöflichkeit. Mr. Weston dagegen war harmlos, groß, dünn und langweilig. Er schien für seine Frau zu schwärmen, trotzdem sie ihn so unfreundlich behandelte. Sie lebten nicht wie ein verheiratetes Paar zusammen, sondern hatten im Hotel getrennte Zimmer.

In ganz Lökken wurde über die Engländer geredet. Niemand wußte, woher sie gekommen waren. Sie selbst sagten nichts, und auch Nielsen vermochte nichts aus ihnen herauszubringen.

Der Besitzer des Hotels berichtete, daß sie sehr früh, noch vor der richtigen Saisoneröffnung, eingetroffen seien, daß sie pünktlich bezahlten und wohlhabend zu sein schienen. Briefe empfingen sie wenige und von den übrigen Gästen hielten sie sich getrennt. Das Ereignis, das sie mit Nielsen und Koldby zusammengebracht hatte, war den Engländern die erste Veranlassung gewesen, mit andern Badegästen in Verbindung zu treten. Da sie die ersten Ankömmlinge waren, so hatten sie bei Tisch ihre Plätze an der Spitze der Tafel und sich daselbst bereits heimisch gemacht.

Die übrigen Badegäste – meistens Handelsleute aus den Städten Ostjütlands – betrachteten sie mit Mißtrauen und blieben dabei. Nielsen und Koldby sah man ebenfalls für Engländer an, und das kühle Benehmen, das man den Engländern gegenüber zeigte, wurde auch auf sie übertragen.

Nielsen war das sehr recht. Ohne einen bestimmten Plan dabei zu haben, suchte er die Gesellschaft von Mrs. Weston auf, zumal er bemerkte, daß sie ihn gern mochte. Vertrauen schenkte sie ihm freilich keins und von sich selbst sprach sie niemals. Aber Nielsen vermochte dennoch wahrzunehmen, daß sie sich nach England zurücksehnte, und daß ihr die Gesellschaft ihrer beiden Begleiter lästig war; ihren Gatten schien sie zu verachten und ihren Bruder gar zu verabscheuen. Dieser Bruder hatte augenscheinlich Macht über sie; das war klar und paßte auch in Nielsens Anschauung über die Affäre von Cranbourne Grove hinein. Einen festen Plan hatte er noch nicht gefaßt; so wie die Dinge lagen, war zurzeit nichts zu erreichen. Er mußte erst ihre Freundschaft gewinnen, dann wenn möglich ihr Vertrauen, um so vom formlosen und unbestimmten Argwohn zum Wissen zu gelangen. Das war freilich kein ganz ehrenhafter Weg, doch hatte er kein andres Mittel, das Ziel zu erreichen.

»Mrs. Weston,« sagte Nielsen, »wie ist es eigentlich gekommen, daß Sie diese Seite der Nordsee zum Aufenthalt wählten? Es gibt doch drüben englische Seebäder genug, und aus Land und Leuten hier scheinen Sie sich auch nicht viel zu machen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Man ist nicht immer Herr über seine Handlungen, Mr. Nielsen. Ich muß diesen Sommer meiner Nerven wegen an der See verbringen; hier ist es billiger als in England, und außerdem – wünschten mein Bruder und mein Gatte gerade hier zu wohnen. Darum bin ich hier.«

»Sie wären aber lieber nicht hier?« fragte Nielsen.

Sie blickte mit müdem Lächeln auf.

»Ich habe so wenig Wünsche – überhaupt keine. Ich bin bloß müde – sehne mich nach Ruhe. Am liebsten sitze ich still hier und blicke über die See, die hier so angenehm murmelt. Auch höre ich Ihnen gern zu; Sie sprechen so ruhig und nett. Bloß Fragen stellen höre ich Sie nicht gern. Ich stelle niemals Fragen, und es gibt ja außer uns so vieles, über das man reden kann. Sie können über Kunst sprechen – über Musik – Bücher.«

Nielsen zuckte die Achseln. »Ich spreche aber viel lieber von Menschen, von Männern und Frauen und – wie Sie schon wahrgenommen haben – von Verbrechen und Schuld. Das ist mein Steckenpferd, und es langweilt Sie vielleicht. Aber alles in allem, sind es doch immer wieder die Menschen, die uns das meiste Interesse abnötigen. Und wenn ich nun mit Ihnen rede, Mrs. Weston, möchte ich außerordentlich gern wissen, wer und was Sie sind.«

»Das ist allerdings eine lustige Form, in der Sie Ihre Neugier ausdrücken, finden Sie nicht?« erwiderte sie lächelnd. »Wer und was ich bin? Nichts bin ich – niemand! Aber Sie haben recht, von Schuld und Verbrechen zu reden; das interessiert mich auch, besonders, wenn Sie darüber reden. Ihr Freund, Doktor Koldby, sagte mir gestern, Sie verneinten geradezu, daß es so ein Ding wie Verbrechen überhaupt gäbe. Dann glauben Sie vielleicht auch nicht, daß es direkt schlechte Menschen gibt, wie?«

Er zuckte die Achseln.

»Das hängt davon ab, was Sie unter schlechten Menschen verstehen.«

»Nun, ich meine damit zum Beispiel einen Menschen, der vor keiner Handlung zurückschreckt, wie böse sie auch sei, wenn sie nur zu seinem Vorteil dient. Oder einen Menschen, der andern das Leben vergällt, bloß um übel an ihm zu handeln – dem Bösestun eine Freude ist.«

»Ich verneine, daß es solche Menschen überhaupt gibt,« erwiderte Nielsen. »Die sogenannte Schlechtigkeit ist meiner Meinung an sich nichts andres als ein Mißverstehen der Beziehungen zwischen Mittel und Zweck. Die besten Handlungen können als schlecht erscheinen, wenn diese Beziehung nicht beachtet wird; aber daß ein Mensch zwecklos Übles tun sollte, das glaube ich nicht; ein Zweck muß immer sein, zum mindesten ein eingebildeter Vorteil, den der Betreffende dabei hat. Ich glaube somit wohl an irrige Berechnungen, nicht aber an bewußte Schlechtigkeit.«

Nielsen sagte dies mit Absicht; er glaubte zu erkennen, worauf sie hinzielte, und suchte sie durch Widerspruch zu reizen.

»Dann glauben Sie also nicht an Verbrechen und Verbrecher?« fragte sie.

»An Verbrechen ja – doch was die Verbrecher anbetrifft, so weicht meine Ansicht über sie von der landläufigen entschieden ab. In der Tat verstehe ich unter Verbrechern eher Individuen, die infolge Mangels an Mitteln zum Lebensunterhalt zum Schaden der übrigen Mitglieder der Gesellschaft ein Schmarotzerdasein führen; sie erreichen dieses durch Handlungen, die keine eigentlichen Arbeitsleistungen vorstellen, sondern ihnen Nutzen einbringen, ohne dafür einen Gegenwert zu bieten. Es ist ein gesellschaftliches Übel, das indessen mehr einen epidemischen als einen akuten Charakter trägt, und diejenigen Verbrecher, die am wenigsten gefährlich erscheinen, die kleinen Diebe und die Landstreicher sind ihrer Beharrlichkeit wegen gerade am gefährlichsten.«

Sie blickte auf und fragte: »Aber wie ist's mit den Mördern?«

»Bei den Mördern kommt es allein auf die Begleitumstände an. Es kann freilich ein Verbrechen sein, einen Menschen zu töten, aber das muß es nicht sein. Im Kriege gilt es sogar als heldenhaft, möglichst viele Menschen umgebracht zu haben. Auch das Töten kann wie alle Handlungen gerechtfertigt und ungerechtfertigt sein; es kommt eben ganz auf die Motive an.«

Sie zeichnete mit dem Sonnenschirm Figuren in den Sand.

»Die Bibel sagt uns ...«

»Mrs. Weston,« unterbrach er sie, »die Bibel wollen wir beiseite lassen. Die ist schon zu häufig mißbraucht worden, als daß wir sie auf unsern Fall anwenden könnten. Meine Ansicht ist, kurz gesagt, daß wir nicht das Recht haben, einem andern das Leben zu nehmen, es sei denn in der Notwehr. Aber wenn das Töten somit auch ungesetzlich ist, so braucht es doch durchaus kein Verbrechen zu sein; es ist nur dann eins, wenn man diese Handlung unter die Kategorie jener schmarotzerischen Handlungen, von denen ich sprach, einreihen kann.«

Mrs. Weston blickte mit leisem Lächeln auf.

»Sie meinen also, daß nur Vagabunden und arme Leute, die zum Arbeiten keine Neigung haben, einen Mord als Verbrechen begehen können? Den andern ist's erlaubt, wie?«

»Das hab' ich nicht gesagt. Wir sprachen ja von Verbrechern – von schlechten Menschen. Und ich sage nur, es gibt Verbrecher, es gibt Verbrechen und es gibt Handlungen, die nicht an sich verurteilt, sondern erst auf ihre Motive hin erklärt und dann beurteilt werden müssen. Wenn wir einen neuen Namen dafür fänden, so wäre der erste Schritt gemacht. Erst muß man über die Motive und dann über die Handlung richten. Gegenwärtig geschieht es gerade umgekehrt. Aber natürlich kann ich Ihnen das nicht alles so ausführlich erklären; ich wollte Ihnen nur die Grundlinie angeben. Denn Sie scheinen Interesse zu haben für Mord und Mörder.«

»Ich?« rief sie ganz aufgeregt. »Nun ja, um die Wahrheit zu reden, ich habe aus Zeitungen und Detektivgeschichten einiges Interesse dafür gewonnen. Gott sei Dank verbringen ja die meisten von uns ihr ganzes Leben, ohne mit einem einzigen von dieser Menschenklasse in Berührung zu kommen. Aber Interesse habe ich, es muß ja jeden interessieren.«

Nielsen hatte sich erhoben.

»Freilich interessiert es jeden. Ich persönlich bin mit einem höchst merkwürdigen Mordfall in Berührung gekommen – ich werde Ihnen ein andres Mal davon erzählen, nicht heute. Der Fall ist höchst interessant und vorzüglich als Erläuterung meiner Grundanschauung geeignet, die natürlich durch nichts besser klargelegt werden kann als durch Beispiele.«

Mrs. Weston lächelte. »Da haben Sie recht. Denn – bei allem Respekt vor Ihrer Beredsamkeit – so ganz klar waren Ihre Theorieen über Mord und Mörder durchaus nicht.«

»Ich hoffe, sie Ihnen klar zu machen,« erwiderte Nielsen. »Es ist mein Steckenpferd, und ich will mein Bestes tun, gerade Ihnen zu zeigen, was ich meine.«

»Warum gerade mir?« fragte sie.

»Weil ich ein tiefes Interesse an Ihnen nehme, Mrs. Weston.«

Da erhob auch sie sich.

»Ich glaube, es ist Zeit zum Lunch,« sagte sie.

Sie schritten beide auf dem schmalen Weg, den man durch die Dünen gegraben und durch Anpflanzungen gegen Verwehtwerden geschützt hatte, dem Hotel zu. Und Nielsen war sich jetzt mit Sicherheit bewußt, daß Mrs. Weston gegen ihren Willen hier lebte, daß sie für Mörder Interesse besaß und daß ihre Begleiter Männer waren, die um ihres Vorteils willen vor Bösem nicht zurückschreckten. – – –

»Viel ist's gerade nicht, was Sie herausgefunden haben,« meinte der Doktor, als er und Nielsen nach dem Lunch auf weiter ab liegenden Dünen spazierten. »Aber wissen Sie, Nielsen, das ganze Hotel redet bereits über Sie und die englische Lady. Als ich Sie mit dieser Dame zum erstenmal allein ließ, dachte ich natürlich, Sie würden, wie sich das für einen Rächer der Gesellschaft gehört, bloß auf Entdeckungen ausgehen. Nun aber haben mir dieser dicke Tuchhändler aus Randers und seine Ehehälfte doch während des Diners soviel in die Ohren getuschelt über Sie, daß ich anfange, argwöhnisch zu werden. Nielsen, mein Knabe, ich will nicht hoffen, daß Sie, nachdem Sie das Drama hier doch so vortrefflich als rächende Justiz im Tragödienstil begonnen haben, es schließlich noch als Damenherzbrecher im Operettenstil mit Liebe und dem übrigen Kram beenden werden. Etwa wie dieser Sänger, der jeden Morgen seine Geliebte auf den Armen ins Wasser trägt zum Skandal der ganzen badenden Gemeinde.«

»Sie machen Witze, Doktor,« sagte Nielsen. »Immerhin haben Sie insofern recht, als der Mord an sich bei der Entfernung, in der wir uns vom Schauplatz befinden, mehr in den Hintergrund tritt und etwas ganz Abstraktes wird, das von dem, was er in Cranbourne Grove war, in psychologischer Hinsicht entschieden abweicht.«

»Und in welcher Form ziehen Sie den Fall vor?« fragte der Doktor.

»In dieser hier, ohne Zweifel!«

»Hm, und was gedenken Sie nun zu tun?«

Nielsen reckte sich und blickte über die See ins Weite. »Ich werde alles tun, was die Situation verlangt, Doktor – ich lasse die Dinge an mich herankommen, und beobachte – beobachte, bis ich klar sehen kann.«

»Und dann?«

Nielsen wandte sich um und legte dem Doktor die Hand auf die Schulter. »Dann schließe ich vielleicht meine Augen und sehe gar nichts mehr.«

»Das soll heißen, Sie senden Mr. Armstrong kurz Nachricht und lassen Madame Sivertsen ohne Katze nachkommen, wie ich es vorigen Dienstag vorschlug. Gut, Nielsen, Sie wissen, daß, was Sie auch tun mögen, wohlgetan sein wird, solange Sie nur ehrenhafte Absichten hegen und nicht unter falscher Flagge segeln. An eins aber, bitte ich, immer gütigst zu denken: bei unsern Unterhandlungen mit Miß Derry gab es immer noch den einen Ausweg, den ich im allgemeinen, wenn es sich um unberührte junge Männer und nett aussehende Mädel handelt, in Betracht ziehe, nämlich, daß das Maskulinum das Femininum nimmt und mit ihm auf und davonläuft – finden hier dagegen den femininen Teil bereits mit einem ganz rechtmäßigen Gatten versehen, was den Fall erheblich komplizierter gestaltet.«

»Ich habe nicht im Entferntesten die Absicht, mich zu erklären,« sagte Nielsen. »Nicht eher wenigstens, als bis wir eine Menge mehr wissen, als es jetzt der Fall ist.«

»Das ist auch recht,« stimmte der Doktor bei, »zumal wir augenblicklich so gut wie gar nichts wissen.«

»Sehr wahr gesprochen, mein lieber Doktor, dann sind wir also einig.«

»Wie immer,« sagte dieser und fügte hinzu: »wenigstens wie immer, wenn Ihre Gedanken vernünftig sind.« – – –

»Die Lage der Dinge ist jetzt also folgende,« fuhr der Doktor nach ein paar Augenblicken nachdenklichen Schweigens fort. »Die hier versammelte Familie, mit der uns die Vorsehung in ihrer unergründlichen Weise zusammengeführt hat, ist tatsächlich unser Trio aus Cranbourne Grove. Mr. Weston ist mit Mrs. Weston verheiratet, er ist groß, hager und sieht wie ein richtiger Narr aus, doch können wir ihn kaum einen Idioten nennen; schlimmstenfalls ist er von etwas schwacher Intelligenz. Was die Dame betrifft, so halte ich mit meiner Ansicht zurück, bis sie wieder ganz hergestellt ist. Aber ihr Bruder – der Throgmorton, ist einfach wie geschaffen dazu, in Verdacht zu geraten. Keines von den äußeren Anzeichen fehlt: schielende Augen, zusammengewachsene Augenbrauen und flach anliegende Ohren. Kurz, er sieht so verdächtig aus, daß mein Verdacht schon halb zur Überzeugung geworden ist.

»Genau zu der unsrer Kombination entsprechenden Zeit ist die Gesellschaft hier angekommen. Die Adresse, die sie Armstrong gaben, besagt uns, daß sie diese Gegend bereits kannten, aber unentschieden waren, ob sie nach Lökken, Lönstrup oder Hirtshals gehen sollten. In Lönstrup ist Mrs. Weston schon vor einigen Jahren gewesen, wie ich gehört habe, und zwar als Miß Throgmorton in Begleitung einer älteren Dame. Nun haben sie Lökken gewählt, wo noch keiner von ihnen gewesen war – – – Woran denken Sie jetzt eigentlich?«

»Ich denke an Miß Amy Derry,« sagte Nielsen.

»Ah! – Sie stellen wohl Vergleiche an, was? – Na, welche von beiden Amys ist denn die Bevorzugte?«

»Diese hier entschieden,« versetzte Nielsen. »Sie ist ungemein liebreizend.«

»Das habe ich gleich beim ersten Male gesagt, als wir sie sahen. Arme Miß Derry! Am Ende ist sie nun doch die Mörderin, was? Und diese biederen Leute hier haben nichts mit dem Geschäft zu tun, trotz Mr. Throgmortons verbrechermäßigem Aussehen?! Ha! Ha! Ha«!


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