Joseph Richter
Bildergalerie klösterlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Achtes Kapitel.

Ueber Klosterdisputazionen.

Schon das Wort Disputazion zeigt, was an der Sache ist. Gescheide Leute disputiren nicht. Es war also der ganze Auftritt nichts als eine handvoll Staub, den man den Layen (worunter auch die Landesfürsten gehören) in die Augen warf, damit sie die grobe Ignoranz, die in den Klöstern herrschte, nicht sehen sollten.

In den Augen des Kurzsichtigen gab es den Klöstern immer einen dicken Anstrich von Gelehrsamkeit, wenn der junge Defendent, der noch keinen Bart hatte, den graukopfigten Oppugnenten meisterte.

Wer nicht einsah, wie das Spiel gekartet war, mußte freylich erstaunen, wie der unbärtige Philosoph oder Theolog mit einer unbeschreiblichen Fertigkeit und Unverschämtheit die spitzfindigen Einwürfe seines Gegners beantwortete, und durch eine Reihe von Schlüssen den versammelten Christen bewies: daß ein Gott sey.

Dem vernünftigen Zuhörer aber, der beyden Partheyen auf die Finger sah, war es eine wahre Komödie, den Herrn Defendenten durch fehlerhafte Silogismen die Unfehlbarkeit des Pabsts, und durch die Schlußfolge: ich sage Ungereimtheiten, also bin ich, seine eigene Existenz beweisen zu hören.

Im Grunde waren diese Disputazionen weiter nichts als geistliche Lustmanoeuvres, bey denen man es vorher immer unter sich abredet, wer gefangen werden soll.

Indessen wurde doch manchmal aus der Lustbataille ein ernsthaftes Scharmützel. Der Defendent hatte entweder 73 seine Rolle nicht recht studiert, oder der Oppugnent machte aus Muthwillen einige Seitensprünge, die nicht im Plane mitbegriffen waren. Das brachte den Defendenten aus seiner Fassung. Der Angstschweiß trat ihm an die Stirne. Endlich kam ihm die Arriergarde, der Pater Lektor, zu Hilfe, der den Karrn aus dem Morast herausziehen mußte. Weil aber so eine Arbeit nie ohne Schreyen und Schimpfen gethan wird, so wurde auch hier weidlich geschrien, gezankt und geschimpft. Man kam vom Thema ab, und statt den Zuhörern zu beweisen, daß der Mensch ein vernünftiges Thier sey, bewies man, daß man keinen Verstand habe. Bey manchen Klosterdisputationen kam es sogar zu Thätigkeiten; man warf sich die Thesen und Käppchens ins Gesicht, und hätte sich endlich wohl bey den Bärten gekriegt, wenn nicht die Trompeten und Paucken die philosophisch- und theologischen Klopffechter überschrien, und Fried gemacht hätten.Ein wahrhaft komischer Auftritt ereignete sich vor einigen Jahren in München. So viel wir uns erinnern, waren es die Patres Augustiner, die in öffentlicher Kirche eine Disputation hielten. Eh man sichs versah, trat der in ganz M– unter dem Namen Prangerl bekannte Spaßvogel ein, und nahm unter den Oppugnenten seinen Platz. Er war so gut vermummt, daß ihn Niemand erkannte. Einige mußten doch vom Spaß wissen; denn es wurde schon bey seinem Eintritt gekikert. Kaum hatte der Defendent die Thesis vorgetragen, und seinen ersten Beweis in forma zu führen angefangen, so sagte mein Prangerl: nego. Nun müssen wir aber anmerken, daß der Herr nego nicht ein Wort Latein verstand; er besaß aber die Geschicklichkeit, ein paar lateinische Wörter, die er aufgefangen, mit so einer Geläufigkeit der Zunge unter einander zu werfen, daß auch ein Kenner der Sprache in der Ferne getäuscht wurde, und glauben mußte, er spräche Latein. Der Defendent probierte nun seinen Satz; darauf folgte ein zweytes nego, und endlich wo gar nichts zu distinguiren war, ein distinguo mit einer ganzen Fluth von lateinisch klingenden Wörtern. Die nicht vom Spaß wußten, sperrten Maul und Augen auf, die andern wollten vor Lachen zerplatzen. Der Defendent hielt sich fast mit ganzem Leib zur Kanzel heraus, um dem Oppugnenten jedes Wort vom Mund weg zu schnappen; es war ihm unmöglich das geringste zu verstehen. Er wurde endlich ungeduldig und sagte: non intelligo. Prangerl sagte seine Litaney neuerdings her, und als abermal ein non intelligo und wieder ein non intelligo folgte, stand er endlich auf, und sagte: Sie verstehen nichts? gut! ich verstehe auch nichts, und lief zur Thüre hinaus, und hinter ihm das halbe Auditorium vor Lachen halb todt nach. Ein 24stündiger Arrest war Prangerls Strafe: denn der gute Maximilian mußte über den Einfall selbst von Herzen lachen. Könnte man auch über die meisten Klosterdisputationen wohl etwas Treffenders sagen, als: Sie verstehen nichts? Gut. ich verstehe auch nichts.
    NB. Die Damen, die etwan die in der Note vorkommende wenige lateinische Worte nicht verstehen sollten, belieben sich solche von ihren Liebhabern, oder geistlichen Hausfreunden erklären zu lassen.

Dies ist die Seite, von der die klösterlichen Disputationen, die in öffentlicher Kirche gehalten wurden, uns blos ein mitleidiges Lächeln abzwingen könnten. 74

Sie hatten aber auch eine sehr ernsthafte Seite, und wer sie von dieser angesehen, wird sich wohl gewundert haben, daß man sie nicht noch früher eingestellt habe.

Die Mönche, die bey ihren besondern Kapuzen auch ein besonders Jus canonicum hatten, waren nicht damit zufrieden, die frechsten Sätze in ihren Klosterschulen zu lehren, sondern vertheidigten solche auch öffentlich, und trieben in einigen katholischen Ländern die Unverschämtheit so weit, daß sie gerade die Vertheidigung derjenigen Sätze, die die Rechte der Landesfürsten auf das empfindlichste kränkten, den Ministern, und wohl selbst dem Regenten dedizirten; und so mußte mancher Fürst zur Bestreitung der Druck- und Kupferstecherkosten immer einige hundert Gulden aus seinem Säckel hergeben, um es sich bey Trompeten und Pauckenschall ins Gesicht sagen zu lassen: daß er mit den Mönchen nichts zu befehlen habe. –

Doch auch diese Frucht hat sich endlich ihrer Zeitigung genähert, und ist vom Baum gefallen. Ohne sich in Klosterdisputationen einzulassen, beweisen nun die Monarchen den 75 Mönchen anschauend, daß sie mit ihnen, als ihren Untergebnen, und als Bürgern des Staats zu befehlen haben.

Es fällt nun auch keinem vernünftigen Mönch mehr ein, auch nur im Scherz das Gegentheil zu beweisen; sie suchen vielmehr bey öffentlichen Prüfungen ihre groben Fehler gut zu machen, und vertheidigen nun die Rechte der Monarchen mit eben der Wärme, mit der sie in vorigen Zeiten solche zu schmälern suchten. Und es ist gewiß der schönste Sieg der Wahrheit, wenn Mönche öffentlich von sich bekennen: Wir haben geirrt.

Wir haben in diesem Kapitel nur von Klosterdisputationen gesprochen. Die öffentlichen Defensionen, die auf Universitäten um den Doktorhut gehalten werden, gehören nicht in unser Gebiet. Der vernünftige Mann weiß ohnehin, daß es blosses Ceremoniel ist, dem das Wesentliche, nämlich das strenge Examen, vorausgehen muß. Es läßt sich auch aus der Bündigkeit, mit welcher der Defendent die Einwürfe seines Gegners zu heben weiß, nicht immer ein sichrer Schluß auf sein grosses Talent ziehen. Oeffentlich reden ist nicht die Sache eines jeden; noch weniger aber ist öffentlich disputieren die Sache des denkenden Kopfes, der wohl weiß, was es um Wahrheit ist. Daher wird dieser schüchtern und halbstotternd seinen Satz vertheidigen, indessen der Halbkopf, der auf die Worte seines Lehrers geschworen, mit der zuversichtlichsten Mine von der Brust weg seine Thesis defendirt. 76

 


 


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