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Alemannische Heimat

Unser Land besteht aus gelblichem Keupersandstein, der ziemlich weich, und aus schiefrigem Ton, der sehr welch ist? deshalb steigt man beständig rundliche Hügel hinan, die nicht sehr hoch, und breite Mulden hinab, die nicht sehr tief sind. In den Mulden gehn stille Bäche unter Erlen über grüne, wohldränierte Wiesen, an ihnen ziehn sich Dörfchen von mäßiger Größe hin, an den Hängen liegen die Felder, und oben stehn dunkle Wälder mit ganz geraden Rändern. Es ist eine weiche, liebliche Welt, für den Menschen wie gemacht, dem sie keine großen Beschwerden entgegensetzt, und diese Welt besteht wieder aus ebensovielen kleinen Welten, als Dörfer sich um Kirchtürme gesammelt haben, jede von der andern so weit entfernt, daß sich die Herren Pfarrer und andre, die übrige Zeit haben, bequem an schönen Nachmittagen besuchen können. Oben auf den Höhen laufen die bequemen Landstraßen, unten in den Tälern die lauschigen Fußwege, die diese kleinen Welten untereinander und mit der weitem Welt draußen verbinden. An den Landstraßen stehn große Obstbäume und längs den Fußwegen an den Bächen Erlen, deren Blätter fast schwarzgrün und glänzend sind, und wo Wege über Wiesen führen, Hecken, die Brombeere und Waldrebe dicht übersponnen haben. Es liegt in der Natur eines solchen Landes, daß es viele idyllische Winkel hat, und die Menschen, die sich darin angesiedelt haben, haben viele Jahrhunderte lang dazu beigetragen, solche Winkel zu hegen und zu vermehren.

In der Geographie nennt man unser Land ein welliges Land, ein welliges Hügelland. Wer diesen Namen liest, ohne das Hand gesehen zu haben, was kann er sich dabei denken? Ich habe mir auf der Schulbank gar nichts dabei gedacht, oder wenn ich mich einmal zum Denken aufschwang, so erweckte das Wort »wellig« höchstens die Vorstellung, wie unterhaltend es sein müsse, eine wellige Wiese herabzurollen, wo man von dem Stoß der obern Welle aus dem Tal darunter über die zweite Welle wegbefördert würde, und so immer weiter mit beschleunigter Geschwindigkeit. Jetzt, wo ich es jahrelang gesehen habe, weiß ich das ganz anders. Unser Land ist wellig, das heißt, daß die Häuser und Höfe bald oben und bald unten sind, wie die Schiffe auf wogender See. Man geht leicht einen Abhang hinab, ohne es zu merken, zehn Schritte vielleicht, und wie man sich umsieht, ist der Hof verschwunden, der eben noch hinter uns stand, vielleicht sieht man noch eben seinen neu aufgesetzten Schornstein, das einzige Weiße zwischen Himmel und Wiese, zwischen Blau und Grün und an dem braunen Hause. Dafür taucht auf der andern Seite ein glänzender Kirchturmhahn auf oder die Kreuzung von zwei Dachsparren oder die lange Horizontale eines Scheunendaches; noch viel öfter schwillt und quillt das Dunkel einer Baumkrone wie das tiefe Schattenbild einer Wolke hervor. Alle paar Schritte ändert sich das Bild, immer ist es im Wachsen oder Abnehmen, wie angesteckt vom Mond mit seiner Wandelbarkeit. Ein solches Land zerlegt die Aussichten in Höhenschichten. Von einem Punkte über Eichelberg, wo ich gern lag, sah ich zuerst einen breiten, grünen Rücken, den man für flach gehalten hätte, wenn nicht alle Ackerfurchen und Raine auf ihm im Bogen verlaufen wären, dann den blendend weißen Turm von Altenloch mit einer grauschwarzen Zwiebelkuppel, Einsam steht er wie ein Leuchtturm am wogenden Meere; das Schiff der Kirche sieht man von hier nicht. Dahinter und darüber zieht ein dunkler Waldsaum, den überragen noch eben ein paar Baumkronen und das lange braune Dach von einem ganz oben liegenden Hof. Soviel Dinge ich sehe, soviel Bodenschwellen ziehn von mir hinaus. Und da Kirchtürme, Scheunendächer und die Kronen von Eichen-, Ahorn- und Birnbäumen immer am höchsten ragen, bilden sie eine Art von Aristokratie in dieser Landschaft. Nur Raubvögel, die man manchmal über ihnen kreisen sieht, streben noch höher hinaus. Und über allem schweben die Wolken, die wegen der höheren Berge, die nicht fern sind, und wegen des feuchten und warmen Rheintals auf der andern Seite oft sehr schön sind. Wir haben besonders schöne, leuchtend weiße Wolkenballen des Nachmittags und herrliche Wolkenschichten über den blauen Westbergen des Abends. Frühmorgens liegen im Spätsommer und Herbst weiße Wolkendecken und -schlangen im Rheintal.

Da es in unserm Lande sehr viel einzelne Höfe und hohe Bäume im Felde gibt, hat jede Bodenwelle ihr Besondres. Eine trägt Wiesen und schaut hellgrün über eine andre mit goldbraunen Haferfeldern, und darüber hinaus wogt es Walddunkel. Ein unvergeßlich anheimelndes Bild ist der Hof mit seinem langen, hohen Dach, das stolz den reichen Erntesegen birgt, die Glocke darauf, die zur Arbeit und zur Rast ruft, und darüber steigt die dunkle Krone eines mächtigen Ahornbaums wie eine Abendsommerwolke in den Himmel hinein. Auch daß die Bäume vereinzelt oder in kleinen Gruppen auf den Höfen stehn, gibt dem Land eine Art von Sprache. Denn jeder Baum meint etwas: der beschattet eine kleine Kapelle, bis zu der am Erntefest die Dankprozession geht, dort steht zwischen zwei Linden ein uraltes Kreuz, dessen Grundstein in den Boden gesunken ist; jene Eiche, deren dunkle Blättergruppen so phantastische eckige Figuren in den Himmel schneiden, steht auf der Grenze von vier Dorfgemarkungen, und unter dem Holzbirnbaum dort, dessen Krone so sonderbar niederflutet, ist der alte X-Bauer gestorben, den auf seinem nahe Felde beim Grummetladen der Schlag getroffen hat; man liest die Tafel dort. So sagt jeder Baum sein Sprüchlein, und die, die keins wissen, fragen dich: Warum steh ich gerade auf diesem Hügel, am Rande dieser Mulde oder an diesem Hohlwege? Da nun auch noch dazukommt, daß gerade wie die Höfe und die Bäume so auch die Wege auf- und untertauchen, so daß man nur immer Stücke davon sieht und ihren Zusammenhang sich aus der allgemeinen Richtung denken muß, so ist das ein gesprächiges, unterhaltliches Land. Und wer über diese Hügelwellen von Dorf zu Dorf wandert, ist sozusagen nie allein und kommt nie aus der Gesellschaft heraus. Früher muß es noch anders gewesen sein, als auf den Höhen Burgen standen, deren Reste man aufgedeckt hat, sogar römische. Auch Galgen und Ding- oder Richtstätten, diese mit niedern Steinkreuzen bezeichnet, gab es in angemessenen Entfernungen. Hoffentlich waren es mehr als nötig; wenn nicht, war jene Welt noch schlechter als unsre. Sicherlich gibt es jetzt mehr Felder und Menschen. Höchstens die steinigen Höhen und Rücken liegen brach, das verkünden von weitem schon die hohen gelbblumigen Königskerzen, die kleinen violetten Astern und purpurnen Disteln, die steinigen Boden lieben. Wenn der Acker bestellt und wieder wenn er gemäht wird, was bei uns durchaus mit der Sense geschieht, ist die Landschaft reich belebt. Doch bleibt sie fast immer gleich still, was Laute anbetrifft. Ein Ruf, der die Pferde ermuntert, ein kurzes Befehlswort des Bauern an den Knecht, ein Rabenschrei ist stundenlang alles, was man hört. Die Hauptarbeiten: Pflügen, Säen und Ernten vollziehn sich in aller Stille; sie sind zu schwer, als daß die Lust zum Reden oder Singen aufkäme.

Anders ist es im Spätjahr, wenn sie erledigt sind. Dann steigen aus den Ackerfurchen die blauen qualmenden Rauchsäulen des verbrannten Unkrauts, dessen Geruch der Luft weithin eine Schärfe erteilt, und die begrasten Bühel, wo man Ziegen und Schafe und die kleinsten magersten Kühe zur Weide treibt, umwölkt der Rauch der Hirtenfeuer, die einen seltsamen Eindruck besonders am Abend machen, wenn dunkle Gestalten um sie schwanken. In derselben Zeit gehn die Kühe und die Rinder zur Weide auf die Wiesen, und die Landschaft bekommt einen niederländischen Zug. Auf einzelnen Waldwiesen, auf Stoppelfeldern und abgeernteten Kleeäckern werden ganze Herden von Kühen, stolze Tiere, die zu sagen scheinen: Unser Herr ist ein reicher Bauer, verwechsle uns nicht mit den Kühlein armer Leute; diese sieht man genügsam und einsam an Rainen grasen.

An einem Waldeck steht ein uralter Grenzstein, um ihn drei mächtige Buchen, gleichsam eine Vorhalle, einen Vorhof des Waldes bildend, in dessen Dunkel man nun eintritt.

 


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