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Rassen und Kulturen

Die geschichtliche Tiefe ist das Maß des Zurückreichens eines Volkes an einer bestimmten Stelle der Erde in die Vergangenheit. Man würde sie Alter nennen können, wenn ihr nicht die geographische Verbindung mit der Örtlichkeit eigen, und wenn nicht das Alter als Zeitgroße unbestimmbar wäre. In dem Worte Tiefe liegt nur die Schichtung der Geschlechter der Seienden und Dagewesenen, die Tatsache, daß das folgende Geschlecht im Staube des vorangegangenen wandelt und in diesen Staub selbst wieder hinabsinkt. So hat auch die Menschheit im ganzen ihre geschichtliche Tiefe, welche der Ausdruck ihrer nachweisbaren Anwesenheit auf der Erde ist und räumlich als eine Fläche, ein geschichtliches Nullniveau vorgestellt werden kann. Die geographische Ausbreitung oder Breite, die gemessen wird für das Volk an den Grenzen seiner äußersten Ausdehnung und für die Menschheit an der Grenze der Ökumene, vervollständigt im räumlichen Sinne jenen Begriff.

Die Tradition mancher Völker reicht über den Raum hinaus, auf welchem sie heute wohnen, und verschmilzt in Wandersagen ferne Gebiete mit ihrem Wohngebiete zu einem einzigen geschichtlichen Schauplatz.

 

Das Wort Völkerinsel ist mehr als ein Bild, es ist ein genetischer Begriff, denn entweder ist es ein Kern, um welchen neue Gebiete sich anlagern werden, der sich also vergrößern wird, oder es ist der Rest eines einst größeren Verbreitungsgebietes. Den größten Einfluß übt auf eine Völkergruppe der Übergang vom Land aufs Meer. Daher bezeichnet der Gegensatz von kontinental zu littoral und insular das Größte, was innerhalb einer Völkergruppe vorkommen kann.

 

Große Teile der Erde können nicht einer einzigen Rasse zugewiesen werden; entweder in bunter Mischung oder in getrennten Gebieten weisen sie Menschen verschiedenen Körperbaus auf. Am häufigsten ist das Vorwalten zweier verschiedener Typen, welche in seltenen Fällen leicht auseinanderzuhalten sind, häufiger aber durch eine große Anzahl von Misch- und Mittelformen ineinander übergehen. Es gibt Völker und Staaten, zu deren Wesen diese Mehrtypischkeit gehört.

Alle Momente, welche darauf hinarbeiten, größere Gruppen von Menschen voneinander zu trennen, so daß sie von wechselseitiger Vermischung abgehalten werden, haben die Tendenz, denselben eine Gemeinsamkeit nicht nur der Anschauungen, des äußeren Kleidens, Gebarens usw., sondern auch, in engerem Umfange, körperlicher Merkmale anzueignen.

 

Man kann versuchen, ein Inventar des Gemeinbesitzes der Menschheit zu entwerfen, welches die Grundelemente des Kulturbesitzes der Menschheit alle umschließt, so daß wir einen breiten, gemeinsamen Unterbau zu sehen vermeinen, auf dem die Besitztümer, welche einzelnen Völkern eigentümlich sind, als jüngere Entwicklungen hervorragen.

Das Feuer , durch Reibung von Hölzern entstanden; die Jagd mit Wurf- und Schlagwaffen; der Fischfang durch Absperrung fischreicher Plätze, mit Netzen, mit Speeren, Reusen; Angeln sind nahezu allgemein verbreitet, ebenso Betäubung der Fische; die Kenntnis wildwachsender Nahrungs- und Giftpflanzen ; die Gewinnung spontaner Erzeugnisse des Tierreiches ; der Genuß betäubender oder nervenerregender Stoffe ; die Zubereitung der Nahrung mit Feuer; als Schmuck Tätowierung oder Bemalung, Einsetzen fremder Körper in die vortretenden Teile des Gesichtes, wie Ohren, Nase, Lippen, Ringe um Arme, Beine oder Hals, Haarputz; als Kleidung , zunächst Schamhülle; als Wohnstätte mindestens ein Zweig- oder Rohrdach; Gesellung der Hütten zu Dörfern; Waffen aus Holz (Keule, Wurfholz und -speer, Bogen und Pfeil), aus Stein (geschlagene Äxte, Hämmer, Pfeilspitzen, Schleudersteine; durchbohrte und geglättete Steinwaffen und -werkzeuge sind nicht allgemein); von Handwerken werden allgemein geübt: Bearbeitung des Steines durch Schlagen und Stoßen, des Holzes durch Schneiden und Schnitzen, Härtung im Feuer, Biegung in der Wärme; der Häute durch Schaben und Reiben; Flechten; Färben; Gewinnung von tierischem Fett durch Wärme; Schiffsbau durch Aushöhlung von Bäumen; der Ackerbau mit Grabstock oder Haue, wobei die Gegenstände des Anbaues von Erdteil zu Erdteil wechseln; die Tierzucht als Zähmung des Hundes. Von Einrichtungen der Gesellschaft finden wir die Ehe , vorwiegend polygamisch, mit Spuren des Brautraubs, Isolierung der Wöchnerin, langdauerndes Säugen, feierliche Einführung des Kindes in die Welt (Beschneidung ist sehr weit verbreitet), Jünglings- und Jungfrauenweihen; den Stamm als Verwandtschaftsgruppe, welche häufig ein gemeinsames Symbol, Totem, Kobong, Atua, besitzt und nach demselben sich nennt und dann in Exogamie mit einem Nachbarstamme steht; der Staat in patriarchalisch-aristokratischer Form mit Häuptling und Ältesten, Sklaven mit häufig wiederkehrender Aussonderung unreiner und heiliger Stände und den Anfängen völkerrechtlicher Satzungen in Kriegserklärung und Friedensschluß; Schutz des Handels, Verwendung von Weiß und Grün als Friedensfarben; das Recht auf Grundlage des Gottesurteiles, der Blutrache und des Loskaufs. Spuren von Religion gehen durch alle Völker, überall findet man Priester, die Zauberer (Schamanen) und Ärzte sind, weil sie in Verzückungen Verkehr mit der Geisterwelt pflegen. Der Glaube an einen Höchsten, Uralten, Unsichtbaren, der nicht unmittelbar mit den Menschen zu tun hat, an Mittler, die die Eide und den Menschen schufen und häufig auch das Feuer brachten, an vergöttlichte Menschen, an Geister, die Seelen Verstorbener sind, an Divination, an ein Jenseits, zu welchem der Weg über Hindernisse verschiedenster Art führt: dies sind Dinge, auf deren Spuren man fast überall stößt, wo man religiöse Überlieferungen findet. Wenn wir dieses alles betrachten, ist die Allgemeinheit der religiösen Vorstellungen nicht bloß eine zulässige Hypothese, sie ist geboten als Versuch, aus den lückenhaften und krüppelhaften Einzeltraditionen einen geistigen Kern zu gewinnen. An die Erhaltung von Resten des Gestorbenen unter Voraussetzung des Fortlebens seiner Seele, wenigstens für eine kurze Frist, knüpfen sich die Gebräuche bei der Beisetzung , weshalb sie in der Hauptsache überall wiederkehren. So lassen sich alle Beerdigungsarten, die überhaupt auf der Welt vorkommen, auf die Aussetzung, die Beerdigung, die Mumifizierung, die Verbrennung zurückführen. Die Unterschiede können nur in Nebensachen liegen. Wenn auf diese nicht die Aufmerksamkeit gelenkt wird, machen uns Angaben wie: »Dieses Volk verbrennt seine Toten« oder »Jenes Volk beerdigt seine Leichen«, gar nicht den Eindruck der Bestimmtheit, und es ist wenig mit denselben für die vergleichende Ethnographie anzufangen. Allerdings geht aber diese Unbestimmtheit unseres Urteiles nicht so weit, daß wir etwa Lovisato glauben, wenn er berichtet, die Feuerländer hätten ihre Begräbnisweise mit mumienartiger Zusammenbiegung des Leichnams erst seit etwa 14 Fahren [1891!] durch den Einfluß der Missionare angenommen. Denn diese Methode gehört einer ganzen Anzahl von amerikanischen Völkern an, auch längst verschwundenen, und sie ist auch nur ein Teil der Gebräuche, welche Begräbnis und Totentrauer bei den Feuerländern umgeben. Mit diesen zusammen verstehen wir sie als amerikanisch, nicht als feuerländisch, und weiterhin begegnen wir ihnen sogar noch in anderen Teilen der Erde.

 

Der Lehre vom Völkergedanken stehen die Sprachen als die mannigfaltigste, an Eigentümlichkeiten reichste aller ethnographischen Erscheinungen starr gegenüber.

 

Das Wort Rasse paßt nicht auf den ganzen Inhalt, den wir ihm bei der heutigen Konstitution der Menschheit zu geben haben. Es ist viel zu geräumig für die Mannigfaltigkeit desselben und sinkt zu einem Sammelbegriffe provisorischen Wertes herab, wenn ihm nicht die Bedeutung einer Kategorie höherer Ordnung beigelegt wird.

Das erste Bemühen der Anthropologie sei auf die Bestimmung der Qualität der Verschiedenheit der Rassen und deren Größe gerichtet, – nach der Herkunft zu forschen sei dem Ethnographen überlassen, der jeder Rassenverschiedenheit innerhalb einer Völkergruppe mit der Hoffnung entgegentritt, in ihr eine Wirkung nachweisbarer Berührung mit einer anderen Völkergruppe oder geographischer oder sozialer Absonderung unter verschiedenen äußeren Einflüssen zu finden.

Die tiefstgehenden Unterschiede liegen, trotz unaufhörlich nivellierend wirkender Einflüsse, im Körperlichen, und es kann keine Frage sein, daß ihre Darstellung zuletzt immer wieder einer allgemeinen ethnographischen Karte vorangehen oder zugrunde gelegt werden muß. Zweifel begründetster Art müssen jedoch entstehen hinsichtlich der Abgrenzung des Darzustellenden.

Der äußerlich auffallendste Unterschied im körperlichen Wesen der Menschen liegt in der Hautfarbe . Die Existenz des Farbenunterschiedes in den Menschenrassen ist eine der folgenreichsten Tatsachen in der Geschichte der Menschheit, ihr ist die tiefste Kluft zuzuschreiben, die die Menschen trennt. An die leisesten Nuancen der Färbung der Nägel oder der Hornhaut hat die weiße Aristokratie der Sklavenhändler sich gehalten, um die Grenze zwischen sich und den Mischlingen von letzter Verdünnung noch aufrechtzuerhalten. Und doch ist die Farbenskala von Gelblichweiß bis Tiefbraun im Grunde eine einfache, denn es kehrt beständig Braun in den verschiedensten Abwandlungen in ihr wieder. Gerade daran ist entschieden festzuhalten, daß alle Farbenunterschiede der Menschheit einer einzigen Mischung aus zwei Strahlen des Spektrums angehören.

Eine strenge Sonderung der sogenannten Menschenrassen, wie man sie früher anzunehmen beliebte, besteht nicht, weil überall, wo nicht die stärksten Schranken dazwischentreten, sie sich durcheinandergeschoben haben.

Es wird uns also die Rassenkarte einmal die größten Gruppen der Menschheit zeigen und daneben Übergangsgebiete, von denen jene, wie der Mond von seinem Hof, überall dort umgeben erscheinen, wo sie nicht an das Unbewohnte grenzen.

 

Wir verstehen unter Ariern die Gesamtheit der Völker, die die Sprache des arischen Stammes sprechen und zur hellen Rasse gehören. Alle sind zu irgend einer Zeit in der Geschichte der Menschheit hervorgetreten, alle haben einen hohen Grad von Kultur erworben, viele haben Kultur geschaffen, seit 2½ Jahrtausenden sind Arier die Träger der höchsten Kultur. Unter dem Problem der Rasse liegt uns daher das Problem der Kultur und unter diesem das Problem der Sprache. Von diesen dreien ist die Rassenfrage die älteste, die Sprachenfrage die jüngste.

Den äußersten, höchsten und vielleicht auch jüngsten Zweig am Baum dieser Rasse bildet die weiße oder blonde Rasse, die noch entschiedener nördliche Wohnsitze hat.

Indem wir die Frage nach dem Ursprung der hellen und der weißen Rasse auswerfen, müssen wir uns klarmachen, daß ihre Beantwortung nur unter zwei Voraussetzungen möglich ist. Der Ursprung der hellen Rasse reicht in eine Zeit zurück, wo das heutige Europa noch nicht bestand. Dieser Ursprung hat sich in einem älteren Europa abgespielt, das wesentlich anders war als unser Europa. Und er ist nur denkbar auf einem sehr weiten Raum. Dasselbe gilt auch für den Ursprung der weißen Rasse. Man muß der Hoffnung entsagen, diese Ursprünge in dem Europa, wie es heute ist, und hier in engen Gebieten, wie Skandinavien, im Inneren Rußlands oder am Kaukasus, zu finden. Der Raum gehört nicht nur zur Entstehung, sondern auch zur Erhaltung einer Rasse. Rassen in engen Räumen verkümmern; nur in weiten Räumen treiben sie Äste und Zweige und bilden einen mächtigen Stamm wie die Arier.

Die helle Rasse konnte sich auch nur da entwickeln, wo die Mischung mit mongoloiden und negroiden Elementen ausgeschlossen war. Sie muß von beiden Rassen schärfer getrennt gewesen sein als heute.

Die Reinheit der Merkmale der weißen Rasse zeigt, daß sie noch ferner von fremden Beimischungen sich entwickelt hat als die helle Rasse, von der sie einen Zweig bildet. Aber indem sie nun nach Süden vordrang, begegnete sie älteren Völkern der hellen Rasse, die in um so größerer Menge afrikanische Elemente aufgenommen hatten, je weiter südlich ihre Sitze lagen. Es entstanden Durchdringungen der älteren und jüngeren Glieder der hellen Rasse, deren Wirkungen wir in den allmählichen Übergängen der beiden in der Bevölkerung Europas sehen. Deren Rassenextreme liegen im Süden und im Norden und sind dazwischen aber breit vermittelt. Für die Erklärung der afrikanischen Elemente in den süd- und westeuropäischen Gliedern der weißen Rasse muß die erst in spätquartärer Zeit gelöste Verbindung Afrikas mit Europa herangezogen werden, und es muß erinnert werden an die alte Bewohnbarkeit der Sahara, wo damals statt eines Sandmeeres ein Völkermeer fluten konnte.

 

Die Unterscheidung und Begrenzung der Sprachen und Sprachstämme hat, weil viel näher an der Oberfläche der Menschheit, an jüngere Erscheinungen sich haltend, viel rascher zu einer Klassifikation der Völker Anlaß gegeben, welche am Prüfstein der kartographischen Darstellung sich bewährt hat.

Durch die Vernachlässigung der außerhalb der Grenzen der Sprache liegenden Teile des Kulturbesitzes der Menschheit ist nicht bloß die Vollständigkeit der eigentlichen ethnographischen Karten unmöglich geworden, sondern es entging auch den einzelnen Teilen der Ethnographie jene fruchtbringende Anregung zur schärferen Prüfung ihres Besitzstandes, wie sie eben in ihrer Heranziehung zur schärferen Unterscheidung, natürlicher Gruppen der Menschheit gegeben gewesen wäre.

Wenn wir auf den Religionskarten der Erde immer wieder die alten Kategorien Christen, Mohammedaner, Buddhisten, Brahmagläubige und Heiden finden, so steht diese Sonderung, welche den ganzen Reichtum der religiösen Vorstellungen der Naturvölker in den dunklen Sack des »Heidentums« packt, im grellen Widerspruch zu dem, was auf den Seiten jedes ethnographischen Handbuches über diesen Gegenstand zu finden ist. Ist doch Heidentum ein rein negativer Begriff, und wieviel höchst Positives liegt in dem, mehr als man glaubt, durch- und ausgebildeten Glauben der Heiden! Hier kann der gedankenzeugende und klärende Einfluß der kartographischen Darstellung sich heilsam bezeigen. Keinem Volke der Erde fehlen die drei großen Attribute jeder Religion: der Seelenglaube, die Kosmogonie und die Mythologie. Ein Zug der Verwandtschaft geht durch sie alle, und an sie hätte die Klassifikation sich anzuschließen, um zu richtigeren und vor allem auch wirksameren Ergebnissen zu gelangen.


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