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Um die Stellung des Deutschen in der Welt

So verzehrt von Heimatsehnsucht wie Franzosen, und so leidenschaftlich die Heimat umfassend wie Iren habe ich Deutsche selten gefunden, fast nie. Der Deutsche läßt sich selten von einer Empfindung ganz erfassen, er brennt selten lichterloh, er hat immer einen Vorrat von abkühlenden Reflexionen, mit denen er unzeitgemäße Entflammungen zu löschen weiß. Es sind darunter Eigenschaften, die ich nicht lieben und nicht loben kann, und die ich übrigens jetzt auch nicht auseinanderfasern möchte. Es sind darunter auch Eigenschaften von der größten Bedeutung für Deutschland und für andre Länder. Im Deutschen lebt eine erstaunlich starke Teilnahme für Dinge, Menschen, Vorgänge um ihn her. Es kostet ihn gar nichts, jeden Augenblick so objektiv zu werden, daß er mit dem, was ihn gerade fesselt, völlig verschmilzt. Daher seine Wanderlust, seine Forschbegier, sein Grübeln und sein Verbohren, seine Einwurzelung im fremdesten Boden. Darum ist er ja der geborene Kolonist, der den Russen Sibirien, den Amerikanern Amerika, den Holländern Indien uneigennützig erwerben hilft. Etwas hat das neue Reich daran geändert. Ich merke es an der jungen Generation der Landsleute, daß ihr Blut in volleren Wellen durch die Adern pulst und nicht mehr so dünn wie früher, wo es viel Raum für die Transfusion fremdester Säfte ließ. Ich sehe in den letzten dreißig Jahren nicht mehr soviel grüne blühende Schosse des alten Patriotismus abwelken, die nicht weiterleben konnten, weil sie dem Kirchturm-, Hütten-, Gräber-, Kneipenpatriotismus entsprungen waren, der nur in einer ganz engen Atmosphäre gedeiht. Diese hat aber nie auf die Dauer unserm atlantischen Sturmklima standgehalten. Es ist ein großer Fortschritt, daß sich der überseeische Deutsche in die Vorstellung einlebt, Deutschland sei so gut wie England kraft seiner Lebensinteressen überall auf der Welt, wo Deutsche leben. Wo der Deutsche seinem alten Lande die Lösung weltpolitischer Aufgaben zutraut, hat seine Vereinzelung aufgehört, und sein Nationalgefühl ist nicht mehr ein Pflänzchen unter Glas, das mit kleinlicher Sorge mühsam und unter Aufwand vielen Biers gehegt werden muß.

Warum sollten wir es nicht offen bekennen, daß die große Mehrzahl der Deutschen in den Vereinigten Staaten im Grunde nie so recht an ihre volle politische Gleichberechtigung mit den Anglokelten geglaubt, sie nicht mit dem Feuer herzlicher Überzeugung angestrebt hat? Sie sind politisch anders angelegt, können politisch nicht dasselbe und mit denselben Mitteln wollen. Sogar ein Karl Schurz, als Redner bewundert und bewundernswert, ist nicht ganz der Politiker, wie er für Amerika sein müßte. Man müßte den Deutschen viel gründlicher ausgezogen haben, daß man ganz sicher im Tritt mit den Amerikanern zu marschieren vermöchte. Das gelingt nur den Deutschen der dritten und der vierten Generation, an denen dann leider nur noch der Name deutsch ist, der Name Astor, Kautz, Havemeyer usw. Es hängt mit ganz guten Elementen des deutschen Charakters zusammen, daß wir keine lebhaften Bewunderer der Politik als Handwerk sind und demgemäß in der handwerksmäßigen Politik, wie sie in den parlamentarischen Staaten West- und Mitteleuropas betrieben wird, übrigens auch in der lebhafteren, gewalttätigeren und spannenderen Innenpolitik der Vereinigten Staaten, keine großen Anstrengungen machen.


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