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Charakter der deutschen Kulturlandschaft

Kann man von einer deutschen Landschaft reden, die nicht zugleich die Landschaft des mittleren Europa wäre? Und Mitteleuropa ragt doch nach allen Seiten über Deutschland hinaus. Haben wir nicht in Ostfrankreich, den Niederlanden, Jütland, Polen und der Schweiz ähnliche Landschaften und an manchen Orten vielleicht dieselben wie in Deutschland zu erwarten? Ja, wenn man in der Landschaft nur Natur sieht; nein, wenn man in dem, was der Mensch in ihr ist und wirkt, etwas mehr als Zutat, als Staffage erblickt. In die Landschaft prägt ein Volk sein Geistiges und seine Schicksale ein, wie in seine Städte und Häuser. Wie die Geschlechter sich wandeln, so ändert sich auch von einer Zeit zur anderen dieses Gepräge. Auch die Staatszugehörigkeit läßt Unterschiede entstehen, die aus den geschichtlichen Schicksalen, die ein Volk in und mit seinem Staate erlebt, in die Landschaft übergehen. Die Landschaftsbilder des Erzgebirges sind verschieden auf der sächsischen und böhmischen Seite, trotzdem ein deutscher Stamm die beiden Abhänge bewohnt, und so ist eine Landschaft, die auf beiden Seiten gleiche Berge, Wässer und Bäume hat, im Böhmerwald von Kindern des bayerischen Stammes diesseits und jenseits der Grenze verschieden gestaltet worden. Freilich gibt es viele Züge der Stammesverwandtschaft auch in den Landschaften. Die rechte und die linke Seite des Oberrheins zeigen seht ähnliche Bilder am Fuße der Vogesen und des Schwarzwaldes, gerade so wie der badische und der elsässische Alemanne die Familienähnlichkeit nicht leugnen können. Aber so wie Baden kein Straßburg und Mülhausen und das Elsaß kein Freiburg und Karlsruhe hat, so gehen auch sonst die Wirkungen der verschiedenen Geschichte rechts- und linksrheinischer Lande in die Landschaft über.

Ein Land von der Geschichte Deutschlands kann keine reine Naturlandschaft haben. Nicht bloß die Deutschen und ihre Länder und Städte sind das Ergebnis einer langen geschichtlichen Entwicklung, auch der deutsche Boden ist es.

So allein, wie man mit Himmel, Wald und Wasser jetzt noch in manchen Teilen der Alleghanies eine Viertelstunde von einem Riesenhotel ist, kann man bei uns selbst in den deutschen Alpen und im Waldgebirge nicht mehr sein. Wo keine Menschen sind, findet man doch menschliche Spuren in Wegen, Wegweisern und hundert Kleinigkeiten. Bald wird kein Alpental ohne Jagdschlößchen, Wirtshaus oder Schutzhütte sein. Es ist nur noch eine relative, augenblickliche, vorübergehende Einsamkeit möglich. In deren Rahmen sind nun allerdings unendlich viele Abstufungen möglich. Und gerade in den leisen Variationen verhältnismäßig einfacher Motive liegt ja vor allem der Reiz der deutschen Mittelgebirgs- und Hügellandschaft.

Es gibt in Deutschland lachende und tiefernste Kulturlandschaften . Zu den tiefernsten muß man die Umgebungen der Großstädte rechnen, in denen ein unerfreulicher Kranz von Fabriken, Magazinen, Proletarierquartieren die alte Stadt von der freien Natur scheidet. Der fortwachsende Rand einer Großstadt mit seinen einzelnen halbfertigen, unförmlich hohen, fensterreichen Kasernenbauten, die auf frisch aufgewühltem, mit Bauabfall bedecktem Boden, oft hart am Rand friedlicher Weizenfelder sich erheben, ist absolut häßlich. Der Eindruck des daneben noch grünenden oder reifenden Ackers, den die Spekulation schon umzäunt hat, ist traurig. Das sind noch nicht die naturlosesten Stellen in unserem Lande, aber wegen der Spuren des unerbittlichen und rücksichtslosen Niederkämpfens der Natur durch eine niedrige, ungesunde Form der Kultur die weitaus unerfreulichsten.

 

Von einem Ende bis zum anderen ist Deutschland ein Land des gemäßigten, feuchten, wolken- und nebelreichen Klimas , mit mäßig kalten Wintern und mäßig regnerischen Sommern.

In Deutschland behauptet überall Grün das Übergewicht. Die Buchenwälder, die sich in der Ostsee spiegeln, sind dieselben wie die, deren heiterer Schatten in den Schluchten des mittleren Isartales liegt. So wie der westfälische und niederrheinische steht auch der oberbayerische Bauernhof unter Eichen.

Deutschlands Natur trägt vorwiegend nordischen Charakter. Wein, Edelkastanie und Mandelbaum verleihen dem Südwesten einen leichten südländischen, mittelmeerischen Hauch. Um aber die klassischen Formen und Farben der Hesperidenländer zu sehen, muß der Deutsche die Alpen übersteigen.

Man spricht von lachenden Dörfern und heiteren, gartenartig angebauten Gegenden. Der Grundzug der deutschen Landschaft liegt aber nicht darin. Er ist grundernst. Die Natur verzärtelt uns nicht. Auf heitere Tage folgen immer wieder trübe. Unser Himmel ist öfter umwölkt als sonnig.

Eine mehr sehnsuchtsvolle als heitere und zur Not genügsame Freude an der Natur trägt daher der Deutsche in die Welt hinaus. Dort gefällt es ihm, bei allem Heimweh, viel mehr als anderen, weil er gelernt hat, die Natur dankbar zu genießen. Dies der Grund des merkwürdigen Zwiespalts zwischen dem Hängen an der Heimat und dem liebevollen Sichversenken in die Fremde, Zwischen dem Wandertrieb und der Heimatliebe, der durch Geschichte und Schrifttum der Deutschen sich hinzieht.


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