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Bayerische Stammeslandschaft

Von allen deutschen Flüssen ist der Inn dem Rhein am ähnlichsten. In seinem Steingrau schimmert sogar bei hohem Wasserstand das Grün aus den Wellenkämmen. Wenn sich dazu in jedem Wellentälchen das Blau des Himmels spiegelt, so gibt das vielfache Dämpfen und halbunterdrückte Leuchten von Grün und Blau eine herrliche Farbenmischung, die echt »alpin« ist. Im Winter sinkt der Wasserstand des Inn, wie aller Gletschergebornen, dann schlägt sich alles Grau nieder, und der Fluß wird immer dünner, klarer und leuchtender. Ein wunderbares Bild, wie beim Nachlassen der Regengüsse und Schneeschmelzen im Gebirge das Grün und Blau der Alpenseen und Gletscherspalten in die oft stundenbreiten, mit weißem Kies bestreuten Flußbetten der bayrischen Hochebene herabsteigt! Es erinnert daran, wie die Sonne aus den Dolomitzacken der Alpen das Steinerne gewissermaßen ausglüht, so daß nur noch Farbe und Licht sind. Dann sind von der Iller bis zum Inn die Bänder sichtbar, die das obere Donauland mit den Alpen verknüpfen, und bei Passau schürzt sich ein wahrer Flußknoten. Blicken wir von der Schwelle des herrlich erneuten Passauer Domes hinab, so sehen wir, wie sich der klare, grüne Inn mit der trüben, gelblichen Donau und dem dunkeln Waldwasser der »aus dem Wald« kommenden Ilz verbindet: die Alpen vereinigen sich mit dem Schwarz- Wald und dem Bayrischen Wald.

So sind auch die Menschen von den Alpenfirsten bis über die Donau hinaus viel ähnlicher, als der Grundunterschied ihrer Lebensbedingungen erwarten läßt. Der bayrische Stamm bleibt sich merkwürdig gleich zwischen Lech und Plattensee und zwischen der Oberpfalz und der tiroler Alpenwacht. Wenn sich jeder Deutsche unter deutschgebildeten österreichischen Offizieren in Rodna, Agram, Zara, oder wo es sonst in dem weiten Reich der Habsburger sein möge, heimisch fühlt, wie er sich einst in Mailand und Ancona unter ihnen heimisch fühlte, so sind es bayrische Züge, die ihn anmuten. Oberflächlich scheinen Wien und München sehr verschieden zu sein, ja noch immer mehr auseinanderzugehn. Und doch, je größer München wild, desto mehr treten wienerische Züge in seiner allmählich sich ausbildenden Großstadtphysiognomie hervor. Die zweite Großstadt des bayrischen Stammes im Donauland wird der ersten einst ähnlicher sein, als die norddeutschen Großstädte mit all ihrem Verkehr untereinander geworden sind.

Die heißere Sonne der Südalpen hat dem bayrischen Stamm nirgends gut getan. Er hat sich selbst und alle seine alten Charakterzüge am besten im Gebirge und auf der Hochebene erhalten. Und noch mehr gilt von ihm als von anderen deutschen Stämmen, daß er die Stadtluft schlecht verträgt. Der Bayer ist Bauer bis ins Mark, und die anmutendsten, behaglichsten Züge Münchens gehören dem Untergrund von Ländlichkeit an, der der Hauptstadt Bayerns noch die Züge einer großen behaglichen Landstadt verlieh, als sie schon 200 000 Einwohner zahlte.

Als Ludwig der Erste seine Kunststadt München schuf, da war der Stamm, auf den dieses neue Reis gepfropft wurde, durchaus nicht bloß eine Residenzstadt wie Stuttgart und noch weniger wie Karlsruhe oder Darmstadt. München war eine Stadt der Bauern und kleinen Bürger, eine Stadt voll Ehrlichkeit, Frömmigkeit und alter Sitte, aber von wenig Strebsamkeit und Luxus. Die sogenannten geistigen Interessen traten in den Hintergrund. Der Volkscharakter des Münchners ist das konzentrierte Altbayerntum, zwar abgeschliffen, aber nicht unkenntlich gemacht. Die beste Schilderung des »Münchners im sozialen Licht«, die 1877 Max Haushofer in einem nicht in die weitere Öffentlichkeit gedrungenen Aufsatze gab, sagt von den Münchnern um 1830: »Vielleicht in keiner andern Stadt Deutschlands kam das Bauernelement so zum Durchbruch als gerade in München. Menschen, die mit feinerm Werkzeug hantieren, scheinen auch mehr mit Hobel und Feile bearbeitet; im alten München waren tonangebende Werkzeuge die Geißel der Getreidebauern und die Axt des Flößers. Da schallts. Davon ist nun viel abgebröckelt und fortgespült.«

Das oberbayrische Land hat auch außerhalb des Gebirges einen heitern Charakter. Der wellige Boden der Hochebene schafft die mannigfaltigsten Lagen für Bauernhöfe, Kirchen, Schlösser, Wald- und Baumgruppen. Die geschlossenen Flächen des Waldes, der Wiesen, der Felder, die auch noch im Mittelgebirge vorwalten, durchbricht die Parklandschaft. Einzelne Eichen, Ulmen, Ahorne, Weiden und Gruppen solcher Bäume verteilen sich über das ganze Land, und aus den Gruppen der Laubbäume treten auf jeder Bodenerhebung die dunkeln Fichten hervor. Jeder Bauernhof hat seine Bäume und Baumgruppen. Nuß- und Obstbäume treten dahinter ganz zurück. Man sieht, wie das Land aus dem Walde herausgewachsen ist, der es einst ganz bedeckte. Jeder Acker und jede Wiese hat ein paar Bäume oder ein Wäldchen übriggelassen. Da sich nun schon von der Donau an und mehr noch südlich von der Linie Pfaffenhofen-Landshut die Dörfer immer mehr in Einzelhöfe auflösen, die sich an die Hügel anlehnen oder die Hügel krönen, so entsteht eine der individualisiertesten Landschaften, die wir in Deutschland haben. Sogar die Kirche folgt diesem Zug. Gehört doch zu einem rechten Bauernhof auch eine Kapelle. Auch die einst zahlreichen Einsiedler haben Kirchlein hinterlassen, und manches alte Kirchlein steht mit wenig Höfen zusammen als Kern einer alten Kirchengemeinde, von der sich ein jüngeres Dorf mit einer neuen großen Kirche abgezweigt hat. Nach Hunderten zählen die Kapellen und Kirchen, in denen nur an den Tagen der Patrone und sonstigen Feiertagen Gottesdienst gehalten wird, die aber dem Gebete ständig offen stehn. Das mit Sorgfalt unterhaltene eigne Kirchlein gibt dem Bauernhöfe eine höhere Selbständigkeit. Das landschaftliche Auge freut sich der altersgrauen oder zierlichen Gotteshäuschen, unter denen manche uralten der romanischen Bauweise angehören. Es sind kleine Juwelen darunter, wo sich der Chor schon von dem Schifflein abhebt, während ein Seitenanbau die Kapelle einer frommen Stifterin vermuten läßt. Der Hof selbst zeigt in seiner rein weißen Farbe, von der sich die grünen Fensterläden abheben, welche Sorgfalt über ihm wacht. Das zweitwichtigste Bauwerk aber in dieser oberbayrischen Landschaft ist sicherlich das Wirtshaus. Weithin sich ankündigend durch die blauweiße Fahnenstange, in schloßartiger Ausdehnung als ein gastlich erweiterter Bauernhof erscheinend, mit Bäumen vor dem Tore, unter denen Tische für biertrinkende Menschen und Futtertröge für haferfressende Pferde stehn, spricht es von dem Wohlbehagen und der Lebenslust, die in diesem Lande herrschen. Wenn der den Hof oder die Gemarkung rings umziehende Wald an die Zeit erinnert, wo sich die Menschen mit Feuerbrand und primitivem Beil Raum in dem die Hochebene einförmig bedeckenden Walde schufen, so erinnern die Geweihe und »Gwichteln«, die an der Wand der Wirtsstube hängen, an die Wald- und Jagdfreude, die in den Abkömmlingen der altbayrischen Hinterwäldler lebendig geblieben ist. Schade, daß sie so oft keinen anderen Weg weiß, sich zu äußern, als das Wildern, das nirgends in Deutschland so verbreitet ist wie hier. Es sind oft nicht die schlechtesten, die wildern. Man hört wohl aus dem Vorleben eines besonders schneidigen und intelligenten Bauern die vertrauliche Mitteilung in bewunderndem Ton: Das war einst der gefürchtetste Wilderer weit und breit.

Man konnte vor einem Menschenalter noch das Bürgerliche als den Grundzug der altbayrischen Gesellschaft bezeichnen, ganz entsprechend der Tatsache, daß Bayern das eigentlichste Bauernland ist. Sogar die Prinzen kleiden sich, wenn sie als Jäger die Berge des Allgäu oder des Berchtesgadner Landes durchstreifen, in das Jagdgewand, das aus etwas groberm Stoff die Bauernburschen tragen; und wer dem Prinzregenten dort begegnet, glaubt einen alten, verwitterten Bauersmann mit auffallend freundlichem und intelligentem Blick zu sehen.

 

Kann man es aber einem Stamme von so ausgeprägter Eigenart verdenken, wenn er sich gegen die Schmälerung seines Rechts, nach seiner Art zu leben, mit allen Mitteln wehrt? Die Norddeutschen, die jetzt alljährlich so zahlreich ins Land kommen, sollten doch etwas um sich schauen, damit sie begreifen lernen, daß keinem deutschen Stamm die Gleichmacherei so von Natur aus zuwider sein muß wie dem bayrischen, und daß es viel mehr im Interesse Gesamtdeutschlands liegt, eine gesunde Eigenart zu pflegen, wo sie noch ist, als unorganische Aufpfropfungen aufzuzwingen.

Bayerns Stellung kann nur aus einer großdeutschen Auffassung verstanden werden, die seine geographische und Stammesverbindung mit dem bayrischen Stamm außerhalb Deutschlands würdigt. Es ist der Übergang zu den alten Bayerngauen in den Ostalpen und der mittlern Donau und der Übergang von den Süddeutschen des Westens, mit Einschluß der Schweizer, zu denen des Ostens, endlich das Bindeglied zwischen Deutschland und Italien. Da alle diese Beziehungen über die politischen Grenzen hinauswirken und durch Wechselströme wirtschaftlicher und geistiger Art die Völker immer mächtiger auflockern, in Bewegung setzen und einander entgegenführen, so wird das innere Leben und Wachsen eines Landes wie Bayern von weitreichender Bedeutung. Für jeden, der des Glaubens lebt, daß Deutschlands Interessen- und Wirkungssphären in Europa mit dem militärischen Übergewicht und der teuer erkauften industriellen Überlegenheit noch lange nicht beschlossen und festgelegt sind, und daß in ihrer Ausbreitung den bestehenden Nachbarschaftsverhältnissen eine vorbereitende Rolle zugeteilt ist, sind die bayrischen Zustände und Entwicklungen eine wichtige gemeindeutsche Angelegenheit.


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