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Streiflichter

Die deutsche Aufgabe

Daß der einzelne sich der Gesamtheit schuldet, diese Erkenntnis muß uns ganz durchdringen. Wir haben sie noch viel nötiger als andre Völker, denn wir sind durch unsre geographische Lage und durch die keilartige Einzwängung unsers Volkstums zwischen Slawen und Romanen, endlich durch die Unmöglichkeit, verpaßte Gelegenheiten zu überseeischen Verjüngungskolonien noch einmal zu finden, gezwungen, Kräfte für die elementaren Fragen von Sein oder Nichtsein aufzuwenden, die andre sparen können. Ja wenn es uns gelingt, uns noch Jahrhunderte gesund zu erhalten, während andre dem Greisentum unrettbar entgegensiechen, können sich auch die äußern Daseinsbedingungen noch einmal günstiger gestalten. Aber einstweilen kommt es doch vor allem darauf an, daß wir uns die eigentümliche Lage des Deutschen Reichs und Volkstums vollständig klar machen und uns und die, die uns nachfolgen, dafür erziehn.

In Europa liegt die Zukunft Deutschlands in der Erhaltung seiner Machtstellung und in der Festhaltung aller Volksgenossen: zwei Aufgaben, die man immer mehr als auf einer Linie stehend anerkennen wird; hier muß uns die Verletzung unserer Volksgrenzen so empfindlich sein wie die kleinste Beschädigung unserer Staatsgrenzen. Ferner liegt es aber Deutschland vermöge seiner geographischen Stellung ob, seine volle Kraft an den Zusammenschluß der mitteleuropäischen Mächte zwischen den Weltmächten England, Rußland und Nordamerika zu setzen. Und diese Aufgabe ist die wichtigste und vielleicht nicht die schwerste von den dreien. Das sind Aufgaben, die so verschiedene, fast widerstrebende Kräfte zur Arbeit rufen, daß man mit den alten Regeln, die aus der unendlich viel einfacheren Geschichte der älteren Mächte Europas oder der Kolonialgeschichte Hollands oder Englands oder gar der römischen, auf die man uns noch hinweisen möchte, bei uns nicht auskommt. Unser Fall liegt viel verwickelter als alle frühern, denn von der gemeineuropäischen Krankheit der Völkerzerklüftung und der Völkerverfeindung ist Mitteleuropa am schwersten heimgesucht, und während wir für die Welt draußen freien, weiten Blick und große Auffassungen nötig haben, will uns der Hader der Nationalitäten, der Konfessionen und der wirtschaftlichen Interessengruppen kleine Geister und enge Herzen anerziehn.


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