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Aus dem eigenen Leben

Kindheit

Es gibt prosaische Menschen, die unser sehnsüchtiges Zurückerinnern an die Kindheit als etwas Leeres, Hohles verlachen. Sie wollen im besten Fall einen Traum darin sehen. Wie sehr irren sich die! Ich brauche nur in die »Kinder- und Hausmärchen« hineinzulesen, so werde ich wieder des Gefühls inne, mit dem ich sie zuerst vernahm, und es beginnt aus den Fernen und den Tiefen der Erinnerung her zu leuchten und zu glänzen von dem ungeheuern Reichtum, den das Kind daran hat, daß es alles glaubt, auch das Wunderbarste, und vor allem, daß sein Glaube allem Toten Leben gibt. Wieviel größer ist also der Wirklichkeitsbereich des Kindes, wieviel mehr besitzt und beherrscht das Kind, da ihm das Wunderbare gehört, ohne daß es sich darüber wundert, vielmehr sich darin vollkommen zu Hause fühlt. Mir kommt meine Kindheit nicht eng und nicht arm vor, wenn ich auch weiß, daß meine Fähigkeiten und meine Kenntnisse damals noch gering waren, denn vieles bestand damals, was mir die Erziehung und der Unterricht genommen haben, und alles war lebendig, während sich mir heute die Welt in eine große, weite, tote Hälfte und eine kleine teilt, die mit Leben begabt ist.

 

Was ist die Poesie der Jugend? Vergangenheit! Ich vergleiche sie den blauen Bergen in der Ferne, den ungreifbaren Wolken des Sonnenaufgangs und Untergangs, der kristallnen Tiefe des Weltmeers, dem vergangnen Frühling, kurz dem Fernen und dem Gestrigen, allem, was nur aus der Entfernung herleuchtet. Man mag von Leuten sagen, sie hätten sich ihre Fugend bewahrt, von Greisen sogar, sie hätten sich verjüngt: mit echter Jugend hat das nichts zu tun, die kommt in jedem Leben nur einmal vor. Wie Knospen und Blühen ihre Zeit haben, hat Jugend ihre Zeit.

Die Sammelleidenschaft, die in der Neugier und in der Anhänglichkeit an einmal Besessenes wurzelte und aus meiner Tischschublade einen Gerümpelschrank machte, wo alte Nägel und Hufeisen neben Kieselsteinen und Papierstückchen lagen, deren Wert nur mir allein bekannt war, hat mich durch meine ganze Jugend begleitet; an ihrem Faden bin ich später zu den ernsteren Studien gelangt. Sie nahm nacheinander die sonderbarsten Formen an.

Liebhabereien, sonderbares Wort! Oft bin ich dir in meinem Leben begegnet und habe dir nicht nachgedacht. Als aus der Liebhaberei wissenschaftliche Arbeit geworden war, kam es mir zum erstenmal in den Sinn, wie du eigentlich geringschätzig lauten möchtest und doch so manches Edle meinst. Wie manche Liebhaberei ist das einzige, was ein Mensch auf dieser Welt lieb hat und lieb haben kann!

Ich habe aus meinem ganzen ersten Schuljahre nur die eine Szene in ganz heller Erinnerung, als uns eine herrliche Bergkristalldruse gezeigt wurde. Die muß meine Liebe zu den Kristallen zuerst wachgerufen haben. Leid tat es mir nur, daß sie in einem so staubigen Glaskästchen wie eingefangen saß. Weil ich leicht lernte, stand ich schon zur Elementarschule wie später zur Universität: ich ergriff, was mir gefiel, und hielt mich an keinen strengen Gang. Was ich gelernt habe, ist selbst erarbeitet, die Schulen aller Zelten haben mich immer nur angeregt und mir Wege gezeigt, darunter auch Holzwege.

Für den Glauben fehlte mir alles Verständnis. Gerade weil ich glaubte, begriff ich nicht, was Glaube sei. Man sollte mit diesem Worte die Jugend nicht quälen, sie glaubt ja ohnehin mehr, als nötig ist, und zuviel bestimmten Glauben von ihr fordern, heißt sie zum Zweifel herausfordern. Die Jugend kann auch nicht den abgeklärten Glauben dessen haben, der einmal geglaubt hatte und nun aus dem Zweifel zum Wiederglauben emporsteigt, in dem er sich glücklich fühlt, einem Geber des Guten Dank zu wissen und überhaupt einen Herrn über sich zu wissen. Mir blieb Glaube ein leeres Wort, dessen Sinn ich erst zu ahnen begann, als die Sache selbst ins Wanken kam.

 

Von dem, was das Leben wirklich ausmacht, wußte ich aber damals so wenig, daß ich mir im Rückblick auf jene Zeit wie einer vorkam, der am Strome hingeht, in den andre untertauchen. Dagegen fühlte ich mich im Leben der Natur immer heimischer. Da schwamm ich immer weiter hinaus.

 


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