Georg Queri
Die Weltlichen Gesänge des Egidius Pfanzelter von Polykarpszell
Georg Queri

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Meditationen über des Egidius Schreibebuch.

Die verdorrte alte Jungfer, deren Beziehungen zu Gidi über die einer Erbtante niemals hinausgediehen waren, ging immerhin an zwei Wochen in meinem Kopfe herum.

Vielleicht auch erinnerte mich der Gidi zu oft an die Schwabinger Dame. Warum wohl? Schier war ich versucht, in dem harmlosen Bauernburschen einen Spötter zu erblicken.

War er ein Spötter?

Ich kann es nicht untrüglich feststellen.

Aber so sagte er.

»Jatzt werd s' siebnundsechzg Jahr alt! A schöns Alter!«

»Wer wird siebenundsechzig?«

»D' Urschi halt; mei Basn.«

Natürlich ärgerte ich mich. Nicht über das Altwerden überhaupt und nicht über alte Weiber, aber über diese Ursula Schweck.

Und dann sagte er wieder:

»Jetz is s' in drittn Ordn eitretn. Da muaß s' arg viel betn!«

»Wer?«

»D' Urschi halt; mei Basn!«

Oder: »Is dees guat zahlt, als Putzerin im Schwabinger Bräu?«

»Hm. Woher soll ich das wissen, Gidi? Und warum interessiert's denn dich?«

»Weil sie als Putzerin hikommt.«

»Wer?«

»D'Urschi halt; mei Basn.«

Ich ärgerte mich sehr lange, ich glaube vier Tage lang, obwohl innerhalb dieser vier Tage kein Wort über die Alte fiel.

Aber am fünften Tage.

»Muaß mih doh aa amal fotagrafiern laßn.«

»Zu was denn?«

»Woaßt –«, er wurde sehr vertraulich und ging in ein Flüstern über, »ih möcht ihr halt doh amal a Fotagrafie schickn. Dees is jetz der Brauch.«

»Soso, Gidi! Hat sich was angebandelt? Wer is sie denn?«

»D'Urschi halt; mei Basn.«

Ich war sprachlos. Zornig maß ich den Burschen; aber es gelang mir nicht, in seinen harmlosen Zügen etwas zu finden, das den Spötter bezeichnete.

Vielleicht war er auch kein Spötter.

Vielleicht war er dem alten Weibe kindlich zugetan; dann mußte er wohl oft ihrer gedenken. Aber warum hatte er früher nicht öfter von ihr gesprochen?

Ich wußte nicht, wie ich ihn beurteilen sollte. Aber vorsichtshalber mied ich ihn nun einige Zeit.

Ich traf ihn wieder, als er einen Wagen mit Dünger belud und offensichtlich schwitzte. Ich sah, wie er den Rockärmel als Schweißtuch für sein Gesicht benützte und schließlich den lästigen Rock auszog. Auch sah ich, daß in der Brusttasche dieses Rockes ein Notizbuch stak.

Ich kannte es wohl, dieses Notizbuch.

Manchmal hatte ich den Gidi beobachtet, wenn er aufmerksam darin las. Aber immer hatte er das Buch sofort verschwinden lassen, als ihm meine Neugierde aufgefallen war.

Und nun wurde es mir plötzlich klar, daß ich dieses Notizbuch an mich bringen müsse. Konnte es etwas anderes in sich bergen, als die Seele dieses Mannes? Ich hatte sie monatelang vergeblich gesucht; sie mußte in diesem Notizbuch stecken.

Und warum las er zuweilen darin?

Die vielen Seiten hatte eine Hand beschrieben, die von der Seele des Egidius Pfanzelter dirigiert wurde.

Tja – aus diesem Grunde mußte das Buch gestohlen werden.

Ich bin im Stehlen nicht ungeübt. Jung geübt – – wer hat noch nie Obst gestohlen?

Und also stahl ich das Notizbuch aus dem Rock, den der Gidi vertrauensvoll auf den Misthaufen gelegt hatte.

Ich bebte vor Aufregung, als ich das Buch in Händen hatte.

Die Seele des Egidius Pfanzelter, die ich durch Monate ängstlich gesucht hatte! Und die ich nun schier mühelos in einem alten Rock auf einem Düngerhaufen fand!

Ich zog mich mit meinem Raube von dem Gidi zurück, weil er mit der Mistgabel hantierte.

Ich kenne diese Mistgabeln! Man unterschätzt zumeist ihre Länge und gegen ihre Handhabung genügt weder die Kunst des Boxens noch des Djiu-Djitsu zur Abwehr. Merke dir: Der Stiel einer Mistgabel ist länger als dein Arm; das Instrument mißt etwas mehr als einen Meter vierzig; indeß ohne die Zinken, die du mit zwanzig Zentimetern nicht zu hoch taxierst.

Aber ich will mich nicht über Mistgabeln verbreiten.

Ich will über das Notizbuch des Gidi reden.

Dieses Notizbuch stammte ersichtlich von einem Jahrmarktskrämer und roch nach dem Stall des Krautgartl Karpus. Es war unfein, aber beleibt. Ich blätterte – –

Ja, ich blätterte, während ich ein Flimmern vor den Augen verspürte.

Denn: ich sah Verszeilen, offenkundige Verszeilen!

Der Gidi dichtete. Gedichte! Die ich nicht gefunden hatte, seine lang gesuchte Seele dichtete.

Herrgott!

Ich mußte die Augen schließen, um mich des unstäten Flimmerns zu erwehren. Und innerlich sah ich den Mann, den ich nicht mehr Gidi zu nennen wagte. Den Egidius. Ist Egidius nicht ein arg schöner Name für einen Dichter?

Und: Egidius Pfanzelter ist als Ganzes ein harmonisches Getön. Der Vorname. ehrwürdige antike Klänge, mit einem Hauch von Klassizismus und Patriarchenwürde; der Geschlechtsname: drollig, derb, urdeutsch und knorrig; beide zusammen: originell, jedenfalls nicht verbraucht und entschieden vorteilhaft modern. Es ist gar keine Notwendigkeit vorhanden, den literarischen zweiten Vornamen vorzuspannen.

Egidius Pfanzelter spricht für sich selbst.

Mein Herz schlug erregt bei solcher Meditation. Wenn ich diesen Egidius Pfanzelter der deutschen Nation entdecke?

Wenn ich den Leuten sage. hier habt ihr einen, der aus dem Urgemüte heraus dichtet!

Der am Pfluge seine Reime ersann!

Und der sich nie nach der Druckerschwärze sehnte.

Den Dichter schlankweg!

Wenn ich den Leuten erzähle: diese Verse lagen in einem alten Rock und der alte Rock lag auf einem Düngerhaufen . . .

Staunen, Staunen, großes Staunen!

Die Literaten läuten feierlich den neuen Dichter ein. Jeden Tag sendet mir das Zeitungsausschnittbureau die Artikel, die über Egidius Pfanzelter geschmiedet wurden.

Es befindet sich ein Interview des »Berliner Lokalanzeiger« darunter, der Herr von Strackhus zu Kempff-Torgau und Wallerstädt nach Polykarpszell im Bayerischen entsandte. In der »Woche« natürlich das Photo . . .

Undsoweiter. Undsoweiter.


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