Stanislaw Przybyszewski
Satans Kinder
Stanislaw Przybyszewski

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VIII.

Es verging wohl eine halbe Stunde in tiefstem Schweigen.

Plötzlich sah Ostap Gordon von neuem an mit einem seltsam verlegenen Lächeln.

»Ich träume immer davon«, sagte er, »immer ...«

Er hustete auf, trank und begann schnell und eindringlich zu sprechen.

»Kein Mensch hat es gesehen. Kein Richter kann es mir nachweisen, und doch habe ich das Gefühl, daß jeder Mensch es weiß. Ich sehe mein Geheimnis auf allen Anschlagsäulen, ich lese meinen Steckbrief in allen Zeitungen ...«

Er sah sich verwirrt um, lächelte und fing nervös das Glas zu drehen an. Aber er schien ein krankhaftes Verlangen zu haben, zu sprechen, sich mit seiner eigenen Rede zu betäuben.

»Das mit Hela ... Nein! Ich will nicht von Hela reden, es tut mir so entsetzlich weh – ich bekomme jedesmal so eine Art Herzkrampf ... Du lächelst?«

»Nein, es fiel mir nicht im Traume ein, zu lächeln«, antwortete Gordon sehr ernst.

»So? Es kam mir so vor. Aber es interessiert dich?« Er sah Gordon boshaft an. »Du bist doch sehr neugierig auf mein Verhältnis zu Hela?«

»Nicht mehr, als es meiner Absicht nützlich ist.«

Ostap lachte auf.

»Nun! Das ist ehrlich gesprochen. Ja, ja – ich interessiere dich auch nicht mehr, als es deinen Absichten nützlich ist. He he – ich sollte dich eigentlich viel mehr interessieren. Es steckt in mir viel von deiner eigenen Natur ....«

Er gähnte.

»Hast du eigentlich die Geschichte gehört von dem Mörder, der ein reiches Weib ermordet, ihre Kasse plündert, glücklich entkommt, sich aber plötzlich auf einen Kanarienvogel besinnt, den er dort oben gesehen hat? Er geht zurück, obwohl er das Äußerste riskiert, schüttet dem Vogel Nahrung in den Käfig, damit er nur ja nicht verhungert. Sieh! Das ist typisch für uns alle. Wir können morden und stehlen, ohne eine Sekunde etwas anderes als Freude zu empfinden, Freude, daß man nicht entdeckt wird ... Aber das Kleine, das Süße ... He he – die Kanarienvögel! Die dürfen nicht verhungern ... Kinder darf man nicht morden«, flüsterte er bebend. Kalter Schweiß stand ihm in dicken Tropfen auf der Stirn.

Pause.

»Du bist auch ein Verbrecher, aber deine Instinkte sind sicherer als meine ... Du würdest niemals so ein kleines, lumpiges Verbrechen begehen ... Du bist von dem Schlage der großen Verbrecher ... so ein degeneriertes, verbrecherisches Genie ... Du bist ein Karl der Zwölfte! Ja! grade Karl der Zwölfte!«

Er kam in eine triumphierende Aufregung.

»Ich habe so viel über das Rätsel »Gordon« nachgegrübelt, aber jetzt habe ich es gelöst. Sieh doch nur Karl den Zwölften an: Er geht von seinem Vaterlande weg, weiß Gott weswegen und wozu, er verwickelt sich in einen Krieg mit ganz Europa, schlägt mit achttausend Menschen fünfzigtausend Russen! Verstehst du? acht- gegen fünfzigtausend?! Er prügelt August den Starken durch und – und ... he he ... läßt sich von einem dummen Barbaren, einem Mazeppa, in die Sümpfe locken, weil ihm seine Erzählungen unter einem gestirnten Himmel so entsetzlich gefallen ... Ha ha ha ... der arme Ästhetiker! Dann geht er nach der Türkei, sitzt dort fünf Jahre ... Alles nur um einer fixen Idee willen – verstehst du? – um einer fixen Idee willen, habe ich gesagt – rafft sich auf, reitet von der Türkei bis nach Stralsund in vierzehn Tagen zurück ... He he he ... Warum? Weshalb? Sein ganzes Reich hätte ruhig zu Grunde gehen können und er würde sich den Teufel daran gekehrt haben. Aber seine fixen Ideen mußten befriedigt werden ...«

»Du sagst, das Beispiel ist schlecht gewählt? Nein, nein ... Du bist einer von diesen Menschen, ein Alexander der Große, der sich zum Gottessohne ernennen läßt und an seine göttliche Herkunft in allem Ernste glaubt. Du bist ein Byron, der König von Griechenland werden will ...

Warum tut ihr das? Heh? Das ist eben das Große, daß ihr das Warum nicht kennt, daß ihr keine Gründe habt. Deswegen, nur deswegen habt ihr die fürchterliche Macht über die Menschen. Ich liebe das, ich liebe es über alle Maßen. Ich bin ein Mitverbrecher, Mitverbrecher sag ich wohlweislich, Mitverbrecher aus Liebe zu dieser mystischen, abenteuerlichen Natur, die sich durch euch kundgibt.«

Er lachte plötzlich ganz unvermittelt mit einem häßlichen, boshaften Lachen.

»Sieh, sieh: darin seid ihr euch auch alle ähnlich. Karl der Zwölfte war ein gottesfürchtiger Mann, einer, der die Gerechtigkeit über alles liebte, aber er kannte kein größeres Vergnügen, als zu morden, zu brennen und Menschen zu braten ... Er war ein enragierter Mordbrenner. Er verbrannte Häuser, er verbrannte die Ernte auf dem Felde, und nie war er so glücklich wie damals, als er von Stralsund seiner Schwester schrieb, daß er so ein paar tausend Menschen geschmort habe ... Hast du jemals dies kleine, spitze Mädchengesicht gesehen? Akkurat wie das deinige!

Byron höhnt über die Welt, er verachtet sie und alles, was sich auf ihr befindet, aber er selbst will König von Griechenland werden! Und du ... du ... du glaubst zerstören zu müssen aus einer finsteren Theorie heraus. He he – wie du dich belügst! Du zerstörst doch nur, weil du diese Hölle von Haß und Ekel in dir trägst. Nein, nicht Ekel, das lähmt und zerstört die Energie, aber Haß – Haß! Ich habe nie geglaubt, daß ein Mensch so maniakalisch hassen kann ...«

Er warf plötzlich das Glas in die Ecke und trank mit gierigen Zügen aus der Flasche.

»Du paßt nicht in unsere Zeit. Es gibt hier keinen Raum für dich. In einer anderen Zeit könntest du König werden, könntest die Russen schlagen, mit dreißig Menschen tausende von Türken in die Flucht jagen, dann in vierzehn Tagen tausende von Meilen zurücklegen, auf den Wällen von Frederikshall schlafen und von weißen Nächten träumen ... Jetzt kannst du das nicht, deswegen rächst du dich ...

Hast du seine Handschrift gesehen? Seine: natürlich Karls des Zwölften? Sie ist der deinigen ähnlich. Und weißt du, daß er nie ein Weib gehabt hat, körperlich mein ich? Weißt du das? Ich bin nicht sicher, ob du ... Hela! He he, Hela! Das war so eine Art mystischer Hochzeit – aus dem Gehirn heraus. So eine Art Gehirnekstase ... Und ich habe gemerkt, daß du plötzlich einschlafen kannst und ebenso plötzlich aufwachst, ohne zu wissen, daß du geschlafen hast ... Du bist der einzige Verrückte unter uns. Du bist der, der ein reiches Weib mit vollendetster Ruhe morden kann, aber um keinen Preis einen Kanarienvogel verhungern lassen würde.«

Gordon runzelte unwillig die Stirn.

»Nun, jetzt genug davon! Genug von dem betrunkenen Geschwätz. Ich habe hier eine Stunde gesessen und auf das sinnlose Zeug gehört, ich saß ganz ruhig und geduldig, aber jetzt hab ich genug!«

»Hast du genug? So geh doch zum Teufel!«

Ostap schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Warum sitzst du hier? Was willst du noch? Jetzt kannst du mich ins Zuchthaus bringen, wenn du willst ... He he, versuch es nur! Ein Romantiker ist immer edel, ein Romantiker begeht nie eine unedle Handlung, und du – Karl der Zwölfte, der König von dem neuen Syon, solltest einen Menschen denunzieren, weil er ein unschuldiges Kind gemordet hat? He he he ... Herodes hat tausende von Kindern gemordet, dafür wurde er von den Würmern gefressen ...«

Er stutzte plötzlich.

»Glaubst du, Gordon, daß das mit den Würmern bildlich zu nehmen ist? Übrigens will ich dich gar nicht aufhalten ...«

Er legte sich auf das Sofa hin und starrte die Decke an.

»Die Psychologie ist doch das dümmste Zeug auf Erden. Na ja ...« Er setzte sich wieder auf. – »Jetzt können wir anfangen, vernünftig zu sprechen. Also zu den Geschäften, nicht wahr?«

Er wurde mit einemmal sehr ernst und gleichgültig.

»Die Proklamation hat Wronski geschrieben?«

»Ja.«

»Ich finde sie sehr gut.«

»Ich auch.« Gordon strich sich nachdenklich durch die Haare.

»Wer verbreitet sie?«

»Okonek.«

»Wollte er sich nicht im vorigen Jahr den Hals durchschneiden?«

»Ja.«

»Hast du ihn auch gefangen?« Ostap sah bewundernd zu Gordon auf ... »Ich gratuliere dir, du bist wirklich zu Zeiten ganz bewunderungswürdig. Ich habe ihn im vorigen Jahr betrunken gesehen, ich glaube, er hatte Delirium, und da schrie er: »Ich bin Ich« ... Ich dachte gleich, das würde etwas für dich sein ... Aber weißt du, Gordon, mich interessiert das eigentlich zu wenig. Du verstehst das doch: Ich bin nur Amateur – nur Amateur ...«

Er trank die Flasche leer, plötzlich schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Er wurde ungewöhnlich erregt.

»Sag mal, Gordon«, er rückte ihm ganz nahe und lächelte boshaft – »sag mal nur: ist nicht eigentlich Okonek und Sobek dieselbe Person? Du weißt, der famose Sobek, der im vorigen Jahre deine Scheune angezündet hat? Der famose Sobek, der deinen Förster erschossen haben soll! Ha ha ha ... mich interessierte die Geschichte, ich forschte nach und da hab ich erfahren, daß Sobek in jener Zeit krank und schwach war ... Mir kam es immer verdächtig vor, daß Sobek es getan haben sollte ... He he he, wie jetzt dein Gesicht aufzuckt, wie mich deine Augen anstarren ...«

Ostap rückte ihm noch näher.

»Hast du nicht eine kleine Personenverwechslung vorgenommen? Heh?«

Gordon faßte sich und lächelte still.

»Du hast gut geraten«, sagte er plötzlich. »Okonek hat den Förster erschossen, Sobek ist zwei Tage später gestorben. Niemand weiß es und niemand wird es wissen. Wenn einer tot ist, kann man ihm alles in die Schuhe schieben. Das tut nichts. Aber Okonek wurde mein Sklave, mein Hund. Das bedeutet viel für mich. Es ist auch wichtig, daß alles, was jetzt geschieht, auf das Konto von Sobek geschrieben werden kann ...«

Ostap sah mit steigender Verwunderung Gordon an.

»Noch nie hast du so offen zu mir gesprochen. Bezweckst du etwas mit deiner Offenheit?«

»Nein! Aber ich finde, daß man jetzt offen sein kann; du verstehst, was ich mit diesem jetzt meine?«

Ostap sah ihn gehässig an.

»Und jetzt wirst du den toten Sobek die Schnittlersche Fabrik anstecken lassen?«

Ostap lachte heiser auf.

Gordon wurde mit einemmal ganz blaß, aber er antwortete nicht.

»Was? Ist es nicht dein Plan? Du bist ja so erregt. Warum antwortest du nicht? Willst du nicht deine Offenheit auch über diesen Plan erstrecken?«

Gordon lächelte verächtlich.

»Gott, Gordon, bist du ein naives Kind. Mord, Brand, das kann jeder Knecht ausdenken; aber bist du noch nicht auf die Idee verfallen, Reinkulturen von Cholera- oder Typhusbazillen zu züchten? Heh? Noch nicht? Ein Mittel fin de siècle ... Ein wirklich raffiniertes Mittel. In einer Woche ist die Epidemie über die ganze Provinz verbreitet ...«

Er flüsterte, aber auf einmal stampfte er mit dem Fuß, sein Mund bebte, er zitterte am ganzen Körper.

Gordon stand auf. Sie starrten sich eine Sekunde lang an.

»Satan!« zischte Ostap.

»Ich werde dich auf offener Straße niederschießen, wenn du nur wagst, den Mund zu öffnen.«

Gordon trat Schaum auf die Lippen.

Eine Sekunde schien es, als wollten sie sich aufeinanderwerfen. Ostaps Hände flogen suchend umher.

Gordon beherrschte sich zuerst und ging, ohne ein Wort zu sagen.


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