Stanislaw Przybyszewski
Satans Kinder
Stanislaw Przybyszewski

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VII.

Als Gordon auf die Straße kam, hatte er den ganzen Auftritt vergessen. Er ging schnell die Hauptstraße entlang und trat dann auf den Landweg. Die Nacht war so hell und er hörte den Schnee unter seinen Stiefeln knistern. Er dachte an nichts anderes als an die helle Nacht und das Knistern des Schnees. Plötzlich hörte er in geringer Entfernung einen Schlitten auf sich zukommen. Unwillkürlich sprang er über den Graben und wollte quer über das Feld gehen. Es war ja auch näher.

Aber schon hörte er den Ruf: »Gordon! Gordon!«

Er zuckte auf. Es war Helas Stimme. Er wollte weiter gehen, bedachte sich aber und kehrte um.

»Komm doch her, Gordon!«

Er ging auf den Schlitten zu.

»Aha! ... du wolltest dich wie ein Dieb wegschleichen, aber deine Figur verrät dich ...«

Gordon grüßte. Neben Hela sah er in dem Schlitten Pola.

»Wir waren bei dir. Wir wollten dich überraschen ...« Hela lachte nervös ... »Wir sahen Licht in deinen Fenstern und glaubten, daß du dich versteckt hast ... Deine Knechte hast du wohl alle wegverkauft. Keine lebendige Seele im ganzen Hof ...«

Gordon lächelte liebenswürdig und ließ ruhig den Redestrom über sich ergehen.

»Sonderbar, sonderbar!« sagte er sehr höflich.

»Und wie steht es mit deiner Backe?«

Gordon hörte, wie Pola boshaft auflachte.

»Nicht angeschwollen? Nein? Nun, es war nur ein Scherz von mir.«

Wieder lachte Pola mit einem künstlichen Lachen.

»Nein! Der Schlag war zu schwach. Wie könnte auch dieses Händchen, das bis jetzt nur Liebkosungen für so viele Glückliche ...«

Er sah sie plötzlich die Peitsche hochschwingen, aber er sprang schnell zurück und wich dem Schlag aus.

»Adieu!« sagte er und nahm sehr tief den Hut ab. Er sah nur noch den Schlitten in rasendem Tempo fortstürmen.

Und Pola saß darin. Es kam also alles so, wie er sich dachte.

Er empfand eine grenzenlose Müdigkeit. Er knöpfte den Mantel auf und ging und ging. Der kurze Weg von der Stadt bis zu seinem Gut kam ihm endlos vor.

Endlich kam er an. In seinem Zimmer saß ein Mann.

Gordon wurde sehr froh.

»Wie kommst du her, Botko?«

Sie umarmten sich herzlich.

»Oh, wie gut, daß du gekommen bist.«

»Ich habe mir gedacht, daß es Zeit wäre. Ich komme direkt aus London. Aber du wohnst hier ganz wie ein Eremit, in diesem großen Hause.«

»Ja. Außer mir nur noch der alte Maciej mit seiner Frau. Beide würden für mich ins Feuer gehen. Sie verehren mich mehr als wie ein Heiligenbild.«

»Ich bin also hier wie ein Stein, den man ins Wasser geworfen hat?«

»Ganz und gar. Das Haus ist voll von Löchern und Verstecken. Du bekommst ein Zimmer, in dem dich auch bei strengster Haussuchung niemand finden könnte. Übrigens würden sich die beiden Alten eher den Hals abschneiden lassen, als etwas sagen, was sie nicht sagen sollen.«

»Die alte Frau scheint sehr diskret zu sein. Sie tat, als hätte sie mich schon zehn Jahre gekannt.«

»Ich habe ihr beschrieben, wie du aussiehst ... Aber sag mal nur, Botko, warum ... na, das ist ja Blödsinn, ich wollte dich fragen, warum du so spät kommst, aber du kommst ja noch zu früh ...«

»Geht es nicht weiter?«

»Oh, es geht vorwärts, aber langsam, sehr langsam ...«

»Nun, wen hast du hier?«

»Kennst du Hartmann?«

»Ich habe ihn ein paarmal in Paris und dann in London gesehen.«

»Ja. Siehst du. Ich habe ihn mit großer Mühe hergebracht. Er ist wahnwitzig geschickt. Er liebt übrigens die Philosophie und sein Gehirn.«

»Ja, ja ... Ich weiß ... Wen hast du noch?«

»Ostap. Den kennst du ja. Er ist nun ganz verrückt.«

Gordon dachte nach.

»Ich habe ihn eigentlich sehr gern. Er hat eine entsetzliche Angst. Er muß etwas furchtbares gemacht haben. Hm ... Er hat Angst, daß ich sein Geheimnis kenne. Das ist gut. Ich halte ihn nur mit der Angst an mir fest. Er hat in diesen Tagen einen Anfall gehabt, ich glaube epileptischer Natur. Nun hat er Angst, er habe alles in seinem Fiebergeschwätz verraten. Er weiß gut, daß ich von seinem Geheimnis keinen Gebrauch machen würde, in keinem Fall, aber diese Angst läßt sich nicht wegdisputieren. He he ... Du weißt, welche Angst ein gebildeter Mensch vor dem Zuchthaus hat ... Bei einem Knecht würd ich riskieren, daß er sich selbst anzeigt, sich und alle kopfüber ins Verderben stürzt, aber unsereiner begeht zehnmal lieber einen neuen Mord, bevor er sich ins Zuchthaus bringen läßt. Mich widert die ganze Sache im höchsten Maße an, aber Ostap ist die Hauptperson ...«

»Wer noch?«

»Ein schwindsüchtiger Student, der Brand anlegen will. Das ist außerordentlich gut. Brand, der gleichzeitig an mehreren Stellen ausbricht, ist ein sehr wirksames Mittel.«

»Und all das willst du nur mit den drei Menschen tun?«

»Ist das nicht genug? Drei! Das ist schon viel zu viel. Am liebsten würd ich das alles allein machen, aber ich muß warten. Ich habe größeres, viel größeres zu verrichten.«

Gordon kam in Hitze.

»Ich werde ein ganzes Stück Erde zerstören. Ich allein. Vielleicht nur mit Hilfe von ein paar Menschen. Sieh dir nur die Menschen an, diese armen drei Menschen. Sie sind alle mein. Der Knabe, der in einem verfaulten Zimmer hinsiecht mit der kranken Verzweiflung, daß er unrettbar sterben muß, und mit dem wilden, fanatischen Haß gegen alles, was ihn zerstört hat, ist mein! Der andere, der ein Verbrechen begangen hat und sich durch die Liebe, die ich ihm zerstört habe, retten wollte, ist mein. Der Philosoph, dem das Denken das Herz ausgedörrt hat, ist mein. Das Weib, das plötzlich zu lieben beginnt und Ekel vor ihrer Vergangenheit bekommt, ist mein! Jeder, der Angst hat, jeder, der verzweifelt ist, der die Zähne in ohnmächtiger Wut aneinanderbeißt, jeder, der das Zuchthaus streift, jeder, der hungert und gedemütigt wird, der Sklave und der syphilitische Herr, die Hure und das geschwängerte Mädchen, das von ihrem Liebhaber verlassen wird, der Sträfling und der Dieb, der Literat, der keinen Erfolg hat, und der Schauspieler, der ausgepfiffen wird – sie alle, alle sind mein. Sie arbeiten mir in die Hände. Sie bereiten die Verzweiflung und die Empörung und den Aufruhr. Sie säen für mich und ich mahle ihre Ernte. Ich brauche sie nicht alle, sie stehen hinter mir ... Sie alle, wir alle sind durch das eine Band, das eine Verbrechen: die Verzweiflung, aneinander gekettet. Einer weiß nichts von dem anderen, aber wir alle sind Brüder.«

Er trank hastig.

»Lüg ich, lüg ich etwa, wenn ich meinen drei Knechten sage, daß sie eine Legion sind, daß sie im Sinne einer ungeheuren Verschwörung, die über das ganze Land verbreitet ist, arbeiten? Lüge ich? Nein! In jedem Orte, in jeder Stadt habe ich meine Verschwörer. Einer weiß nichts von dem anderen, aber ich weiß um sie alle.«

Er zuckte nervös.

»Oh Gott, wie sie arbeiten! Der, der da dem Gotte flucht und den Atheismus predigt, der, der einen Menschen unglücklich macht und die Umwertung der Werte lehrt, um sein böses Gewissen zu beruhigen, der, der keinen Raum für seinen Ehrgeiz findet und die Ordnung der Dinge umstürzen will, der Gekränkte und der Unzufriedene – sie alle arbeiten für mich! Und ist alles zerstört, ist alles vergiftet und verpestet, dann übergeb ich Hartmann die Welt zur Reform. Hartmann allein! Er wird der Lycurg und der Draco, Cromwell und Calvin der neuen Welt werden. Im Namen seiner Vernunft und seiner Gerechtigkeit wird er Morde und Verbrechen begehen, er wird von neuem Gift und Pest der Welt einimpfen. Hartmann ist ein Saint Just, ein tugendhafter Robespierre ... Ha ha ha ...«

Botko sah Gordon lange an.

»Du bist überreizt. Nimm dich in acht!«

»Nein, nein! ich habe mich vollkommen in der Gewalt. Aber denke nur, seit einem Jahre hab ich nicht gesprochen. Verstehst du? seit einem Jahre.«

»Wenn du hier fertig bist, was willst du dann tun?«

Gordons Gesicht leuchtete unheimlich auf.

»Ich habe einen Priester«, flüsterte er triumphierend. »Verstehst Du, was das heißt? Das ist der höchste Trumpf. Das ist Schisma, das ist das neue Avignon!«

Er trank hastig, aber mit einem Mal sank er ganz zusammen. Seine Augen schlossen sich. Er schlief ein.

Botko sah ihn lange an und schüttelte bedenklich den Kopf.


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