Stanislaw Przybyszewski
Satans Kinder
Stanislaw Przybyszewski

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III.

Als Gordon auf die Straße trat, blieb er nachdenklich stehen. Es regnete beständig, aber er achtete nicht darauf.

Plötzlich raffte er sich zusammen, ging schnell ein paar Straßen entlang und kam auf den Markt.

Hier stellte er sich in die Haustür eines Hauses und sah lange und unschlüssig ein gegenüberliegendes Haus an.

Ob er doch hinaufgehen sollte? Der alte Mizerski ist nicht zu Hause. Die Dienstboten schlafen natürlich ...

Er grübelte, aber etwas trieb ihn vorwärts; es kam ihm vor, als könnte er die Sache nicht verschieben. Er mußte Ostap von ihr losmachen, sonst dürfte er am Ende noch ein braver Bürger werden.

Er lächelte verächtlich und ging fast ängstlich an den Häusern entlang.

Sie schläft nicht, in ihren Fenstern ist noch Licht, ich kann es ja versuchen, dachte er.

Vor dem Hause blieb er stehen, dann trat er in den Flur und blieb wieder lange und nachdenklich stehen.

Endlich ging er leise und mit größter Vorsicht die Treppe hinauf.

Er entdeckte nach langem Suchen den Knopf der Klingel, aber sein Finger blieb willenlos drauf liegen.

Ob es wirklich notwendig war?

Er konnte die Frage nicht beantworten, lehnte sich an die Wand und blieb so träumend eine Weile stehen.

Ob er nicht doch umkehren sollte?

Aber im selben Nu drückte er auf den Knopf.

Er lauschte. Sein Herz schlug heftig.

Er hörte Geräusch auf dem Korridor, hörte, wie das Gas angezündet wurde, und im nächsten Momente wurde die Tür geöffnet.

Hela stand ihm gegenüber.

Sie starrte ihn an wie ein Gespenst, faßte sich aber sofort, trat zur Seite und ließ ihn, ohne ein Wort zu sagen, ein.

»Ich bin sehr naß«, meinte Gordon ruhig, »ich kann den Mantel wohl hier aufhängen?«

Sie sprach kein Wort.

»Ich habe mit Ihnen in einer sehr wichtigen Sache zu reden. Verzeihen Sie, daß ich zu einer so ungewöhnlichen Stunde komme, aber ich glaubte die Sache nicht verschieben zu dürfen.«

Sie machte wortlos die Tür zu einem Zimmer auf.

Sie setzten sich hin und saßen lange schweigend.

Er bemerkte, daß sie ihn wie in höchster Angst anstarrte und daß um ihre Lippen ein irres Lächeln wie versteinert war. Aber nach und nach schien sie ihre Fassung wiederzugewinnen, ihr Gesicht verzerrte sich gehässig.

»Du hast mich überrumpelt; ich dachte nicht, dich wiederzusehen. Was willst du?«

Er lächelte und sah sie dann wieder ernst an.

»Du bist noch schöner geworden, als du warst, aber ich liebe dich nicht mehr. Nein! nicht mehr!« sagte er nach einer Pause.

»Und das ist alles, was du mir zu sagen hast? Deswegen kommst du her?«

»O nein, nicht deswegen. Vielleicht ja – ich weiß nicht ... Vielleicht suchte ich nur nach einem Vorwand, um zu dir zu kommen ...«

»Und mich zu quälen?«

»Nein, ich will dich nicht quälen. Weswegen sollte ich dich quälen? Du hast mir ja alles gegeben, was du mir zu geben hattest ...«

»Du lügst! Ich habe dir nichts gegeben. Dir, grade dir nichts! Ich glaubte nicht, daß du so dumm warst, dir einzubilden, ich hätte dir etwas gegeben.«

»Vielleicht irre ich mich. Vielleicht hast du mir nichts gegeben, weil du nichts zu geben hattest.«

»Na, siehst du. Gleich fängst du an vernünftig zu sprechen.«

Sie lachte häßlich.

Er sah sie sehr traurig an.

»Das, was du mir gegeben hast, war eigentlich kein Geben«, sagte er nachdenklich; »es kostete dich nichts, keinen Schmerz und keine Überwindung.«

Sie wurde blaß, antwortete aber nichts.

»Deine Seele ist schlecht«, sagte er nach einer Weile und ließ die Augen sinken.

»Deine Seele ist schlecht«, wiederholte er, »weil sie nichts geben kann, weil sie nichts zu geben hat ... Du hassest mich, weil ich der erste bin, der dich erkannt hat. Ich hasse dich nur zuweilen, aber ich liebe dich auch nicht.«

»Leidest du noch so sehr, wie früher«, fragte sie lächelnd.

»Nein. Jetzt leide ich nur zuweilen. Und dann nur ästhetisch.«

»Ästhetisch?«

»Ja. Die höchste Schönheit am Mädchen ist, das Weib zu gebären. Ich hätte an dir diese höchste Schönheit vollziehen mögen. Der Mann wächst, er wächst immer. Das Weib wächst nur als Mädchen. Als Weib ist es Stillstand. Es ist das einzige Mal in der ganzen Natur, daß man die Entwicklung zum Stillstand bringt, das einzige Mal, daß die Ewigkeit des Werdens einen lebendigen Abschluß findet, und das ist für mich die höchste Schönheit.«

»Du hast ja tausend Mädchen rings um dich. Bring doch in ihnen das Wachstum zum Stehen, vollziehe an ihnen die höchste Schönheit, die übrigens auch jeder Knecht vollziehen kann.«

»Schönheit ist nur für den da, dem sie zum Bewußtsein kommt. Sie wird nie einem Knecht bewußt ... Übrigens irrst du dich: was an dem einen Weibe zur Schönheit wird, wird an jedem andern zum Ekel.«

»Und dies eine Weib für dich war ich?«

»Ja, du.«

Sie schwiegen sehr lange.

»Jetzt kannst du gehen«, sagte sie endlich leise und geheimnisvoll. »Jetzt hast du mein Herz für Monate aufgerissen. Geh jetzt, geh – ich bin so entsetzlich müde ...« Sie sah ihn flehend an und schwieg.

»Bist du immer so traurig?« fragte sie plötzlich und rückte ihm näher.

Er überhörte ihre Frage.

»Ich kam nicht, um dich zu quälen«, sagte er endlich – »nein! Ich kam, um meine Qual aufzufrischen. Ich brauche jetzt viel Qual, um das zu vollführen, was ich vollführen will.«

»Was willst du tun?« Sie fuhr ängstlich auf.

Er sah sie lächelnd an.

»Sonderbar, daß euer Weibergehirn so eng ist. Natürlich war dein erster Gedanke, daß ich Selbstmord begehen will; nicht wahr? – O nein. Das machen Greise, Kinder und schwangere Weiber ... Du hast nie ein Kind gehabt?« fragte er sinnend ... »Ich wollte einmal ein Kind von dir haben ... Damals war es zu spät ... Doch, was wollt ich nur sagen ...« Er richtete sich auf – »Ja du ... schone Ostap ein wenig. Deine Seele ist so gierig und so rachsüchtig. Du willst ihn verderben. Vielleicht willst du es nicht bewußt. Aber er reizt dich, und das ist für dich genug. Du liebst ihn ja nicht. Ich habe es ihm auch gesagt, daß du ihn nicht liebst. Ich glaube, es ist besser, daß du es ihm ehrlich sagst. Siehst du nicht, wie du ihn quälst?«

Sie schien gar nicht auf ihn zu hören. Er sah sie aufmerksam an.

»Hast du mich gehört?«

»Nein!«

»Soll ich es dir wiederholen?« Er stand fast drohend auf.

»Nicht nötig! Ich höre nicht ein Wort, das du mir sagst. Du kannst jetzt sprechen und sprechen, ich werde nicht ein Wort hören.«

Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. Sie entzog sie ihm heftig.

»Warum nimmst du deine Hand weg? Wir sind doch nicht Feinde ... Erinnerst du dich an jene Nacht in London? Ich sagte dir so herzlich und so ehrlich alles. Ich sagte dir, warum du nicht meine Geliebte sein kannst. Ich sagte dir all den Schmutz, in dem wir leben würden. Ich sagte dir damals, daß meine Seele dich nicht auflösen kann, und daß nur die Liebe für mich schön ist, die das Weib in der Seele des Mannes aufzulösen vermag. Ich ging von dir, um dich nicht zu beschmutzen. Ich ging von dir, um unter dir zu leiden. Ja, ich leide noch immer. Aber dies Leiden verklärt dich für mich. Ich ging von dir, um nicht brutal zu werden, wenn ich an den Ersten denken müßte, der das Weib in dir geboren hat. Soll ich dir dies alles wiederholen? Du weißt, daß nur dies, dies allein es war, warum ich ging ... Du hast mich gefragt, ob ich immer so traurig bin. Ich bin eigentlich nicht traurig. Aber ich liebe die Schönheit, und ich bin nur traurig, daß ich nicht dein Erster sein konnte ... Nein, du – du weißt ja alles. Wir sind übrigens so verwandt. Als ich dich das erste Mal sah, war mir, als hätte ich mich selbst gesehen ... Warum haßt du mich?«

Sie starrte ihn lange an.

»Oh, wie ich dich hasse, wie ich dich hasse!«

Sie wiederholte es unablässig und knirschte vor Wut mit den Zähnen.

»Du Henker du! Wie du meine Seele zerstört hast! Gift hast du mir in jede Ader geimpft. Ein Stück von mir nach dem andern hast du mir zum Ekel gemacht ...«

»Du haßt mich also wirklich? Ich glaubte es nicht, jetzt sehe ich es.«

Gordon wurde noch trauriger, sein Gesicht war leichenblaß.

»Jetzt höhnst du mich, jetzt sagst du, daß ich dir nichts zu geben hatte ... Gott, Gott! Wie dein Gehirn brutal ist! Wie brutal du bist!«

Sie ballte die Fäuste. Ihre Seele brannte von Haß und Verzweiflung.

»Du wirst mich nie verstehen«, sagte er langsam und sah auf die Uhr. »Du hast mich eigentlich nie verstanden. Du weißt auch nicht, was Schönheit ist. Wolltest du lieber mit mir zusammen sein und beschmutzt werden? Wär ich mit dir geblieben, hätte ich es tun müssen. Ich bin gegangen und ich denke an dich wie an ein großes, trauriges Schicksal. Ich bin gegangen und ich sehe dich wie einen irrenden Stern im Nebel, der Unglück bedeutet, aber das Unglück ist schön. Und jetzt, jetzt ...«

Er brach jäh ab, grübelte eine Weile und sagte dann sehr langsam:

»Ich komme zu dir, um dich zu bitten, Ostap in Ruhe zu lassen, ihn von dir wegzustoßen. Du hast ihm vielleicht den kleinen Finger gegeben, und er ist dumm genug, nach der ganzen Hand zu fassen. Ich bitte dich nicht um seinetwillen, nein, nur meinetwegen. Du liebst ihn doch nicht, ich weiß es. Das ist doch so unendlich komisch, einen Mann haben zu wollen, um sich an einem andern zu rächen ... Sieh nur ... Ich habe früher an dich als einen gefallenen Engel gedacht, mit der stillen Majestät, der traurigen Größe, die den Tod im Herzen trägt. Und jetzt komme ich dich bitten: werde nicht banal! Mach dich nicht lächerlich in meiner Seele!«

Sie lachte hysterisch auf.

»Lügner!« schrie sie ihm zu.

»Du tust unrecht, wenn du das sagst.« Er sah ihr starr in die Augen. »Ich will dir nur noch einmal alles sagen. Siehst du: ich kann zu Zeiten vergessen, daß du schon in den Armen eines andern lagst, daß du mit einem andern das furchtbare Rätsel des Weibwerdens erlebt hast, daß du ...«

Es würgte ihn, er schien zu leiden.

»Ich kann es vergessen, daß du das Höchste und Schönste, was ein Mensch erleben kann, weit hinter dir hattest, als ich dich kennen lernte – daß du die Schauer und den Krampf, in dem eine Seele in die andre überfließt ...«

»Lügner! Lügner!« Sie schrie und zuckte am ganzen Körper. »Geh! Verlaß mich! Satan du!«

Er bohrte sich mit seinen Augen in die ihren, ein wildes, häßliches Lachen verzerrte sein Gesicht.

»Ich kann es vergessen ...« er faßte ihre Hände und preßte sie wie wahnsinnig. »Ich kann vergessen, daß du die erste Nacht in Grauen und Schrecken über das größte aller Geheimnisse in seinen Armen lagst und ihn liebtest, weil er Macht hatte, und ihn haßtest, weil ...«

Sie sprang auf und schlug ihn mit der Faust ins Gesicht.

Er starrte sie sinnlos an. Sein Gesicht bebte.

Sie wich entsetzt zurück.

Gordon wurde mit einemmal ruhig, nur seine Stimme zitterte. Er sprach noch leiser und trauriger. Er flüsterte es beinah vor sich hin.

» ...aber ich würde dir nie vergessen können, daß du nach mir die Maitresse eines andern werden könntest. Dann werd ich Ekel vor dir bekommen, Ekel und Scham, und ich habe nie Scham gefühlt, auch nicht jetzt, da du mich ins Gesicht schlugst. Grade jetzt nicht, weil ich fühle, daß du nicht die Maitresse eines andern werden kannst ... Maitresse! Denn Weib wird man nur einmal.«

Es entstand ein langes Schweigen. Gordon sah unruhig auf seine Uhr. Sein Gesicht war fast gleichgültig. Auf dem Tisch lag ein Papiermesser, er nahm es und spielte zerstreut damit, sah dann plötzlich nach ihr hin, spielte weiter und sagte endlich mit eisiger Ruhe:

»Nun hör mal noch etwas außerordentlich Wichtiges. Es ist eigentlich der Hauptgrund, weswegen ich hierher kam. Es handelt sich um Pola Wronska.«

Er hielt inne, sah sie an und spielte mechanisch mit dem Messer.

»Ich will Pola heiraten«, sagte er plötzlich, als ob es etwas unendlich Gleichgültiges wäre.

Sie sah ihn eine Weile sprachlos an und lachte dann laut auf.

»Das wirst du nicht tun!«

»Ja, ich werde es tun. Sie ist die einzige, bei der ich dich vergessen kann.«

»Ich schwöre dir, daß du es nicht tun wirst.«

»Ja. Ich werde es tun. Ich werde es in einem Monat tun. Sie ist schon mein Weib.«

Er unterstrich das »ist«.

»Du lügst!«

»Nein, ich lüge nicht!«

Sie kam drohend auf ihn zu.

»Sag, daß du lügst! Sag es mir sofort!«

»Willst du mich wieder schlagen?« Er lächelte still vor sich hin. »Tu es nicht; es ist doch nur der Ekel vor dir selbst, der es dich tun läßt.«

Sie sank erschöpft in einen Stuhl zurück.

»Siehst du, Hela, ich möchte dir das erklären, aber ich habe heute nicht die Kraft dazu. Es ist auch gleichgültig. Ich weiß nur, daß du auf irgend eine Weise mein Verhältnis mit Pola erfahren hast. Ich weiß, daß du sie zur Freundin machen willst, und ich weiß, daß du schon jetzt an ihr arbeitest ... Aber warum lachst du? Bist du verzweifelt?«

»Nein, nein ... sprich nur weiter.«

»Nun, ich habe dir nichts weiter zu sagen. Ich wiederhole nur, daß alle deine Versuche, Pola mir abwendig zu machen, nutzlos sind. Erspare dir die unnütze Mühe. Das wird dich nur lächerlich machen.«

Sie lachte noch heftiger.

Er setzte sich wieder hin und spielte weiter mit dem Papiermesser.

Sie hörte plötzlich auf zu lachen.

»Nun kannst du gehen. Du hast deine Visite unanständig lang gemacht.«

»Ja, das habe ich. Ich muß übrigens sowieso gehen. Aber noch ein Wort. Wenn du wirklich Lust bekommen solltest, Ostap an dich zu binden, so denk immer daran, daß er jedesmal, wenn er dich ansieht ...«

Er brach plötzlich ab.

Sie stand totenblaß da. Ihr Blick war leer.

Er streckte ihr die Hand entgegen.

Sie schien es nicht zu sehen.

»Willst du mir die Hand nicht geben? Schade. Ich habe keinen Haß auf dich. Wir sind uns eigentlich so verwandt ...«

An der Tür blieb er stehen.

»Merkwürdig, daß du nicht daran denkst, daß ich dich mit meinem Besuch kompromittiert haben könnte. Vielleicht denkst du auch, daß man mich in diesem Wetter nicht sehen kann ...«

Er trat in den Korridor.

»Ich habe übrigens daran gedacht, daß mein Besuch dich kompromittieren könnte. Aber ich wußte, daß dein Vater weg ist ...«

Er wunderte sich plötzlich, daß er über so etwas Gleichgültiges sprechen konnte. Er zog den Mantel an und sah ihr ins Gesicht.

»Ich habe dich nie so blaß gesehen ... Ich werde nie wieder zu dir kommen ... Nie wieder werd ich mit dir sprechen. Es ist das letzte Mal. Leb wohl und denk daran, was ich dir gesagt habe.«

Er machte die Tür auf und ging hinunter. Plötzlich merkte er, daß sie in der Tür stand.

Er blieb auf der Treppe stehen und wandte sich nach ihr um.

»Du willst mir wohl beweisen, daß du keine Angst hast, kompromittiert zu werden«, sagte er leise.

»Vergiß nicht kalte Umschläge auf deine Backe zu legen«, flüsterte sie boshaft und warf die Tür zu.


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